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Aufsatz zum Themenschwerpunkt

„Das hatte ich mir schon in der Grundschule abgewöhnt“ – Wie (frühe) Sprechverbote den Gebrauch nicht-deutscher Sprachen prägen

Abstract

Der Beitrag fokussiert, wie Sprechverbote in der Schule Sprechpraxen mehrsprachiger Personenprägen. Unter Einnahme einer raciolinguistic perspective wird durch episodisch-narrative Interviews aufgezeigt, welche Rolle Sprechverbote in Subjektivierungsprozessen einnehmen. Dabei wird betrachtet, inwiefern Sprechverbote sich als rassistische Praxis ausmachen lassen und adressierte Sprecher*innen als raciolinguistic Others – rassialisiert-sprachliche Andere – markieren. Der Versuch eines Entzugs dieser Markierung durch Interviewte zeigt sich insbesondere durch ein Betonen der Nutzung (nur) der deutschen Sprache, wobei Sprechverbote zeitgleich eine Legitimierung erfahren und als angemessen eingeordnet werden. 

“I had already gotten out of the habit of that in elementary school” – How (early) language bans shape the use of non-German languages
This article focuses on how language bans in school shape the language practices of plurilinguals. Adopting a raciolinguistic perspective, episodic narrative interviews are utilized to demonstrate the role that language bans play in processes of subjectivation. It will be discussed how far language bans can be identified as a racist practice and mark addressed speakers as raciolinguistic Others, that is racial and linguistic Others. The attempt of interviewees to withdraw from this positioning is particularly evident along an emphasis on the (exclusive) use of the German language, whereby language bans are legitimized and evaluated as appropriate.

Keywords: Sprechverbote, Sprechgebote, Mehrsprachigkeit, Raciolinguistics, Subjektivierung, language bans, multilingualism, plurilingualism, subjectivation

How to Cite:

Rühlmann, Liesa (2023): „Das hatte ich mir schon in der Grundschule abgewöhnt“ – Wie (frühe) Sprechverbote den Gebrauch nicht-deutscher Sprachen prägen. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 28: 2, 9–31. https://doi.org/10.48694/zif.3667.

1 Einleitung

In der im Titel genannten Aussage blickt Feraye, eine mehrsprachige Frau Ende 20, auf ihre Schulzeit zurück und resümiert die Nutzung der türkischen Sprache im schulischen Raum. Ferayes Erzählungen verweisen auf ein Ungleichverhältnis, das in Schulen wirksam ist: Sprachen, denen gesellschaftlich wenig Prestige zugesprochen wird, gilt es sich abzugewöhnen, während als prestigeträchtig verstandene Sprachen, wie beispielsweise Englisch, in der Schule erworben werden sollen. Ähnlich wie Feraye1 erleben viele Schüler*innen Sprechverbote2 oder -gebote in der Schule, wie sowohl retrospektive Einordnungen als auch Forschungen zu gegenwärtigen Erfahrungen in der Schule verdeutlichen (vgl. Dirim/​Mecheril 2010; Plöger/​Rühlmann 2022).

Sprechverbote werden an Schulen mündlich und/​oder schriftlich zum Ausdruck gebracht. Schüler*innen werden auf diese Weise informiert, wie und ob sie sich (nicht) gemäß der schulischen (Sprachen-)Ordnung verhalten (vgl. Heinemann/​Dirim 2016; Plöger/​Rühlmann 2022). Hierbei greifen Lehrpersonen mitunter auch auf Strafarbeiten zurück: So musste bspw. 2020 eine Schülerin in Baden-Württemberg eine Strafarbeit schreiben, da sie an ihrer Grundschule in der Pause Türkisch gesprochen hatte. Sie wurde von ihrer Lehrerin aufgefordert, schriftlich auszuarbeiten „Warum wir in der Schule Deutsch sprechen!“ (Unterberg 2020: o.S.). Die Familie war daraufhin anwaltlich gegen die Strafarbeit vorgegangen und 2022 entschied das Verwaltungsgericht Freiburg, dass die Strafarbeit die Persönlichkeitsrechte des Kindes verletzt hat, somit also rechtswidrig war (vgl. Unterberg 2022). Diese rechtliche Einordnung unterstreicht eine von Schüler*innen erlebte Ungleichbehandlung und Ungerechtigkeit, die sich in Strafarbeiten auf Basis von Sprechverboten findet (vgl. Plöger/​Rühlmann 2022). Dass Schüler*innen von Sprechverboten und in diesem Kontext auch von Strafarbeiten betroffen sein können, wirft die Frage auf, wie Schüler*innen eben diese erleben und inwiefern dadurch Sprechpraxen geprägt werden.

In diesem Beitrag diskutiere ich auf der Grundlage einer Interviewstudie, wie mehrsprachige Personen auf erfahrene Sprechverbote in der Schule zurückblicken und sich als Sprecher*innen positionieren (vgl. Rühlmann im Druck). Zentral dabei ist auch, inwiefern Sprechverbote als Ungerechtigkeit wahrgenommen werden, Sprechpraxen geprägt haben und weiterhin prägen. Der Fokus liegt darauf, welche Rolle die Grundschule einnimmt, deren Einflussnahme sich bereits in Ferayes Aussage im Titel erkennen lässt. Es wird auf diese Weise deutlich, dass Schüler*innen schon in der Grundschule diskursives Wissen zu gesellschaftlichen Ordnungen erhalten, das auch ihre Sprechpraxen prägt. Schüler*innen erfahren somit unter anderem, welche Sprachen ‚wertvoll‘ und zu sprechen sind, und welche nicht. Dies vermittelt ihnen gleichermaßen Informationen zu ihren Sprecher*innenpositionierungen (vgl. Bjegač/Pokitsch 2019; Dirim/​Mecheril 2010; Mecheril/​Shure 2018).

Einführend beschreibe ich in diesem Beitrag die Perspektive der Raciolinguistics (vgl. Flores/​Rosa 2015) und die Subjektivierungstheorie (vgl. Butler 1993), die den Artikel theoretisch rahmen. Im Anschluss werde ich mein methodisches Vorgehen ausführen. Es wird nachfolgend vor allem fokussiert, wie Sprechverbote von Befragten verhandelt werden. Dazu stelle ich dar, wie sie auf erfahrene Sprechverbote in der Schule zurückblicken und sich als Sprecher*innen positionieren. Dabei wird herausgestellt, inwiefern Sprechverbote Konstruktionen von ‚der Norm‘ und ‚den Anderen‘ re-produzieren, demnach also (auch) eine rassistische und rassialisierende Praxis ausmachen. Abschließend zeige ich auf, dass es notwendig ist, dominante Machtstrukturen im Kontext von Sprachigkeit zu fokussieren, damit Sprecher*innen mehr Macht über ihre Sprechpraxen erlangen können. Hier betrachte ich die zentrale Rolle individueller sowie struktureller und institutioneller Auseinandersetzungen mit Sprachenhierarchien und insbesondere Sprechverboten.

2 Raciolinguistics & Subjektivierung: Wie Sprecher*innen entlang von Sprache und race positioniert werden und sich re-positionieren

Die von Flores und Rosa (2015) geprägte Perspektive der Raciolinguistics betrachtet die intersektionale Verbindung von Sprache und Rassekonstruktionen. Ausgehend von Ausarbeitungen zu „raciolinguistic ideologies“ (Flores/​Rosa 2015: 149) führen die Soziolinguisten in ihren Zugang der „raciolinguistic perspective“ (Rosa/​Flores 2017: 621) ein. Dabei liegt der Fokus der Konzeption nicht (nur) auf Ideologien, sondern vor allem darauf, diese historisch einzubetten und aus postkolonialer Perspektive einzuordnen. Auf diese Weise werden Machtverhältnisse betrachtet, die raciolinguistic ideologies hervorbringen und historisch geprägt haben. Zentral ist der Ausgangspunkt, dass im Kolonialismus nicht nur entlang von Körperlichkeit Auf- und Abwertung konstruiert und legitimiert wurde, sondern auch auf Sprache zurückgegriffen wurde, um Überlegenheitsstrukturen zu prägen, durch die Sprecher*innen als weniger wertvoll, weniger menschlich konstruiert wurden. Wirksame Sprachideologien und -hierarchien müssen demnach mit Blick auf ihre historischen, kolonialen Ursprünge verstanden werden.

Rosa und Flores (2017: 621) verweisen mit ihrer Konzeptualisierung der Raciolinguistics also auf die historische und heutige „co-naturalization of language and race“. Diese Verwobenheit wird u.a. auch von Cyffer (2011) diskutiert. Er verweist auf inhärente Abwertungen von afrikanischen Sprachen und Sprecher*innen in sprachwissenschaftlichen Studien von deutschen Wissenschaftlern Ende des 19. Jahrhunderts sowie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Unter anderem Westermann argumentiert im Jahr 1941: „[Es gibt] tiefgreifende Unterschiede, die eben aus der primitiven geistigen Haltung der Menschen stammen, denen diese Sprachen als Ausdrucksmittel ihres Fühlens, Denkens und Wollens dienen“ (Westermann 1941 nach Cyffer 2011: 64). Westermann ging von „armen Eingeborenen“ (ebd.: 70) aus, deren Sprachen „nicht an das Niveau europäischer Sprachen heranreichen können“ (ebd.). Demnach wurden „afrikanische Sprachen [als] zwangsweise primitiv [verstanden]“ (ebd.). Maßgeblich in solchen Zuschreibungen ist die Position, von der heraus diese getätigt wurden und werden, wobei mit Flores und Rosa (2015: 149) vom „white listening subject“, dem weißen hörenden Subjekt, gesprochen werden kann. García, Flores, Seltzer, Wei, Otheguy und Rosa (2021: 210) erklären das Begriffsverständnis wie folgt:

Of course, a white listening subject is not always just listening, nor is it only white. The term refers to those who inhabit positions of institutionalized power that are produced and maintained, on the one hand, through structures of white supremacy, and on the other hand, through modes of perceiving and apprehending language, including but not limited to listening. Through the conceptualization of the white listening subject, Flores and Rosa make explicit the effect that the construction of a subjectivity based on claimed, ascribed, and socialized racial superiority has had in deeming the language practices of racialized bilinguals as inferior and non-academic.

Die Wahrnehmung und Bewertung von Sprachigkeit ist somit eng gekoppelt an die Hörendenposition, welche in rassistischen Verhältnissen durch weiße hörende Positionierungen geprägt ist. Raciolinguistics legt demzufolge den Schwerpunkt nicht auf sprechende Subjekte, sondern darauf, wie hörende Subjekte entlang hegemonialer Strukturen als weiße hörende Subjekte agieren und Sprechen bewerten und damit ermöglichen oder auch verunmöglichen. Dabei ist es zentral, zu berücksichtigen, dass historische Bewertungen von Sprachen auch heute noch wirkungsmächtig sind und kolonialen Sprachen wie etwa Deutsch, Englisch und Französisch eine gesellschaftlich privilegierte Position zugesprochen wird (vgl. Makoni/​Pennycook 2007). Auch in Schulen in Deutschland gelten diese Sprachen als prestigereich und erstrebenswert (vgl. Knappik/​Ayten 2020).

In einer in Chicago durchgeführten Studie verweist Rosa (2019: 3) auf Zuschreibungen eines „looking like a language and sounding like a race“, welche er bei als spanischsprechenden und/oder Latinx positionierten Personen an einer Schule erkennt. Die Zuschreibung des „sounding like a race“ lässt sich als ein Phänomen ausmachen, welches im deutschsprachigen Diskurs um Sprachnutzung und Diskriminierung auch durch Linguizismuskritik betrachtet wird (vgl. Füllekruss/​Rühlmann im Erscheinen). Diese maßgeblich von Skutnabb-Kangas (1988) geprägte und von Dirim (2010) in den deutschsprachigen Diskurs eingeführte theoretische Brille beschäftigt sich mit Abwertung im Kontext von Sprachigkeit. Dirim (2010) beschreibt Linguizismus hierbei als Form des Rassismus, welche u.a. insofern wirksam sein kann, als Sprechende durch Sprechpraxen rassialisiert werden. Darüber hinaus betrachtet Raciolinguistics vertieft auch ein „looking like a language“ (Rosa 2019: 2), d.h. Zuschreibungen von Sprachigkeit entlang von Rassekonstruktionen. Während Linguizismuskritik bislang v.a. Anwendung findet, um diskriminierte Positionierungen zu betrachten, ermöglicht die Raciolinguistics auch eine Fokussierung auf Privilegierung. Die Analyseperspektive kann sich demnach auch auf das Sprechen weißer Personen anwenden lassen und aufzeigen, inwiefern Sprache und race zusammenwirken (vgl. Rühlmann im Druck).

Für die theoretische Rahmung der Fragestellung, wie Sprechverbote von Befragten verhandelt werden, führe ich die dargestellte raciolinguistic perspective und den subjektivierungstheoretischen Zugang zusammen. Subjektivierung beschreibt den „diskursiv vermittelten […] Vorgang, in dem das ‚Subjekt‘ hervorgebracht und in dieser Hervorbringung bereits den normativen Vorgaben des Sozialen unterworfen wird“ (Mecheril 2014: 16). Die Subjektivierungstheorie fokussiert Fremd- und Selbstpositionierungen innerhalb diskursiver Ordnungen. Der Begriff der Anrufung beschreibt hierbei die Adressierung oder Ansprache als Subjekt. Innerhalb der Subjektwerdung kommt es zu einer Auseinandersetzung mit Subjektivierungs- und Anrufungsweisen (vgl. Butler 1993). Subjekte können sich Anrufungen somit widersetzen und sie kritisieren, umdeuten usw. (vgl. Knappik 2016). Subjekte unterwerfen sich also nicht ohnmächtig, sondern gehen vielmehr mit Positionierungen um, reflektieren sie und re-agieren darauf entlang von Re-Positionierungen. Es ist innerhalb diskursiver Ordnungen allerdings nicht möglich, sich Adressierungen zu entziehen. Auch die Ablehnung einer Anrufung erfolgt somit innerhalb einer Reflexion ebendieser, womit auch in diesem Fall von Unterwerfung gesprochen werden kann (vgl. Butler 1993). Die Subjektivierungstheorie ermöglicht ein Verständnis dafür, wie Subjekte durch Sprechverbote diskursiv positioniert werden und sich entlang dieser re-positionieren (müssen). Welchen Einfluss Sprechverbote auf Subjektvierungsprozesse nehmen können wird im folgenden Kapitel betrachtet.

3 Empirische Einblicke: Raciolinguistic Othering durch Sprechverbote

Die Rekonstruktion von Sprechverboten und ihrem Einfluss auf Subjektivierungsprozesse ist im Rahmen meiner Dissertationsstudie (vgl. Rühlmann im Druck) entstanden. In diesem Beitrag wird auf Teilergebnisse dieser Studie Bezug genommen. Zwischen 2018 und 2021 habe ich episodisch-narrative Interviews (vgl. Mueller 2019) mit zwölf mehrsprachigen Personen zwischen 21 und 35 Jahren geführt. Muellers (2019: 1) Ansatz des episodischen narrativen Interviews kombiniert narrative Befragung, halbstrukturiertes Interview und episodisches Interview, sodass spezifische Phänomene und Zeitfenster in Lebensphasen untersucht werden konnten – hier die Schulzeit. Die Erhebung und Auswertung der Daten orientierte sich an der Grounded Theory (vgl. Corbin/​Strauss 1990; Glaser/​Strauss 1967). Es lagen zwischen einzelnen Interviews mehrere Wochen oder Monate, um zu gewährleisten, dass zentral herausstechende Codes in Tiefe betrachtet und bei weiteren Interviews bedacht werden konnten. So entwickelte sich die Erkenntnis, dass race eine maßgebliche Rolle in sprachbezogenen Erfahrungen der Befragten spielte. Zentral wurde somit für die Auswahl der Befragten neben der Kategorie Sprache die Kategorie race. Dies bedeutete, dass Befragte im familiären Umfeld verschiedene Sprachen neben der deutschen Sprache sprechen (bspw. Türkisch, Twi, Vietnamesisch und Französisch) und einige der Interviewpartner*innen negativ von Rassismus betroffen sind, während andere Interviewte im rassistischen System privilegiert werden.

Es handelt sich bei den Befragten um Lehramtsstudierende, die ich im universitären Kontext angesprochen habe, sowie private Kontakte und solche, die per Schneeballsystem durch bereits Befragte entstanden sind. Die genannten Kontaktwege führten dazu, dass vor allem studentische Bildungslaufbahnen berücksichtigt wurden. Es wurden acht Personen befragt, die das Gymnasium besucht haben und die studieren oder studiert haben. Ein Interviewter hat die Schule mit einem Hauptschulabschluss verlassen, drei mit einem Realschulabschluss. Auf Basis forschungsethischer Überlegungen mein Weißsein und (diskursiv zugeschriebenes monolingual) Deutschsprechen betreffend im Verständnis einer reflexiven Grounded Theory (vgl. Breuer/​Muckel/​Dieris 2019) entschied ich mich für dieses Vorgehen, um ein Kennen(-lernen) meiner Person zu ermöglichen (vgl. Rühlmann im Druck). Interviewte konnten auf diesem Wege über meine Positionierung und (Forschungs-)Perspektiven informiert werden. Die Gespräche fanden sowohl in meinem universitären Büro als auch bei mir zuhause statt, wobei es Interviewten offenstand, einen dieser oder einen anderen Ort zu wählen. Coronabedingt wurden die letzten drei Interviews digital per Zoom geführt. Jedes der Interviews wurde zu Beginn von einem visuellen Zugang begleitet. Den Interviewten wurde eine Netzwerkkarte (von der Lippe/​Gamper 2017) vorgelegt und sie wurden aufgefordert, etwa fünf Lehrpersonen aufzuschreiben, an die sie sich besonders erinnerten. Das Ziel dieser Methode war es, sowohl den Befragten als auch mir eine Orientierungs- und Strukturierungsmöglichkeit zu schaffen. Im Anschluss wurden die Befragten gebeten, zu erklären, warum welche Lehrperson an welchem Ort platziert wurde. Dieser Ansatz ermöglichte Phasen der Erzählung. Während dieser Zeit hörte ich zu, machte mir Notizen und stellte anschließend Rückfragen. Danach wurde auf einen halbstrukturierten Leitfaden zurückgegriffen.

Im Anschluss an die jeweiligen Interviews wurden sie transkribiert und mithilfe von MAXQDA kodiert (vgl. Kuckartz/​Rädiker 2019). In der Auswertung wurde eine positionierungsanalytische Perspektive eingenommen (vgl. Davies/​Harré 1990), sodass ich insbesondere untersucht habe, wie sich die Interviewten in den Erzählungen und in der Interviewsituation selbst re-positioniert haben. Die zunächst durch offenes Kodieren induktiv gebildeten Kategorien wurden in Bezug auf die Auswahl der weiteren Teilnehmer*innen und der theoretischen Konkretisierungen genutzt. Der Prozess der Auswertung schärfte sich durch axiales und selektives Kodieren, wodurch die Kernkategorie „Raciolinguistic positionality“ (Rühlmann im Druck) herausgearbeitet wurde. Wurden im axialen Kodierprozess zunächst vorherig entstandene Kategorien zusammenfassend auf 13 Kategorien reduziert, wurden diese anschließend weiter kombiniert und geschärft, sodass abschließend neben der Kernkategorie drei weitere Kategorien entstanden sind (Racial positioning, Language use, Power relationships (ebd.)).

In diesem Beitrag wird auf die ausgewertete Kernkategorie zurückgegriffen, wenn ich aufzeige, wie Sprechverbote wirken und Sprecher*innen als Raciolinguistic Others – rassialisiert-sprachliche ‚Andere‘ – ausweisen. Dabei werden ausgewählte Interviews und Interviewausschnitte betrachtet, aus denen (wie auch aus weiteren, hier nicht berücksichtigten Segmenten) hervorgeht, welche Rolle insbesondere die Grundschule spielt, um Sprecher*innen über Sprechverbote zu informieren. Dies ergibt sich in der Auswertung aus in acht Interviews kodierten Segmenten innerhalb der Kategorie ‚Sprechverbote‘. Drei der Interviewten gehen dabei (erkennbar) auf die Grundschule ein, darüber hinaus ein Interviewter auf den Kindergarten. Mit Blick auf die Grundschule werden von den Befragten explizit formulierte Sprechverbote benannt. Es findet sich in den drei zugehörigen Interviews eine Vielzahl von Kodierungen innerhalb dieser Kategorie, während Aussagen innerhalb der weiteren fünf Interviews weniger häufig auf implizitere Sprechverbote, Sprechgebote oder Sprechregeln an verschiedenen Schulformen verweisen.

Im Sinne des qualitativen Vorgehens wird davon ausgegangen, dass weniger die Anzahl der Interviews und Interviewten als die empirische Dichte und Repräsentation des Phänomens in seinen Strukturbedingungen im Mittelpunkt stehen. Im Gegensatz zu über die Grundschule hinausgehend besuchte Schulen wird so deutlich, dass dort wahrgenommene und erlebte Sprechverbote eher normalisiert positioniert werden, während mit Blick auf die Grundschule von explizit artikulierten Verboten berichtet wird. Diese verschiedenen Erzählweisen implizieren, dass Grundschulen einen Ort der Artikulation von Sprechverboten ausmachen (können), durch welchen Schüler*innen Wissen über ein Deutschgebot der Schule erkennen, weshalb wiederum an weiterführenden Schulen eine weniger explizite Nennung von Sprechverboten stattfindet oder gar notwendig ist. Dieses erlangte Wissen könnte auch insofern gewirkt haben, dass Sprechverbote auch in der Interviewsituation als normalisiert wahrgenommen und deshalb nicht oder weniger (explizit) benannt wurden.

In den Retrospektiven der Befragten wird insgesamt deutlich, dass sie der deutschen Sprache in der Schule eine zentrale Bedeutung zuschreiben. Innerhalb dieser Bestätigung des „monolingualen Habitus“ (vgl. Gogolin 1994: 30) finden sich bemerkenswerte Unterschiede im Erleben von Sprachigkeiten in der Schule. Interviewte of Color und Schwarze Interviewte hatten in der Regel kaum Möglichkeiten, nicht-deutsche Sprachen zu nutzen, da es zumeist weder eine curriculare Berücksichtigung noch weitere Möglichkeiten einer anerkannten Nutzung gab. Zudem wurden sie nicht als Expert*innen für die von ihnen gesprochenen Sprachen positioniert, was neben der deutschen Sprache bspw. Französisch oder Türkisch betraf. Weiße Sprecher*innen hingegen wurden im jeweiligen Sprachenunterricht für ihre Englisch- und/oder Französischkenntnisse gelobt, als Expert*innen ausgewiesen und besonders unterstützt. Während weiße Sprecher*innen sich in der sprachlichen Norm der Schule erleben konnten und ihr Deutschsprechen weder infrage gestellt noch besonders hervorgehoben wurde, erlebten Befragte of Color und Schwarze Interviewte eine Positionierung als raciolinguistic Others. Dies zeigt sich unter anderem in der Zuschreibung geringer Deutschkenntnisse oder in ‚Komplimenten‘ für ihr Deutschsprechen (siehe ausführlicher Rühlmann in Vorbereitung). Auch von erlebten Sprechverboten mit Blick auf von ihnen gesprochene Sprachen berichten nur rassialisierte Subjekte (vgl. Rühlmann im Druck). Im Folgenden diskutiere ich anhand ausgewählter Ergebnisse, wie Befragte Sprechverbote reflektieren und welchen Einfluss auf ihre Sprechpraxen sie darin ausmachen.

3.1 „[D]a war das auch verboten“ – Sprechverbote in der Grundschule

Sprechverbote werden vor allem in der retrospektiven Betrachtung der Grundschule ausführlich thematisiert. Die zentrale Rolle der Grundschule lässt darauf schließen, dass bereits und insbesondere dieser Zeitabschnitt in Lebensphasen einen starken Einfluss auf Normalitätsvorstellungen von Sprachnutzung hat. Feraye, eine Schwarze Person, geht auf die Nutzung der türkischen Sprache in der Schule ein:

Und es war so schon so, dass (.) ich involviert war in Gespräche, die auf Türkisch geführt wurden. Nicht als jemand, der angefangen hat. Aber als jemand, der (.) angesprochen war. Und das dann auch gemacht hat. (.) Aber nie aktiv. (..) Ja, das (.) hatte ich mir schon in der Grundschule abgewöhnt. Weil da war das auch verboten.3

Durch Ferayes Reflexion findet eine aktive Auseinandersetzung ihres Subjektivierungsprozesses und dem darin wirksamen Einfluss von Sprechverboten auf ihre Sprachnutzung statt. Feraye erklärt, dass sie in höheren Klassenstufen die türkische Sprache zwar genutzt, nicht aber Mitschüler*innen selbst zu Gesprächsbeginn auf Türkisch adressiert hat. Sie verweist in ihren Erklärungen auf die Grundschule, in der sie ein Verbot der Nutzung der türkischen Sprache erlebt hat. Sie hat so erkannt, dass sie in der Schule kein Türkisch sprechen sollte, und hat diese Regel in ihrer weiteren schulischen Laufbahn berücksichtigt. Verbote, die sie erlebt hat, ordnet Feraye demnach als Ursache für ihr Handeln – die wenige und durch Mitschüler*innen initiierte Nutzung der türkischen Sprache – ein. In Ferayes weiteren Argumentationen wird deutlich, dass ihr Sprechverbote zum Zeitpunkt des Schulbesuchs nicht negativ auffielen:

Ja. (.) Ich fand das nicht schlimm. Ich fand das logisch irgendwie. Ich weiß noch, dass es mich irritiert hat, Türkisch zu hören eine Zeit lang (.) und angesprochen zu werden. Ich kann mich richtig an dieses Gefühl erinnern, auch auf der Straße. Ich weiß nicht, womit das zusammenhängt. Das war nachdem ich mit der Schule angefangen habe.

Feraye erklärt, dass sie das Sprechverbot nicht als problematisch empfunden habe. Nachdem sie eingeschult wurde, habe sie anders auf den Gebrauch der türkischen Sprache reagiert als zuvor. Diese Reflexion verweist auf sprachliche Normdiskurse, die Feraye in der Schule kennengelernt hat. Folglich wurde Deutsch als die zu sprechende Sprache markiert und verstanden. Das Sprechen der türkischen Sprache, die Nicht-Nutzung der deutschen Sprache, habe Feraye in diesem Zusammenhang „irritiert“. Die Verortung der Schule als deutschsprachigen Raum, in dem der Gebrauch nicht-deutscher Sprachen verboten war, führte dazu, dass Feraye die türkische Sprache in der Schule weniger genutzt hat. Auch darüber hinaus „auf der Straße“ wirkte diese diskursive Einordung der türkischen Sprache. Der von ihr wahrgenommene Einfluss durch Verbote auf ihre Sprechpraxen wird im Interview von Feraye weiter reflektiert:

Also ich habe nie oder ganz, ganz, ganz selten mal Türkisch gesprochen in der Schule. Die anderen türkischen (..) Schüler in meiner Klasse haben manchmal (.) versucht mit mir zu sprechen, aber ich war da eigentlich ziemlich (.) hart. Ich habe eigentlich nie geantwortet, ganz selten auf Türkisch. Immer auf Deutsch. Obwohl ich es damals noch konnte. Da war mein Türkisch noch ziemlich gut. Aber ich wollte nicht. Und ich wollte eigentlich auch nicht mehr zuhause Türkisch sprechen. Ich wollte eigentlich nichts mehr mit der Sprache zu tun haben. Aber ich habe das damals nicht zusammen gebracht irgendwie. Ich habe irgendwie/(..) Keine Ahnung, warum mir das damals nicht auffiel, (..) aber natürlich habe ich mich trotzdem aufgeregt, dass dieses Verbot im Raum stand. Ich habe das aber selbst durchgeführt, weil ich irgendwie das Gefühl hatte, dass (.) man das in der Schule nicht spricht.

Das Türkisch-Verbot hatte nach Feraye eine normativierende Wirkung, „man“ sollte „das“ im schulischen Raum „nicht [sprechen]“. Das Verbot wirkte sich dabei nicht nur auf ihre Sprachnutzung in der Schule und „auf der Straße“ aus, es betraf auch weitere Bereiche, wie auch den Sprachgebrauch mit ihrer Mutter:

Und meine Mutter hat auch immer darauf bestanden, dass ich (.) das mache, was die Lehrer sagen. Und schön, dass ich angepasst bin. Und wenn die Lehrer wollen, (.) dass ich Deutsch spreche, spreche ich Deutsch. Und (.) meine Grundschullehrerin Frau Blau hat meiner Mutter mal beim Elternabend gesagt, dass sie auch zuhause nicht mit mir Türkisch sprechen soll. Und dann hat meine Mutter das auch gemacht. Also wir haben aufgehört, Türkisch zu sprechen.

Das schulische Sprechverbot, so wird deutlich, wurde von Ferayes Deutschlehrerin erweitert, indem sie es durch ihre Forderung in den Familienkontext Ferayes übertrug. Die Lehrerin befand sich somit in einer machtvollen Position, in der sie sich als Expertin für Sprachgebrauch verstand. Den Anweisungen der Lehrerin war hierbei nicht nur aus Schüler*innen-, sondern auch aus Elternperspektive Folge zu leisten. Sich als „angepasst“ zu positionieren, bedeutete für Feraye (und ihre Mutter) folglich, dass Feraye und ihre Mutter aufhörten, Türkisch mit einander zu sprechen. Hierin erkennt Feraye einen starken Einfluss auf die Nutzung und ihre Kenntnisse der türkischen Sprache, in dem sie im Interview erklärt, dass sie ihre türkischen Sprachkenntnisse verloren habe und dahingehend „ein bisschen traurig dran [sei]“.

Ferayes Argumentationen zeigen, dass die Macht über Sprechpraxen nicht bei ihr lag, sondern bei weißen hörenden Subjekten, den Akteur*innen der Institution der Schule. Wirksam in Form eines Verbots hat sich Feraye dieser Sprechregel in der Grundschule unterworfen, um ihre Subjektposition als den Regeln entsprechend agierendes Subjekt nicht zu gefährden.

Sandy, eine weiße Frau, die im Elternhaus Deutsch und Englisch gesprochen hat, geht in ihrem Interview ebenfalls auf Sprechverbote ein, wobei sich Unterschiede im Vergleich zu Ferayes Erleben zeigen. Sandy gibt an, dass es Sprechverbote an ihrer Schule gab, diese jedoch nicht ihr Englischsprechen betrafen. Im Interview erklärt sie, welche Funktion bestimmten Sprachen in der Schule zugesprochen wurde:

Es war sogar so, dass/also an der Grundschule hatten wir sogar zwei Lehrer, die selber Türkisch sprechen konnten und die durften zum Beispiel auch nicht mit den Kindern Türkisch sprechen. Die wurden glaube ich oft bei so Elterngesprächen und so eingeladen, damit die übersetzen können. Wenn jetzt (.) ein Lehrer mit den Eltern Gespräche führen musste, (.) aber auf der ganzen Schule war es untersagt Türkisch oder Arabisch zu sprechen. (.) Also, das hieß „Man darf keine andere Sprache sprechen außer Deutsch.“ Aber wenn ich jetzt auf Englisch was gesagt habe, dann wurde ich nie irgendwie darauf angesprochen, dass ich ja in der Pause (.) was auf Englisch gesagt habe.

In Sandys Erleben betraf das Verbot nicht nur Schüler*innen, sondern auch Lehrkräfte. Gleichzeitig wurde diesen Lehrkräften eine funktionale Aufgabe zugewiesen: Sie wurden als Übersetzer*innen für Gespräche mit Eltern hinzugezogen. Somit wurde signalisiert, wann und in welchen Kontexten der Gebrauch der türkischen Sprache (nicht) erlaubt und nützlich war. Die Türkischkenntnisse der Lehrkräfte wurden dabei als Notwendigkeit, jedoch in einer defizitorientierten Zuschreibung, markiert, da ihr Türkischsprechen alleinig als notwendiges Hilfsmittel zur Lösung von ‚Problemen‘ dienen sollte. Eltern wurden als nicht-deutschsprechend wahrgenommen und darin defizitär positioniert. Durch ihre zugewiesene Rolle als Übersetzer*innen wurden Lehrkräfte in einem solchen Gebrauch und einer solchen Markierung vielmehr durch ihr Türkischsprechen und weniger durch ihre pädagogischen Fähigkeiten definiert, was auch sie in einer solchen Positionierungspraxis zu raciolinguistic Others machte.

Eine solche Problematisierung zeigt sich in Sandys Erzählungen mit Blick auf den Gebrauch der englischen Sprache nicht. Auch von einem Sprechverbot war sie als Sprecherin der englischen Sprache nicht betroffen, wodurch deutlich wird, dass Sprechverbote in ihrem Erleben ein bestimmtes Nicht-Deutschsprechen unterbinden sollten. Auf diese Weise wurden Sprachen, die gesellschaftlich als wenig(er) prestigereich gelten in ebendieser Bewertung aufgerufen und als wenig nützlich und erstrebenswert in deren Nutzung markiert. Sandy wurde darüber informiert, dass ihr Sprechen der englischen Sprache nicht problembehaftet sei. Dass der Gebrauch der englischen Sprache vielmehr zu verfolgen war, wird an anderen Stellen im Interview deutlich, wenn Sandy davon berichtet, im Englischunterricht Lob für ihren Englischgebrauch erfahren zu haben. In der Auswertung wurde dahingehend eine Vielzahl an Segmenten des Interviews unter den Kategorien ‚Lob‘ und ‚Expert*in‘ gefasst, während sich darin benannte Erfahrungen in den Interviews mit rassismuserfahrenen Sprecher*innen nicht finden. Dies betrifft dabei sowohl den Gebrauch von Sprachen, die gesellschaftlich abgewertet werden, wie auch mit Prestige versehene Sprachen wie Englisch und Französisch.

Dass Sandy und Feraye die Grundschule in besonderer Weise betrachteten, wenn sie über Sprechverbote sprechen, verweist darauf, dass solche im schulischen Erleben frühen Erlebnisse Schüler*innen in Erinnerung bleiben und nachhaltig ihre Subjektivierungsprozesse und in diesem Zusammenhang ihren Sprachgebrauch prägen können. Folgend zeige ich auf, wie Sprechverbote hierbei eine Produktion von Gruppen und eine Spaltung schaffen können.

3.2 „Dann waren sie halt so die Gegner“ – Ordnungshüter*innen und Regelbrecher*innen

Insbesondere das Interview mit Sandy, deren Aussage den Titel dieses Unterkapitels bildet, verweist auf Grenzziehungen, die durch Sprechverbote hervorgebracht werden. Hierbei findet sich in der Auswertung eine Binarität, die ich mit den Unterkategorien ‚Ordnungshüter*innen‘ und ‚Regelbrecher*innen‘ in der Thematisierung von Sprechverboten gefasst habe (vgl. Rühlmann im Druck) und im Folgenden an Beispielen ausführen werde. Es ergibt sich, so zeigt die Einordnung Sandys, nicht nur die Erfahrung derjenigen Schüler*innen, die sich an das Verbot halten mussten, sondern auch derjenigen, die sich verpflichtet fühlten, Lehrkräften davon zu berichten, wenn Schüler*innen sich nicht entsprechend verhielten. Sandy führt aus:

Wenn sie dann auf ihrer Sprache was gesagt haben, dann war das ein Verbot, dann konnten andere Kinder das petzen oder so und (.) dann waren sie halt so die Gegner (.). Und das hat sich halt irgendwie auch widergespiegelt in dem Klima. […] Also ich glaube, dass (.) dieses Verbot eigentlich nicht so viel @gebracht@ hat, außer, dass es halt irgendwie kriminalisierend gewirkt hat und ausgrenzend gewirkt hat und dass manche blöden Kinder das vielleicht genutzt haben, um zu petzen oder so, (.) was dann wiederum für das Klima in der Schule auch total unförderlich ist.

Während einige Schüler*innen durch Sprechverbote kriminalisiert wurden, wurden andere Schüler*innen in Sandys Erleben zu ‚Ordnungshüter*innen‘. Sprechverbote erzeugten auf diese Weise dominante binäre Konstruktionen von regelkonformen, deutschsprachigen Schüler*innen einerseits und nicht regelkonformen, nicht-(immer-)deutschsprachigen Schüler*innen andererseits. Konstruierte Bilder von regelwidrigem Handeln werden dann nicht nur der gesprochenen Sprache, sondern vor allem auch den Sprecher*innen selbst als Handelnde zugeordnet und beeinflussen so Subjektivierungsprozesse und Re-Positionierungen von Subjekten. Plöger und Rühlmann (2022: 66) formulieren diesbezüglich:

Auf der einen Seite gibt es dann die den Regeln angepassten, deutschsprechenden Schüler*innen, die petzen können. Auf der anderen Seite gibt es die Schüler*innen, die auch nicht-deutsche Sprachen nutzen, sich damit nicht gemäß der Regeln verhalten und auf Handlungsstrategien wie bspw. leises Sprechen, zurückgreifen müssen, um vor den Schüler*innen, die sie verpetzen könnten, sicher zu sein. Sprachverbote verstärken auf diese Weise Bilder von „uns“, der Norm, und den „Anderen“, die nicht dieser Norm angehören. Es finden also binäre Grenzziehungen statt: Die der Personen, die als gute Deutschsprecher*innen positioniert werden und die Gruppe der „Anderen“, die (nicht nur sprachlich) als defizitär positioniert wird. […] Es entstehen Bilder derer, die über die „Anderen“ wachen und die der „Anderen“, die als kriminell Handelnde konstruiert werden. Für einen gemeinschaftlichen Raum sind Sprachverbote demnach hinderlich und grenzen aus, da Machtverhältnisse (re-)produziert werden, die Gefahr laufen, zu weiteren Stereotypisierungen beizutragen.

Wie in Kap. 3.1 herausgehoben wurde, hat Feraye weitestgehend aufgehört Türkisch zu sprechen, um sich „an[zu]passen“. Dies könnte sie davor bewahrt haben, als abweichend und nicht den Regeln entsprechend eingestuft worden zu sein. Auch Sandy positioniert im Kontext von Sprechverboten Schüler*innen als machtvolle Akteur*innen, und fokussiert dabei Schüler*innen, die als Ordnungshüter*innen in Erscheinung getreten sind. Innerhalb der hervorgebrachten Binarität findet sich somit ein durch die Befragten wahrgenommener Handlungsspielraum. So geht Sandy auf Möglichkeiten eines Nicht-Einnehmens der Rolle als Ordnungshüter*in ein. Auch scheint es möglich, sich der Zuschreibung als Regelbrecher*in zu entziehen, in dem Einverständnis mit dem Verbot signalisiert wird. Die Funktion von Ordnungshüter*innen zeigt allerdings auch dann ihre Wirksamkeit, wenn seitens als raciolinguistic Other positionierter Subjekte Einverständnis mit Verboten geäußert wird durch eben dieses ‚regelkonforme‘ Handeln selbst. Demnach kann davon ausgegangen werden, dass auch seitens Feraye ein Wissen darüber vorlag, dass ein Nicht-Verfolgen eines Verbots mit Ablehnung von Ordnungshüter*innen und der Gefahr des Verpetzens hätte einhergehen können. Dies verweist darauf, dass die Schule ein Ort ist, an dem Schüler*innen erlernen, was und wer als Norm gilt und was und wer nicht. Es wurde an diesem Ort in Ferayes und Sandys Erleben allen Schüler*innen vermittelt, dass bestimmte nicht-deutsche Sprachen nicht verwendet und deren Gebrauch gemeldet werden sollte. Sandy und Feraye zeigen hierbei Unverständnis mit Sprechverboten und deren Durchsetzung, worauf ich im folgenden Abschnitt näher eingehe.

3.3 „Das war dann nichts Dramatisches“ – (Un-)Verständnis für Sprechverbote und Einflussnahme auf Sprechpraxen

Acht der zwölf Befragten meiner Studie wurden in der Schule mit Sprechverboten oder -‍geboten konfrontiert. Eine Person, Sandy, war dabei allerdings nicht persönlich betroffen und hat keine Verbote des Gebrauchs der englischen Sprache erlebt. Sie benennt Sprechverbote jedoch mit Blick auf ihre ehemaligen Mitschüler*innen. Es unterscheiden sich nicht nur ihre Erfahrungen mit Verboten, sondern die Befragten reflektieren Verbote auch unterschiedlich. Im Folgenden gehe ich auf Beispiele meiner Studie ein (vgl. Rühlmann im Druck), welche unterschiedliche Formen der Bewertung von Sprechverboten besonders prägnant hervorbringen. Dabei beziehe ich mich auch auf Aussagen, die nicht (explizit) der Grundschule zugeordnet werden können, sondern auch in der Benennung weiterer Schulformen auftauchen.

Während sie sich in der Schule an die Regeln gehalten hat, kritisiert Feraye diese aus der Retrospektive im Interview mehrfach. Dies deutet daraufhin, dass Schüler*innen nicht vollständig über die Bedeutung von Sprechregeln aufgeklärt werden und diese später bereuen können. Feraye formuliert aus der Retrospektive den Wunsch „die Zeit zurück[zu]drehen“. Weitere Befragte hingegen zeigen auch gegenwärtig Verständnis für Sprechverbote. So erklärt Elias:

Aber ich kann, natürlich kann ich die Lehrer da irgendwo auch verstehen so, das ist ja auch nachvollziehbar, weil (.) man kann sich halt einen Vorteil dadurch verschaffen. […] Ich meine wenn es in der Pause sage ich „okay.“ […] Aber im Unterricht so, wenn die Lehrerin mit einem Deutsch redet, möchte sie ja auch nicht, dass vielleicht irgendwas (.) über sie gesagt wird oder so. Das heißt da kann ich das nachvollziehen und sie kann sie ja auch nicht überprüfen was gesagt wird halt. Selbst wenn die Schüler sagen „Ja, ich habe versucht es meinem Kollegen besser zu erklären, weil es so besser versteht“ kann man/es ist halt schwer nachvollziehbar.

Diese Argumentation von Elias lässt sich der Unterkategorie ‚Kontrolle‘ zuordnen, die sich als In-vivo Code bildete, da eine Interviewte, Aylin, im Kontext von Sprechverboten äußerte: „Lehrer […] wollten halt immer Kontrolle haben”. In diesem Code finden sich weitere Segmente von insgesamt vier Interviews, die darauf verweisen, dass ein Nicht-Verstehen von Sprachen durch Lehrkräfte als Kontrollverlust interpretiert wird, wobei ein Sprechverbot mit der Funktion versehen wurde, als Lehrkraft Kontrolle über Gesprochenes zu erlangen. Ein weiteres Begründungsmotiv, das ebenfalls von vier Befragten genannt wird, um Verständnis für Sprechverbote aufzubringen, ist die Exklusion von Schüler*innen. So äußert Sandy:

Also ja, vielleicht auch okay, (.) weil wenn die so in der Mehrzahl sind, dann haben vielleicht ein paar deutsche Kinder sich auch quasi/oder die, die dann nicht Arabisch oder (.) Türkisch sprechen können, sich ausgeschlossen gefühlt […].

Während Sandy in ihrem Interview zuvor davon spricht, dass Verbote eine ausgrenzende Wirkung haben und zu einer Kriminalisierung bestimmter Sprecher*innen führen würden (s. Kap. 3.2), zeigt sie direkt im Anschluss Verständnis für Schüler*innen, die als Ordnungshüter*innen in Erscheinung traten, weil sie sich ausgeschlossen gefühlt haben könnten. Auf diese Weise bewertet sie Sprechverbote hier als angemessen und relativiert ihre zuvor geäußerte Kritik ein Stück weit. Dies kann mit der Wirksamkeit dominanter Diskurse zusammenhängen. So werden bestimmte Ausschlüsse legitimiert, insbesondere wenn sie der Sicherung der Machtposition der Normgesellschaft dienen. Diesem Verständnis folgend wird ein möglicher Kontrollverlust durch weiße hörende Subjekte ausgeschlossen. Es zeigt sich hier eine gewisse Widersprüchlichkeit, die auf Verwobenheiten Sandys in diese normativen Diskurse verweist, die sie innerhalb ihrer diskursiven Positionierung als Norm kennengelernt hat und gleichzeitigt auch kritisiert. In ihrer Argumentation wird dabei ein Ausschluss als verständlicher positioniert als der andere: Demnach sollte vor allem auf diejenigen Rücksicht genommen werden, die nicht alles Gesprochene verstehen können. Hierbei spricht Sandy zunächst von „deutschen Kindern“, wodurch sie eine raciolinguistisch relevante Zuschreibung vornimmt und die mit der Aussage gemeinten Schüler*innen als monolingual deutschsprachig positioniert. Kinder, die „nicht Arabisch oder (.) Türkisch sprechen“, werden als Ergänzung benannt, sodass Sandy auch den Ausschluss benennt, den mehrsprachige Kinder ihrer Argumentation folgend erfahren könnten.

Es zeigt sich in den Interviews, dass Sprechverbote nicht explizit als solche formuliert sein müssen, um dennoch in Form von Deutschgeboten wirksam zu sein. Dies wird an Sohals Argumentation deutlich, auf die ich im Folgenden eingehe. Sie positioniert Schüler*innen als verantwortlich für ihre schulischen Leistungen und legt dabei einen starken Fokus auf den Aspekt der Sprachnutzung:

Ich meine, ich habe auch einen Migrationshintergrund, ne, so und ich kann sagen, ich bin nicht so, ne? (.) Und man hat so das Gefühl, dass man das verstehen muss, weißt du? (.) Aber sorry, wir leben hier in Deutschland. Einen Scheiß muss man verstehen, man muss Deutsch verstehen, ja? Aber und das waren dann auch die, die alle schlecht waren im Deutschunterricht.

Sohal stellt heraus, dass Schüler*innen (die einen „Migrationshintergrund“ „habe[n]“) dafür verantwortlich seien, sich an Deutschgebote zu halten und begründet dies damit, dass „wir […] in Deutschland [leben]“. Ein „Migrationshintergrund“ wird hierbei von Sohal mit einem von ihr als deviantes Handeln markiertem möglichem Nicht-Deutschsprechen in Verbindung gebracht. Dieser hergestellten Devianz entzieht sie sich sprachlich: „ich bin nicht so“. Es ist nach Sohal in dieser Selbstpositionierung durchaus möglich, ‚regelkonform‘ zu agieren. Das Sprechen nicht-deutscher Sprachen, das hervorgebrachte deviante Handeln, wird von Sohal als Grund für die ihren Mitschüler*innen zugewiesenen schlechten Leistungen im Deutschunterricht ausgemacht. Sohal gibt hierbei an, nicht verstehen zu können, warum Schüler*innen ihre Deutschnoten gefährdeten, indem sie in der Schule nicht ausschließlich die deutsche Sprache nutzten. Auch wenn Sohal hier nicht direkt auf ein Verbot verweist, lässt es sich dennoch als insofern wirksam erkennen, dass sie ihre Sprechpraxen nicht frei wählen konnte (und wollte) und vielmehr einem Deutschgebot zu folgen war. Sohal bringt in diesem Zusammenhang Verständnis für „Deutsche“ auf, die darum bitten, (nur) Deutsch zu sprechen:

Ach so, das waren immer Mitschüler, die sich beschwert haben, deutsche Mitschüler, die dann gesagt haben, „ja bitte auf Deutsch“ oder „könnt ihr mal deutsch sprechen” und so, weißt du? Natürlich, das ist ja auch so, das tut mir ja auch leid, weißt du? Also sorry, ich will jetzt nicht zu sehr auf diese Schiene jetzt hier eingehen, aber es ist ja schon hart, wenn du in deinem Land Leute hast, die ihre Sprache sprechen, wo du nichts verstehst und wo du dann höflich bittest und bittest deutsch zu sprechen, dass die dann noch so richtig stolz sagen, „hey nein, Nazi” und so ne, das geht gar nicht, ja.

Sohal erkennt eine möglicherweise hervorrufende Kontroverse in ihren Ausführungen, indem sie diese entschuldigend („sorry“) als „diese Schiene“ bezeichnet, führt sie aber dennoch aus und spricht ihnen damit Legitimität zu. Sie verweist darauf, dass es Menschen gäbe, die „Deutsche“ im Kontext von artikulierten Sprechgeboten als „Nazis“ betiteln, was sie wiederum verurteilt. Sie erklärt dabei mit Nachdruck, dass „Deutsche“ für sie keine „Nazis“ seien, wenn sie den Gebrauch (nur) der deutschen Sprache einfordern. Ihre Argumentation lässt sich mit Vorstellungen von ‚Integration‘ verknüpfen (vgl. Ha 2007). Demnach sollten Forderungen und Regeln von „Deutschen“ befolgt werden und nicht in Frage gestellt oder kritisiert werden (vgl. ebd.). Sohals Nutzung der Begriffe „Migrationshintergrund“ und „Deutsche“ kann in diesem Kontext entlang rassialisierter Markierungen gedeutet werden, wonach Deutschsein mit Weißsein gleichgesetzt wird. Sohals Aussagen zu ihrem Handeln in der Schule verweisen auf ihr Bestreben, weiße hörende Subjekte in deren Anforderungen zu bestätigen. Sie re-positioniert sich als ‚integriert‘, indem sie angibt, sich an als vorherrschend wahrgenommene Regeln des Deutschsprechens gehalten zu haben und auch weiterhin zu halten, die nicht nur im schulischen Umfeld, sondern der gesamten Gesellschaft, „deinem Land“, wirksam sind. Auf diese Weise wird eine Abgrenzung zu einem Kontrastort – ‚deren Land‘ – aufgerufen, von dem sich Sohal durch eine betonte Fokussierung eines Deutschgebots distanziert.

Insgesamt zeigen sechs der acht Befragten, die auf Sprechverbote eingehen, Verständnis für Sprechverbote und begründen dies u.a. mit der Relevanz von guten Noten oder Exklusionsmechanismen. Die genutzten Argumentationsmuster schaffen dabei eine Nachvollziehbarkeit und verweisen auf ein diskursives Normverständnis der Bedeutung von schulischen Sprechverboten und -geboten. Hierbei lässt sich v.a. erkennen, dass Sprechverbote als relevant für die Förderung des Deutschsprechens verstanden werden, welche wiederrum als maßgeblich für schulischen Erfolg gekennzeichnet wird. Durch diese Begründungsmotive sind Sprechverbote von und an Schulen durchsetz- und legitimierbar, denn sie werden vielmehr als nützlich denn als ausschließend oder diskriminierend wahrgenommen. Die rückblickenden Einordnungen der Befragten weisen auf das Fortwirken dominanter Diskurse hin, von denen sie in der Schule umgeben waren, indem sie Sprechverbote und Deutschregeln als notwendige Instrumente in Schulen normalisieren. Da dies für viele der Befragten ihr eigenes Sprechen betraf, wurde ihr eigener Sprachgebrauch somit inhärent abgewertet, was für ihre Subjektivierungsprozesse als relevant eingeordnet werden kann. Es zeigt sich in diesem Zusammenhang, dass die meisten Interviewten sich als deutschsprechend positionieren und als ehemalige Schüler*innen, denen es wichtig war, in der Schule (fast) nur Deutsch zu sprechen.

Insbesondere Ferayes Reflexionen deuten darauf hin, inwieweit Verbote ihre Sprechpraxen geprägt haben. Sie geht davon aus, dass Sprechverbote einen Einfluss auf ihre heutigen Türkischkenntnisse haben, die sie als nicht ausreichend benennt. Auch wenn andere Interviewte weniger explizit auf den Einfluss von Sprechverboten auf ihre Sprechpraxen eingehen, so ist erkennbar, dass auch sie sich an diesen orientiert oder diese eingehalten haben, sodass zumindest für den schulischen Kontext festgehalten werden kann, dass sie nicht-deutsche Sprachen weniger oder gar nicht genutzt haben. Dies deutet auf die subjektivierende Funktion von Sprechverboten hin, da die Befragten durch diese als (il-)legitime Sprecher*innen positioniert wurden und erfahren haben, ob ihnen in der Schule eine erstrebenswerte oder weniger erstrebenswerte Sprecher*innenposition zugesprochen wurde. Dazu haben sich die Interviewten in ihren Reflexionen ihres schulischen Agierens wie auch den retrospektiven Einordnungen im Interview selbst re-positioniert. Sie haben dargelegt, inwiefern sie sich zu Sprechverboten und damit normativen Vorstellungen verhalten (haben), ob sie etwa Einverständnis oder Widerständigkeit aufrufen. Insbesondere, dass sie die Interviews mit mir, einer weißen Person, geführt haben, könnte dabei beeinflusst haben, dass es vor allem von Rassismus betroffenen Befragten zentral erschien, mir gegenüber ihre Investition in ihr Deutschsprechen zu benennen. Auf diese Weise konnten sie gegenüber einem weißen hörenden Subjekt gesellschaftliche Anforderungen, die an sie gestellt werden, bestätigen.

Im Vergleich zu der eingangs beschrieben Strafarbeit zeigt sich zusammenfassend, dass Sprechverbote auch auf andere Weise artikuliert werden. Auch dann sind sie sehr wirksam: Sie können Sprechen verhindern und Ausschlüsse hervorbringen, selbst wenn sie nicht explizit als Sprechverbote formuliert werden.

4 Fazit und Ausblick

In diesem Beitrag habe ich diskutiert, wie schulische Machtstrukturen insbesondere mit Blick auf Sprechverbote wirksam sind. Im Folgenden werde ich die diskutierten Ergebnisse zunächst zusammenfassen und anschließend auf strukturelle und institutionelle Entwicklungsbedarfe und notwendige Reflexionsprozesse eingehen.

Mit Hilfe der Raciolinguistics und der Subjektivierungstheorie konnte ich aufzeigen, wie raciolinguistic ideologies Sprechpraxen prägen. Durch die Einnahme einer raciolinguistic perspective konnte ich anhand der betrachteten Interviews herausstellen, welche entscheidende Rolle weiße hörende Subjekte in der Institution Schule einnehmen und dabei prägen, welche Sprachen Schüler*innen in der Schule nutzen können oder aber verboten sind. Wie ich im Artikel aufgezeigt habe, sind Sprachbewertungen und der Umgang mit Sprachen – und damit auch Verbote – als historisch gewachsen zu betrachten. Sprechverbote sind somit als rassistisch-linguizistische Praxis wirksam, indem Adressat*innen von Verboten als raciolinguistic Others positioniert werden.

Zu Beginn des Beitrags bin ich auf eine Strafarbeit eingegangen, die einer Schülerin auferlegt wurde, da sie in der Pause Türkisch gesprochen hatte (vgl. Unterberg 2022). Der Anwalt Tekinoğlu stellte der Schulaufsichtsbehörde 2020 in diesem Zusammenhang folgende Frage: „Würde bei Gebrauch der beispielsweise englischen Sprache oder lateinischen Sprache durch Schüler außerhalb des Unterrichts auf dem Schulgelände während der Unterrichtspause eine […] Strafarbeit verfügt werden?“ (vgl. Unterberg 2020). Die in diesem Beitrag fokussierten Ergebnisse einer Interviewstudie lassen darauf schließen, dass die Frage Tekinoğlus mit „Nein“ beantwortet werden kann. So waren nur Sprecher*innen von Sprachen, denen wenig Prestige zugesprochen wird, von Sprechverboten betroffen. Die Ergebnisse zeigen darüber hinaus, dass nicht nur Sprachen selbst, sondern vor allem auch Sprecher*innenpositionierungen unterschiedlicher Bewertung und Hierarchisierungen ausgesetzt sind und somit unter anderem prägen, wer von Sprechverboten unmittelbar betroffen ist und wer nicht.

Obwohl – oder insbesondere, weil – die hier dargestellten Interviewten retrospektiv auf ihre Schulzeit blicken, sind ihre Äußerungen relevant für den heutigen Diskurs um die (Nicht-)Berücksichtigung mehrsprachiger Praxen in der Schule. Auch heute werden Schüler*innen mit Sprechverboten konfrontiert (vgl. Plöger/​Rühlmann 2022; Rühlmann 2021), wobei machtvolle Strukturen bestimmen, welche Sprachen und Sprecher*innen von eben solchen Sprechverboten oder -geboten betroffen sind (vgl. Dirim 2016). Die Daten zeigen auf, dass in der Bildungslaufbahn (früh) erlebte Sprechverbote Einfluss darauf nehmen, inwieweit Sprachen auch außerhalb der Schule (nicht) genutzt werden und welchen Blick Schüler*innen auf verschiedene Sprachen und Sprecher*innen – und so auch sich selbst – entwickeln (vgl. Rühlmann im Druck).

Dass in den Interviews vor allem Grundschulen im Zusammenhang mit Sprechverboten ausführlich genannt wurden, legt die Vermutung nahe, dass Schulen in höheren Klassenstufen Verbote nicht mehr aktiv formuliert haben. Befragte haben demnach zu diesem Zeitpunkt bereits diskursives Wissen dazu erlangt, dass (bestimmte) nicht-deutsche Sprachen im Kontext der Schule nicht gesprochen werden sollten. Auf diese Weise haben die Befragten eine Re-Produktion von Norm- und Anderspositionen kennengelernt, in denen Schüler*innen als regelkonform oder nicht regelkonform agierend konstruiert wurden – je nachdem welche Sprache(n) (nicht) genutzt wurde(n). Dies führte zu einer Kriminalisierung der in diesem Prozess als ‚Andere‘ positionierten Schüler*innen. Diese lernten, dass die Nutzung der deutschen Sprache verfolgt werden sollte, um ihren Status als regelkonforme Subjekte nicht zu gefährden. Ein solches notwendiges Agieren verweist auf die inhärent mächtige Position der Schule in der Gestaltung gesellschaftlicher Beziehungen und der Produktion von Subjekten, die urteilen dürfen, können und sollen, und von Subjekten, die be- und verurteilt werden. Auf diese Weise werden Bilder von normativem deutschsprachigen Weißsein und eine Andersmachung entlang nicht-deutschsprachigem Nicht-Weißsein re-produziert.

Dass insbesondere Schwarze Befragte und Interviewte of Color von Verboten betroffen waren, verweist auf die inhärente rassistische Logik entlang von Sprachigkeit: Während die Mehrsprachigkeit von Sandy, einer weißen Person, entlang der englischen Sprache in der Schule als gewinnbringend verstanden wurde, wurde die Nutzung nicht-deutscher Sprachen von Schwarzen Interviewten und Interviewten of Color als gefährdend für ein Deutschsprechen wahrgenommen, was in ihren Begründungslinien zur Befolgung von Sprechverboten auftritt. Dass Befragte diesen Begründungslinien folgten, verweist dabei auf gesellschaftliche Normstrukturen, in denen eine Ungleichbehandlung in diesen Zuschreibungspraxen zwar nicht immer unentdeckt bleibt, aber nicht als ungerecht, sondern vielmehr als angemessen verstanden wird. Weil es sich um diskursiv wirksame Strukturen handelt, die solche Normvorstellungen re-produzieren, ist es zentral, an dieser Stelle anzuknüpfen: Es liegt in der Verantwortung von Schulen, Ungerechtigkeiten im Kontext von Sprachigkeiten (an-)zuerkennen und abzubauen. Wenn die Institution Schule als „racial school“ (Steinbach/​Shure/​Mecheril 2020: 24) begriffen und fokussiert wird, kann damit ein Weg geschaffen werden, die „Normalität des Rassismus“ (Mecheril 2007: 3) in seinen Auswirkungen zu analysieren und schlussendlich auch zu konfrontieren. Auf diese Weise könnten Sprechverbote abgebaut werden und mehrsprachige Subjekte würden mehr Handlungsmacht über ihre Sprechpraxen erlangen können. Es liegt hierbei nicht in der Verantwortung der Sprechenden, ihr Sprechen anzupassen, sondern in der Verantwortung derjenigen, die Sprechpraxen beurteilen, ihr Hören anzupassen. Nur so kann ein Sprechen ohne Abwertung möglich werden (vgl. Rühlmann im Druck).

Sprechverbote haben eine normativierende Funktion, indem sie (Il-)Legitimitäten von Sprachgebrauch in der Schule, aber auch in der Gesellschaft, betonen und prägen. Um mehrsprachigen Schüler*innen mehr Handlungsmacht über ihre Sprechpraxen zu ermöglichen, ist es notwendig, dass (zukünftige) Lehrkräfte Einblicke in diskursive Machtverhältnisse erhalten. Auf diese Weise können normative Ideologien kritisch eingeordnet werden und Lehrkräfte als reflexive weiße hörende Subjekte agieren (vgl. Rühlmann im Druck). Es braucht hierbei u.a. Lernräume, die sich damit auseinandersetzen, inwiefern rassistische Strukturen beeinflussen, wie Sprecher*innen wahrgenommen und bewertet werden. So kann ein Verständnis und eine wachsende Sensibilität für raciolinguistic Othering, das Schüler*innen erfahren, ermöglicht werden. Dies wiederum stellt die Basis einer Solidarisierung mit diskriminierten Schüler*innen dar. Ein Ziel rassismuskritischer Reflexionen sollte eine Normalisierung verschiedener Sprachen in ihrem Gebrauch sein. Eine Positionierung von Schwarzen Schüler*innen und Schüler*innen of Color als raciolinguistic Others muss dabei vermieden werden. Dies könnte u.a. passieren, wenn sie als Sprecher*innen (bestimmter) nicht-deutscher Sprachen adressiert werden.

Notes

  1. Es handelt sich bei diesem und den weiteren im Artikel genannten Namen von Interviewpartner*innen um Pseudonyme. [^]
  2. In diesem Artikel nutze ich den Begriff der ‚Sprechverbote‘, nicht den der ‚Sprachverbote‘. Der Terminus ‚Sprechverbote‘ soll hierbei vor allem auf den Einfluss von Verboten auf Sprechpraxen verweisen. Es handelt sich demnach um „Sprachverbote als Sprechverbote“ (Heinemann/​Dirim 2016: 200). Das Verbot von Sprachen ist also vor allem ein Verbot der Nutzung, der Verwendung, des Sprechens von (bestimmten nicht-deutschen) Sprachen; das Sprechen einer oder mehrerer Sprachen soll durch das Verbot verunmöglicht werden. Der Begriff des ‚Sprechverbots‘ markiert die Auswirkungen auf Sprechpraxen entlang einer solchen Vorschrift. Es handelt sich um einen Eingriff in alltägliche Kommunikationsweisen, welcher subjektivierende Macht hat, in dem Sprecher*innen erfahren, dass sie (auch) Sprecher*innen illegitimer Sprachen sind, deren Gebrauch abzulegen ist. Darüber hinaus verweist die Begrifflichkeit des ‚Sprechverbots‘ darauf, dass entlang eines Verbots artikulierte Restriktionen häufig auf gesprochene Sprachen angewandt werden, insofern, dass zumeist das Sprechen von Sprachen gemeint ist, denen im schulischen Raum in der Regel kein legitimer Ort der schriftlichen Nutzung zugesprochen wird. (Potentiell) ‚Verbotene‘ Sprachen werden aufgrund des curricularen Ausschlusses vielmehr vor allem mündlich, zum Beispiel in privaten Gesprächen in der Pause, verwendet. [^]
  3. Transkriptionsregeln & Paraverbales

    Transkriptionsregeln

    (.) Pause von einer Sekunde

    (..) Pause von zwei Sekunden

    (…) Pause länger als zwei Sekunden

    . Äußerungsende-Intonation

    ! Ausruf-Intonation

    ? Frage-Intonation

    / Abbruch oder Korrektur

    Paraverbales

    Nein besonders betont gesprochen

    @ja@ lachend gesprochen

    (lacht) paraverbale Äußerung

    [^]

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Kurzbio

Liesa Rühlmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Migrationspädagogik und Rassismuskritik an der Universität Bielefeld im Projekt ‚Wissen über Rassismus. Zeitgeschichte im Spiegel biographischen (Erfahrungs-)Wissens rassistisch diskreditierbarer Menschen in Ost- und Westdeutschland‘ (WueRD). Ihre Arbeits- und Interessenschwerpunkte sind Mehrsprachigkeit und Bildung, Subjektivierung, Rassismuskritik, Raciolinguistics sowie forschungsethische Fragen.

Anschrift:

liesa.ruehlmann@uni-bielefeld.de

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  • Liesa Rühlmann (Universität Bielefeld)

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Themenschwerpunkt: Mehrsprachigkeit und Spracherhalt im Kontext von schulischen, außerschulischen und familiären Lernorten

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