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Aufsatz außerhalb des Themenschwerpunkts

Aufgabenkonzept zur Unterstützung von Mehrsprachigkeitsorientierung im schulischen Französischunterricht

Abstract

Fremdsprachenunterricht, der die Ausbildung individueller Mehrsprachigkeitsprofile verfolgt, sollte die vorhandenen Sprachkompetenzen der Schülerinnen und Schüler, die diese in vorherigem Fremdsprachenunterricht oder aufgrund mehrsprachiger Sozialisation erworben haben, aufgreifen. Bislang geschieht dies noch immer selten und eher unsystematisch. Studien legen nahe, dass u.a. entsprechende Materialien fehlen, die sich aus der Perspektive der Lehrpersonen in den regulären Fremdsprachenunterricht einbetten lassen. Der vorliegende Beitrag stellt konzeptionelle Überlegungen und Begründungen zur Mehrsprachigkeitsorientierung im Französischunterricht vor und beschreibt ein mehrsprachigkeitsorientiertes Aufgabenkonzept für den Unterricht in Französisch als 2. Fremdsprache. Die leitenden Prinzipien der Aufgabengestaltung und -progression können auf die Entwicklung entsprechender weiterer Aufgaben für den Unterricht anderer Fremdsprachen übertragen werden.

A task concept to support plurilingualism orientation in French as a foreign language teaching
Foreign language teaching that pursues the formation of individual plurilingual profiles should address all language competences of students, be it from previous foreign language teaching or due to multilingual socialisation. So far, this has been done only rarely and rather unsystematically. Existing studies suggest that there is a lack of appropriate materials that, from the teachers’ perspective, can be embedded in regular foreign language teaching. This article presents conceptual considerations on plurilingualism orientation in French as a foreign language teaching and describes the development of a plurilingualism-oriented set of tasks. The guiding principles of task design and progression can be transferred to the development of corresponding sets of tasks for the teaching of other foreign languages.

L'enseignement des langues étrangères qui vise la formation de profils plurilingues devrait prendre en compte les compétences langagières existantes des élèves. Jusqu'à présent, cela n'a été fait que rarement et de manière plutôt non systématique. Des études suggèrent qu'il n'existe pas, du point de vue des enseignants, de matériel correspondant qui puisse être intégré dans l'enseignement régulier des langues étrangères. Cet article présente des réflexions conceptuelles sur l'orientation plurilingue dans l'enseignement du français et décrit le développement d'un ensemble de tâches orienté vers le plurilinguisme. Les principes directeurs de la conception et de la progression des tâches peuvent être appliqués au développement d'autres ensembles de tâches correspondants pour l'enseignement d'autres langues étrangères.

Keywords: Mehrsprachigkeitsdidaktik, interkulturelles Lernen, Strategienvermittlung, plurilingual teaching, intercultural learning, language learning strategies, translanguaging, sprach- und kultursensibler Unterricht, linguistically and culturally sensitive teaching

How to Cite:

Schmelter, Lars; Göbel, Kerstin & Buret, Julie (2023): Aufgabenkonzept zur Unterstützung von Mehrsprachigkeitsorientierung im schulischen Französischunterricht. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 28: 1, 409–442. https://doi.org/10.48694/zif.3571.

1 Einleitung

Der Fremdsprachenunterricht und insbesondere der Französischunterricht hat in Deutschland eine lange einsprachige Tradition und er erfolgt als schulischer Fachunterricht in einer Institution, die trotz ihrer mehrsprachigen Schüler und Schülerinnen sowie Lehrpersonen ihren „monolingualen Habitus“ (Gogolin 1994) nur schwer überwinden kann. Betrachtet man hingegen die bildungs- und sprachenpolitischen Grundlagen (z.B. KMK 2011: 4)1, dann gehört es zu den zentralen Zielen und Aufgaben des Unterrichts von Französisch als 1. bzw. 2. Fremdsprache, Mehrsprachigkeit anzubahnen und das lebensbegleitende Lernen von Sprachen vorzubereiten. Dabei soll auch „der lebensweltlichen ‚Mehrsprachigkeit‘, die in den Klassenverbänden vorhanden ist, [..] Rechnung getragen“ werden (MSB NRW 2008, 13)2. Aktuelle fachdidaktische Publikationen argumentieren mehrheitlich in diese Richtung. Zugleich deuten aber sowohl auf persönlichen Erfahrungen beruhende anekdotische als auch systematisch gewonnene empirische Befunde darauf hin, dass die entsprechenden Potenziale des Französischunterrichts sowie der mehrsprachigen Schülerinnen und Schüler nicht genutzt werden (s. Abschnitt 2).

Das Projekt „Franzimo – Französisch als 2. Fremdsprache: interkulturell und mehrsprachigkeitsorientiert“3 zielte darauf ab, das Erlernen des Französischen und die Wertschätzung von (lebensweltlicher) Mehrsprachigkeit durch eigens entwickelte Aufgaben systematisch zu unterstützen und insofern sowohl das interkulturelle Lernen als auch das Sprachenlernen zu fördern (vgl. Göbel et al. 2019; Göbel et al. 2021).4

Ziel dieses Beitrags ist es, die konzeptbasierte Entwicklung der mehrsprachigkeitsorientierten Aufgaben des Franzimo-Projekts und ihr Progressionsprinzip darzustellen. Zur besseren Einordnung geht der Beitrag zunächst ausführlicher auf die Ausgangssituation des Projekts Franzimo ein und stellt die Konzepte von Mehrsprachigkeitsförderung im und durch den Fremdsprachenunterricht sowie die widersprüchlichen Befunde zur Umsetzung dieser bildungspolitischen und didaktischen Zielsetzungen vor. Die nachfolgende Darstellung der Entwicklung des Aufgabenkonzepts von Franzimo, d.h. der dabei zugrunde gelegten und z.T. im Rahmen des Projekts modifizierten Prinzipien der Aufgabengestaltung und -progression kann auch für die Gestaltung vergleichbarer Aufgabenkonzepte für den Fremdsprachenunterricht in anderen Sprachen (z.B. Italienisch, Spanisch, Polnisch, Russisch aber auch Deutsch als Fremdsprache nach Englisch) genutzt werden. Abschließend wird kurz auf Erfahrungen beim Einsatz der Aufgaben im Rahmen von Franzimo und mögliche Konsequenzen eingegangen, die sich daraus für die Weiterentwicklung und den Einsatz vergleichbarer Aufgabenansätze zur Förderung von Mehrsprachigkeitsorientierung im Französisch-, aber auch im Fremdsprachenunterricht allgemein ergeben.5

2 Mehrsprachigkeit als Bedingung und Ziel schulischen Französischunterrichts

2.1 Didaktische Entwicklungslinien – von der Einsprachigkeit als Unterrichtsprinzip zur systematischen Einbeziehung anderer Sprachen

Mehrsprachigkeit kann als Bedingung schulischen Unterrichts allgemein und des Fremdsprachenunterrichts im Besonderen gelten. Ein monolingualer Habitus (vgl. Gogolin 1994) und die Homogenisierungstendenzen der Schule haben lange Zeit dazu beigetragen, dass der Blick auf diese Realitäten verstellt war und in Teilen wohl auch heute noch ist. Darüber hinaus haben spracherwerbs- und -lerntheoretische Begründungen – zumindest in der fachdidaktischen Programmatik6 – einen weitgehend einsprachig in der unterrichteten Fremdsprache gehaltenen Unterricht befördert. Der Einbezug anderer Sprachen in den Fremdsprachenunterricht wurde zunächst auf der Grundlage behavioristischer und nativistischer Vorstellungen der Sprachaneignung ausgeblendet, obwohl diese Ansätze schon früh dank richtungsweisender, bis heute regelmäßig zitierter fachdidaktischer Anstöße (vgl. z.B. die „aufgeklärte Einsprachigkeit“ bei Butzkamm 1973), in Frage gestellt wurden. Einige Vorschläge zur methodischen Umsetzung der Forderung, die kommunikative Kompetenz der Lernerinnen und Lerner als Ziel des Fremdsprachenunterrichts in den Mittelpunkt zu stellen (vgl. für den deutschsprachigen Raum insb. Piepho 1974; vgl. zur Rezeption und Kritik an der „Kommunikativen Kompetenz“ u.a. Legutke 2008; Schmenk 2007), führten dazu, dass durch die Priorisierung der (mündlichen) Interaktion eine kognitiv-reflektierende Auseinandersetzung, i.S. von bewusster und kontrastiver Vermittlung der morpho-syntaktischen Strukturen, zurückgestellt werden sollte. Erst neuere Einsichten (wie z.B. zur Wirksamkeit metasprachlicher Erklärungen und nicht zuletzt zur Bedeutung der Erstsprache(n) und evtl. zuvor gelernter Fremdsprachen für das Lernen), die sich veränderungswirksam in fremdsprachendidaktischen Konzepten niederschlugen, trugen im Verlaufe der 1990er-Jahre über eine Öffnung für andere Sprachen auch zu einem zunehmend integrativen Verständnis von Mehrsprachigkeit in Abgrenzung zu eher additiven Vorstellungen bei (vgl. Caspari 2017; Hallet/Königs 2010). In diesem Zuge gewannen Ansätze der Bewusstmachung (insbesondere grammatischer Strukturen, der Lernprozesse sowie der eingesetzten Lern- und Kommunikationsstrategien; vgl. z.B. Bausch/Christ/Königs/Krumm 1998; Tönshoff 1992) an Bedeutung und rückten andere Sprachen und Sprachlernprozesse jenseits der unterrichteten Fremdsprache in den Blick des Fremdsprachenunterrichts. Die kontrastive Auseinandersetzung mit der Fremdsprache durch deren Gegenüberstellung zur schulischen Verkehrssprache7 sowie mit anderen zuvor gelernten Sprachen sollte als Lernressource genutzt werden und die Aneignung kommunikativer Kompetenz beschleunigen, ohne dabei in Muster eines sprachstrukturorientierten Übersetzungsunterrichts zurückzufallen (vgl. u.a. Gnutzmann 2017; Juchem-Grundmann 2017). In die gleiche Richtung zielt die fremdsprachendidaktische Nutzung des ursprünglich für den verkehrssprachlichen Unterricht entwickelten Konzepts der language awareness (vgl. Hawkins 1984) bzw. der Sprach(en)bewusstheit (vgl. u.a. Gnutzmann 1997, 2010, 2016). Language awareness bzw. Sprach(en)bewusstheit bezieht sich nicht nur auf das Sprachsystem und den Sprachgebrauch, sondern nimmt auch das Lehren und Lernen von Sprachen in den Blick und geht damit weit über die Bewusstmachung allein sprachlicher Formen hinaus. Dabei werden in der Regel fünf Domänen unterschieden: eine affektive, eine soziale, eine politische, eine kognitive und eine performative (vgl. Gnutzmann 2010: 117). Durch die Berücksichtigung der Lehr-Lern-Perspektive erfährt das Konzept insbesondere mit Blick auf die Förderung von Mehrsprachigkeit seit einiger Zeit eine Erweiterung durch Modelle der Sprach(en)lernbewusstheit bzw. Sprachlernkompetenz (vgl. u.a. Gnutzmann 2016; Königs/Martinez 2020; Martinez 2019) und räumt damit den anderen Sprachen neben der gerade unterrichteten Platz ein. Mit der durch die Bildungsstandards der KMK (2004; 2012) veranlassten (Wieder-)Einführung der Sprachmittlung (vgl. Kolb 2016; Reimann/Rössler 2013; Rössler/Schädlich 2019) in die schulischen Curricula entstand weiterer Raum, andere Sprachen (und Kulturen) in die Vermittlung einer spezifischen Fremdsprache systematisch einzubeziehen.8

Das mehr oder weniger gezielte Ausblenden anderer Sprachen außer der gerade unterrichteten Fremdsprache ging lange Zeit soweit, dass auch die besonderen Bedingungen des (schulischen) Lehrens und Lernens von zweiten und weiteren Sprachen in der Fremdsprachendidaktik erst nach und nach in den Blick genommen wurden.9 Die Forschungen zum guten Fremdsprachenlerner (vgl. Griffiths 2008; Norton/Toohey 2001; Sykes 2015) und die von ihm genutzten Techniken und Strategien weiteten dann den bislang zumeist auf das Erlernen von Wortschatz gerichteten Blick endgültig auf weitere Aspekte. Mittlerweile liegen für das dynamische und wechselseitige Zusammenspiel verschiedener Faktoren beim Lernen von zweiten und weiteren Fremdsprachen eine Reihe von Modellen vor, die ausgehend von unterschiedlichen theoretischen Grundannahmen unterschiedliche Perspektiven auf die Mehrsprachigkeit eröffnen (vgl. als Überblick u.a. Hufeisen 2004, 2010, 2018).

Die zunehmende didaktische und curriculare Berücksichtigung der Mehrsprachigkeit – verstanden als ein individuelles, aus mehreren Sprachen zusammengesetztes, der Person zur Verfügung stehendes kommunikatives Repertoire in mindestens einem Kompetenzbereich (vgl. Europarat 2001 und 2020; Grosjean 2020) – als Ziel von Fremdsprachenunterricht geht zu großen Teilen auf die Initiativen des Europarats und der Europäischen Union (sowie ihrer Vorgängerinnen) zurück. Sie zielen darauf ab, die Mehrsprachigkeit der Bürgerinnen und Bürger zu stärken, nicht nur weil die Sprachenvielfalt Europas als wichtiges Erbe betrachtet wird, sondern vor allem weil in der funktionalen mehrsprachigen Kompetenz, d.h. der Möglichkeit sich mit Menschen anderer Sprachen über Sprachgrenzen hinweg zu verständigen, eine wichtige Voraussetzung für die europäische Kooperation und Integration gesehen wird (vgl. Meißner 2019). Seit Mitte der 1990er-Jahre gilt die Formel „L1+2“, also das Verfügen aller Bürgerinnen und Bürger über die Erstsprache(n) plus mindestens zwei weitere Sprachen, als Ziel, auf das alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union sich weiterhin verpflichtet haben (siehe als Überblick u.a. Deutsch 2016, Kap. 2; Méron-Minuth/Şahin 2019).

In fremdsprachendidaktischen Überlegungen zu einem Gesamtsprachencurriculum werden die Forderungen nach einer stärkeren Berücksichtigung der vorhandenen Mehrsprachigkeit auf den verschiedenen Ebenen des Lehrens und Lernens von Sprachen gebündelt (vgl. u.a. Hufeisen 2008, 2011, 2015, 2019). Mehrsprachigkeit soll dabei nicht mehr nur durch das additive Erlernen mehrerer Sprachen erzielt werden, sondern integrativ, indem jedes Sprachenlehren und -lernen zugleich das Lernen weiterer Sprachen vorbereitet und auf schon Erlerntes in allen relevanten Bereichen zurückgreift, ja selbst in zuvor gelernte Sprachen wieder zurückspiegelt (vgl. u.a. Caspari 2017; Hallet/Königs 2010). Dabei sollen neben den sprachlichen Strukturen (mit dem Schwerpunkt Lexik und in Teilen Morpho-Syntax) auch andere Aspekte des Sprachenlernens (u.a. Transfer von Sprachlernstrategien und -kompetenzen; vgl. Martinez 2019), fremdsprachige Kommunikationsstrategien (z.B. Kompensation fehlender sprachlicher Strukturen, Umgang mit Nichtverstehen; vgl. Hoshii/Schramm 2017), Text- bzw. Genrekompetenzen (vgl. u.a. Hallet 2016) sowie Aspekte der Kommunikation in mehrsprachigen Situationen (z.B. lingua franca Situationen; vgl. u.a. Schmelter 2020a) in den Blick genommen werden. Bei genauerer Betrachtung blieben Fremdsprachenforschung und Fremdsprachendidaktik jedoch über lange Zeit zumindest in Teilen einem weitgehend monolingualen Habitus verhaftet, da die lebensweltliche Mehrsprachigkeit der Schüler und Schülerinnen erst nach und nach in den Blick der Fachdidaktiken sowie der Fremdsprachenforschung geriet (vgl. u.a. Cenoz/Gorter 2019; Hu 2003; Ortega 2019).

Auch die für den Fremdsprachenunterricht besonders herausfordernde Konstellation von Schülerinnen und Schüler, die sich die unterrichtete Sprache bereits in familiären oder anderen Kontexten zumindest teilweise angeeignet haben, wird als Sonderfall zwar vereinzelt bereits erwähnt (vgl. u.a. Alix 2003), eine systematische Bearbeitung entsprechender Fragestellungen, die einem auf Inklusion ausgerichteten Schulsystem helfen könnten, steht allerdings für Englisch und für die romanischen Sprachen weiterhin aus und beschränkt sich derzeit hauptsächlich auf die Perspektive der (zukünftig) Lehrenden (vgl. Reimann et al. 2018).10

Im internationalen Diskurs hat das prominent von García (2009) vertretene Konzept des Translanguaging (vgl. u.a. García/Wei 2014; Wei 2018) in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Angesichts des vielfältigen Begriffsgebrauchs (vgl. Bonacina-Pugh/da Costa Cabral/Huang 2021) darf nicht übersehen werden, dass Translanguaging als Konzept der pädagogischen Praxis zunächst in (auch lebensweltlichen) bilingualen (Schul-) Kontexten seinen Ursprung hat. Auf der Betrachtungsebene des individuellen sprachlichen Repertoires ist eine große Nähe zum europäischen Konzept „Plurilingualimus“ (vgl. Europarat 2001) zu erkennen. Als methodisches Prinzip können mit ihm auch Praktiken bezeichnet werden, die integrativ mehrsprachigkeitsdidaktisch oder sprachsensibel angelegt sind (vgl. Cenoz/Gorter 2019).

2.2 Widersprüchliche Befunde zur Mehrsprachigkeitsorientierung und mögliche Erklärungen

Nicht nur als bildungs- und sprachenpolitische Setzung, sondern auch fachdidaktisch kann Mehrsprachigkeit als Ziel und die Berücksichtigung insbesondere lebensweltlicher Mehrsprachigkeit als Bedingung des Fremdsprachenunterrichts mittlerweile in vielerlei Hinsicht empirisch gestützt und entsprechend fundiert konzeptuell begründet werden. Dennoch fehlt in Deutschland bislang eine klare curriculare Verankerung und Festschreibung von Mehrsprachigkeit als Ziel, die über bildungspolitische Verlautbarungen z.B. in einleitenden Abschnitten von Lehrplänen hinausgeht. Sowohl Arbeiten der Fremdsprachenforschung und Fremdsprachendidaktik als auch Befunde der Bildungswissenschaften weisen hingegen deutlich darauf hin, wie wichtig das Aufgreifen der sog. lebensweltlichen Mehrsprachigkeit für die Identität, den Selbstwert und damit in großen Teilen auch für den schulischen Erfolg von Schülerinnen und Schülern ist, die mehrsprachig sozialisiert werden. Sowohl didaktische Modelle als auch sprachlerntheoretische Arbeiten konnten die besonderen Ressourcen von zwei- und mehrsprachigen Lernenden beim Sprachenlernen sowie weitere psychologische Vorteile in den Bereichen Aufmerksamkeitsfokussierung und Demenzprophylaxe herausarbeiten (vgl. u.a. Bialystok 2016; Cummins 2000; Hufeisen 2010, 2020; Hufeisen/Jessner 2009; Marx 2005; Poarch/Bialystok 2017). Die produktive Nutzung und positive Wertschätzung von Herkunftssprachen wirkt sich insgesamt förderlich auf die Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund aus (vgl. Auernheimer 2010; Göbel/ Vieluf/Hesse 2010; Mehlhorn 2020) und bietet psychosoziale Ressourcen zur Bewältigung von Akkulturationssituationen (vgl. Berry/Phinney/Sam/Vedder 2006; Horenczyk 2010; Mecheril 2010). Göbel und Vieluf (2014) konnten zudem Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Mehrsprachigkeitsorientierung im Englisch-Unterricht und den Sprachkompetenzen aller Schülerinnen und Schüler der untersuchten Klassen finden.

Diese sprachenpolitischen Zielsetzungen und die pädagogischen und fremdsprachendidaktischen Konzepte und Begründungen, die diese Ziele unterstützen, stehen jedoch im Widerspruch zu einer Reihe von Entwicklungen. So wird das vom Europarat und der Europäischen Union verfolgte Ziel „Erstsprache(n) plus zwei“ in den deutschen Schulen curricular in der Regel nur an den Schulformen ermöglicht, an denen die Schüler und Schülerinnen direkt oder indirekt auf die Allgemeine Hochschulreife vorbereitet werden. Und selbst wenn diese vielfach wiederholte sprachen- und bildungspolitische Forderung zumindest offiziell kaum infrage gestellt wird, konterkarieren einige bildungs- und schulpolitische Vorgaben die Umsetzung in Deutschland deutlich (vgl. Caspari 2020; Mayer/Plikat 2022; Schmelter 2019, 2020b sowie die dort zitierte Literatur). Dies kann in Teilen erklären, warum ein erheblicher Teil der Schülerinnen und Schüler, die 2. und ggf. auch die 3. noch auf der Sekundarstufe I begonnene Fremdsprache zum frühestmöglichen, die Qualifikation für die Allgemeine Hochschulreife nicht gefährdenden Zeitpunkt beim Übergang auf die Sekundarstufe II abwählt.

Die Berücksichtigung von Herkunftssprachen, die in Nordrhein-Westfalen vergleichsweise umfangreich erfolgt, bleibt für einige Autorinnen und Autoren hinter den Notwendigkeiten und Möglichkeiten zurück (vgl. als Überblick Engin 2019). Im Fremdsprachenunterricht selbst wird Mehrsprachigkeit weiterhin ebenfalls eher selten aufgegriffen. Lehrpersonen zeigen in entsprechenden Untersuchungen einerseits eine in der Regel positive Grundhaltung gegenüber der Mehrsprachigkeit als Ziel schulischen Fremdsprachenunterrichts, auch gegenüber den Herkunftssprachen ihrer Schüler und Schülerinnen sind sie positiv eingestellt; wenngleich mit stärkerer Skepsis mit Blick auf den Erfolg in anderen schulischen Kontexten als dem Fremdsprachenunterricht. Sie scheinen dem Einbezug zuvor gelernter bzw. erworbener Sprachen gegenüber mehrheitlich nicht abgeneigt zu sein, wenngleich sie z.B. die Gefahr von Interferenzen und Einschnitte in die Unterrichtszeit für die von ihnen unterrichtete Fremdsprache sehen. Und doch wird offensichtlich im Französischunterricht Mehrsprachigkeit nicht systematisch aufgegriffen und ausgebaut. Dies trifft auf die Mehrheit der Herkunftssprachen noch stärker zu als auf die typischen Schulsprachen wie Deutsch, Englisch, Italienisch, Latein oder Spanisch (vgl. z.B. die retrospektive Interviewstudie von de Florio-Hansen 2008 oder die Befragung von Lehrpersonen Heyder/Schädlich 2015; vgl. international de Angelis 2011). Für den Englischunterricht wird dieser Befund auch durch Videoanalysen bestätigt (vgl. Göbel/Vieluf 2014, 2017).

Die Gründe für das geringe und wenig systematische Aufgreifen von Mehrsprachigkeit durch die Lehrpersonen dürften vielfältig sein. Ganz sicher hängt dies in einem weitgehend vom Lehrwerk als Leitmedium geprägten Unterricht (vgl. Koenig 2010; Schmelter 2011) auch damit zusammen, dass Lehrwerke den monolingualen Habitus der Institution Schule widerspiegeln und Mehrsprachigkeit in ihnen nicht stattfindet. So ergaben die Analysen im Projekt Franzimo, dass in den beiden zwischen 2012 und 2020 gängigen Lehrwerken (vgl. Blume/Gregor/Jorißen/Mann-Grabowski 2013; Bruckmayer/Jouvet/Lange/Nieweler/ Prudent/Putnai 2013) für den Französischunterricht als 2. Fremdsprache am Gymnasium keine oder nur eine minimale, zumeist auf der Lexikebene angesiedelte Berücksichtigung der schulisch vermittelten Sprachen erfolgt. Sie werden in keinem Fall systematisch aufgegriffen. Auch die eventuell von den Schülern und Schülerinnen mit in den Unterricht gebrachten weiteren Sprachen – insbesondere die Herkunftssprachen – sind in den Lehrwerken so gut wie inexistent; und zwar sowohl als Inhalt der Texte als auch in den Materialien zur Sprachvermittlung (z.B. Wortschatzverzeichnisse und Grammatikkapitel bzw. -beihefte). Mit Blick auf die Vermittlung von Rezeptions- und Transferstrategien, von Sprach(en)bewusstheit und Sprachlernkompetenz dürfte dieser minimale Umfang angesichts der entsprechenden empirischen Untersuchungen zu diesen drei Lernbereichen in jedem Fall nicht ausreichend sein. Zum Lehrwerk-Unterricht passendes zusätzliches Material, das Lehrpersonen sowie Schülern und Schülerinnen beim Einbezug weiterer Sprachen beim Vermitteln bzw. Erlernen der einen Sprache unterstützen könnte, fehlt.11

Den oben skizzierten Konzepten und entsprechenden Materialien zum Aufgreifen und Fördern von Mehrsprachigkeit scheint die Passung zu den institutionellen Rahmenbedingungen (z.B. Curricula, Prüfungs- und Bewertungsvorgaben) zu fehlen bzw. die Kraft, die habitualisierten Strukturen aufzubrechen. Hinzu kommt auf Seiten der Lehrpersonen evtl. die empfundene eigene Unzulänglichkeit bzw. persönlich wahrgenommene fehlende Kompetenz (z.B. fehlende Kenntnis der anderen Fremd- und Herkunftssprachen, fehlende Kenntnis, wie diese anderen Sprachen systematisch beim Unterrichten der Fremdsprachen berücksichtigt werden könnten), wie dies u.a. Lohe (2017) für den Grundschulbereich zeigt.

Eine weitere durchaus plausible Erklärung schlägt Schädlich (2020) mit Blick auf den Fremdsprachenunterricht in Deutschland nach ihrer Analyse der unterschiedlichen Vorstellungen und Diskurse von Mehrsprachigkeit in der Erziehungswissenschaft und insbesondere in den deutschsprachigen Fremdsprachendidaktiken vor. Einerseits werde sowohl in der Erziehungswissenschaft als auch in den Fremdsprachendidaktiken der Wunsch und der Wille artikuliert, durch und im Fremdsprachenunterricht individuelle Mehrsprachigkeit zu fördern. Zugleich ließe sich für den Fremdsprachenunterricht andererseits auf verschiedenen Ebenen das Festhalten an einem monolingualen (Fach-)Habitus erkennen (Schädlich 2020; vgl. auch Hu 2004); und dies trotz hohen Interesses an Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität wie u.a. das Handbuch von Fäcke und Meißner (2019) verdeutlicht. Sprachkompetenz wird an vielen Stellen weiterhin vornehmlich an einem monolingualen Ideal festgemacht, das sich entsprechend nicht nur in Curricula und Prüfungsvorgaben widerspiegelt, sondern sich auch in fremdsprachendidaktischen Publikationen, in den Lehrwerken sowie in den Einstellungen von Lehrpersonen erkennen lässt. Im fremdsprachlichen Schulfach ginge es – so Schädlich (2020) – aus Sicht der meisten mittelbaren und unmittelbaren Akteure weiterhin im Kern um die Vermittlung bzw. das Erlernen einer funktionalen Kommunikationskompetenz in einer spezifischen Sprache. Dies schließt andere, über die spezifische Sprache hinausreichende Ziele wie Sprach(en)bewusstheit, Sprachlernkompetenz und methodische Rückgriffe auf weitere Sprachen sowie interkulturelle Kompetenz nicht aus, gibt diesen aber eine nach- oder untergeordnete Bedeutung. So verwundert es auch nicht, dass die in den letzten Jahrzehnten u.a. in der Erziehungswissenschaft, der internationalen (Sozio-)Linguistik und Applied Linguistics entwickelten Sprachbegriffe, die stärker den kommunikativen und sozialen Handlungs-, aber auch den identitätsbildenden Charakter von sprachlichen Praktiken herausarbeiten und deshalb konsequenterweise von (trans-)languaging anstatt von language sprechen, in der Fremdsprachendidaktik nur selten (vgl. z.B. Hu 2003, 2019; García 2009; García/Wei 2014; Wei 2018), im Fremdsprachenunterricht kaum einen Widerhall finden (vgl. Schädlich 2020). Dies könne, so Schädlich (2020), auch daran liegen, dass solche komplexen Sprach- und Sprachhandlungskonzepte schwerer in Lehr-Lernmaterialien zu fassen und damit schwerer von der Fremdsprachendidaktik auf die Unterrichtsebene zu transferieren sind. Insgesamt

ist sicherlich auch von Belang, dass der Fremdsprachenunterricht als qua Fach einzelsprachlich konzipiertes Geschehen Grundüberzeugungen nicht-additiver Mehrsprachigkeitskonzepte entgegenläuft und durch historische Traditionen und Unterrichtspraktiken bestimmt ist, die nur wenig flexibel auf neue Ansätze reagieren (können) (Schädlich 2020: 8).

Das Projekt „Franzimo – Französisch als 2. Fremdsprache: interkulturell und mehrsprachigkeitsorientiert“, das von Beginn an interdisziplinär angelegt war, versucht mit Blick auf seine Unterrichtsinterventionen, beide Perspektiven zu berücksichtigen: Stärkung der Kompetenzen in der Fremdsprache unter gleichzeitiger Nutzung und Wertschätzung vorhandener lebensweltlicher und schulischer Mehrsprachigkeit.

3 Das Aufgabenkonzept von Franzimo: Ziele, Grundlagen der Aufgabenentwicklung und Progressionsprinzip

3.1 Zielsetzung des Aufgabenkonzepts

Das im Rahmen des Projekts Franzimo entwickelte mehrsprachigkeitsorientierte Aufgabenkonzept verfolgte das Ziel, Lernende und Lehrende mittels Aufgaben, die in den regulären Französischunterricht der Jahrgangsstufe 7 (2. Lernjahr) an Gymnasien integriert werden konnten, dabei zu unterstützen, vorhandene Sprachkompetenzen bei der Rezeption französischer Texte zu nutzen und die Schülerinnen und Schüler für Mehrsprachigkeit und Interkulturalität zu sensibilisieren. Durch die Aufgaben sollten bereits zu einem frühen Zeitpunkt des Lernens von Französisch als zweiter schulisch vermittelter Fremdsprache Kenntnisse aus zuvor gelernten (Schul-)Sprachen (Deutsch, Englisch) sowie aus den Herkunftssprachen (vor allem Polnisch, Russisch, Türkisch12) sowie aus evtl. weiteren den Schülerinnen und Schülern verfügbaren Sprachen aufgegriffen und über die Reflexion u.a. für das Französischlernen nutzbar gemacht werden. Zentral war die Einsetzbarkeit der Aufgaben in einen ansonsten unveränderten Französischunterricht.

Die Entwicklung der Aufgaben und ihre progressionsorientierte Anordnung werden im Folgenden entlang der leitenden Prinzipien dargestellt.

3.2 Grundlagen des Aufgabenkonzepts

Die im Rahmen der Hauptuntersuchung von Franzimo eingesetzten Aufgaben und ihre progessionsorientierte Anordnung zum intra- und interlingualen Sprachentransfer sowie zur Sensibilisierung für (lebensweltliche) Mehrsprachigkeit und Interkulturalität wurden in einem mehrstufigen Prozess entwickelt. Die Aufgabenentwicklung orientierte sich in einer ersten Phase an den Aufgabenideen zum sprachenübergreifenden Lernen (vgl. u.a. Behr 2005), der Interkomprehensionsdidaktik (vgl. u.a. Bär 2009; Meißner 2010, 2011; Morkötter 2011, 2019a, 2019b) sowie Arbeiten zur Sensibilisierung für Mehrsprachigkeit (vgl. u.a. Candelier et al. 2012; Krumm/Jenkins 2001). Die Aufgabenentwicklung wurde im Rahmen von kleineren Pilotstudien und studentischen Arbeiten (u.a. Studienprojekte im Rahmen des Praxissemesters; MEd-Thesen; vgl. z.B. Koring 2011a, b; Kossak 2013; Schröter 2013) auf der Basis von Lehrwerkanalysen durchgeführt sowie in der unterrichtlichen Praxis erprobt. Aufgrund der dabei gemachten Erfahrungen und Evaluationen (u.a. durch Schülerinnen, Schüler und Lehrpersonen) konnten die Aufgaben beständig weiterentwickelt werden. So konnten sie stärker an die Unterrichtsrealität sowie die Lebenswelt und Interessen der Schüler und Schülerinnen angepasst werden. Darüber hinaus konnten die Aufgaben aufgrund der Pilotierung in einer systematischen Progression angeordnet werden. Schließlich wurde im Rahmen des DFG-geförderten Projekts vor der Pilotierungsphase ein Workshop mit Französischlehrpersonen und Fremdsprachenforscherinnen und -forschern, die Expertise zu den explizit berücksichtigen Herkunftssprachen Polnisch, Russisch und Türkisch hatten, an der Universität Wuppertal durchgeführt. Die für das Projekt entwickelten Aufgaben wurden von den Expertinnen und Experten hinsichtlich ihrer Durchführbarkeit sowie der Mehrsprachigkeitsnutzung der Herkunftssprachen eingeschätzt. Ausgehend von den Rückmeldungen der Experten und Expertinnen und den Ergebnissen der Pilotierung wurden die bisherigen Aufgaben erneut überarbeitet.

Aufgrund der vorliegenden Konzepte und Befunde zur Förderung von Mehrsprachigkeit und deren Integration in den schulischen Fremdsprachenunterricht (siehe oben) sowie aufgrund der Erfahrungen mit den ersten Aufgabenentwürfen und der Pilotierung wurden für die Aufgabengestaltung und ihre progressionsorientierte Anordnung die nachfolgend dargestellten Prinzipien und Merkmale festgelegt:

1. Aufgreifen der schulischen und lebensweltlichen Mehrsprachigkeit der Schülerinnen und Schüler sowie Wertschätzung von Mehrsprachigkeit

Im Mittelpunkt der Aufgaben sollte einerseits das funktionale, d.h. bezogen auf das weitere Französischlernen bzw. das Fremdsprachenlernen allgemein nützliche reflexive Aufgreifen der schulischen Mehrsprachigkeit und andererseits die positive Wertschätzung und Reflexion der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit stehen. Während das entsprechende Aufgreifen der schulisch vermittelten Sprachen Deutsch und Englisch leicht nachvollziehbar ist und kaum auf Akzeptanzprobleme stößt, musste das Aufgreifen anderer Sprachen, über die eventuell nur ein Teil der Schüler und Schülerinnen im Klassenzimmer verfügen kann, begründet werden (siehe zu Konzepten und Begründungen oben Abschnitt 2). Bei der Entwicklung und beim Einsatz der Aufgaben sollte aktiv dem u.a. aus Pilotierungsphasen im Projekt Franzimo bekannten Eindruck einiger Schülerinnen und Schüler entgegengewirkt werden, es ginge um das Lernen anderer Sprachen als Französisch. Auch sollte dem möglichen Eindruck, bestimmte Gruppen von Schülern und Schülerinnen könnten bevorzugt oder benachteiligt werden, vorgebeugt werden. Die Aufgaben mussten folglich immer wieder auf die Funktionalität des z.T. nur exemplarischen Einbezugs anderer Sprachen für das Strategie- und das Französischlernen sowie für die Reflexion von Mehrsprachigkeit hinweisen und diese auch erfahrbar machen.

2. Passung zum lehrwerksbasierten Unterricht

Schulischer Fremdsprachenunterricht ist insbesondere in den Anfangsjahren mit Blick auf die Vermittlung der sprachlichen Strukturen, der nichtsprachlichen Inhalte, der verschiedenen Teilkompetenzen und die methodische Gestaltung in hohem Maße durch das eingesetzte Lehrwerk bestimmt. Es stellt neben den Curricula eine wichtige Strukturierungshilfe für die Lehrpersonen dar (vgl. u.a. Schmelter 2011). Eingriffe in die durch das Lehrwerk geprägten Inhalte und Abläufe mussten also, sollten sie von den Lehrpersonen und den Schülern und Schülerinnen akzeptiert werden, möglichst klein gehalten werden. Daher verfolgten die im Projekt Franzimo entwickelten Aufgaben zur Vermittlung von intra- und interlingualen Transferstrategien einen minimalinvasiven Ansatz (vgl. Schmelter 2015). Die Einzelaufgaben sollten pro Woche möglichst wenig Zeit des ansonsten unveränderten Französischunterrichts in Anspruch nehmen. Auch die über die Aufgaben eingeführten sprachstrukturellen Inhalte sollten sich stark an den genutzten Lehrwerken orientieren bzw. hier nur geringfügige Ergänzungen, zumeist auf der Lexik-Ebene, vornehmen. Dadurch sollte zudem die Wahrscheinlichkeit erhöht werden, dass die Aufgaben auch jenseits des Forschungsprojekts zum Einsatz kämen.

3. Vermittlung von Strategien zum Sprachentransfer und zur Reflexion von Mehrsprachigkeit

Die Forschung zum fremdsprachenlernspezifischen Strategieerwerb und zu den Möglichkeiten, diesen durch unterrichtliche Maßnahmen zu stützen, zeigt recht deutlich (vgl. u.a. Cohen/Macaro 2007; Macaro/Erler 2008; Plonsky 2011), dass ein einmaliges Präsentieren und Erproben von Strategien nicht erfolgsversprechend sind. Vielmehr sollten die Vermittlung und die individuelle Ausbildung von Strategien über einen längeren Zeitraum und u.a. ein regelmäßiges, variierend wiederholendes, funktionales Nutzen der vermittelten Strategien in Anwendungskontexten ermöglichen, wenn die vermittelten Strategien über den Vermittlungszeitpunkt und -kontext hinaus eigenständig von den Lernerinnen und Lernern genutzt werden (können) sollen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die kognitiven und metakognitiven Kompetenzen noch nicht voll ausgebildet sind. Schüler und Schülerinnen in der Jahrgangsstufe 7 stehen hier an einer Entwicklungsschwelle (vgl. Hasselhorn 2004, 2008). Entsprechend mussten die Aufgaben in einer Weise gestaltet und angeordnet werden, die den Voraussetzungen der Lernenden entsprechen. Wie zuvor dargestellt sollten die Aufgaben den regulären, lehrwerkbasierten Französischunterricht ergänzen und der Unterrichtsablauf sollte durch die Aufgaben nicht behindert werden. Durch den kontinuierlichen Einsatz und die Bearbeitung der Aufgaben im Unterricht sollte eine regelmäßige und variierende Auseinandersetzung mit mehrsprachigkeitsorientierten Sprachlernstrategien ermöglicht werden. Zugleich musste mit den Aufgaben eine Progression der Schwierigkeit und der Komplexität der vermittelten Strategien einhergehen. Da die gängigen Lehrwerke für Französisch als 2. Fremdsprache und die in ihnen enthaltenen Texte kein ausreichendes Erfahrungsfeld für den Einsatz der zu vermittelnden Strategien boten, mussten die Aufgaben nicht nur die sprachliche Grundlage bereitstellen, um die Strategien zum Sprachentransfer zu vermitteln, sondern sie mussten zugleich das weitere Übungs- und Anwendungsmaterial mitliefern. Dies galt auch für die Reflexion der Aufgabenbearbeitung, die aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse für die Strategieaneignung notwendig ist. Diese Reflexion sollte durch die Aufgabengestaltung angestoßen und unterstützt werden.

4. Motivierungsqualität der Aufgaben

Es war das Ziel der Aufgabenkonzepts, die Aufgaben so interessant und motivierend zu gestalten, dass die Schülerinnen und Schüler sich aufmerksam mit ihnen auseinandersetzen mochten und sie nicht als zusätzliche Belastung im Französischunterricht, sondern als hilfreich für das Französisch- bzw. grundsätzlich das Sprachenlernen empfanden (vgl. Dörnyei et al. 2014; Dörnyei/Ushioda 2009; Schmelter 2020b). Folglich mussten die Aufgaben sowie ihre Progression ihren angestrebten Nutzen in Form von erlebbarem Lernerfolg und Kompetenzzuwachs für die Schüler und Schülerinnen, z.B. anhand von Alltagstexten und -aufgaben, erfahrbar machen (ein Beitrag zur Bewertung der Aufgaben aus der Schülerperspektive ist in Vorbereitung) und einen Bezug zu den Interessen und der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler herstellen.

3.3 Anordnung und inhaltliche Progression der Aufgaben

Die Aufgaben, die in der Hauptuntersuchung eingesetzt wurden, waren auf 12 Einheiten ausgelegt, die je einmal wöchentlich eingesetzt werden sollten und deren Durchführung jeweils nicht mehr als 10 bis 15 Minuten in Anspruch nehmen sollte, sodass sich die Bearbeitung der entwickelten Aufgaben auf einen Zeitraum von 10 bis 14 Wochen erstrecken konnte.13 Für einen Großteil der Einheiten konnten die involvierten Lehrpersonen aus mehreren Alternativ-Aufgaben auswählen, die zwar thematisch variierten, aber jeweils die gleichen Ziele verfolgten, sodass insgesamt ein Pool von über 20 Aufgaben vorlag. Durch das Wahlangebot konnte eine weitere Möglichkeit geschaffen werden, den jeweiligen Bedürfnissen der Lehrpersonen bzw. ihrer Lerngruppen gerecht zu werden.

Die Aufgaben zielten darauf ab, alle von den Schülerinnen und Schülern mitgebrachten Sprachen zu berücksichtigen. Aus pragmatischen Gründen wurden explizit nur die Sprachen Deutsch und Englisch, d.h. die beiden schulisch vermittelten Sprachen, sowie die ausgewählten, in Deutschland häufigen Herkunftssprachen Polnisch, Russisch und Türkisch (siehe oben) aufgegriffen. Zugleich wurden in den Aufgaben, wo dies möglich und sinnvoll erschien, Verweise auf andere Sprachen, über die Schülerinnen und Schüler eventuell verfügten, gemacht. Zusätzlich sollten die Lehrpersonen in den gemeinsamen Reflexionsphasen zu den Aufgaben alle Schüler und Schülerinnen ermuntern, ihre Kompetenzen aus anderen Sprachen einzubringen.

Die progressionsorientierte Zusammenstellung der Aufgaben im Rahmen von Franzimo kann insgesamt in sechs Phasen bzw. Teile, die mit einer inhaltlichen und einer nach Schwierigkeit angeordneten Progression auf das hier dargelegte Ziel hinarbeiten, gegliedert werden:

1) Den Einstieg in die Arbeit mit den Aufgaben (1. Phase) bildete eine allgemeine Sensibilisierung für das Thema Mehrsprachigkeit. Den Lehrkräften wurden zwei Aufgaben zur Wahl gestellt, die in unterschiedlichem Umfang herkunftsbedingte Mehrsprachigkeit bei den Schülerinnen und Schülern voraussetzten, sodass die Aufgabe den Bedingungen der jeweiligen Klassen angepasst werden konnte.

In einer dieser Aufgaben sollten die Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrperson sich anhand verschiedener Gruß-, Abschieds- und Glückwunschformeln der Sprachenvielfalt in ihrer Klasse bewusstwerden. Ausgangspunkt waren Bilder, die exemplarisch für entsprechende Situationen standen und die versprachlicht werden sollten: „Was sagst Du in diesen Situationen?“. Den Anschluss bildeten folgende Arbeitsaufträge:

Abb. 1: Auszug aus einer der zur Wahl stehende Aufgaben für den Einstieg

Im Mittelpunkt der anderen Aufgabe standen Personenumrisse, wie sie u.a. von Krumm und Jenkins (2001) genutzt wurden.

Die Produkte, die im Rahmen der jeweils genutzten Aufgaben entstanden waren, behielten auch jenseits der konkreten Stunde ihre Funktion, da sie im weiteren Verlauf immer wieder in den Unterricht integriert werden konnten.

2) Die 2. Phase des Aufgabenkonzepts hatte das Ziel, den Schülern und Schülerinnen den Nutzen der Aufgaben sowie der mit ihnen vermittelten Lexiktransferstrategien für das Sprachenlernen allgemein sowie das Lernen von Französisch im Besonderen zu vermitteln.

Abb. 2: Auszug aus der Aufgabe „Le train du climat“

In einem ersten Schritt wurden die Schülerinnen und Schüler daher ermutigt, sich auf einen für ihr Kompetenzniveau herausfordernden französischen Text einzulassen, indem sie die Wörter markierten, die sie verstanden. Erst im weiteren Verlauf der Aufgabe wurden ihnen mit den Arbeitsanweisungen verschiedene strategische Hilfen präsentiert, die sie bei der erneuten Lektüre des Textes erproben und reflektieren sollten. So machte der zweite Aufgabenteil explizit auf den zum Verstehen förderlichen Einsatz von inhaltlichem Vorwissen und auf ähnlich aussehende oder klingende Wörter in anderen Sprachen aufmerksam. Zur Verdeutlichung wurde eine mehrsprachige Tabelle angeboten.

Abb. 3: Auszug aus der Aufgabe „Le train du climat“

Der nächste Schritt diente der Bewusstmachung. Die Schüler und Schülerinnen wurden anhand interlingualer Beispiele für Kognate aufgefordert, Regeln zu erkennen bzw. zu formulieren, wie sich einzelne Wörter von der einen zur anderen Sprache verändern14. Der vierte Aufgabenteil sollte den Schülerinnen und Schülern den Nutzen des erworbenen Wissen aufzeigen. Daher wurden sie abschließend wieder zum Text und den Wörtern aus der Tabelle zurückgeführt. Die Schüler und Schülerinnen sollten für sich prüfen, ob Wörter, die im ersten Durchgang als unbekannt nicht markiert worden waren, jetzt verstanden werden könnten. Den Abschluss bildeten Informationen zu den weiteren Aufgaben und zum Ziel der Auseinandersetzung mit ihnen. Die Schülerinnen und Schüler wurden insbesondere ermutigt, ihre eventuellen Kenntnisse aus anderen Sprachen in den Französischunterricht einzubringen. Zugleich wurde noch einmal hervorgehoben, dass das Ziel der Auseinandersetzung mit mehrsprachigkeitsorientierten Aufgaben nicht das Erlernen weiterer Sprachen sei, sondern darauf abziele, andere Sprachen als Hilfe beim Französischlernen erkennen und nutzen zu lernen. Die darauffolgende dritte Aufgabe verdeutlichte dies noch einmal und zeigte anhand eines französischen Alltagstextes (Übersichtsplan eines Zoos) mit Arbeits- und Reflexionsanweisungen den Nutzen von Transferstrategien auf.

3) Die Aufgaben der 3. Phase vermittelten den Schülerinnen und Schülern einfache Lexiktransferstrategien, übten diese Strategien anhand verschiedener Aufgaben ein und forderten u.a. durch Sprachvergleich zur Reflexion auf. Der Fokus des Transfers lag dabei auf der Wort- bzw. Satzebene, die beim Erschließen von Bedeutung genutzt werden konnten bzw. mussten. Zentrales Lehrziel dieser Phase war die genaue Betrachtung von Wörtern und deren Morphologie, um interlinguale Regelmäßigkeiten erkennen und für die Bedeutungserschließung nutzen zu können. Aufgrund des nach zwei Lernjahren noch sehr basalen Kompetenzniveaus in der Fremdsprache Französisch wurden die Reflexionsaufgaben durchgängig in der schulischen Verkehrssprache Deutsch gehalten.

Abb. 4: Auszug aus der Aufgabe „ Les métiers et leurs lieux“

4) In der 4. Phase wurde den Schülern und Schülerinnen mit den Aufgaben Gelegenheit gegeben, die bisher erworbenen Kompetenzen anhand authentischer Dokumente je nach Wahl der Lehrperson in einer Aufgabe zur interkulturellen Reflexion oder zur Erstellung eines mehrsprachigen Wörternetzes anzuwenden. So sollten die Schülerinnen und Schüler in der Aufgabe „L’emploi du temps“ (vgl. Abb. 5) nach der sprachlichen Erschließung der Frage nachgehen, ob die Schülerinnen und Schüler in den verschiedenen Ländern in denselben Fächern unterrichtet werden wie sie selbst, und Beispiele für eventuelle Abweichungen benennen.

Abb. 5: Auszug aus der Aufgabe „L’emploi du temps“

5) In der 5. Phase des Aufgabenkonzepts wurden komplexere Lexiktransferstrategien eingeführt. Die interlinguale Arbeit erfolgte nun auf der Textebene und erforderte beim Erschließen und Verstehen eine stärkere Berücksichtigung des Kontextes sowie eine morphosyntaktische Analyse. Darüber hinaus wurden auch Strategien zur Evaluation der eigenen Transferbemühungen eingeführt. Die Aufgaben zielten nun insbesondere darauf ab, die verschiedenen vermittelten und eingeübten Strategien miteinander zu kombinieren und im Austausch die gemachten Erfahrungen gemeinsam zu reflektieren.

Abb. 6: Auszug aus der Aufgabe „En contexte“

6) Die abschließende 6. Phase des Aufgabenkonzepts stellte noch einmal die Sensibilisierung für Mehrsprachigkeit und deren Potenziale für das Lernen von Sprachen in den Mittelpunkt.

Die einzelnen Aufgabenblätter sind in einheitlicher Systematik strukturiert, sodass aufgrund des Druckbilds unmittelbar zwischen der eigentlichen Aufgabenstellung und den weiterführenden Informationen zur Aufgabe (strategische Hilfen, Zielsetzung) unterschieden werden konnte. Zu allen Aufgaben liegt ein Lösungsblatt vor, hiervon ausgenommen sind lediglich die offenen Reflexionsaufgaben.

Um für alle in die Studie eingebundenen Klassen ein weitgehend einheitliches Vorgehen zu unterstützen, wurde vor der Aufgabenimplementation ein Workshop mit allen Lehrpersonen realisiert, um diese systematisch in die Reflexion und Nutzung der Aufgaben einzuführen. Weiterhin erhielten die Lehrpersonen zusätzlich zu den Aufgaben eine detaillierte Handreichung zur Durchführung sowie weitere Informationen zu den Inhalten der jeweiligen Aufgaben und den mit ihnen verfolgten methodischen und strategischen Kompetenzzielen. Zudem wurde auf eventuell neben den Arbeitsblättern benötigte Materialien hingewiesen.

3.4 Design der quasi-experimentellen Studie

Die im Rahmen von Franzimo entwickelten Aufgaben sollten nicht nur den hier skizzierten unterrichtlichen Zielsetzungen dienen, sondern ihre Wirkung sollte im Rahmen einer quasi-experimentellen Studie genauer untersucht werden. Durch empirische Daten sollten relevante Bedingungsfaktoren für das Sprachenlernen sowie für die Wertschätzung von Mehrsprachigkeit identifiziert und die Wirksamkeit des Trainings empirisch analysiert werden.

Die Hauptuntersuchung fand im Schuljahr 2018/19 mit insgesamt 20 Klassen (n = 394 Schülerinnen und Schüler, davon 49.0 % weiblich) aus 12 Gymnasien im Ruhrgebiet und im Bergischen Land statt, wobei neun Klassen der Interventionsgruppe (nIG = 193 Lernende) zugeordnet wurden. Mit allen beteiligten Schülerinnen und Schülern wurde umfangreiche Prä- und Posttests durchgeführt (siehe hierzu im Detail Göbel, Schmelter et al. 2021). Um die Ausgangsbedingungen und die Veränderungen zentraler Variablen erfassen zu können, griffen wir sowohl auf etablierte Tests als auch auf Adaptationen bewährter Testkonzepte zurück.

3.5 Explorative Einschätzungen zum Aufgabeneinsatz

Nach dem Abschluss der Hauptuntersuchung und nach den ersten Datenauswertungen überwiegt zunächst ein positiver Gesamteindruck. Das im Rahmen des Franzimo-Projekts entwickelte und erprobte Aufgabenkonzept wurde von den Schülerinnen und Schülern sowie von den Lehrpersonen insgesamt positiv eingeschätzt. Analysen zu den Wirkungen sind derzeit noch in Arbeit.

Trotz der hier geschilderten umfänglichen und sorgfältigen Entwicklung der Aufgaben haben sich bei deren Einsatz auch Herausforderungen gezeigt, die hier kurz skizziert werden:

Obwohl die Aufgaben insgesamt auf die institutionellen und curricularen Bedingungen und die bekannten Erwartungen von Lehrpersonen abgestimmt waren und bei der Auswahl von Aufgaben lokale Wahlmöglichkeiten zur genaueren Passung zuließen, wurde das Aufgabenkonzept nicht in allen Versuchsklassen in dem vom Versuchsplan vorgesehenen Umfang von mindestens 12 Einheiten in den Unterricht implementiert, sondern z.T. auch weniger als zehnmal eingesetzt. Dies bedeutet, dass insbesondere die Vermittlung und Reflexion der komplexeren Transferstrategien sowie die reflektierte Kombination der unterschiedlichen Einzelstrategien nur in einem Teil der im Projekt einbezogenen Klassen erfolgte; woraus sich möglicherweise auch Unterschiede in der Wirkung des Aufgabenkonzepts ergeben haben können. Die Gründe für die Unterschiede in der Implementation liegen auf unterschiedlichen Ebenen. So wurde von den Lehrpersonen z.B. auf festliegende Klassenarbeitstermine mit Inhalten und Kompetenzanforderungen, die in den Aufgaben nicht bzw. nur am Rande angesprochen werden, verwiesen; diese Lehrpersonen stellten daher die Arbeit mit den mehrsprachigkeitsorientierten Aufgaben zurück. Fehl- und Feiertage, Unterrichtsausfall aufgrund anderer schulischer Veranstaltungen oder ‚Hitzefrei‘ etc. veranlassten einige Lehrpersonen, die verbleibende Unterrichtszeit nicht für die Implementation der Aufgaben, sondern für die reguläre Lehrwerkarbeit zu nutzen (vgl. hierzu erste Analysen der mit den Lehrpersonen geführten Interviews bei Urbanek 2021).

Die hier aufgeführten Hindernisse für eine planmäßige Implementation des Aufgabenkonzepts verdeutlichen, wie schnell quasi-experimentelle Studien an die Grenzen der Kontrollierbarkeit geraten. Jenseits von Studien könnte den von Lehrpersonenseite wahrgenommenen Hürden beim Einsatz der Aufgaben (z.B. Passung zum Lehrwerk, Passung zur Klasse (Lernstand; vertretene Herkunftssprachen)) u.a. mit einer weiteren Anpassung des Materials und noch stärkerer Unterstützung der Lehrpersonen bei der Implementierung entgegengewirkt werden.

Die genannten Einschränkungen bei der Implementation deuten jedoch auch darauf hin, dass mehrsprachigkeitsorientierte Unterrichtsaktivitäten in bisherigen Untersuchungen nicht nur aufgrund fehlender Materialien kaum zu beobachten waren (siehe oben), sondern dass vermutlich ein ganzes Bündel weiterer Faktoren, in dem maßgeblich die curricularen und schulsystemischen Vorgaben wirken, dazu beitragen, dass im Französischunterricht von den Lehrpersonen sowie den Schülerinnen und Schülern andere Prioritäten gesetzt werden. Möglicherweise hängen die realen bzw. empfundenen Schwierigkeiten beim Einsatz des Aufgabenkonzepts mit seinem zusätzlichen Material und seiner stärkeren Fokussierung von nicht unmittelbar geprüften Kompetenzbereichen auch mit den Bedingungen des Französischunterrichts als zweiter Fremdsprache an Gymnasien in Nordrhein-Westfalen während des Untersuchungszeitraums zusammen. Inwiefern dies auch unter den wieder eingeführten G9-Bedingungen gilt, bliebe zu prüfen. Weiterhin stehen aber in der Regel nur drei bis selten vier Unterrichtsstunden pro Woche für die 2. Fremdsprachen zur Verfügung. Ein enger Rahmen, wenn man bedenkt, dass am Ende des Lehrgangs umfangreiche Kompetenzerwartungen der Lehrpläne stehen. Dennoch könnten im Rahmen von kooperativen Entwicklungsprojekten ggf. auch solche Aspekte angesprochen und verändert werden (z.B. zusammen mit Studierenden und Lehrpersonen im Rahmen des Praxissemesters oder bei der universitär begleiteten Unterrichts- und internen Lehrplanentwicklung).

Obwohl die explizit berücksichtigten Herkunftssprachen in der Fläche insgesamt sehr häufig vorkommen, gab es dennoch Klassen, in denen diese Sprachen eine vergleichsweise untergeordnete bzw. gar keine Rolle spielten, während zugleich ein erheblicher Teil der Schülerinnen und Schüler über andere Sprachen als Deutsch und Englisch verfügte. Einerseits wäre hier – gerade auch um den konkreten Nutzen spezifischer Sprachen verdeutlichen zu können – eine entsprechende Passung wünschenswert. Die je spezifische Entwicklung und Bereitstellung von Materialien sind aber sowohl von den einzelnen Lehrpersonen als auch im Rahmen größerer experimenteller Projekte kaum leistbar. Hier wäre es wünschenswert, auf weitere Sprachen abgestimmte Aufgaben zu entwickeln, die dann z.B. im Sinne von geteilten Bildungsmaterialien (open educational resources) einer breiteren Lehrerschaft zur Verfügung gestellt werden.

4 Fazit und Ausblick auf erste Ergebnisse des Projekts

Die Entwicklung und Implementierung des mehrsprachigkeitsorientierten Aufgabenkonzepts im Rahmen des Projekts Franzimo machen deutlich, dass der Einsatz der mehrsprachigkeitsorientierten Aufgaben in einer Reihe von beteiligten Klassen offenbar in der geplanten Weise umgesetzt werden konnte.

Die im Rahmen von Franzimo bei der Aufgabenentwicklung zugrunde gelegten Prinzipien (siehe oben Kap. 3.2) und die strukturierende Progression bei Vermittlung von Lexiktransferstrategien (von einfachen Strategien auf der Wortebene, über die Wortmorphologie, zur Syntax und schließlich zur Textebene) könnten auch für die Entwicklung ähnlicher Aufgaben im Unterricht weiterer Sprachen genutzt werden.

Die Implementation der Aufgaben setzt nicht voraus, dass alle Schülerinnen und Schüler oder die Lehrperson über die in den Aufgaben explizit genutzten Sprachen verfügen, so dass auch Herkunftssprachen, die ja bisweilen in der Klasse nur von einem Schüler oder einer Schülerin vertreten werden, direkt oder indirekt in den Aufgaben und Reflexionen aufgegriffen werden können. Eine wichtige Voraussetzung für die gemeinsame Bearbeitung der Aufgaben ist es jedoch, dass zumindest ein bis zwei Sprachen für alle am Unterricht Beteiligten zugänglich sind; in der Regel sind dies die schulische Verkehrssprache und evtl. eine zuvor bzw. parallel gelernte weitere Fremdsprache. Insofern wäre zu prüfen, ob mehrsprachigkeitsorientierte Aufgabenkonzepte wie das in Franzimo entwickelte auch im Unterricht einer ersten Fremdsprache eingesetzt werden können. Im Rahmen der Vorarbeiten zu Franzimo hatte sich beispielsweise gezeigt, dass die Bearbeitung der Aufgaben mit jüngeren Lernern und Lernerinnen (Klasse 6 statt 7 und damit weniger als ein Jahr Unterricht in der 2. Fremdsprache Französisch) auf Schwierigkeiten stößt, die nur zum Teil auf die altersbedingt geringeren kognitiven Grundlagen wie z.B. die Fähigkeit zum selbstständigen Einsatz metakognitiver Strategien (vgl. Hasselhorn 2004) zurückgeführt werden konnten.

Mit Blick auf eine gesamtcurriculare Absprache zwischen den Fremdsprachenfächern wäre in weiteren Projekten zu eruieren, wo auf der Sprachstrukturebene z.B. zwischen dem in der Regel vorgelagerten und dann parallel geführten Englisch- bzw. den bisweilen nachfolgenden Spanischunterricht gezielt Brücken zum Französischen und zu anderen Sprachen gebaut werden können und wie mehrsprachigkeitsorientierte Aufgaben zur Unterstützung des allgemeinen Sprachlerninteresses eingesetzt werden können.

Notes

  1. „Das Ziel einer funktionalen Mehrsprachigkeit bedingt, dass Schülerinnen und Schülern grundlegende Kenntnisse in mindestens einer weiteren Fremdsprache ermöglicht werden. Kenntnisse aus Erstsprachen werden dabei berücksichtigt und die Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler in Deutsch und anderen Erstsprachen genutzt“ (KMK 2011: 4). [^]
  2. In der aktuellen Fassung des Kernlehrplans für das Fach Französisch in Nordrhein-Westfallen fehlt diese Aussage interessanterweise und findet sich allenfalls implizit in Formulierungen wieder, die darauf abzielen, die Schülerinnen und Schüler „bei der Entwicklung ihrer individuellen Mehrsprachigkeitsprofile“ zu unterstützen (MSB NRW 2019: 9). [^]
  3. Der Titel des DFG-Antrags lautete: „Faktoren multiplen Sprachen- und interkulturellen Lernens – Eine quasi-experimentelle Studie zur Mehrsprachigkeitsorientierung im Französischunterricht“. [^]
  4. Der Begriff „Aufgabe“ bezeichnet im Projekt alle Arbeitsaufträge mit Vermittlungs-, Lern- und Übungscharakter, die den Schülerinnen und Schülern bestimmte Aktivitäten abverlangen. Entsprechend lassen sich einige Franzimo-Aufgaben im Sinne aufgabenbasierter, -orientierter bzw. -gestützter Ansätze (vgl. Caspari 2019) tatsächlich als Aufgabe verstehen, andere eher als Übung (vgl. zur Differenzierung auch Morkötter 2019b). [^]
  5. Wir bedanken uns für die konstruktiven Kommentare und Hinweise der anonymen Gutachterinnen und Gutachter. [^]
  6. Inwieweit schulischer Fremdsprachenunterricht, jenseits von Übersetzungsübungen, tatsächlich weitgehend auf den Einsatz der Verkehrssprache verzichtete, kann aufgrund fehlender empirischer Untersuchungen nur hypothetisch beantwortet werden. [^]
  7. „Verkehrssprache“ bezeichnet hier die Sprache, die von allen Akteuren in einer Schule zur gemeinsamen Verständigung genutzt wird. In Deutschland ist dies – sieht man von Sonderfällen wie z.B. zweisprachigen oder internationalen Schulen ab – in der Regel Deutsch. Wir nutzen hier den Begriff „Verkehrssprache“, da der Begriff „Schulsprache“ in der Literatur teilweise auch synonym oder in Anlehnung zu „(schulischer) Bildungssprache“ genutzt wird. [^]
  8. Wie sich die deutliche Konzeptpräzisierung und zugleich Erweiterung von Sprachmittlung bzw. Mediation im Begleitband des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (Europarat 2020) auswirkt, wird abzuwarten sein (vgl. u.a. Krombach 2021; Reimann 2019; Rössler/Schädlich 2019). [^]
  9. Siehe für erste empirische Untersuchungen des schulischen Unterrichts dritter Fremdsprachen das Bochumer Tertiärsprachenprojekt (Bahr/Bausch/Helbig/Kleppin/Königs/Tönshoff 1996); zu ersten Überlegungen insbesondere für den Bereich Deutsch als Fremdsprache siehe schon die Beiträge in Bausch/Heid (1990) sowie Hufeisen (1991). [^]
  10. Anders stellt sich die Situation insbesondere aufgrund konzeptueller und empirischer Arbeiten bei den Herkunftssprachen Polnisch und Russisch im entsprechenden Fremdsprachenunterricht dar (vgl. Göbel/ Schmelter/Frankemölle/Frede/Buret 2019; Göbel/Schmelter/Buret/Frede/Neuber/Struck 2021; Mehl-horn 2015, 2017, 2019, 2020 sowie Mehlhorn/Brehmer 2018). [^]
  11. Siehe hingegen die entsprechenden Bemühungen in der Schweiz (vgl. Sauer/Wolff 2018). [^]
  12. Diese Sprachen gehören – sieht man vom Arabischen ab – derzeit zu den in deutschen Schulen am häufigsten vertretenen nicht-deutschen Erst- und Herkunftssprachen. Genaue Daten hierzu sind schwierig zu eruieren (vgl. Chlosta/Ostermann 2010). Die hier vertretene Position ergibt sich aus den bekannten Daten zum Migrationshintergrund von Schülerinnen und Schülern (z.B. Stanat et al. 2019) sowie aus lokalen Erhebungen zur Mehrsprachigkeit der Schülerinnen und Schüler (z.B. Chlosta/Ostermann/ Schroeder 2003). Die in Franzimo explizit berücksichtigten Sprachen weisen zudem im Bereich der Lexik vergleichsweise viele Transferbasen auf (z.B. Aktaş 2008; Bochnakova 2012; Saǧlam 2004). [^]
  13. Diese Spanne ergibt sich u.a. durch schulorganisatorische Anforderungen und Spezifika (u.a. Prüfungen; Ausflüge; Feiertage), aber auch aufgrund der flexiblen Handhabung des Trainings durch die Lehrpersonen. [^]
  14. iklim – climat / karbon – carbone / fizik – physique ==> Die Buchstaben „c“ oder „qu“, die im Französische „k“ ausgesprochen werden, werden in Türkisch zu „k“. [^]

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Kurzbio

Lars Schmelter ist Professor für Französisch und seine Didaktik in der Bergischen Universität Wuppertal. Aktuelle Forschungsschwerpunkte sind neben der Mehrsprachigkeitsdidaktik der bilinguale Unterricht sowie das kompetenzorientierte Üben der sprachlichen Mittel

Kerstin Göbel ist Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Unterrichtsentwicklung an der Universität Duisburg-Essen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind interkulturelle und mehrsprachigkeitsorientierte Unterrichtsansätze, die Erforschung von Einflüssen auf das schulische Engagement von Lernenden sowie Perspektiven auf Unterrichtsreflexion unter Rückgriff auf Schülerrückmeldungen und Videografie.

Julie Buret war von 2017 bis 2020 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bergischen Universität Wuppertal tätig und beschäftigte sich mit der Durchführung des Projekts Franzimo. Aktuell ist sie Französischlehrerin an der Waldorfschule Mülheim.

Anschrift:

Prof. Dr. Lars Schmelter

Bergische Universität Wuppertal

Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften – Romanistik

Gaußstr. 20

42119 Wuppertal

Deutschland

lars.schmelter@uni-wuppertal.de

 

Prof. Dr. Kerstin Göbel

Universität Duisburg-Essen

Institut für Erziehungswissenschaft – AG Unterrichtsentwicklung

Universitätsstraße 2

45141 Essen

kerstin.goebel@uni-due.de

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  • Lars Schmelter
  • Kerstin Göbel

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