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Praxisbericht

Lesen digitaler Magazinbeiträge im DaF-Lehramtsstudium – Gestaltung und Evaluation eines Lernarrangements

Abstract

Die pandemiebedingte Online-Lehre führte zum Überdenken bestehender Unterrichtskonzepte und zum Entwickeln neuer digitaler Lernarrangements auch im Fremdsprachenbereich. Im folgenden Beitrag wird am Beispiel eines Leseseminars für angehende DaF-Lehrkräfte in der Türkei gezeigt, wie die Textarbeit mit Beiträgen aus einem Webmagazin des Goethe-Instituts konzipiert und durchgeführt werden könnte. Für die Evaluation des Lernarrangements wurden die teilnehmenden Studierenden zu ihren Erfahrungen mit dem digitalen Lesen und der Erstellung von digitalen Leseprodukten befragt. Die Befunde zeigen u.a., dass die Studierenden digitale Lernarrangements positiv bewerten und das digitale Lesen im Vergleich zum analogen Lesen als vorteilhafter betrachten. Außerdem wird deutlich, dass das Erstellen von Leseprodukten nicht nur den Leseprozess unterstützt, sondern auch die Entwicklung von Medienkompetenzen begünstigt.

Reading digital magazine articles in a GFL teacher training program – design and evaluation of a learning arrangement
The online teaching caused by the pandemic led to the reconsideration of existing teaching concepts and the development of new digital learning arrangements also in the foreign language area. The following article uses the example of a reading seminar for GFL teacher trainees in Turkey to show how the text work with contributions from a web magazine of the Goethe Institute could be esigned and carried out. To evaluate the learning arrangement, the participating students were asked about their experiences with digital reading and creating digital reading products. The findings show that students rate digital learning arrangements positively and consider digital reading more advantageous than analogue reading. It also becomes clear that the creation of reading products not only supports the reading process but also promotes the development of media skills.

Keywords: Digitales Lesen, Lehrendenausbildung, Online-Unterricht, Deutsch als Fremdsprache, digital reading, teacher training, online lessons, German as foreign language

How to Cite:

Keleş, Nurseza & Şenyıldız, Anastasia (2022):
Lesen digitaler Magazinbeiträge im DaF-Lehramtsstudium – Gestaltung und Evaluation eines Lernarrangements.
Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 27: 2, 331–345.
https://doi.org/10.48694/zif.3502

1 Einleitung

Die Digitalisierung beeinflusst mittlerweile alle Lebensbereiche. Auch das Lesen, das neben Rechnen und Schreiben zu den grundlegenden Kulturtechniken der Informations- und Wissensgesellschaft gehört, wird davon stark geprägt. So wird die digitale Technik im Modell von Kerres (2017) als ein verbindendes Element dargestellt, das quer zu den bestehenden Kulturtechniken verläuft, sie durchdringt sowie beim Nutzen, Verstehen, Bewerten und Gestalten des Wissens hilft.

Digitales Lesen gewinnt auch im Bereich des Fremdsprachenlehrens- und -lernens u.a. aufgrund schneller Verfügbarkeit digitaler Texte immer mehr an Bedeutung. Daher ist die Entwicklung autonomiefördernder Lernarrangements notwendig, in deren Rahmen sich die Lernenden mit authentischen digitalen Texten selbstgesteuert beschäftigen und Anregungen zum Erweitern ihrer fremdsprachlichen Kompetenzen bekommen könnten.

Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit dem Lesen digitaler Magazinbeiträge in der Fremdsprache Deutsch, welches im Rahmen eines Online-Leseseminars für türkische DaF-Lehramtsstudierende erfolgte. Zuerst werden theoretische Grundlagen des digitalen Lesens allgemein und in der Fremdsprache skizziert. Im zweiten Kapitel wird ein eigenes Lernarrangement zum Einsatz digitaler landeskundlicher Zeitschriftenartikel im DaF-Unterricht beschrieben. Im dritten Kapitel wird die Evaluation des Lernarrangements aus der Sicht der teilnehmenden Studierenden dargestellt. Zum Schluss werden die Befunde zusammengefasst und im Hinblick auf den aktuellen Forschungsstand diskutiert.

2 Digitales Lesen

Im Folgenden wird zuerst ein kurzer Forschungsüberblick über die Besonderheiten des digitalen Lesens in der Erstsprache gegeben, danach wird auf Studien zum Lesen digitaler Texte in der Fremdsprache eingegangen.

2.1 Digitales Lesen im einsprachigen Kontext

Digitales Lesen (E-Reading) kann in Anlehnung an Weidenmann (2002) anhand von Merkmalen wie Multimedialität (unterschiedliche Speicher- und Präsentationssysteme der Texte), Multicodalität (die Verbindung von Schrift mit Bildern/Grafiken) und Multimodalität (visuelle und auditive Wahrnehmung von Texten) beschrieben werden.

Digitale Texte können sowohl wie analoge Texte (jeder Text einzeln für sich) als auch in Form von Hypertexten gelesen werden. Unter Hypertexten sind internetbasierte, diskursiv strukturierte, interaktive Textdokumente zu verstehen, die multimediale Einheiten enthalten können und durch Links miteinander netzartig verknüpft sind (vgl. Wanning 2015). Anders als z.B. bei Lehrbuchtexten handelt es sich hierbei um authentische Lesematerialien (vgl. Hallet 2008: 4). Der Leseprozess wird dabei von den Lesenden autonom gestaltet und ständig neu strukturiert, indem sie einen Hypertext über verschiedene Links und durch eigene Lesewege entwickeln (vgl. Suñer 2008: 7–8; Wanning 2015: 911–912). Beim Lesen eines Hypertextes werden die aus dem analogen Lesen bereits bekannten Lesestile verwendet. Dominierend ist jedoch das extensive (kursorische) Lesen, bei dem mehrere, unterschiedlich lange Texte mit dem Ziel eines globalen Leseverstehens unabhängig von der Lehrperson gewählt und gelesen werden (vgl. Leisen 2020: 5).

Im Bereich des digitalen Lesens beschäftigt sich die Forschung mit unterschiedlichen Fragestellungen. Zum einen werden Herausforderungen des digitalen Lesens untersucht, da digitale Texte durch ihre Multimodalität und Interaktivität erhöhte kognitive Anforderungen an die Lernenden stellen (vgl. Salmerón/Strømsø/Kammerer/Stadtler/van den Broek 2018; Wylie/Thomson/Leppanen/Ackerman/Kanniainen/Prieler 2018). Zum anderen werden medienspezifische Unterschiede zwischen analogem und digitalem Lesen erforscht (vgl. Golan/Barzillai/Katzir 2018; Halamish/Elbaz 2019). So stellen Delgado, Vargas, Ackerman & Salmerón (2018) in einer Metastudie zu den Auswirkungen digitaler Technologien auf die Lesefertigkeit fest, dass die Textverständlichkeit unter Zeitdruck bei längeren (Sach-)Texten auf dem Papier höher ist als am Bildschirm, während bei narrativen Texten in Bezug auf die Textverständlichkeit keine Unterschiede zwischen analoger und digitaler Form festzustellen sind.

Aktuelle Forschungsergebnisse zum Einfluss der Digitalisierung auf Lesepraktiken werden in der Stavanger-Erklärung zur Zukunft des Lesens zusammengefasst und reflektiert (vgl. COST E-READ 2019). Darüber hinaus werden auch Empfehlungen für die Praxis gegeben; z.B. dass die Textpräsentation auf individuelle Interessen und Bedürfnisse abgestimmt sein soll oder dass Lernenden Strategien vermittelt werden sollen, die ein tieferes Leseverstehen auf digitalen Endgeräten ermöglichen. Studien mit Jugendlichen zeigen jedoch auch, dass die digitale Lesekompetenz nicht mit der Verfügbarkeit von digitalen Endgeräten, sondern vielmehr mit der Einstellung der Lesenden gegenüber den Informations- und Kommunikationstechnologien zusammenhängt (vgl. Naumann/Sälzer 2017). Im Hinblick auf die künftige Forschung werden in der Stavanger-Erklärung auch Fragen zur Effektivität des Einsatzes digitaler Texte in unterschiedlichen Lesekontexten sowie der Förderung einer tieferen Textverarbeitung aufgeworfen (vgl. COST E-READ 2019:1–2). Um ein tiefergehendes Leseverstehen zu sichern, sollte auch das intertextuelle Integrieren, also die kognitive Verbindung von separat abgespeicherten Informationen aus verschiedenen Lesequellen, und das sog. Sourcing, d. h. die Erkennung bedeutungsrelevanter Informationen und die Hinterfragung ihrer Quellen, trainiert werden (vgl. Philipp 2021: 216).

2.2 Digitales Lesen in der Fremdsprache

Die Literaturforschung zum digitalen Lesen in der Fremdsprache zeigt, dass Fremdsprachenlernende beim digitalen Lesen einen komplexen kognitiven Prozess durchlaufen, der die papierbasierten Lesestrategien mit Computer- und Medienkompetenzen verbindet (vgl. do Amaral/Torres/Tomitch 2018). In der Studie zum extensiven Lesen, die Arnold (2009) mit DaF-Studierenden in den USA durchgeführt hat, berichten die Befragten, dass sie das Erschließen unbekannter Wörter aus dem Kontext, das Durchführen mehrerer Lesevorgänge einzelner Passagen und das Verwenden von Online-Wörterbüchern einsetzen. Außerdem zeigen Studien zum Online-Lesen in der Fremdsprache (vgl. Ahmadian/Pasand 2017; Azmuddin/Nor/Hamat 2017; Taki 2015), dass die Lernenden bewusst mit Leseproblemen in der Fremdsprache umgehen, bei Konzentrationsverlust den Text erneut lesen sowie für eine bessere Verständlichkeit langsam und sorgfältig lesen. Darüber hinaus werden weitere online-spezifische Lesestrategien festgestellt (vgl. Gilbert 2017; Usó-Juan/Ruiz-Madrid 2009; Zaki/Hassan/Razali 2008), die aufgrund der spezifischen kognitiven Anforderungen, die die Hypertexte stellen, erforderlich sind (vgl. Park/Kim 2011 und 2017; Park/Yang/Hsieh 2014). Diese neuen Strategien betreffen Computerkenntnisse, Navigation zwischen Hypertexten sowie Nutzung von Applikationen und Zubehör.

Ausgehend von den allgemeinen Textverarbeitungsmodellen und Textverarbeitungsebenen geht Suñer (2008) auf die Unterschiede zwischen dem Lesen in der Erstsprache und in der Fremdsprache ein. Diese sind hauptsächlich auf der grapho-phonischen, semantischen und syntaktischen Ebene anzusiedeln, bedingt durch Sprachdefizite und fehlende Automatisierung in der Fremdsprache:

Mit diesen L2-spezifischen Verarbeitungsschwierigkeiten an der Textoberfläche hängt sehr oft eine defizitäre Konstruktion eines mentalen Modells des Textes zusammen, die im Gegensatz zu einer propositionalen Textrepräsentation als tiefergehendes Textverstehen angesehen wird (Suñer 2008: 7).

Jedoch können Fremdsprachenlesende beim thematischen Überblick und Konstruktionsprozess eines Hypertextes durch den Einsatz von Visualisierungen sinnvoll unterstützt werden (vgl. Suñer 2008: 11).

Auch die affektiven Bestandteile des digitalen Lesens in der Fremdsprache werden erforscht. In der bereits erwähnten Studie von Arnold (2009) wird gezeigt, dass Online-Texte die Lesemotivation und das Selbstvertrauen positiv beeinflussen können. Dies wird darauf zurückgeführt, dass die Studierenden beim Lesen eines Hypertextes ihren eigenen Lesepfad bestimmen können, wodurch die Informationsentnahme und das Lesevergnügen gewährleistet werden (vgl. 355).

3 Lesen digitaler Magazinbeiträge im DaF-Lehramtsstudium am Beispiel eines Seminars

In der pandemiebedingten Online-Lehre stellte sich in unserem Seminar für türkische DaF-Lehramtsstudierende an der Bursa Uludağ Universität die Frage nach geeigneten Lernarrangements mit dem Schwerpunkt digitales Lesen, welche einen hohen pädagogischen Mehrwert aufweisen sollten. Unter Lernarrangements wird dabei die Kombination unterschiedlicher Lernumgebungen und Lernszenarios verstanden, die zu einem selbstgesteuerten Lernen führen (vgl. Stangl 2021).

Das Lesen von Magazinbeiträgen – eine traditionelle analoge Lesetätigkeit – wurde in unserem Lernarrangement aufgrund des schnellen und kostenlosen Zugriffs auf zahlreiche authentische Textquellen in ein digitales Format übertragen.

Im Folgenden werden zunächst die Rahmenbedingungen unseres Leseseminars kurz beschrieben. Danach wird ein Einblick in die Gestaltung des digitalen Lernarrangements zum Thema „Deutsche Städte” gegeben.

3.1 Rahmenbedingungen

Das sprachpraktische Seminar „Lesefertigkeit II” wurde im Bachelor-Studiengang „Deutsch als Fremdsprache auf Lehramt” an der erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Bursa Uludağ Universität (Türkei) durchgeführt. Das Seminar wurde im ersten Studienjahr (zweites Semester) mit zwei Semesterwochenstunden angeboten und zielte auf die Entwicklung des Kompetenzbereichs Leseverstehen auf dem B1-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens ab (vgl. Europarat 2020: 65–71). Als seminartragendes Lehrwerk wurde „Netzwerk B1.2“ eingesetzt, aus dem Lesetexte mit Aufgaben und Übungen bearbeitet wurden. Im pandemiebedingten Online-Sommersemester 2021 wurden alle Seminarsitzungen synchron via Google Meet-Videokonferenzen durchgeführt und aufgezeichnet.

3.2 Gestaltung des Lernarrangements mit dem Schwerpunkt Digitales Lesen

Im Folgenden werden wir das digitale Lernarrangement zum Unterthema „Typisch Kölsch” (Lektion 11 „Vom Leben in Städten”) vorstellen. Dazu werden zunächst die zu erwerbenden Kompetenzen aufgeführt und dann wird die Umsetzung im Leseseminar vorgestellt.

Am Ende der Unterrichtseinheiten sollen die Studierenden:

  • unterschiedliche Lesezwecke und Lesestile, wie zur Orientierung lesen, Informationen und Argumentationen verstehen, Lesen als Freizeitbeschäftigung (vgl. Europarat 2020: 65–72), sowie extensives Lesen von Hypertexten kennen lernen;

  • webbasierte Lernangebote des Goethe-Instituts (das Webmagazin „Deutschland #noFILTER” mit der Rubrik „Stadtkonturen”, die Artikel mit Stadtporträts enthält, sowie die dazugehörige Instagram-Seite) kennen lernen;

  • die wesentlichen Informationen in Texten über die Besonderheiten einer deutschen Stadt erfassen können;

  • die wichtigsten Informationen über die Besonderheiten einer deutschen Stadt mit Hilfe eines Padlet als Leseprodukt visuell darstellen können (Medienkompetenz zur Unterstützung des digitalen Lesens);

  • den eigenen Leseprozess in asynchronen Seminarphasen selbstorganisierend und selbstregulierend gestalten können (Selbstkompetenz).

Für einen besseren Überblick soll unten das digitale Lernarrangement tabellarisch dargestellt werden:

Tab. 1

Digitales Lernarrangement im Leseseminar B1

Zeit selbstgesteuertes Lernen (asynchron) / Vorbereitung auf Seminarsitzungen Seminarsitzungen (synchron, Videokonferenzen)
Woche 1 • Text „Meine ersten Tage in Köln” lesen (analoges Lernangebot des Lehrwerks, Lektion 11)
• Textzusammenfassung, unbekannte Wörter, Textaufgaben und Übungen erarbeiten
•Text und dazugehörige Aufgaben besprechen
• Rubrik „Stadtkonturen” und die Instagram-Seite dazu (digitales Lernangebot des Goethe-Instituts) vorstellen
• Lernberatung zu weiteren digitalen Lernangeboten des Goethe-Instituts
Woche 2 • Text „Stadtkonturen Köln: Für Schwindelfreie und Feierwillige” lesen (digitales Lernangebot des Goethe-Instituts)
• Textzusammenfassung, unbekannte Wörter erarbeiten
•ein eigenes Kreisdiagramm zu Köln (Leseprodukt) ohne Vorgabe von Tools erstellen
•Text und Kreisdiagramme der Studierenden besprechen
• Lernberatung im Hinblick auf Lesestile
• Lernberatung zu Padlet
Wochen 3-6 • einen selbstgewählten Text zu einer deutschen Stadt lesen (digitales Lernangebot des Goethe-Instituts)
• Textzusammenfassung, unbekannte Wörter erarbeiten
• ein Leseprodukt zum Text mit Padlet erstellen
• Texte und Leseprodukte der Studierenden besprechen
• Lernberatung im Hinblick auf die Gestaltung der asynchronen Lernphase (Lernerautonomie)

Der Tabelle lässt sich entnehmen, dass folgende Webangebote des Goethe-Instituts als zusätzlicher digitaler Sprachinput in das Seminar integriert wurden:

  • ausgewählte Beiträge des Webmagazins „Deutschland #noFILTER” zu unterschiedlichen deutschen Städten (die Rubrik „Stadtkonturen”);

  • Kreisdiagramme (als Instagram-Posts) mit den Schlüsselbegriffen aus den Stadtkonturen-Texten.

Durch die asynchronen Lernphasen zur Vorbereitung auf die Seminarsitzungen konnten die Studierenden ihre Selbstlernkompetenz weiterentwickeln. Im Sinne der Lernerautonomie sollten sie ihre Lernprozesse selbstregulierend und selbstorganisierend gestalten (vgl. dazu auch Apeltauer/Şenyıldız 2015). Dazu sollten sie wöchentliche Aufgaben bearbeiten und auf die Lehr- und Lernplattform Google Classroom hochladen, wo sie von der Seminarleitung bewertet und schriftlich kommentiert wurden. Dazu gehörten u.a. ein Kreisdiagramm bzw. eine Grafik, welche mit Informationen aus dem Text zuerst ohne Vorgabe von Tools und dann mit Hilfe der interaktiven digitalen Tafel Padlet (vgl. dazu auch Lay/Giblett 2020: 558–563; Pfiffner/Sterel/Hassler 2021: 79–80; Reichwein 2021: 55–56) zu erstellen waren. Das Ziel bei der Erstellung der Leseprodukte mithilfe von Padlet war die tiefergehende Verarbeitung der gelesenen digitalen Texte.

4 Evaluation des digitalen Lernarrangements

Im Folgenden wird die Evaluation des digitalen Lernarrangements vorgestellt. Sie fand in Anlehnung an das Konzept der Qualitativen Evaluation von Kuckartz/Dresing/Rädiker/ Stefer (2007) statt, das für universitäre Lehrveranstaltungen entwickelt wurde. Wir verwendeten dabei:

  • – einen Online-Fragebogen (über Google Formulare) vor der Durchführung des Lernarrangements, um den Bekanntheitsgrad von Online-Materialien des Goethe-Instituts bei den Studierenden und ihr Interesse daran zu eruieren,

  • – ein Online-Gruppeninterview (über Google Meet) am Semesterende, um ihre Erfahrungen und Bewertungen hinsichtlich des digitalen Lernarrangements zu erheben.

Die Befragungen wurden wegen einer besseren Verständlichkeit auf Türkisch durchgeführt und anschließend ins Deutsche übersetzt. Die Aussagen aus dem Gruppeninterview wurden im Sinne der Qualitativen Inhaltsanalyse von Mayring (2002) zur Auswertung textbasierter Daten sowohl material- als auch theoriegeleitet kodiert und analysiert.

4.1 Fragebogen

Der Fragebogen wurde vor der Durchführung des digitalen Lernarrangements eingesetzt, um herauszufinden, ob die Studierenden:

  • das Webmagazin und die Instagram-Seite des Goethe-Instituts kennen und regelmäßig nutzen,

  • damit im Rahmen des Leseseminars arbeiten möchten,

  • diese Quellen für die Entwicklung ihrer sprachlichen Kompetenzen nützlich finden.

Dabei wurden sowohl geschlossene Fragen mit Ja-/Nein-Antwortmöglichkeiten als auch endpunktbenannte Likert-Skalen mit fünf Skalenpunkten eingesetzt. Die numerische Auswertung erfolgte mit Google Formulare.

An der schriftlichen Befragung nahmen 14 Studierende teil, davon waren zehn weiblich und vier männlich. Das Durchschnittsalter der Studierenden lag bei 20,85 Jahren. Da wegen der Covid-19-Pandemie die sonst an türkischen Hochschulen geltende Anwesenheitspflicht abgeschafft wurde, lag die regelmäßige Teilnahme am Online-Seminar zum Zeitpunkt der Fragebogenerhebung bei 64,3 %.

Die Auswertung des Fragebogens zeigte, dass alle Studierenden die Internetseite des Goethe-Instituts kannten und dort den Onleihe-Service (E-Books) im Rahmen des Leseseminars regelmäßig nutzten. Dagegen kannten nur 21,4 % der Befragten die Instagram-Seite des Goethe-Instituts und sahen sich die dort geposteten Beiträge an. 78,6 % der Studierenden gaben an, dass sie Interesse an der Nutzung der digitalen Lernmöglichkeiten des Goethe-Instituts im Seminar hätten, wobei der Rest unentschieden war. Diese durchaus positive Einstellung kann darauf zurückgeführt werden, dass 85,7 % der Studierenden darin ein großes Potential für die Entwicklung ihrer sprachlichen Kompetenzen sehen würden. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Ergebnisse des Fragebogens eine positive Grundeinstellung der Studierenden zum geplanten Lernarrangement bezeugten.

4.2 Gruppeninterview

Das 27-minütige halbstrukturierte Leitfaden-Gruppeninterview wurde am Semesterende mit vier Studierenden durchgeführt, die eine regelmäßige und aktive Teilnahme am Seminar vorweisen konnten. Durch den Einsatz des Interviews wurden die Evaluation des digitalen Lernarrangements im Seminar sowie die Reflexion des digitalen Leseverhaltens der Studierenden angestrebt.

Im Einzelnen wurden dabei folgende Aspekte fokussiert:

  • die Bewertung des digitalen Lernarrangements im Leseseminar,

  • die Reflexion des Leseprozesses im digitalen Umfeld am Beispiel von Stadtkonturen-Texten aus dem Webmagazin des Goethe-Instituts (digitale Lesekompetenzen),

  • die Reflexion des Erstellungsprozesses von digitalen Leseprodukten zu den gelesenen Texten (Medienkompetenzen zur Unterstützung des digitalen Lesens).

Im Folgenden wird die Auswertung der Antworten präsentiert.

Wie bewerten Sie das Lernarrangement zum digitalen Lesen im Seminar?

Es zeigte sich eine insgesamt positive Einstellung der Befragten zum Lesen von digitalen Magazinbeiträgen, da die Studierenden dadurch landeskundliche Informationen bekommen konnten sowie diese als einen wichtigen Teil der Sprache und der Kultur des Zielsprachenlandes sahen.

Auf die Frage nach dem Nutzwert des digitalen Lernarrangements wurde Folgendes genannt:

  • die Verbindung des Sprachenlernens mit den landeskundlichen/interkulturellen Inhalten (2)

  • „Es war auf jeden Fall sehr nützlich, weil es wichtig war, die kulturellen Besonderheiten, Städte, Gewohnheiten usw. eines Landes kennenzulernen, dessen Sprache wir lernen” (5–6DW).

  • „Es ist eine gute Gelegenheit, die Kultur kennenzulernen” (14–15CW).

  • Motivation durch das Lesen digitaler Texte mit persönlicher Relevanz und dadurch ein nachhaltigeres Lernen (1)

  • „Informationen, die wir finden können, sind begrenzt, aber die Informationen, die wir bei solchen Aufgaben finden, machen mehr Spaß und das, was wir lernen, wird langanhaltender” (13–14CW).

Wie haben Sie die digitalen Magazinbeiträge gelesen?

Im Hinblick auf das Lesen digitaler Texte im Seminar zeigte sich, dass folgende Lesestrategien und -techniken aus dem analogen auf den digitalen Kontext übertragen wurden:

  • mehrere Lesedurchgänge (2)

  • lautes Vorlesen und globales Lesen beim ersten Lesedurchgang, um das Thema und die Schlüsselwörter zu erfassen (2)

  • Satz für Satz-Übersetzen beim zweiten Lesedurchgang (1)

  • Erraten der Bedeutung unbekannter Wörter aus dem Kontext und anhand von Wortbildungsregularitäten (4)

  • Notieren unbekannter Wörter (2)

Darüber hinaus stellte sich heraus, dass alle Studierenden bei Verstehensproblemen Online-Wörterbücher, etwa Tureng (mehrsprachig, Deutsch-Englisch), Duden (einsprachig, Deutsch) sowie Web2.0-Übersetzungstools wie Google Translate nutzten. Anders als beim analogen Lesen wurden dabei nicht nur einzelne Wörter, sondern auch größere sprachliche Einheiten wie Sätze und Paragraphe durch Kopieren und Einfügen schnell übersetzt:

Wenn ich den Satz auch im Kontext nicht verstehe, nehme ich Translate zur Hilfe, weil einige Sätze sehr lang und mit vielen Konjunktionen verbunden sind. Auch wenn ich die Bedeutung des Wortes kenne, verstehe ich es manchmal nicht (59–63DW).

Eine Probandin (BW) nutzte den digitalen Text als Ausgangspunkt für weitere eigenständige Recherchen, indem sie zusätzliche Informationen auf den entsprechenden Internetseiten über die im Text vorkommenden Sehenswürdigkeiten las und dadurch einen eigenen Hypertext erstellte:

Ich habe erforscht, was tatsächlich in den Veranstaltungen oder Orten gemacht wird. Manche haben auch ihre eigenen Internetseiten. Ich habe insbesondere diese recherchiert. Es hat mich dazu gebracht, andere Artikel zu lesen, was eigentlich besser für mich war. Ich habe mehr gelernt (81–84BW).

Wie haben Sie die digitalen Leseprodukte zu den gelesenen Magazinbeiträgen erstellt?

Zu den gelesenen digitalen Magazinbeiträgen sollten die Studierenden fünf Wochen lang ein digitales Leseprodukt erstellen. Dadurch sollte der Leseprozess dieser authentischen fremdsprachlichen Texte unterstützt und strukturiert werden. Es handelte sich um ein Diagramm bzw. eine Grafik, die zuerst ohne Angabe von Tools (die Studierenden präferierten dabei Microsoft Word) und später nach unserer Vorgabe mit Padlet vorbereitet wurden. Nur ein Student (AM) konnte diese Aufgabe erst am Semesterende einreichen, was er mit einem pandemiebedingten Motivationsverlust im Studium begründete.

Die Erstellung von Kreisdiagrammen mit Hilfe von Microsoft Word wurde im Interview als umständlich und daher als nicht befriedigend bezeichnet (2). Die Studierenden verwendeten dabei nur Schlüsselwörter aus den Texten und keine Abbildungen. Dagegen waren alle Befragten, obwohl sie zuvor keine Erfahrungen mit Padlet hatten, mit diesem Tool aus folgenden Gründen zufrieden:

  • praktische und einfache Nutzung (2)

  • vorgegebene Schablonen (1)

  • schnelles Einfügen von Bildern (1)

Aufgrund dieser positiven Erfahrungen gaben zwei Studierende (BW, CW) an, dass sie das Padlet auch in den bevorstehenden Unterrichtspraktika und später im Beruf einsetzen wollen.

Bei der Beschreibung des Erstellungsprozesses von digitalen Pinnwänden mit Padlet schilderten zwei Befragte (CW, DW), dass sie ausgewählte Bilder, Überschriften bzw. Schlüsselwörter aus den gelesenen Texten verwendeten. Wie in der Interviewfrage zum digitalen Lesen bereits erwähnt, führte eine Probandin (CW) eine eigenständige Internetrecherche zum Thema des Textes durch und stellte die Ergebnisse dieser Recherche in Form von Bildern und zusätzlichen Informationen auf der digitalen Pinnwand zusammen: „Ich wollte kreativere und andere Dinge schreiben und sie nicht direkt dem Text entnehmen. Deshalb habe ich ein bisschen interpretierend geschrieben” (85–86CW).

5 Diskussion und Ausblick

Digitales Lesen bietet durch die Authentizität, ein reiches Angebot und die leichte Erreichbarkeit zahlreicher Möglichkeiten für den Fremdsprachenunterricht. Ähnlich wie bei Arnold (2009) zeigten unsere Untersuchungsergebnisse, dass unsere Studierenden, die zu „Digital Natives” (vgl. Prensky 2001) gehören, ein großes Interesse an digitalen Lernmöglichkeiten und eine positive Einstellung zum digitalen Lesen hatten. Unsere Lernenden gaben an, dass die selbst ausgewählten Magazinbeiträge nicht nur für ihre sprachliche Entwicklung eine gute Anregung boten, sondern auch landeskundliche und interkulturelle Informationen vermittelten. Diese positive Einstellung kann u.a. dadurch erklärt werden, dass die eingesetzten Texte kein tieferes Verständnis unter Zeitdruck und kein Behalten größerer Informationsmengen erforderten, was auch von Delgado et al. (2018) im Hinblick auf Textverständlichkeit bei informativen und narrativen Textsorten festgestellt wurde.

In den Stavanger-Erklärungen wird die Frage nach den spezifischen Vorteilen des digitalen Lesens gegenüber dem Lesen auf dem Papier gestellt (vgl. COST E-READ 2019). Diese kann für unseren Forschungskontext so beantwortet werden, dass das digitale Format das einfachere Verstehen des Gelesenen in der Fremdsprache ermöglicht, weil die Lernenden ihre Verstehenslücken (Lakunen) durch das einfache und schnelle Kopieren und Einfügen längerer Textpassagen in die Online-Übersetzungsprogramme schließen können. Das dürfte dazu führen, dass die Leseflüssigkeit erhöht wird und mögliche Frustrationen vermieden werden.

Beruhend auf den Ergebnissen unserer Untersuchung kann festgestellt werden, dass Magazinbeiträge einen geeigneten Kontext für digitales Lesen bilden, auf deren Grundlage weitere Lernarrangements entwickelt werden können. Mit Hilfe sinnvoller Leseaufträge, die zum kollaborativen Erstellen innovativer digitaler Leseprodukte führen, könnte der pädagogische Mehrwert von Unterrichtsaktivitäten (vgl. das SAMR-Modell von Puentedura 2006 und 2012) deutlich erhöht werden.

Der Leseauftrag in unserem Seminar beinhaltete das Erstellen digitaler Leseprodukte. Auf ihre Relevanz u.a. für das extensive Lesen weist z.B. auch Leisen (2020: 7) hin. Bei ihrer Vorbereitung nutzten die Studierenden auf unsere Empfehlung Padlet und berichteten im Interview über ihre positiven Erfahrungen damit aufgrund der Benutzerfreundlichkeit und Vielseitigkeit, was auch von z.B. Lay/Giblett (2020) für den DaF-Unterricht festgestellt wird.

Sichtbar wird auch, dass das digitale Lesen ein individueller Prozess ist, bei dem die Befragten Strategien aus dem papierbasierten Lesen auf das digitale übertragen (vgl. do Amaral et al. 2018), wie etwa das Erschließen aus dem Kontext oder Notieren unbekannter Wörter. Unsere Interviewergebnisse zeigten, dass auch „Digital Natives” (vgl. Prensky 2001) mit dem unterrichtsbezogenen Lesen von Hypertexten vertraut gemacht werden sollen. Denn nur eine Probandin nahm den Zeitungsartikel zum Anlass, über die dort berichteten Orte und Ereignisse zu recherchieren und auf diese Weise durch das extensive Lesen einen eigenen Hypertext zu erstellen. Daher sollten die Besonderheiten des digitalen Lesens im fremdsprachlichen Kontext, Lesestile (insbesondere das extensive Lesen) und Lesestrategien sowie die Eigenschaften von Hypertexten – z.B. im Rahmen eines hybriden Sprachlerncoachings (vgl. Doğan 2021) oder einer Sprachlernberatung (vgl. Hoffmann 2019) – thematisiert und reflektiert werden.

Literatur

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Apeltauer, Ernst & Şenyıldız, Anastasia (2015): Lernerautonomie: Vorstellungen und Einstellungen mehrsprachiger türkischer Lehramtsstudierender. Moderna sprak 109: 1, 13–29. http://ojs.ub.gu.se/ojs/index.php/modernasprak/article/view/3100/2665 (12.01.2022).

Arnold, Nike (2009): Online Extensive Reading for Advanced Foreign Language Learners: An Evaluation Study. Foreign Language Annals 42: 2, 340–366

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COST E-READ (2019): Stavanger Declaration Concerning the Future of Reading. http://ereadcost.eu/wp-content/uploads/2019/01/StavangerDeclaration.pdf (19.07.2022).

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do Amaral, Juliana; Torres, Marília Camponogara & Tomitch, Lêda Maria Braga (2018): Strategic Behavior in Digital Reading in English As a second/foreign Language: A Literature Review. BELT - Brazilian English Language Teaching Journal 9: 1, 133–145.

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Kurzbio

Nurseza Keleş ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Bursa Uludağ Universität (Türkei). Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen soziale und digitale Medien in der Fremdsprache.

Anastasia Şenyıldız ist Professorin an der Deutschabteilung der erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Bursa Uludağ Universität (Türkei). Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Berei-chen des frühen Zweispracherwerbs und der Vermittlung des Deutschen als Fremdsprache.

Anschrift:

Nurseza Keleş

Prof. Dr. Anastasia Şenyıldız

Bursa Uludağ Universität

Erziehungswissenschaftliche Fakultät

Abteilung für die Deutschlehrendenausbildung

16159 Bursa, Türkei

E-Mail: nursezakeles@uludag.edu.tr

E-Mail: asenyildiz@uludag.edu.tr

Tel.: +902242942272

Tel.: +902242942274

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  • Nurseza Keleş (Bursa Uludağ Universität)
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