Die Ergebnisse der internationalen PIAAC-Studie geben einen Hinweis darauf, warum das Buch Deutsch für den Beruf von Constanze Niederhaus relevant ist. In über 30 OECD-Ländern wurden drei Kompetenzen bei Erwachsenen zwischen 16 und 65 Jahren gemessen: Lesekompetenz, alltagsmathematische Kompetenz und technologieorientierte Problemlösefähigkeit. Die Resultate der Erwachsenen in Deutschland aus der letzten Testphase im Jahr 2013 sind ernüchternd: Die nur unterdurchschnittliche Lesekompetenz Erwachsener in Deutschland wird flankiert von nur durchschnittlichen Fähigkeiten in den beiden anderen Bereichen – technologiebasierte Problemlösefähigkeit und alltagsmathematische Kompetenz. Dabei halten die Autorinnen der deutschen PIAAC-Studie fest, dass Sprachkompetenz der Schlüssel für berufliche und gesellschaftliche Teilhabe ist (vgl. Rammstedt/Ackermann/Helmschrott/Klaukien/Maehler 2013: 20). Für ein Land im Strukturwandel (vgl. BMAS 2019: 2–5), zu dessen wichtigen Ressourcen der produktive Umgang mit Wissen gehört, ist das alarmierend (vgl. OECD 2021: 35–37). Mangelnde Sprachkompetenz im Deutschen betrifft laut der PIAAC-Studie nicht nur Zweitsprachler:innen mit Migrationshintergrund. Auch Muttersprachler:innen haben vielfach nur (unter-)durchschnittliche Fähigkeiten. Um in Zeiten des Fachkräftemangels Menschen beruflich zu qualifizieren, braucht es effiziente Förderansätze auch für Menschen mit Deutsch als Muttersprache, die im Zusammenspiel von Forschung und Praxis entwickelt werden könnten. Menschen im Berufsleben sind den klassischen Bildungsinstitutionen wie Schule, Berufsausbildung oder (Fach-) Hochschule entwachsen und brauchen entsprechende Weiterbildungskonzepte im und für den Beruf. Um die berufliche Weiterbildung in Deutschland systematischer auszubauen und zu fördern, hat die Bundesregierung im Jahre 2019 die Nationale Weiterbildungsstrategie (NWS) initiiert (vgl. BMAS 2019). Im Kontext der beruflichen Weiterbildungen könnte das Buch von Constanze Niederhaus zukünftig noch vielfältigen Einsatz finden.
Niederhaus bietet mit Deutsch für den Beruf rund um die berufsbezogene Sprachdidaktik der deutschen Sprache ein grundlegendes Nachschlagewerk. Schon der Blick in das 5 1/2-seitige Inhaltsverzeichnis verdeutlicht den Umfang des Forschungs- und Anwendungsfeldes ‚Deutsch für den Beruf‘ und spiegelt die unterschiedlichen Anforderungen der in diesem didaktischen Kontext aktiven Zielgruppen: Studierende, Lehrende, Fortbildende, Kursplanende, Kursleitende und Forschende (vgl. Niederhaus 2022: 12–13). Der Reihentitel Grundlagen Deutsch als Fremd- und Zweitsprache legt zwar nominell einen Fokus auf diese Disziplinen, der tatsächliche Inhalt geht jedoch darüber hinaus. In 10 Kapiteln trägt Niederhaus auf 265 Seiten grundlegende Ergebnisse und Diskussionsstände zusammen, nicht nur aus den Forschungsbereichen Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache, sondern auch aus der muttersprachlichen Sprachdidaktik. Prägnante Zusammenfassungen nach jedem Kapitel erlauben die kursorische Lektüre, die nicht selten zur eigenen Fokussierung auf dort erwähnte Studien anregt.
Im Kapitel 1 bietet die Autorin einen Blick auf das wachsende und breite „Arbeitsfeld Deutsch für den Beruf“ und stellt fest, dass Deutsch am Arbeitsplatz bislang trotz der gesellschaftlichen Relevanz eher wenig Aufmerksamkeit erhalten hat (vgl. ebd.: 23). Hierbei gehe es nicht nur um ‚berufsbezogene Deutschkurse‘ am Arbeitsplatz oder zuvor ‚berufsbezogenen Deutschunterricht‘ in Schule oder Berufsschule. Vielmehr gehe es um eine flexible und offene Einbindung von vielfältigen Sprachförderinstrumenten in die formellen und informellen Weiterbildungsstrukturen im Berufsleben (vgl. Sander/Efing 2021: 21).
Niederhaus bietet in den folgenden 9 Kapiteln umfassende Grundlagen, damit Lehrende, Fortbildende und Kursplanende in einem ebenso komplexen wie heterogenen Anforderungsfeld eigene Förderangebote entwickeln können. Seien es die Diskussion um Berufssprache und Berufsdeutsch im Kapitel 2 „Sprache und Sprachverwendung im Arbeitsfeld Deutsch für den Beruf“, der Überblick im Kapitel 3 „Sprachbedarf“ und im Kapitel 4 „Ansätze der Erhebung, Ermittlung und Analyse sprachlicher Bedarfe und kommunikativer Praktiken im Arbeitsfeld Deutsch für den Beruf“ oder konkrete „Sprachlich-kommunikative Anforderungen, Bedarfe und Praktiken im Kontext Deutsch für den Beruf“ im Kapitel 5, in dem berufsübergreifende und branchenspezifische Studien vorgestellt werden, zum Beispiel in der Medizin, im Tourismus oder in technischen Berufen. Diese Zusammenschau liefert Berufspraktiker:innen Argumente, warum genau eine solche vorgelagerte Bedarfsanalyse zwar aufwändig sein kann, aber im Lernergebnis nachhaltiger ist als ein standardisiertes Kursangebot.
Das Thema „Lesen im Kontext Deutsch für den Beruf“ erhält im Kapitel 6 einen eigenen Fokus. Im Wissen, dass es nicht möglich ist, alle beruflichen Textsorten vollständig abzubilden, führt die Autorin dennoch zahlreiche orientierende Beispieltabellen mit Textsorten und ihren Funktionen auf. Dies liefert neben Berichten über Studien zur Kompetenzmessung bei (Berufs-)schüler:innen und Fördermaßnahmen einen guten Überblick.
Im Kapitel 7 „Schreiben im Kontext Deutsch für den Beruf“ macht Niederhaus deutlich, dass es zwar wissenschaftliche Ansätze zur Schreibkompetenzvermittlung gibt, eine Fokussierung auf die berufliche Anwendung jedoch in allen Stationen der Bildungssozialisation fehlt, sei es in der Schule, Berufsschule, (Fach-)Hochschule oder am Arbeitsplatz: „das beruflich veranlasste Schreiben wird zu wenig geübt“ (ebd.: 147). Woran das liegt und was dagegen getan werden könnte, bleibt ein Forschungsdesiderat.
Niederhaus nimmt nicht nur Lesen und Schreiben in den Blick, sondern auch das Sprechen. Kapitel 8 „Mündliche Kommunikation im Kontext Deutsch für den Beruf“ beschreibt zunächst allgemeine Anforderungen an kommunikative Kompetenz und Gesprächskompetenz, um dann auf branchenspezifische Anforderungen an mündliche Kommunikation einzugehen, zum Beispiel bei Friseur:innen, KFZ-Mechatroniker:innen, Jurist:innen oder Ärzt:innen.
Kapitel 9 stellt „Besondere Ansätze im Arbeitsfeld Deutsch für den Beruf“ vor. Dazu gehören didaktische Ansätze wie Szenariendidaktik, Teamteaching, Sprachcoaching oder Integriertes Fach- und Sprachenlernen (IFLS).
Das letzte Kapitel 10 „Sprachdiagnostik im Kontext Deutsch für den Beruf“ behandelt verschiedene sprachdiagnostische Verfahren im Beruf. Dabei stellt die Autorin fest, dass viele Verfahren aus dem Kontext Schule kommen und nur bedingt im Beruf eingesetzt werden können. In der heterogenen Berufslandschaft existieren kaum standardisierte Kompetenzniveaus, die eindeutig definiert und entsprechend gemessen werden könnten. Vorhandene Diagnostik-Ansätze werden vorgestellt und kritisch eingeordnet.
Fazit: Ergiebiges Lehrbuch für die Sprach- und Schreibdidaktik in Forschung und Praxis
Das Buch von Constanze Niederhaus Deutsch für den Beruf bietet einen umfassenden Ein- und Überblick in das didaktische Arbeitsfeld der Vermittlung von berufsbezogener Sprachkompetenz sowohl für Forschende als auch für Praktiker:innen in der (Berufs-)Schule und Weiterbildung. Die umfangreiche inhaltliche Ausrichtung und die trotz der Fülle sachlich knappe und übersichtliche Darstellung machen Forschungslücken und Desiderata deutlich. Für Forschende bietet es daher viele Anknüpfungspunkte, bestehende Forschungsergebnisse mit neuen Forschungsansätzen zu verbinden. Zudem regt diese übersichtliche Zusammenschau Praktiker:innen an, die eigene Lehrtätigkeit kritisch zu reflektieren und im didaktischen Diskurs zu verorten. Das ermöglicht begründete didaktische Entscheidungen für oder gegen bestimmte Lernarrangements im beruflichen Kontext und erhöht den Wert beruflicher Weiterbildungen.
Das ausführliche Register erlaubt die Nutzung als Nachschlagewerk. Vielleicht gibt es mit der nächsten Auflage eine zusätzliche elektronische Version des Buches, die eine automatische Suchfunktion nach eigenen Schlagwörtern ermöglichen würde. Mit Deutsch für den Beruf leistet Niederhaus einen Beitrag zur Professionalisierung der berufsbezogenen Sprach- und Schreibdidaktik, von der im Sinne der NWS die deutsche Weiterbildungslandschaft profitieren kann. Dieses Buch dient damit als Baustein, um eine seit langem konstatierte Forschungslücke zwischen Linguistik und Didaktik zu schließen: die Vermittlung von Sprach- und Schreibkompetenz im Beruf (vgl. Steffen 1995: 199–204; Jakobs 2008: 5; Schindler 2017: 119).
Literatur
BMAS (2019): Nationale Weiterbildungsstrategie. Wissen teilen. Zukunft gestalten. Zusammenwachsen. Bundesministerium für Arbeit und Soziales und Bundesministerium für Bildung und Forschung. Berlin. https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/downloads/files/nws_strategiepapier_barrierefrei_de.pdf?__blob=publicationFile&v=1 (13.01.2023).
Jakobs, Eva-Maria (2008): Berufliches Schreiben: Ausbildung, Training, Coaching. Überblick zum Gegenstand. In: Jakobs, Eva-Maria & Lehnen, Katrin (Hrsg.): Berufliches Schreiben. Ausbildung, Training, Coaching. [Textproduktion und Medium 9]. Frankfurt et al.: Peter Lang, 1–14.
OECD (Eds.) (2021): Continuing Education and Training in Germany. Getting Skills Right. Paris: OECD Publishing.
Rammstedt, Beatrice; Ackermann, Daniela; Helmschrott, Susanne; Klaukien, Anja & Maehler, Débora B. (Hrsg.) (2013): Grundlegende Kompetenzen Erwachsener im internationalen Vergleich. Ergebnisse von PIAAC 2012. Münster: Waxmann. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-360687 (26.01.2024).
Sander, Isa-Lou & Efing, Christian (Hrsg.) (2021): Der Betrieb als Sprachlernort. Tübingen: Narr Francke Attempto.
Schindler, Kirsten (2017): Studium und Beruf. In: Becker-Mrotzek, Michael; Grabowski, Joachim & Steinhoff, Torsten (Hrsg.): Forschungshandbuch empirische Schreibdidaktik. Münster: Waxmann, 109–123.
Steffen, Karin (1995): Schreibkompetenz. Schreiben als intelligentes Handeln. [Germanistische Texte und Studien 52]. Hildesheim: Olms-Weidmann.
Stefanie Marek, Schreibkonzepte Schreib- und Kommunikationsberatung München