Sprachunterricht und Interkulturelle Kommunikation bilden seit Ende der 1970er Jahre eine didaktische Zugewinngemeinschaft, der großes Potenzial zugesprochen wird (vgl. u.a. Meyer [im Erscheinen]; Cnyrim 2020; Göhring 1976). Gleichzeitig blieben Unterrichtskonzepte und Lehrbücher oft hinter dem Anspruch zurück, beide Fachgebiete auf ihrem jeweiligen Forschungsstand adäquat zu verbinden. So fehlen immer noch überzeugende und für den Sprachunterricht handhabbare Vorschläge, die beide Bereiche jenseits essentialistischer Sprach- und Kulturkonzepte (d.h. der Vorstellung von Sprachen und Kulturen als klar voneinander abgrenzbaren Systemen) auf theoretisch gut fundierter Grundlage miteinander verknüpfen und auch für Praktiker*innen umsetzbar sind. Baker und Ishikawa legen nun ein Lehrbuch vor, um diese Lücke zu schließen, das dem Rechnung trägt, was sie als „the ‘trans’ dimension in which languages and cultures are seen as transcending boundaries and borders“ (S.x) bezeichnen: Also als jene Dimension, in der Sprachen und Kulturen als Grenzen überschreitend angesehen werden. Ihr breiter Überblick über bisherige Forschungsergebnisse in Kombination mit ihrer langjährigen Erfahrung im Unterrichten des Englischen als ‚multilingua franca‘ verbindet aktuelle Theorien verständlich und praxisnah zu neuen Vorschlägen für die Unterrichtspraxis in (Fremd-)Sprachen und Interkultureller Kommunikation. Dabei dient die globale ‚multilingua franca‘ Englisch als exemplarisch: Erkenntnisse und Anwendungsbeispiele können mühelos auf den Kontext anderer Sprachen übertragen werden, die ebenfalls als globale Verkehrssprachen fungieren.
Auf beiden Gebieten – der Sprachdidaktik wie der Interkulturellen Kommunikationsforschung – gelten universalistische Vorstellungen als überholt (vgl. etwa Ansätze wie „Inclusive Multilingualism“ (Backus/Gorter/Knapp/Schjerve-Rindler/Swanenberg/ten Thije/Vetter 2013) oder zum Gebrauch der globalen Lingua franca Englisch (Roelcke 2021) in der angewandten Linguistik und Jürgen Boltens ‚fuzzy culture‘-Konzept (2013), um nur wenige zu nennen). Wie jedoch Mehrsprachigkeit und Multikulturalität anders als additiv (neben- oder hintereinander) lehr- und lernbar sind, ist vielen noch unklar. Mit der Veröffentlichung des Begleitbandes zum Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen kamen Begriffe wie Translanguaging, Multilanguaging (also auf mehrsprachigen Repertoires basierende Problemlösungsstrategien) oder die Vorstellung von mehrsprachigen Praxen bei der Sprachenwahl als neue Anforderungen hinzu, für die kaum didaktische Umsetzungen ausgearbeitet sind. Hier schaffen Baker und Ishikawa Abhilfe mit ihrem ebenso verständlichen wie praxisnahen Lehrbuch. Jedes einzelne Kapitel erarbeitet zunächst das erforderliche theoretische Fundament und macht die vorgestellten Begriffe und Modelle durch konkrete Übungsbeispiele anschaulich.
Insgesamt vier Teile erörtern 1. Kernfragen zum Verständnis von Kultur, Sprache und Global Englishes1, 2. kritische Ansätze, 3. aktuelle Themen und Gebiete zu diesen drei Bereichen sowie 4. die Konsequenzen daraus für das Lehren und Lernen von Kultur, Sprache und Global Englishes.
Im ersten Teil des Lehrbuchs werden die grundlegenden Begriffe definiert. Wenig überraschend stellen die Autoren die Schwierigkeit fest, eine einzige oder einheitliche Definition von Kultur vorzuschlagen, und erörtern stattdessen die Bedeutung bisher bekannter Paradigmen für den jeweils präferierten Kulturbegriff. Dazu beschreiben sie die Auffassung von 1) Kultur als Produkt (wofür sie im Wesentlichen positivistische, universalistische Ansätze heranziehen), 2) Kultur als symbolisches (semiotisches) System zur Bedeutungsaushandlung, 3) Kultur als geteilter Diskurs, 4) Kultur als soziale Praxis und letztlich 5) Kultur als geteilte Ideologie und Narrativ (am Beispiel kritischer Ansätze). Überraschend ist dabei vielmehr die hohe Anschlussfähigkeit zur Beschreibung des ‚State of the Art‘ in der interkulturellen Community (vgl. Romani/Barmeyer/Primecz/Pillhofer 2018). Zusammenfassend kommen Baker und Ishikawa zum Ergebnis, dass Kultur komplex, vielfältig, fließend und immer im Wandel begriffen ist. Sie warnen vor allem vor der Gefahr der Übergeneralisierung. Außerdem beschäftigt sich der erste Teil damit, wie Sprache verwendet werden kann, um verschiedene kulturelle Praktiken und Bezüge darzustellen bzw. zu konstruieren (u.a. anhand des linguistischen Relativitätsprinzips (Sapir-Whorf-Hypothese), des Zusammenhangs von Sprache und Kultur sowie unter Heranziehung der Komplexitätstheorie und der Betrachtung von Sprache und Kultur als Ressourcen). Es geht um charakteristische Aspekte der menschlichen Sprache, ihr Potenzial zur Identifikation, die Einsicht, dass Sprache(n) und Nation(en) bzw. Territorien nicht gleichgesetzt werden können und dass Mehrsprachigkeit innerhalb und zwischen Nationen weitestgehend die Norm ist. Ferner führt Teil eins aus, was globale Sprachen generell und das Englische in seiner Rolle als Weltsprache im Besonderen auszeichnet und begründet, inwiefern die beispiellose Verbreitung des Englischen die bisherigen linguistischen Konzepte infrage stellt. Global Englishes werden mit den Schwerpunkten World Englishes (inkl. deren Zielsprachengemeinschaften und -kulturen ohne jedoch die globale Perspektive zu vernachlässigen) und English as a Linuga franca (ELF; verstanden als mehrsprachige Interaktion, in deren Zuge auch Kulturen, Gemeinschaften, Identitäten und Machtverhältnisse zu reflektieren sind) als Forschungsgebiet vorgestellt. Baker und Ishikawa schlagen einen ganzheitlichen Ansatz für globale Kommunikation als mehrsprachig, transkulturell und transmodal vor.
Der zweite Teil des Buches stellt kritische Ansätze vor und beginnt damit, kulturvergleichende, interkulturelle und transkulturelle Perspektiven voneinander abzugrenzen. Er geht dazu auf aktuellere Vorstellungen von Aushandlungspraxen im sog. ‚Dritten Raum‘ ein (wie z.B. nach Földes (2005); nach Casmir (1999) bzw. in der Form der ‚Interkultur‘ u.a. nach Bolten (2015])), stellt ‚Communities of Practice‘ vor und betont die Gefahr von Essenzialismus und Stereotypisierungen bei kulturvergleichendem Vorgehen. Dem setzen die Autoren Kultur als Anpassungs- und Aushandlungspraxis entgegen, als Konstrukt, das in der Interaktion verhandelbar ist. Dies setzen sie in Bezug zu Global Englishes und ELF-Studien, um zu begründen, warum die neueren Konzepte besser geeignet sind, die Vielfalt und Komplexität des Englischen als globaler Lingua franca zu verstehen. Identität als wichtiger Teil alltäglicher Erfahrung im Gebrauch der Weltsprache Englisch wird ebenso als facettenreiches, fluides, komplexes, variierbares Konstrukt vorgestellt, das Individuen je nach Situation aktualisieren können und das deshalb im Hinblick auf Ideologien, Machtverhältnisse und seine einschließende bzw. ausgrenzende Funktion betrachtet werden muss. Hierzu gehört Kritik an verbreiteten Vorstellungen von ‚Muttersprachlichkeit‘ („Anglophone ‚native‘-speaker ideology“ S. 110 bzw. „Native-speakerism“ S. 120), von Einsprachigkeit und vom Ideal eines ‚Standard English‘ im Englischunterricht sowie die Diskussion von Code-Switching und Translanguaging unter der Bedingung der Aushandlung und Hybridität im Dritten Raum. So wird betont, wie sehr unsere Identitäten ko-konstruiert sind und daher von unseren Interaktionspartner*innen abhängen, wie auch von Situation und Kontext. Kritik findet auch die bisher verbreitete Vorstellung von einsprachigen, monokulturell sozialisierten Individuen. Am Ende des zweiten Teils führen Baker und Ishikawa ihren Vorschlag des Englischen als ‚a multilingua franca‘ (EMF) ein. Darunter verstehen sie einen mehrsprachigen ELF-Gebrauch, der unter Rückgriff auf mobile, formbare und durchlässige mehrsprachige Ressourcen und dynamische mehrsprachige Repertoires unter plurilingualen Englischnutzer*nnen entsteht, weshalb sie Mehrsprachigkeit als Markenzeichen globaler Kommunikation auf Englisch postulieren.
Der dritte Teil gibt eine Einführung in „trans theories and Global Englishes“ (S. 160–243) mit besonderem Augenmerk auf Translanguaging-Praxen und einem umfassenden Überblick über den aktuellen Forschungsstand sowie Vorschlägen, wie diese im Sprachunterricht genutzt werden können, der auch die Zusammenhänge zwischen Translanguaging, EMF und transkultureller Kommunikation berücksichtigt. Mehrsprachige, transkulturelle und transmodale Anpassungen in der globalen Kommunikation auf Englisch werden als durchlässig und amorph erfahrbar gemacht und können anhand zahlreicher corpusbasierter Beispiele nachvollzogen werden. Es wird auch deutlich, wie die Sprecher*innen semiotische Modi synergetisch integrieren. Anhand der zahlreichen Vorschläge für Aktivitäten im Unterricht wird auch schnell klar, wie die Konzentration auf Standard-Englisch den Blick auf die Nutzung mehrsprachiger Ressourcen in der globalen Kommunikation auf Englisch in der Praxis verstellt. Transkulturelle Kommunikation wird hier also als Kommunikation beschrieben, bei der sich die Interagierenden durch und über kulturelle und sprachliche Grenzen hinwegbewegen, die verwischen, überschritten und transzendiert werden. Auch die Rolle des Englischen in vielen Bereichen digitaler Kommunikation wird besprochen, „EMIC“ (d.h. electronically mediated intercultural communication) – insbesondere soziale Netzwerke und Plattformen – als multimodaler, mehrsprachiger und multikultureller Raum vorgestellt, in dem transkulturelle, sprachliche Grenzen überschreitende, transmodale Kommunikationsprozesse stattfinden, ebenfalls mit zahlreichen authentischen und sehr anschaulichen Beispielen, die für die Unterrichtspraxis geeignet sind. Der dritte Teil schließt mit Überlegungen zur Komplexitätstheorie (genauer zur globalen Kommunikation als komplexes System unter vielen), zu den Auswirkungen des Postulats von Standardenglisch als Norm und von essentialistischen Vorstellungen von kommunikativer Kompetenz auf Haltungen und Einstellungen gegenüber Sprache. Hier wird für eine kritische Reflexion und den Einsatz der Komplexitätstheorie plädiert, um positiv auf das Sprach- und Kulturbewusstsein der Lernenden einwirken zu können.
Der vierte Teil des Lehrbuches stützt sich auf die Ergebnisse der ersten drei Teile, um „EMF awareness“ (S. 247) im Unterricht zu entwickeln. Hierzu ziehen die Verfasser Forschungsergebnisse aus EMI-Settings (English-medium instruction) heran. Anhand gängiger Englisch-Tests wie TOEFL, TOEIC und IELTS kritisieren sie die Vermarktung der auf Einsprachigkeit beruhenden Vorstellung von einem durch kommerzielle Interessen geleiteten ‚Standard‘-Englisch. Diesem Ideal stellen sie gelebte mehrsprachige, transkulturelle und transmodale Englischpraxen gegenüber, für die ein erhöhtes interkulturelles Bewusstsein erforderlich ist, d.h.
a conscious understanding of the role culturally based forms, practices and frames of reference can have in intercultural communication, and an ability to put these conceptions into practice in a flexible and context specific manner in communication (S. 251).
Diese Haltung betrachten sie als geeigneter, positive Einstellungen bei den Lernenden auszulösen und sie damit zu einem souveränen und emanzipierten Umgang mit der Weltsprache Englisch zu befähigen. Dazu werden zunächst verschiedene Modelle (‚mutter‘sprachliche Kompetenz, kommunikative Kompetenz, interkulturelle kommunikative Kompetenz) erörtert und dann ICA (intercultural awareness) mit Schwerpunkt auf den Praktiken interkultureller und transkultureller Kommunikation und Global Englishes eingeführt sowie global ebenso wie national und lokal verankert, flexibel und kontextspezifisch näher beschrieben. Aktuelle Unterrichtskonzepte schließen das Buch ab, wobei besonderer Wert auf interkulturelle, kommunikative und pragmatische Kompetenz gelegt und das Abrücken vom muttersprachlichen Prinzip empfohlen wird – ebenso wie eine Konzentration auf Kommunikationsprozesse (anstatt auf sprachliche Produkte). Außerdem wird die Bedeutung lokaler Kontexte und Kulturen betont sowie die der globalen Rolle des Englischen als ‚multilingua franca‘.
Dieses Lehrbuch füllt eine Lücke: Es bietet einen vollständigen und verständlichen Überblick über gängige und aktuelle Theorien in der angewandten Linguistik ebenso wie in der interkulturellen Kommunikationsforschung, der für beide Fachgebiete anschlussfähig ist. Ergebnisse aus der Corpus-Linguistik dienen als Beispiele und als Grundlage für konkrete Aktivitäten, die in der Lehre eingesetzt werden können. Damit verbindet es Forschungsergebnisse, Theorien und ihre Didaktisierung in einer wirklich praxistauglichen Weise. Verweise und Literaturverzeichnis bieten zahlreiche Möglichkeiten, den eigenen Horizont zu erweitern. Was das Buch besonders verständlich macht und als Lehrbuch auszeichnet, sind die klare Struktur und gelungene Unterteilung sowie prägnante Zusammenfassungen am Ende jedes Unterkapitels. Sehr nützlich ist auch das umfängliche Glossar auf den Seiten 313 bis 327, das die Terminologie erläutert.
Als Lehrbuch, das das Potenzial hat, neuere Perspektiven auf Kulturen und Sprachen zu etablieren, Essentialismus, Kulturalisierungen und Stereotypenbildung zu vermeiden und den flexiblen, verhandelbaren und grenzüberschreitenden Charakter der Prozesse zu betonen, als die Baker und Ishikawa beide betrachten, ist es für alle jene von großer Relevanz, die Sprachen und Kulturen bzw. interkulturelle Kommunikation unterrichten.
Notes
- i.e. „The use and users of English outside of the Anglophone world, although Anglophone settings are still included when English is used for intercultural communication. In research it is an umbrella term covering the fields of World Englishes (WE), English as an international language (EIL), and English as a lingua franca (ELF)“ S. 318. [^]
Literatur
Backus, Ad; Gorter, Durk; Knapp, Karlfried; Schjerve-Rindler, Rosita; Swanenberg, Jos; ten Thije, Jan D. & Vetter, Eva (2013): Inclusive Multilingualism: Concept, Modes and Implications. EuJAL 1:2, 1–37.
Bolten, Jürgen (2013): Fuzzy Cultures: Konsequenzen eines offenen und mehrwertigen Kulturbegriffs für Konzeptualisierungen interkultureller Personalentwicklungsmaßnahmen. Mondial: Sietar Journal für interkulturelle Perspektiven, 4–10. http://iwk-jena.uni-jena.de/wp-content/uploads/2019/03/Bolten_2013_Fuzzy_Cultures.pdf (31.01.2023).
Bolten, Jürgen (2015): Einführung in die interkulturelle Wirtschaftskommunikation. 2e Auflage. Göttingen: V&R.
Casmir, Fred (1999): Foundations for the study of intercultural communication based on a third-culture building model. International Journal of Intercultural Relations 23:1, 91–116.
Cnyrim, Andrea (2020): Interkulturalität begegnet Fremdsprachendidaktik. Dem Traumpaar zur Silberhochzeit. Einleitende Überlegungen zum Themenschwerpunkt ‚Interkulturalität’. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 25: 1, 109–114. https://zif.tujournals.ulb.tu-darmstadt.de/article/id/3225/ (31.01.2023).
Földes, Csaba (2005): Kontaktdeutsch. Zur Theorie eines Varietätentyps unter transkulturellen Bedingungen von Mehrsprachigkeit. Tübingen: Gunter Narr.
Göhring, Heinz (1976): Interkulturelle Kommunikationsfähigkeit. In: Horst Weber (Hrsg.): Landeskunde im Fremdsprachenunterricht. Kultur und Kommunikation als didaktisches Konzept. München: Kösel, 183–193, 240–242, 256–260.
Meyer, Bernd (im Erscheinen): Sprachmittlung im Deutschunterricht in der Berufsschule. In Becker, Karina & Kofer, Martina (Hrsg.): Berufsbildender Deutschunterricht. [Didaktik der deutschen Sprache und Literatur]. Waxmann Verlag: Münster.
Roelcke, Thorsten (2021): Fachsprachliche Pluralität in der beruflichen Kommunikation. Vortrag am 5.11.2021 auf der Tagung Speclang an der Universität Łódź/Polen.
Romani, Laurence; Barmeyer, Christoph; Primecz, Henriett & Pillhofer, Katharina (2018): Cross-Cultural Management Studies: State of the Field in the Four Research Paradigms. International Studies of Management & Organization. 48:3, 247–263.
Andrea Cnyrim, Hochschule Karlsruhe