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Aufsatz außerhalb des Themenschwerpunkts

Mehrsprachige Elemente in Schulbuchaufgaben – Einbindung oder Einbildung?

Abstract

Aufgaben nehmen eine zentrale Rolle bei der Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen ein und ihre Passung für die Schüler*innen kann erhöht werden, indem sie an das Vorwissen und die Vorerfahrungen der Lernenden anknüpfen. Hierzu zählen der Kultusministerkonferenz (KMK 2013) zufolge mehrsprachige Kompetenzen (also die Fähigkeit eines Menschen, mehr als eine Einzelsprache zur Kommunikation zu nutzen), über die spätestens mit Einsetzen des Fremdsprachenunterrichts alle Schüler*innen verfügen. Die Einbindung von Mehrsprachigkeit in Schulbuchaufgaben bietet deshalb ein großes Potenzial, um über eine erhöhte Passung Lernprozesse verbessern zu können. Der vorliegende Beitrag stellt Ergebnisse einer empirischen Studie vor, die den Fragen nachgeht, a) inwiefern mehrsprachige Elemente in Schulbuchaufgaben aus Sachfächern der Sekundarstufe I aktuell eingebunden werden, b) wie diese Einbindungen mehrsprachigkeitsdidaktisch ausgestaltet sind und c) welches kognitive Aktivierungslevel sie aufweisen. Der Beitragstitel referiert mit der Nachfrage Einbindung oder Einbildung? auf das diesbezügliche Weiterentwicklungspotenzial von Schulbuchaufgaben, das bei der Untersuchung festgestellt wird. Der Beitrag schließt mit einer Diskussion, durch welche mehrsprachigkeitsdidaktischen Schärfungen die Nutzung der Lernangebote gestärkt und damit der individuelle Lernerfolg weiter erhöht werden könnte.

Multilingual elements in schoolbook tasks – Integration or imagination?
Tasks play a central role in the design of teaching-learning processes and their fit for the students can be increased by linking them to the learners' prior knowledge and experiences. According to the German Standing Conference of the Ministers of Education and Cultural Affairs (KMK), this includes multilingual competences, which all pupils possess by the time they start foreign language teaching at the latest. The integration of multilingualism in schoolbook tasks therefore offers great potential for improving learning processes through an increased fit. This article presents the results of an empirical study that investigates the issues of a) the extent to which multilingual elements are currently integrated into schoolbook tasks for secondary level subject teaching, b) how these integrations are designed in terms of multilingual didactics and c) what cognitive activation level they exhibit. The title of the article refers with the postposed question Integration or imagination? to the potential for further development of schoolbook tasks in this regard, which is identified in the study. The paper concludes with a discussion of which multilingual didactic refinements could strengthen the use of the learning offers and thus further increase individual learning success.

Keywords: Schulbuchaufgaben, Sachfächer, mehrsprachige Elemente, Passung für die Lernenden, Mehrsprachigkeitsdidaktik, kognitive Aktivierung, schoolbook tasks, subject teaching, multilingual elements, fit for learners, multilingual didactics, cognitive activation

How to Cite:

Bredthauer, Stefanie; Helbert, Stefanie; Kaleta, Magdalena; Triulzi, Marco & Wörmann, Leon (2023): Mehrsprachige Elemente in Schulbuchaufgaben – Einbindung oder Einbildung? Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 28: 2, 213–244. https://doi.org/10.48694/zif.3553.

1 Einleitung

Aufgaben nehmen eine zentrale Rolle bei der Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen ein (vgl. Reusser 2013), daher sind sie auch Bestandteil bekannter Modelle der Unterrichtsforschung. Von großer Bedeutung für die Nutzung des Lernangebots, das Aufgaben Schüler*innen bieten, ist ihre Passung zu den Lernenden (vgl. Helmke 2014). Diese kann insbesondere dadurch erhöht werden, indem Aufgaben an das Vorwissen und die Vorerfahrungen von Schüler*innen anknüpfen. Zu den entsprechenden in den Unterricht mitgebrachten Ressourcen gehören laut der Kultusministerkonferenz (KMK) die mehrsprachigen Kompetenzen1 der Lernenden (vgl. KMK 2013). Denn sie gehören zu den sogenannten Exekutivfunktionen (übergeordnete kognitive Fähigkeiten mit Steuerungsfunktion), denen eine wichtige Rolle bei einer Vielzahl von Lernprozessen zukommt (vgl. Huizinga/Baeyens/Burack 2018). Mehrsprachigkeit kann sich so durch seine vermittelnde Rolle vorteilhaft auf das fachliche Lernen auswirken (vgl. Edele/Kempert/Stanat 2020; Wagner/Krause/Uribe/Prediger/Redder 2022).2 Deshalb ist es wichtig, dass die mehrsprachigen Fähigkeiten der Schüler*innen in den Unterricht aller Fächer einbezogen werden, was vor allem über die Berücksichtigung in Schulbüchern gefördert werden kann (vgl. KMK 2015).

Spätestens mit dem Einsetzen des Fremdsprachenunterrichts verfügen alle Schüler*innen über mehrsprachige Kompetenzen. Dementsprechend birgt die Einbindung von Mehrsprachigkeit in Schulbuchaufgaben von Sach- und Sprachfächern ein hohes Potenzial, um die Passung für die Lernenden erhöhen und darüber den fachlichen Lernprozess verbessern zu können (vgl. Kap. 2).

Der vorliegende Beitrag widmet sich dieser Thematik, indem er Ergebnisse aus dem Projekt SAMMELN – Mehrsprachigkeit in Lehrbüchern für Sachfächer vorstellt, das von der Forschungsgruppe Mehrsprachige Lerngruppen am Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache der Universität zu Köln durchgeführt wird. Ihm ist ein Beitrag zur Untersuchung von mehrsprachigen Elementen in deutschen Sachfachschulbüchern generell vorausgegangen (vgl. Bredthauer/Triulzi/Kaleta/Helbert/Wörmann 2021) und nimmt nun speziell die Aufgaben in den Fokus. Es wird eine Bestandsaufnahme vorgenommen, die den Fragen nachgeht, a) inwiefern mehrsprachige Elemente in Schulbuchaufgaben von Sachfächern aktuell eingebunden werden, b) wie diese Einbindungen mehrsprachigkeitsdidaktisch ausgestaltet sind und c) welches kognitive Aktivierungspotenzial die Aufgaben hinsichtlich der Nutzung von Mehrsprachigkeit aufweisen. Im vorliegenden Beitrag wird zunächst der bisherige Forschungsstand hinsichtlich Mehrsprachigkeit in Aufgaben skizziert, bevor eine Beschreibung der Methodik sowie der Ergebnisse der empirischen Aufgabenanalyse folgen. Um die Forschungsfragen zu beantworten, werden die von den Schüler*innen bei der Aufgabenbearbeitung durchzuführenden Aktionen, ihre Medialität und ihre Komplexität quantitativ untersucht (Kap. 4). Eine qualitative Detailanalyse von vier exemplarischen Aufgabenstellungen zeigt darüber hinaus die Bandbreite der mehrsprachigkeitsdidaktischen Gestaltungen auf (Kap. 5). Abschließend werden die Ergebnisse diskutiert und ein Ausblick in Bezug auf Implementationsmöglichkeiten und Anschlussforschung gegeben.

2 Forschungsstand: Aufgaben und Mehrsprachigkeit in Schulbüchern

Da sich dieser Beitrag mit Aufgaben in Sachfachschulbüchern beschäftigt, stellt sich die Frage nach ihrer Rolle im Zusammenhang mit der Unterrichtsforschung. Aufgabenstellungen werden als „Substrat der Lerngelegenheiten im Unterricht“ (Reusser 2013: 4) angesehen. Ihnen kommt eine zentrale Bedeutung für Lehr-Lern-Prozesse zu, denn sie prägen „auf herausragende Weise das Lernen in Bildungsinstitutionen“ (Reusser 2013: 4). Das Angebots-Nutzungs-Modell (ANM) (vgl. Helmke 2014) bietet einen umfassenden theoretischen Rahmen zur Untersuchung von Lehr-Lern-Prozessen (vgl. Seidel 2014). Unterricht stellt in diesem Modell ein Angebot dar, das von Schüler*innen genutzt werden kann. Aus der Nutzung dieses Angebots stellt sich eine Wirkung im Sinne eines Lernerfolges ein – oder bleibt bei Nichtwahrnehmung aus (vgl. Helmke 2014). Die Nutzung von Lernangeboten und daraus resultierende Lernerfolge sind im Wesentlichen von drei Faktoren abhängig: den Lehrer*innenkompetenzen, der Unterrichtsqualität und den individuellen Voraussetzungen der Schüler*innen (vgl. Lipowsky 2006; Seidel 2014). Durch diese Heuristik des ANM können Lehr-Lern-Situationen gezielt auf einzelne Aspekte untersucht werden. So haben bspw. Becker-Mrotzek und Woerfel (2020) die zentrale Stellung der Sprache für Lehr-Lern-Situationen betont und das Schema entsprechend ergänzt. Die Bedeutung sprachlichen Wissens oder sprachlicher Aktivitäten weisen sie auf fast allen Ebenen des ANM nach. Dazu gehören im Sinne des Sprachsensiblen Unterrichts (vgl. Tajmel/Hägi-Mead 2017; Wörfel/Giesau 2018) die von den Schüler*innen und Lehrpersonen mitgebrachten sprachlichen Vorkenntnisse und die durch den Unterricht, u.a. über Lehr-Lernmedien und Aufgaben, angeregten sprachlichen Lernaktivitäten, die zum Erwerb sprachlicher und fachlicher Kompetenzen führen.

Aufgabenstellungen sind demnach als Bestandteil der Arbeitsmittel auf der Angebotsseite des ANM verortet (vgl. Seidel 2014: 858). Die Qualität der Arbeitsmittel stellt eine Stellschraube für guten Unterricht und damit die Erhöhung des individuellen Lernerfolgs dar (Helmke 2014), so dass die Analyse der Aufgabenqualität einen wichtigen Beitrag zur Ermittlung von Unterrichtsqualität leistet (vgl. Blömeke et al. 2006; Lipowsky/Hess 2019). Dabei gilt es, zwischen von Lehrkräften für ihre einzelne Lerngruppe erstellten Aufgaben und Schulbuchaufgaben zu unterscheiden. Denn Letztere sind aufgrund der Zulassungsverfahren für Schulbücher Teil des institutionell vorgegebenen Unterrichtsangebots (vgl. Stein 2003; Wiater 2003). Sie stellen ein staatlich kontrolliertes, curriculares Angebot an alle Lehrkräfte und ein Unterrichtsangebot für Schüler*innen in allen Bundesländern dar (vgl. Niehaus/Hoppe/Otto/Georgi 2015: 9–10). Um von Schüler*innen als Lern-Angebot genutzt zu werden, müssen Aufgaben sowohl an deren Vorwissen anknüpfen als auch entsprechend dem individuellen Leistungsniveau anregend, herausfordernd und anspruchsvoll sein (vgl. Lipowsky 2006). Allerdings kann in einer Analyse der Schulbuchaufgaben selbst und nicht des Umgangs von Schüler*innen mit diesen weder überprüft werden, ob die Aufgabenstellungen tatsächlich an das Vorwissen der Schüler*innen anknüpfen, noch ob sie wirklich kognitiv anregend wirken. Daher liegt der Fokus im vorliegenden Beitrag auf dem Potenzial, das die Aufgabenstellungen diesbezüglich bieten (vgl. Blömeke/Risse/Müller/Eichler/Schulz 2006). Das Anknüpfen an das Vorwissen der Schüler*innen wird hier durch die Einbindung von Mehrsprachigkeit in die Aufgabenstellungen der Sachfachschulbücher verkörpert. Die Überlegung dahinter ist, dass eine gute Passung zwischen Aufgabe und Schüler*in die Chance der Nutzung des Angebots durch die Lernenden erhöht (vgl. Helmke 2014). Die Nutzung der mehrsprachigen Ressourcen der Schüler*innen in den Aufgabenstellungen kann diese Passung potenziell erhöhen und damit zu einem besseren Unterricht bzw. zu einem größeren fachlichen Lernerfolg beitragen. Dieser Aspekt wird im Folgenden durch die Analyse der mehrsprachigen Elemente, auf die sich die Aufgabenstellungen aus den Sachfächern beziehen, berücksichtigt. Darüber hinaus wird das Konzept der kognitiven Aktivierung, verstanden als Anregung zu einem vertieften fachlichen Nachdenken über den Unterrichtsinhalt (vgl. Fauth/Leuders 2008; Lipowsky 2007), als zweite Voraussetzung für die Nutzung des Unterrichtsangebots in die Analyse aufgenommen. Kognitive Aktivierung ist eine zentrale Dimension der Unterrichtsqualität (vgl. Lipowsky 2007) und zahlreiche Studien konnten positive Effekte kognitiv aktivierender Aufgaben auf die Lernfortschritte feststellen (s. Blömeke et al. 2006; Jordan/Krauss/Löwen/Blum/Neubrand/Brunner/Kunter/Baumert 2008; Kühn 2011; Pauli/Drollinger-Vetter/Hugener/Lipowsky 2008; Stein/Grover/Henningsen 1996; Wilhelm 2014). Für die Analyse des kognitiven Aktivierungspotenzials der Aufgabenstellungen in diesem Beitrag stellt das allgemeindidaktische, überfachliche Analyseraster von Maier/Kleinknecht/Metz/Bohl (2010) den Ausgangspunkt dar (vgl. auch Kleinknecht/Maier/Metz/Bohl 2011; Maier/Bohl/Kleinknecht/Metz 2013; 2014). Während in diesem Analyseraster für die Bewertung des kognitiven Aktivierungspotenzials die Dimensionen Wissensart und kognitiver Prozess zentral sind (vgl. Kleinknecht et al. 2011), werden in den hier verwendeten und weiter unten eingeführten Kategorien Intendierte Aktion der Schüler*innen und Komplexitätsgrad die Dimensionen kognitiver Prozess, Wissenseinheiten und sprachlogische Komplexität gebündelt, um das Analyseraster so mehrsprachigkeitsdidaktisch zu sensibilisieren. Vor diesem Hintergrund stellt die hier vorliegende Aufgabenanalyse aus Sachfachschulbüchern im ANM mit ihrem Fokus auf Mehrsprachigkeit unseres Wissens nach ein Novum dar.

Der Einbezug von Aufgabenstellungen mit mehrsprachigen Elementen in den Unterricht stellt ein großes Potenzial zur Steigerung des Lernerfolgs in allen Fächern dar oder ermöglicht überhaupt erst einen Zugang zum Lernen. Nicht nur Lernende mit nicht-deutscher Herkunftssprache, sondern alle Schüler*innen können von der Einbettung mehrsprachiger Elemente in den Unterricht profitieren, denn sie verfügen spätestens nach der Einführung des Englischunterrichts in der Grundschule über mehrsprachiges Wissen und mehrsprachige Kompetenzen, auch wenn sie sich nur auf eine Medialitätsform der Sprache (mündlich, schriftlich) oder nur auf Rezeption bzw. Produktion beziehen oder rudimentär sein sollten (vgl. Bredthauer et al. 2021: 247). Dementsprechend bringen alle Schüler*innen mehrsprachige Vorerfahrungen mit, die sie für die Aneignung neuer fachlicher Fähigkeiten verwenden können und die über die Kompetenzen hinausgehen, die nur in einer Sprache genutzt werden können. Was Schüler*innen schon kennen und können, beeinflusst den Lernprozess (vgl. Ausubel 1968) und soll aus entwicklungstheoretischer Sicht zur Steigerung des Lernerfolgs genutzt werden (vgl. Hasselhorn/Gold 2006). Die Annahme, dass die aktive Nutzung von Mehrsprachigkeit im Kontext von sprachlichem ebenso wie fachlichem Lehren und Lernen Vorteile mit sich bringt, ist in den letzten Jahren in den Fokus verschiedener empirischer Forschungsvorhaben gerückt. Mehrere Studien konnten inzwischen erfolgreich nachweisen, dass das Einbeziehen von Mehrsprachigkeit ins Unterrichtsgeschehen nicht nur keine Nachteile mit sich bringt (vgl. Duarte 2019; Möller/Hohenstein/Fleckenstein/Köller/Baumert 2017), sondern stattdessen Vorteile wie die Steigerung von Lernmotivation, der Sprachbewusstheit und der Sprachkompetenz (Überblick in Bredthauer et al. 2021). Eine empirische Studie von Schüler-Meyer/Prediger/Kuzu/Wessel/Redder (2019) zur Nutzung mehrsprachiger Kompetenzen im Fach Mathematik konnte außerdem zeigen, dass der aktive Gebrauch individueller Mehrsprachigkeit den fachlichen Lernerfolg steigern kann. Aufgaben sollten aufgrund dieser Erkenntnisse in allen Fächern mehrsprachigkeitssensibel entwickelt werden, um die Aktivierung mehrsprachiger Kompetenzen zu erfordern und diese dadurch gleichzeitig zu fördern. Insbesondere identifizieren Bredthauer/Kaleta/Triulzi (2021b) neun übergeordnete Lernaktivitäten, an denen sich mehrsprachigkeitsdidaktisch geprägte Lernaufgaben aller Fächer orientieren können: Quellen recherchieren, Inhalte von Quellen erschließen, Notizen machen, Austausch mit Partner*innen, Texte schreiben, Ergebnisse präsentieren, Sprachen kennenlernen und vergleichen, Lern- und Arbeitsstrategien reflektieren, Sprachbiografien reflektieren.

Abschließend stellt sich bezüglich des Forschungsstands die Frage, was bislang an Erkenntnissen zu Mehrsprachigkeit in Aufgaben und in Schulbüchern generell vorliegt. Das Schulbuch hat eine zentrale Rolle im deutschen Schulsystem, so dass die Kritik an eben diesem auf einer umfangreichen Tradition beruht. Wissenschaftliche Untersuchungen zu Mehrsprachigkeit in Lehrwerken gibt es bisher jedoch nur vereinzelt: Wie ein Schulbuch aussehen sollte, das einen mehrsprachigen Ansatz erfolgreich integriert, fragt sich Wiater (2013) in seiner theoretischen Problemskizze zu mehrsprachigen Schulbüchern. Heer (2013) bemüht sich in ihrem Beitrag zu den multiplen Formen von Mehrsprachigkeit in Schweizer Schulbüchern, den Autor*innen von Lehrwerken konkrete Hilfestellungen für den praktischen Umgang mit Mehrsprachigkeit in Schulbüchern an die Hand zu geben. In einer empirischen Untersuchung der meistverkauften deutschschweizerischen Schulbücher der Sekundarstufe I (drei Sachfächer und ein Sprachfach) kommt Heer zu dem Schluss, dass Mehrsprachigkeit in den neueren Schulbüchern häufiger enthalten ist, als sie zu Beginn vermutet hätte – nur bliebe diese durch mangelnde Kennzeichnung trotz möglicher Anknüpfungspunkte nahezu unsichtbar (ebd.).

In Deutschland wurden Untersuchungen zu Mehrsprachigkeit im Schulbuch bisher in erster Linie zu Lehrwerken einzelner Sprachfächer getätigt (vgl. Geist 2018; Marx 2014; Thaler 2016) und zeigen vor allem auf, dass das Feld der Mehrsprachigkeit von den Schulbüchern zwar berührt, inhaltlich und didaktisch aber kaum abgedeckt wird. Auch die bisher einzige Untersuchung von Lehrbüchern verschiedener Sachfächer der Sekundarstufe I (vgl. Bredthauer et al. 2021) reiht sich in diese Tradition ein, indem sie aufzeigt, dass zwar regelmäßig mehrsprachige Elemente in den Lehrbüchern verschiedener Fächer vorkommen, es aber meist bei einzelnen Wörtern oder Phrasen bleibt. Die Aussage, dass der „monolinguale Habitus“ (Gogolin/Krüger-Potratz/Neumann 2005: 3) auch in deutschen Schulbüchern präsent (vgl. Oleschko/Moraitis 2012: 38) und ihre Eignung für einen ‚sprachensensiblen Unterricht‘ der Sach- und Sprachfächer (vgl. Vetter 2018) damit fraglich ist, wird demnach durch die angeführten Studien bestätigt. Trotz der Kritik an der Reduzierung der mehrsprachigen Elemente in den Büchern auf Dekoration wurden aber durchweg mehrsprachige Elemente in den untersuchten Lehrwerken identifiziert. Allerdings fällt auf, dass keine Abbildung der tatsächlichen sprachlichen Vielfalt der Gesellschaft und Schüler*innenschaft vorzufinden ist. Dies äußert sich vor allem darin, dass sich die mehrsprachigen Elemente vorrangig der in Deutschland häufig unterrichteten Schulfremdsprachen sowie heutzutage nicht mehr gesprochener Sprachen bedienen. Wenig vertreten sind hingegen in Deutschland häufig vorkommende Herkunftssprachen und Sprachen deutscher Nachbarländer sowie außereuropäische Sprachen (vgl. Bredthauer et al. 2021; Geist 2018; Marx 2014). Bei einer näheren Betrachtung der mehrsprachigen Fundstellen bemängeln zudem alle Studien, dass die gefundenen Elemente weitestgehend rudimentär bleiben und mehrsprachige Einheiten seltenst mit Arbeitsaufträgen einhergehen sowie noch seltener die Wort/Phrasen-Ebene verlassen (vgl. Bredthauer et al. 2021; Geist 2018; Marx 2014). Im Anschluss an die erste Untersuchung aus dem Forschungsprojekt SAMMELN wurde bereits darauf verwiesen, dass mehrsprachige Elemente systematisch in Aufgaben eingebunden werden sollten, um neues fachliches und sprachliches Wissen sowie Kompetenzen auf der Basis des bereits Bekannten und Erworbenen aufbauen zu können (vgl. Bredthauer et al. 2021).

3 Methodik: Sampleauswahl, Kodierung und Auswertung

Anschließend an den geschilderten Forschungsstand wird nun das methodische Vorgehen der in diesem Beitrag vorgestellten empirischen Studie beschrieben.

Die Schulbuchforschung unterscheidet zwischen prozessorientierten, wirkungsorientierten und produktorientierten Studien (vgl. Weinbrenner 1995). Zur letztgenannten Kategorie gehört die vorliegende Untersuchung, da sie sich mit einem Aspekt des Inhalts und der Gestaltung von Schulbüchern auseinandersetzt – in diesem Fall mit der Einbindung mehrsprachiger Elemente in Aufgabenstellungen. Präziser ausgedrückt handelt es sich um eine Bestandsanalyse (Weinbrenner 1995), denn die vorhandenen mehrsprachigen Elemente in Aufgabenstellungen von Lehrbüchern werden erfasst.

Das Sample der untersuchten Schulbücher wurde so zusammengestellt, dass es zur Gewinnung eines möglichst breiten Querschnittsüberblicks im Bereich der Sachfach-Lehrbücher geeignet ist. Es wurden alle Schulformen der Sekundarstufe I sowie alle in Deutschland angebotenen Sachfächer einbezogen, die in mindestens zwei Drittel der Bundesländer unterrichtet werden. Für diese Fächer wurden jeweils die zwei Schulbücher mit der höchsten Zulassungsquote für die Jahrgangsstufe 8 in das Sample aufgenommen – das heißt die Lehrwerke, die für den Unterricht in den meisten Bundesländern der 8. Klasse zugelassen waren. Die Wahl der Jahrgangsstufe orientierte sich daran, dass zu diesem Zeitpunkt der Unterricht in einer zweiten Fremdsprache eingesetzt hat, so dass auch die Schüler*innen, die nicht mit mehreren Sprachen aufgewachsen sind, auf Kompetenzen in mindestens drei Sprachen zurückgreifen können. Zum anderen findet sich ab dieser Jahrgangsstufe eine große Vielfalt an Sachfächern im durchgeführten Unterricht. Das so zusammengestellte Sample umfasste 33 Schulbücher aus 17 unterschiedlichen Sachfächern.3

Die Datensammlung wurde gemäß eines in der Schulbuchforschung als Aspekt- oder Partialanalyse (vgl. Weinbrenner 1995) bezeichneten Verfahrens durchgeführt. Hierbei wurde ein digitales Datenkorpus angelegt, das alle Fundstellen in den Schulbüchern enthält, bei denen eine andere Sprache als das Deutsche in Aufgabenstellungen thematisiert oder für die Bearbeitung der Aufgabe verwendet wird. Diese werden im Folgenden synonym als Fundstellen und Aufgabenstellungen mit mehrsprachigen Elementen bezeichnet. Nicht berücksichtigt wurden Varietäten des Deutschen, rein kulturbezogene Elemente sowie Eigennamen oder eingedeutschte Begriffe.

Das Ergebnis der Datensammlung war ein Korpus aus 131 Fundstellen. Diese stammen aus 23 der 33 einbezogenen Schulbücher und aus 14 der 17 Sachfächer. Das heißt, in 70% der Schulbücher wurden mehrsprachige Elemente in Aufgabenstellungen gefunden und diese stammen aus ganz unterschiedlichen Schulfächern4. Eingebunden werden 15 verschiedene Sprachen, wovon jedoch lediglich vier häufiger vorkommen: 63% der Fundstellen entfallen auf Englisch (n=82), 15% auf Latein (n=19), 8% auf Altgriechisch (n=10) und 4% auf Französisch (n=5).

An die Datensammlung schloss sich die Kodierung und Auswertung an: Die Wahl der Analysekategorien orientierte sich an der Methodik fachdidaktischer Studien zu Aufgabenstellungen und Sprache im Fach, die um aus der einschlägigen Forschungsliteratur abgeleitete mehrsprachigkeitsdidaktische Kategorien erweitert wurden. Die Codes der einzelnen Analysekategorien wurden induktiv-deduktiv am Material erarbeitet (vgl. z.B. Kluge 2000). Der Kodierprozess wurde in zwei Zyklen von unterschiedlichen Mitgliedern der Forschungsgruppe vollzogen, so dass durch den Abgleich eine Reliabilitätsprüfung (Intercoderübereinstimmung) durchgeführt werden konnte. Alle Nicht-Übereinstimmungen wurden sorgfältig in der Forschungsgruppe diskutiert und durch einen sog. „Konsens der Forschenden“ aufgelöst (Schreier 2013: 266). Für die quantitative und qualitative Auswertung der kodierten Daten wurden Mittel der deskriptiven Statistik sowie der fachdidaktischen und mehrsprachigkeitsdidaktischen Forschung herangezogen.

Tabelle 1 enthält eine Übersicht über die Analysekategorien, ihre Kodierungen sowie die Forschungsliteratur, auf die die jeweiligen Kategorien zurückgehen: Zunächst wurde die Art der zugrundeliegenden mehrsprachigen Elemente festgehalten. Dann wurden die von den Schulbuchautor*innen intendierten Aktionen der Schüler*innen mit einer anderen Sprache als dem Deutschen nach ihrer Art kategorisiert. Außerdem wurde bestimmt, ob es sich um mündliche oder schriftliche Aktionen handelt (Medialität) sowie welches Komplexitätsniveau die Aufgabenstellungen aufweisen. Abschließend wurde untersucht, welchen Prinzipien die Wahl der Sprachen für die einzelnen Aufgaben folgt, zu welchen mehrsprachigkeitsdidaktischen Konzeptelementen Verbindungen hergestellt werden können und wie die mehrsprachigen Aktionen in die Unterrichtsthemen eingebettet werden.

Tab. 1: Analysekategorien

Analysekategorien Ausprägungen/Kodierungen Rekurs
Mehrsprachiges Element z.B. authentische Quelle, Fachbegriff Mehrsprachigkeitsdidaktik: Geist 2018; Marx 2014
Intendierte SuS-Aktion z.B. Rezeption, Recherche Fachdidaktik: Becker-Mrotzek/Woerfel 2020; Beese/Siems 2015; Ossner 2006
Medialität der Aktion mündlich oder schriftlich Fachdidaktik: Becker-Mrotzek/Woerfel 2020; Ossner 2006
Komplexität der Aufgabenstellung (kognitive Aktivierung) niedrig, mittel, hoch5 Fachdidaktik: Kleinknecht et al. 2011; Lipowsky 2007; Maier et al. 2010; Thoma/Schumacher 2018
Sprachwahl z.B. eine verwendete Sprache der Gemeinschaft, mit der sich die Unterrichtseinheit beschäftigt Mehrsprachigkeitsdidaktik: Geist 2018; Marx 2014; Wiater 2013
Mehrsprachigkeitsdidaktisches Element z.B. Sprachen vergleichen Mehrsprachigkeitsdidaktik: Bredthauer et al. 2021/2021a; Heer 2013; Reich/Krumm 2013
Einbettung in Unterrichtsthema z.B. Kennenlernen von für das Unterrichtsthema relevanten authentischen Quellen Fachdidaktik: Maier et al. 2010; Curricula/Kernlehrpläne der verschiedenen Fächer

4 Ergebnisse der quantitativen Analysen

Im Folgenden werden die Häufigkeiten der verschiedenen Elementarten, Aktionen, Medialitäten und Komplexitätsgrade in den analysierten Aufgabenstellungen vorgestellt.

4.1 Mehrsprachige Elemente

Bei der Sichtung der 131 Fundstellen fiel auf, dass in den Schulbüchern auf mehrsprachige Elemente zurückgegriffen wird, die sich in Art und Umfang unterscheiden. Sie bestehen aus Quellen (53%), einzelnen Begriffen (44%) sowie Spracherwähnungen (3%). Bei den Quellen handelt es sich größtenteils um authentische Originalquellen (n=63) wie Abbildungen von Kunstwerken, historischen Plakaten und Münzen mit Beschriftungen oder um verschiedene Formen von Texten (z.B. Berichte, Liedtexte, aber auch diskontinuierliche Texte wie Postkarten oder Werbeplakate). Seltener vertreten sind nicht-authentische Quellen (n=7), damit sind von den Schulbuchautor*innen eigens für didaktische Zwecke entwickelte oder adaptierte Elemente gemeint, z.B. exemplarische Werbeanzeigen. Die gefundenen Begriffe sind mehrheitlich Fachbegriffe (n=51) und vereinzelt allgemeinsprachliche Begriffe (n=6). Bei den Fachbegriffen handelt es sich um gebräuchliche Bezeichnungen aus bestimmten Fachgebieten und im Unterschied dazu fallen andere Bezeichnungen, die keine Fachbegriffe sind, unter die Kategorie der allgemeinsprachlichen Begriffe. Des Weiteren befinden sich unter den Fundstellen einige wenige Spracherwähnungen (n=4). Damit sind reine Erwähnungen einer Sprache auf Deutsch gemeint, bei denen beispielsweise etwas über eine Sprache herausgefunden werden soll.

4.2 Intendierte Aktionen der Schüler*innen

Bei der Kategorie Intendierte SuS-Aktion geht es um die Frage, was Schüler*innen mit dem jeweiligen mehrsprachigen Element tun sollen. Ursprünglich sollten die in den Aufgabenstellungen verwendeten Operatoren als Grundlage der Auswertung dienen. Allerdings beziehen sich die Operatoren entweder nicht oder nicht allein auf das mehrsprachige Element, sodass Interpretationsspielraum bezüglich der intendierten Schüler*innenaktionen bei den Aufgabenbearbeitungen besteht:

  • In vielen Fällen wird nicht direkt formuliert, ob und wie genau das mehrsprachige Element in die Aufgabenbearbeitung eingebunden werden soll.

  • Häufig bezieht sich der Operator auf den gesamten Arbeitsauftrag und stimmt nicht mit der Tätigkeit überein, die mit dem mehrsprachigen Element durchzuführen ist.

  • Auch werden Operatoren in den verschiedenen Schulbüchern und Fächern unterschiedlich und uneinheitlich verwendet und lassen sich daher nicht eindeutig klassifizieren. Denn Operatoren hängen mit den Arbeitsweisen und Erkenntnismethoden des jeweiligen Faches zusammen und „ihr Aufbau sowie in ihnen verwendete sprachliche Formulierungen spiegeln die fachliche Logik wider“ (Beese/Siems 2015: 100).

Entsprechend war es notwendig, eine eigene Kategorie zu den intendierten Aktionen der Schüler*innen einzuführen, die beschreibt, wie das jeweilige mehrsprachige Element genutzt werden soll. Deshalb wurde in Teams von mehreren Forschenden ausgehandelt, welche Lernendenaktionen seitens der Schulbuchautor*innen bei den einzelnen Aufgaben intendiert werden. Diese Autor*innenintention wurde aus dem jeweils gewählten Operator der Aufgabenstellung und allen zusätzlich zur Aufgabenstellung gehörenden Elementen abgeleitet, z.B. Zusatzmaterialien und Hilfestellungen.

Die Kategorie Intendierte SuS-Aktion unterscheidet die vier Ausprägungen Rezeption, Produktion, Recherche und Reflexion. Mit Rezeption ist das Verstehen von Texten und das Erschließen von Inhalten (mit oder ohne Vokabelhilfen) sowie das Lesen oder Anhören eines mehrsprachigen Elements gemeint. Wenn in das Deutsche übersetzt werden soll, gehört auch dies zur Kategorie Rezeption, da keine fremdsprachige Produktion vorgenommen wird. Im Unterschied dazu gehören zur Ausprägung Produktion diejenigen Fälle, bei denen darüber hinaus aktiv in den jeweiligen Sprachen gehandelt werden soll, wie z.B. beim (Aus-)Sprechen und Singen, (Auf-)Schreiben, Antworten formulieren oder Schreiben eigener Musikverse.

Unter Reflexion fallen diejenigen Aktionen, bei denen sprachliche Reflexionen vorgenommen werden: z.B. beim Reflektieren verschiedener Bedeutungen oder der Etymologie eines Wortes sowie bei der Reflexion von Unterschieden im Sprachgebrauch und der sprachlichen Strukturen. Zu Recherche zählen Aktionen, bei denen es darum geht, Bedeutungen herauszufinden oder Informationen zu recherchieren, z.B. bei der weiterführenden Recherche und Nutzung von Quellen oder Materialien außerhalb des Lehrbuchs.

Die Zuordnung zu diesen einzelnen Ausprägungen ergab, dass mit 73% (n=96) fast drei Viertel aller an den mehrsprachigen Elementen vorzunehmenden Aktionen der Rezeption zuzurechnen sind (siehe Abb. 1). Darauf folgen mit wesentlich geringeren Anteilen die Produktion mit 16% (n=21), die Recherche mit 7% (n=9) und die Reflexion mit 4% (n=5).

Abb. 1: Aktionen in den mehrsprachigen Elementen (n=131)

Der starke Fokus auf der Rezeption von mehrsprachigen Elementen schließt gut an das Ergebnis zu den Elementarten an, da Fachbegriffe und authentische Quellen rezipiert werden, bevor eine eigene Produktion folgen kann. Das Ergebnis zeigt auch, dass die in einem weiteren Schritt mögliche Produktion nach der Rezeption in der Regel ausbleibt.

4.3 Medialität der Lernendenaktion

Bei den Aktionen Rezeption und Produktion wurde zusätzlich ausgewertet, ob die Aufgabenbearbeitung von den Schüler*innen mündlich oder schriftlich erfolgen soll. Abbildung 2 zeigt, dass die Mehrzahl der geforderten Aktionen im schriftlichen Bereich angesiedelt sind (81%) und nur wenige im mündlichen (19%). Allerdings wird deutlich, dass sich der Anteil bei Rezeption und Produktion durchaus unterschiedlich gestaltet. Denn es wird auf der einen Seite mehr gelesen (n=91) als gehört (n=5) und auf der anderen Seite jedoch mehr gesprochen (n=18) als geschrieben (n=3).

Abb. 2: Medialität der mehrsprachigen Elemente (n=117)

Insgesamt ist dennoch ein starker Fokus auf schriftliche Aktivitäten zu konstatieren. Dies könnte damit im Zusammenhang stehen, dass Schulbücher noch immer vor allem schriftliche Lehrmittel sind – auch wenn der Anteil audiovisueller Materialien in Schulbüchern in den letzten Jahren zugenommen hat (vgl. Fuchs/Niehaus/Stoletzki 2014).

4.4 Komplexität der intendierten Aktion

Die in drei Stufen (niedrig, mittel, hoch) unterteilte Kategorie Komplexität ermöglicht eine nähere Betrachtung der intendierten Lernendenaktionen mit dem mehrsprachigen Element. Eine Aufgabenstellung mit einem höheren Komplexitätsgrad bietet ein größeres kognitives Aktivierungspotenzial für die Schüler*innen (vgl. Maier et al. 2013), was sich positiv auf die Nutzung des Unterrichtsangebots und somit auf den Lernerfolg auswirken kann (vgl. Kapitel 2).

Für alle Fundstellen gilt, dass die in den Lehrwerken angegebenen Hilfestellungen (Übersetzungen, angegebene Lösungswege etc.) für die Aktion mit dem mehrsprachigen Element von niedrig über mittel zu hoch weniger werden, während gleichzeitig der Umfang der zu berücksichtigenden mehrsprachigen Elementen zunimmt. Die genaue Definition der Ausprägungen ist jedoch von der jeweiligen Aktion abhängig:

Tab. 2: Komplexitätsstufen der intendierten Aktionen

Niedrig Mittel Hoch
Rezeption Einzelne Wörter / Phrasen / ein Satz mit angegebener Übersetzung müssen / muss rezipiert werden Einzelne Wörter / Phrasen / ein Satz ohne angegebene Übersetzung müssen / muss rezipiert werden Ein Text ohne angegebene Übersetzung muss rezipiert werden
Produktion Produktion vorgegebener Wörter, Phrasen, Sätze, Texte Produktion einzelner eigener Wörter, Phrasen, Sätze Produktion eigener Texte
Recherche Ermitteln einzelner Bedeutungen / Ausdrücke / Informationen mit Hilfestellung (Ort / Weg der Suche, Sprachangabe etc.) Ermitteln einzelner Bedeutungen / Ausdrücke / Informationen ohne Hilfestellung Ermitteln mehrerer Bedeutungen / Ausdrücke / Informationen ohne Hilfestellung
Reflexion Reflexion einzelner Bedeutungen / Informationen mit Lösung / Hilfestellung im Buch Reflexion einzelner Bedeutungen / Informationen ohne Lösung / Hilfestellung im Buch Reflexion mehrerer Bedeutungen / Informationen ohne Lösung / Hilfestellung im Buch

Abbildung 3 zeigt die Häufigkeitsverteilung innerhalb der Kategorie Komplexitätsgrad. Zwei Drittel der Fundstellen (66%, n=86) sind dem Komplexitätsgrad niedrig zuzuordnen, 13% (n=17) dem Komplexitätsgrad mittel und 21% (n=28) dem Komplexitätsgrad hoch. Damit bietet der überwiegende Teil der analysierten Aufgabeneinbindungen lediglich ein geringes kognitives Aktivierungspotenzial (vgl. Maier et al. 2013) für die Schüler*innen.

Abb. 3: Komplexitätsgrad der intendierten Aktion (n=131)

4.5 Kombinationen der Analysekategorien

Die bis hierhin vorgestellten Ausprägungen der verschiedenen Analysedimensionen der Aufgabenstellungen können theoretisch auf vielfältige Weise miteinander kombiniert werden. Tabelle 3 zeigt, welche Kombinationen mit welcher Häufigkeit im untersuchten Datenkorpus vorkommen. Als zentrale Analysedimensionen bilden Intendierte Aktion (vgl. Kap. 4.2) und Komplexität (vgl. Kap. 4.4) die Achsen der Matrix. Für die beiden Aktionen Rezeption und Produktion ist außerdem die Medialität (vgl. Kap. 4.3) der Fundstellen angegeben. Als zusätzliche Information wird die Elementart (vgl. Kap. 4.1) einer jeden Fundstelle in der letzten Tabellenspalte aufgelistet.

Tab. 3: Kombinationen der Dimensionen

niedrig mittel hoch Gesamt Elementart
Rezeption 63
Davon
schriftlich: 60
mündlich: 3
12
Davon
schriftlich: 11
mündlich: 1
21
Davon
schriftlich: 20
mündlich: 1
96
Davon
schriftlich: 91
mündlich: 5
Quelle: 49
Begriff: 47
Spracherwähnung: –
Produktion 17
Davon
schriftlich: 1
mündlich: 16
4
Davon
schriftlich: 2
mündlich: 2
21
Davon
schriftlich: 3
mündlich: 18
Quelle: 20
Begriff: –
Spracherwähnung: 1
Recherche 5 2 2 9 Quelle: 1
Begriff: 5
Spracherwähnung: 3
Reflexion 1 3 1 5 Quelle: –
Begriff: 5
Spracherwähnung: –
Gesamt 86
Davon schriftlich: 61
mündlich: 19
17
Davon schriftlich: 11
mündlich: 1
28
Davon schriftlich: 22
mündlich: 3
131
Davon schriftlich: 94
mündlich: 23
Quelle: 70
Begriff: 57
Spracherwähnung: 4

Die häufigste Kombination der Dimensionen lautet Rezeption/niedrig/schriftlich (n=60), gefolgt von Rezeption/hoch/schriftlich (n=20) und Produktion/niedrig/mündlich (n=16). Damit ist die Kombination Rezeption/niedrig/schriftlich in fast der Hälfte aller Fundstellen (46%) vertreten und die drei häufigsten Kombinationen vereinen beinahe drei Viertel aller Fundstellen (73%) auf sich. Alle anderen möglichen Kombinationen kommen entweder deutlich seltener oder aber gar nicht vor. Bei den Aufgabeneinbindungen mehrsprachiger Elemente in den hier untersuchten Lehrwerken handelt es sich demnach hauptsächlich um rezeptive oder produktive Aufgaben niedriger Komplexität mit einem Fokus auf Schriftlichkeit, die somit insgesamt wenig Variation bieten.

5 Ergebnisse der qualitativen Detailanalysen

Die quantitativen Ergebnisse des vorangegangenen Kapitels werden nun durch eine qualitative Detailanalyse von vier exemplarischen Aufgabenstellungen ergänzt. Die Beispiele wurden nach dem Prinzip der maximalen Kontrastierung (vgl. Kruse 2013) hinsichtlich der im vorigen Kapitel vorgestellten Analyseergebnisse zuzüglich des Schulfachs und der einbezogenen Sprache ausgewählt. Ziel ist, die Bandbreite der Aufgabenstellungen mit mehrsprachigen Elementen aufzuzeigen, unabhängig von der jeweiligen Aufgabenqualität oder der Häufigkeit ihres Auftretens im Datenkorpus. Dabei wird ausschließlich der mehrsprachigkeitsdidaktische Anteil der Aufgaben analysiert, allgemein-didaktische Merkmale sowie sonstige kritische Reflexionen bleiben hier unberücksichtigt.

Beispiel aus dem Fach Erdkunde:

Abb. 4: Beispiel Erdkunde aus Lammersen/Palmen/Pinter/Porth/Wehmöller (2018: 90–91)

Dieses erste Aufgabenbeispiel entstammt einem Erdkundeschulbuch (Abbildung 4). Die Lernenden werden mit der Aufgabenstellung „Nenne Gründe, warum die Menschen in Afrika Cash crops anbauen (T1, T2)“ aufgefordert, die zwei abgebildeten Texte zu nutzen, um den Anbau von cash crops auf dem afrikanischen Kontinent zu begründen. Da hier das Erschließen eines einzelnen nicht deutschen Ausdrucks gefordert ist, wurde die intendierte Aktion als Rezeption kodiert. Da es sich um einen einzelnen Begriff mit angegebener wörtlicher Übersetzung im zugehörigen Text handelt, wurde der Komplexitätsgrad als niedrig eingestuft. Das Auftauchen dieses einzelnen übersetzten Fachbegriffes (Elementart) lässt sich außerdem keiner Aktivität aus mehrsprachigkeitsdidaktischen Konzepten zuordnen. Das Ziel, einen gebräuchlichen Fachbegriff aus dem Fach Erdkunde zu erlernen, wird durch diese Aufgabe aber durchaus gefördert. Die in dem mehrsprachigen Element verwendete Sprache ist Englisch, wobei hier keine Sprachkenntnisse bei den Schüler*innen vorausgesetzt werden, da die wörtliche Übersetzung der beiden Kompositabestandteile mit „Bargeld“ und „Frucht“ direkt im Folgesatz angegeben wird. Mit Exportfrüchte und Marktfrüchte existieren zwei gebräuchliche deutsche Übersetzungen für cash crops, die jedoch nur eingeschränkt definitionsgleich sind. Diese Übersetzungen werden allerdings weder angegeben noch sollen sie von den Schüler*innen recherchiert oder reflektiert werden. Auch das Gegenstück des Begriffes, food crops, wird nicht angeführt oder durch Recherche oder Reflexion eingebracht. Die Begründung für die Wahl eines englischen Elementes in der Aufgabe ist nicht klar, jedoch wäre ein möglicher Erklärungsansatz, dass der relevante Begriff aus den überwiegend englischsprachigen Wirtschaftswissenschaften stammt. Ebenso lässt sich cash crops als Fachbegriff der Agrarwissenschaften betrachten, der auch in einigen anderen Sprachen verwendet wird, so beispielsweise im Italienischen. Die Rolle der intendierten Aktion für das Unterrichtsthema scheint somit recht eindeutig: Die Schüler*innen lernen durch die Rezeption den englischen Fachbegriff für die im Aufgabentext beschriebene landwirtschaftliche Anbauform kennen. Diese Anbauform ist relevant im Hinblick auf das Leben in den afrikanischen Savannen, wo die traditionelle Lebensführung der Selbstversorgung einer neuen, am Ertrag von cash crops ausgerichteten Lebensführung weicht. Mit dem mehrsprachigen Element wird abgesehen davon jedoch nicht weiter gearbeitet.

Beispiel aus dem Fach Musik:

Abb. 5: Beispiel Musik aus Haun/Kotzian/Martin/Mauersberger (2016: 57)

Das zweite Beispiel stammt aus einem Musiklehrbuch (Abbildung 5). Die Aufgabenstellung lautet „Singt das Lied und schreibt eigene Verses [sic!] dazu“, darüber ist der Text des englischsprachigen Liedes This land is your land sowie die Notation der Melodie abgebildet. Es handelt sich um eine authentische Quelle, da es ein nicht didaktisierter Liedtext ist. Hier finden zwei mehrsprachige Produktionen statt: Zuerst sollen die Schüler*innen den englischsprachigen Song singen (mündliche Produktion) und dann neues sprachliches Material schriftlich produzieren. In der vorangegangenen Aufgabe erfolgt das Erschließen des Inhaltes der Quelle (vgl. Bredthauer et al. 2021b 4–5), auf dessen Basis die schriftliche Produktion ermöglicht werden kann. Durch das Singen des Liedes wird hier eine Aufgabe zum Erleben der Sprache angeboten – eine Aktivität, die in Konzepten zu Mehrsprachigkeitsdidaktik häufig vorkommt, auch im Grundschulbereich, wenn Schüler*innen dadurch Sprachenvielfalt kennenlernen (vgl. Kalkavan-Aydin 2015). Im zweiten Teil der Aufgabe werden die mehrsprachigen Kompetenzen der Schüler*innen für die Aktivität Texte schreiben (vgl. Bredthauer et al. 2021b: 4–5) einbezogen.6 Die Sprache des Elements ist Englisch und im Schulbuch wird keine Übersetzung für den Text angegeben. Das bedeutet, es wird davon ausgegangen, dass die Klasse über ausreichende Englischkompetenzen verfügt, um beide Produktionsaktivitäten durchzuführen. Die Sprachwahl ergibt sich hier aus dem Unterrichtsthema Folkmusik in Nordamerika. Die Aufgaben erfüllen sowohl übergeordnete als auch thematisch gebundene Ziele des Fachs Musik. Das Singen des Liedes sorgt für die Förderung handlungsbezogener Kompetenzen in diesem Bereich (vgl. MSW NRW 2012) und ermöglicht das Erleben musikalischer Kennzeichen von Folkmusik. Das Schreiben eigener Verse verfolgt das Ziel eines vertieften Kennenlernens und Reflektierens von Zielsetzungen, Inhalten und sprachlicher Gestaltung von Folkmusik. Texte von Folk-Songs haben häufig einen Fokus auf politischen und sozialen Problemen und das ausgewählte Lied von Woodie Guthrie wurde häufig gecovert und auch von anderen Musiker*innen um eigene Strophen erweitert. Zu genau dieser Handlung werden die Schüler*innen in der Aufgabe aufgefordert. Obwohl der Text nicht übersetzt vorliegt, kann der Komplexitätsgrad für die mündliche Produktion als niedrig eingestuft werden, da das Lied lediglich gesungen werden muss. Die Komplexität der schriftlichen Produktion wird hingegen als hoch eingestuft, da ganze Verse geschrieben werden müssen.

Beispiel aus dem Fach Chemie:

Abb. 6: Beispiel Chemie aus Bee/Brückl/Gietz/Habekost/Irmer/Maier/Nelle/Penz/Schierle/Sternberg/Töhl-Borsdorf/Wiese/Zehntmeier (2019: 171)

Das dritte Beispiel entstammt einem Chemieschulbuch (Abbildung 6). Die Aufgabenstellung lautet „Finde den Grund für die Benennung der Elektronen nach dem Bernstein heraus“ und soll durch eine Recherchearbeit seitens der Schüler*innen bearbeitet werden. Dabei liegt der Fokus auf der Etymologie des Fachbegriffes Elektronen (mehrsprachiges Element). Durch die etymologische Erschließung von Bedeutungen werden Wörter in unterschiedlichen Sprachen kennengelernt und verglichen (vgl. Bredthauer et al. 2021b: 4–5). Die wörtliche Übersetzung ins Deutsche aus dem Altgriechischen (im Text: „griechisch“) wird im Schulbuch angegeben, so dass keine Kenntnisse in dieser Sprache erforderlich sind. Das Altgriechische wird hier gewählt, da es sich bei dem Fachbegriff um einen Gräzismus handelt. Darüber hinaus ist Altgriechisch die Sprache der ursprünglichen Forschung in dem Bereich, dem diese Aufgabe gewidmet ist. Die Komplexität dieser intendierten Aktion wird als niedrig eingestuft, da durch die Angabe der Sprache und der wörtlichen Übersetzung (Bernstein) zwei Hilfestellungen gegeben sind, die die Recherchearbeit erleichtern. Die Aktion soll als Eselsbrücke für das Unterrichtsthema dienen: Über die Eigenschaften des Wortes können sich Schüler*innen die Eigenschaften von Elektronen merken. Denn große Bernsteine dienten in antiken Haushalten als Kleiderbürste, da sich dieser Stoff besonders gut elektrostatisch auflädt und Staubteilchen an sich zieht. Dieser Zusammenhang zwischen Materie und Elektrizität ist entsprechend auch in der Etymologie des Gräzismus Elektron zu beobachten.

Beispiel aus dem Fach Gesellschaftslehre:

Abb. 7: Beispiel Gesellschaftslehre aus Birkendorf/Leinen/Hengel/Pajenkamp/Pinter/Stein (2018: 50)

Das letzte Beispiel stammt aus dem Fach Gesellschaftslehre. Die Aufgabenstellung lautet „Die Spanier übernahmen außer dem Wort Mexiko auch andere Begriffe von den Azteken: tomatl, xocoatl. Übersetze in die deutsche Sprache und suche nach Gründen für die Übernahme“. Die verwendeten mehrsprachigen Elemente werden in der Sprache Nahuatl (Aztekisch)7 eingebunden, was der Aufgabe ein Alleinstellungsmerkmal im Rahmen dieser Untersuchung verschafft. Die Wahl der Sprache lässt sich durch das Thema des Kapitels im Schulbuch begründen, das sich mit der Kolonialisierung der Amerikas und der Eroberung der Großreiche (u.a. der Azteken) auseinandersetzt. Die Begriffe werden in lateinischer Schreibweise dargestellt, vermutlich da die Aztek*innen keine Aufzeichnungen in Form schriftlicher Texte verwendeten. Da es sich um Internationalismen handelt, die über Interkomprehension8 (vgl. Oleschko 2011) erschlossen werden können, sind keine Sprachkenntnisse in Nahuatl bei den Schüler*innen erforderlich, um die Teilaufgaben zu bearbeiten. Zudem kann die Übersetzung mit oder ohne Recherche erfolgen. Auch die angegebene Etymologie des Begriffes xocoatl in einem Infokasten am Seitenrand dient hier zur Unterstützung9. Die intendierte Aktion innerhalb dieser Aufgabe wurde als Reflexion eingestuft, wobei durch den Fokus auf der Etymologie der Begriffe das Kennenlernen und Vergleichen von Sprachen (vgl. Bredthauer et al. 2021b: 4–5) gefördert wird. Die Reflexion bezieht sich an dieser Stelle auf die Suche nach Gründen für die Übernahme der Begriffe. Die Komplexität der Aufgabe wurde als mittel eingestuft, da nur einzelne Begriffe und Bedeutungen reflektiert werden sollen, dies jedoch ohne Hilfestellungen. Es handelt sich um allgemeinsprachliche Begriffe (Elementart), die im Zusammenhang mit Sprache und Kultur hinsichtlich des Fachthemas stehen. An dieser Stelle lässt sich auch eine Einbettung in die Unterrichtsthematik erkennen, da sowohl Tomaten als auch Kakao eine kulturelle Bedeutung für die Aztek*innen hatten, und die Etymologie der Begriffe die weitere kulturelle Verbreitung der zwei Produkte nach Europa erahnen lässt. Die Schüler*innen können sich hier den Zusammenhang zwischen der sprachlichen und der kulturellen sowie ökonomischen Entwicklung erarbeiten. Dies wird angestoßen, indem die Begriffsübernahme seitens der Spanier*innen als Kolonialmacht Erwähnung findet. Die Weiterführung der Begriffe ins Deutsche soll vermutlich auf den Handel innerhalb Europas hinweisen.

6 Diskussion der empirischen Ergebnisse

In der vorgestellten Studie wurden in 70% der Schulbücher aus unterschiedlichsten Sachfächern mehrsprachige Elemente in Aufgabenstellungen gefunden. Das bedeutet jedoch nicht, dass in den übrigen Schulbüchern keine mehrsprachigen Elemente vorkommen, nur dass auf diese kein Bezug in Aufgabenstellungen genommen wird. In Kapitel 2 wurde bereits festgehalten, dass sich ein Großteil der vorkommenden mehrsprachigen Elemente auf einzelne Wörter und Phrasen ohne weitere Anknüpfungspunkte beschränkt. Auch die vorangegangene Untersuchung aus dem Projekt SAMMELN zeigte auf, dass die gefundenen mehrsprachigen Elemente weitestgehend nicht in Arbeitsaufträge eingebunden sind und sich eher als vereinzelte Bruchstücke beschreiben lassen (vgl. Bredthauer et al. 2021). Ziel der Weiterentwicklung der zugelassenen Schulbücher sollte deshalb sein, Mehrsprachigkeit regelmäßig in Aufgabenstellungen aller Schulfächer einzubeziehen. Dann kann durch das Anknüpfen an die mehrsprachigen Kompetenzen der Schüler*innen eine gute Passung von Aufgaben und Lernenden erreicht werden, die von großer Relevanz für die Nutzung des Lernangebots ist.

Die vorliegende Untersuchung kam weiterhin zu dem Ergebnis, dass es sich bei den mehrsprachigen Fundstellen überwiegend um fremdsprachige Fachbegriffe oder authentische Quellen wie z.B. Liedtexte handelt. Hier stellt sich die Frage, ob die verschiedenen Elementtypen über ein unterschiedlich hohes mehrsprachigkeitsdidaktisches Potenzial verfügen. Dies erscheint ein lohnenswerter Gegenstand für eine Folgestudie.

Die Analyse der intendierten Aktionen der Lernenden innerhalb der Aufgaben kam zu dem Schluss, dass drei Viertel der mit den mehrsprachigen Elementen auszuführenden Tätigkeiten zur Rezeption gehören. Wesentlich seltener sollen die Schüler*innen etwas produzieren oder recherchieren und nur äußerst selten reflektieren. Im Ergebniskapitel wurde bereits darauf verwiesen, dass diese auffällige Schwerpunktsetzung auf der Rezeption sehr gut zu den Ergebnissen der verwendeten Elementarten passt. Denn sowohl Fachbegriffe als auch authentische Quellen müssen zunächst rezipiert werden, bevor sie für weitere Arbeitsschritte genutzt werden können. Dieser Folgeschritt einer Produktion nach der vorherigen Rezeption ist jedoch in den Aufgaben in der Regel nicht vorgesehen. Das heißt, das Potenzial der mehrsprachigen Elemente wird nicht ausgeschöpft. Die bloße Rezeption eines mehrsprachigen Elements ist sicherlich auch schon sinnvoll. Dennoch ist es lediglich eine, zudem noch eine teilweise weniger anspruchsvolle Option, mehrsprachige Elemente in eine Aufgabe einzubinden. In Anbetracht der Bandbreite an Möglichkeiten, die zur Einbindung mehrsprachiger Elemente in Aufgaben bestehen, ist eine Berücksichtigung aller Aktionstypen in den Aufgaben zu empfehlen.

Bei der Analyse in Bezug auf die Medialität wurde ein starker Fokus auf schriftliche Aktivitäten festgestellt. Dies hängt sicherlich zum Teil damit zusammen, dass Aufgaben aus Schulbüchern untersucht wurden und Schulbücher traditionell schriftliche Lehrmittel sind (vgl. Fuchs et al. 2014). Hinsichtlich der rezeptiven und produktiven Tätigkeiten fällt auf, dass mehrheitlich zum Lesen aufgefordert wird, sehr viel seltener zum Sprechen – was ausschließlich im Fach Musik als Singen stattfindet – und kaum zum Hören oder Schreiben. Aus mehrsprachigkeitsdidaktischer Sicht wäre ein ausgewogener Einbezug der genannten vier Fertigkeiten sinnvoll, da sie jenseits ihrer sprachdidaktischen Relevanz und dem Ansprechen unterschiedlicher Lernertypen auch jeweils variierende epistemische Funktionen in Bezug auf das Erlernen der Fachinhalte erfüllen. Dafür eignen sich multimediale Lehr-Lern-Mittel und Quellen besser als reine Printmedien in gedruckter Form, da sie sowohl auditive als auch visuelle oder audio-visuelle Ressourcen nutzen und entsprechend zu verschiedenen Formen der Kommunikation anregen.

Die Komplexität der mehrsprachigen Aktionen bietet mehrheitlich ein geringes kognitives Aktivierungspotenzial: Zwei Drittel der Fundstellen sind einem niedrigen Komplexitätsgrad zuzuordnen. Das bedeutet, dass die in die Aufgaben eingebundenen mehrsprachigen Elemente mehrheitlich einen geringen Umfang haben. Es handelt sich meist um einzelne Wörter oder Phrasen mit vielen Hilfestellungen für die Aufgabenbearbeitung. Dass die mehrsprachigen Einheiten seltenst die Wort/Phrasen-Ebene verlassen, deckt sich mit den Ergebnissen der vorausgehenden quantitativen Untersuchung (vgl. Bredthauer et al. 2021). Eine komplexere Einbindung mehrsprachiger Elemente in Aufgaben und entsprechend eine höhere kognitive Aktivierung wäre für den Ausbau mehrsprachiger Kompetenzen sowie den Unterricht insgesamt gewinnbringender. Dass dies möglich ist, zeigen einige Good-Practice-Beispiele in den untersuchten Schulbüchern. Bei solchen Aufgaben wird eine intensivere und komplexere Auseinandersetzung mit den mehrsprachigen Elementen angeregt, indem beispielsweise ganze Texte mündlich oder schriftlich selbständig produziert oder reflektiert werden und Komplexitätssteigerungen oder Differenzierungen nach Lernstand vorgesehen sind.

Mit Blick auf die Kombinationen der verschiedenen Analysekategorien zeigte sich, dass lediglich drei Kombinationsmöglichkeiten nahezu drei Viertel aller Fundstellen ausmachen. Bei den Aufgabeneinbindungen mehrsprachiger Elemente in den untersuchten Lehrbüchern handelt es sich hauptsächlich um rezeptive oder produktive Aufgaben niedriger Komplexität mit einem Fokus auf Schriftlichkeit, die insgesamt wenig Variation bieten. Um das Potenzial mehrsprachiger Elemente für das fachliche Lernen optimal zu nutzen, wäre es wünschenswert, verschiedene Formen von Aufgabeneinbindungen zu variieren und die Möglichkeiten außerhalb von rein rezeptiven, schriftlichen Aufgaben auszuschöpfen. Dadurch würde eine Passung zwischen Aufgaben und mitgebrachtem Vorwissen der Lernenden erreicht, das sich nicht auf rezeptive Kompetenzen beschränken muss. Zudem würden Aufgabeneinbindungen auf einem komplexeren, kognitiv anregenderen Niveau die Handlungsfähigkeit hinsichtlich mehrsprachiger Kompetenzen verbessern.

Die Auswertung der Fallbeispiele zeigt außerdem mehrere Möglichkeiten auf, mehrsprachige Elemente durch die Fachinhalte einzubinden: Im Fach Erdkunde werden Sprachen als Teil von sich verändernden Wirtschafts- und Lebensformen thematisiert (Beispiel 1), im Musikunterricht authentische Quellen in ihrer Originalsprache genutzt (Beispiel 2), die Etymologie von Fachbegriffen der Physik erläutert (Beispiel 3) und in Gesellschaftskunde anhand der Kolonialgeschichte Südamerikas das Phänomen der Lehnwörter reflektiert (Beispiel 4). Diese Vielfalt steht im Kontrast zu den vorgefundenen mehrsprachigen Aktivitäten, die nicht nur bei den präsentierten Fallbeispielen, sondern durchgängig wenig Variation und eine geringe Komplexität bieten. Lediglich das Fallbeispiel aus dem Musiklehrbuch kann als Good-Practice-Beispiel dienen. In den Aufgabenstellungen, die sich auf den englischsprachigen Liedtext beziehen, werden unterschiedliche Aktionen (Erschließen des Inhaltes der Quelle, Singen des Liedes, Texte schreiben), Medialitäten (schriftlich, mündlich) und Komplexitätsgrade (niedrig, hoch) eingesetzt. Die anderen Fallbeispiele sind von ihrer mehrsprachigkeitsdidaktischen Konzeption und ihrem Anspruchsniveau deutlich weniger komplex. Dieser Befund stimmt mit den Ergebnissen vorheriger Untersuchungen überein, dass mehrsprachige Elemente in aktuellen Schulbüchern vielmehr Deko als Didaktik darstellen (vgl. Bredthauer et al. 2021). Dafür spricht auch, dass in den Fundstellen dieser Studie in der Regel nur das Wissen der Schüler*innen über Sprachen und Mehrsprachigkeit gefördert wird. Zu einer umfassenden Einbindung von Mehrsprachigkeit in Schulbücher gehören jedoch auch die Förderung von mehrsprachiger Handlungsfähigkeit und einem mehrsprachigen Selbstverständnis bei den Schüler*innen (vgl. Heer 2013). Aus diesen Gründen sollten diese beiden Aspekte und auch die vielfältigen Möglichkeiten zur Einbindung von Mehrsprachigkeit, die sowohl die Fachinhalte als auch etablierte mehrsprachigkeitsdidaktische Konzepte bieten, stärker bei der Konzeption von Aufgaben mit mehrsprachigen Elementen berücksichtigt werden.

Bei den Sprachen in den analysierten Aufgabenstellungen dominiert das Englische, gefolgt von Latein, Altgriechisch und Französisch. Die vier Fallbeispiele zeigen deutlich, dass die Sprachwahl jeweils vom Fachinhalt hergeleitet wird. Obwohl dieser Ansatz nachvollziehbar erscheint, gilt es zu bedenken, dass die nach diesem Prinzip einbezogenen Sprachen meist in der Schule gelernte Sprachen sind und damit einhergehend kaum die Mehrsprachigkeit der Schüler*innen und der Gesellschaft repräsentieren. Die spezifischen Befunde bei den Aufgabenstellungen in Schulbüchern entsprechen den Ergebnissen der vorangegangenen Studie zu mehrsprachigen Elementen allgemein (vgl. Bredthauer et al. 2021) und legen erneut die Empfehlung nahe, dass die Präsentation der Mehrsprachigkeit in Schulbüchern der realen Vielfalt an Sprachen entsprechen soll. Konkret bedeutet das, dass nicht nur Schulsprachen, sondern auch Herkunfts- und Minderheitensprachen zwecks einer Steigerung der Passung zwischen Aufgaben und Schüler*innen berücksichtigt werden. Die Einbeziehung aller in der Gesellschaft vorkommenden Sprachen in jede Aufgabenstellung ist natürlich nicht möglich, aber um das Ziel einer größeren Repräsentativität zu erreichen, können mehrere Sprachen innerhalb einer Unterrichtseinheit oder eines ganzen Schulbuchs variiert werden, oder es kann den Schüler*innen ermöglicht werden, die Sprachen für die Bearbeitung einer Aufgabe frei zu wählen. Wenn die Sprachwahl ausschließlich aus dem Fachinhalt resultiert, dann werden andere Sprachen als die Schulsprachen selten eingebracht. Ideal wäre es, beide Prinzipien für die Sprachwahl der mehrsprachigen Elemente in den Aufgaben zu kombinieren und sie mit den Aktivitäten zu verknüpfen, die die Schüler*innen ausführen müssen. So könnten beispielsweise die gelernten Schulsprachen beim Erschließen von Inhalten aus einer Originalquelle berücksichtigt und die lebensweltliche Mehrsprachigkeit der Schüler*innen bei Aktivitäten wie Notizen machen oder Texte verfassen angesprochen werden (vgl. Bredthauer et al. 2021b: 4–5). Wichtig ist, dass die Orientierung an der Mehrsprachigkeit der Schüler*innen und der Gesellschaft immer gewährleistet ist. Eine solche Orientierung würde außerdem bedeuten, dass nicht nur eine einzige weitere Sprache neben dem Deutschen pro Aufgabe einbezogen wird, sodass die Verknüpfung mehrerer unterschiedlicher Sprachen angeregt würde. Eine freiere Sprachwahl würde auch die Notwendigkeit reduzieren, viele Übersetzungen und andere Hilfsmittel anzugeben. Darüber hinaus würden eine Auseinandersetzung und die Offenheit gegenüber dem Gebrauch von Minderheitensprachen oder allgemein anderen Sprachen als Deutsch und den Schulsprachen im schulischen Kontext und in der Gesellschaft gefördert.

7 Ausblick

Die in diesem Beitrag vorgestellte Studie hat gezeigt, dass bei der Einbindung von Mehrsprachigkeit in Schulbuchaufgaben noch viel Weiterentwicklungspotenzial besteht. Dies greift der Beitragstitel mit der Nachfrage Einbindung oder Einbildung? auf und es wäre begrüßenswert, wenn in den kommenden Jahren Schritte hin zu einer didaktisch vielfältigeren und hochwertigeren Einbindung von mehrsprachigen Elementen in Schulbuchaufgaben unternommen würden. Denn nur dann kann hinsichtlich der mehrsprachigen Kompetenzen der Schüler*innen durch das Anknüpfen an Vorwissen und Vorerfahrungen eine gute Passung von Aufgaben und Lernenden erreicht werden. Dies wiederum ist von großer Bedeutung für die Nutzung des Lernangebots und bietet somit eine relevante Stellschraube für eine Erhöhung des individuellen Lernerfolgs.

Die Weiterentwicklung der Schulbuchaufgaben kann sinnvollerweise durch eine mehrsprachigkeitsdidaktische Schulung von angehenden und aktiven Lehrkräften in deren Aus- und Weiterbildung flankiert werden. So würde sichergestellt, dass Lehrer*innen bei der Umsetzung und Adaption von Schulbuchaufgaben in ihrem eigenen Unterricht die Passung von Aufgaben und ihren Lernenden hinsichtlich mehrsprachiger Fähigkeiten im Blick haben.

Hieraus ergibt sich auch der Gegenstand von offener Anschlussforschung an die in diesem Beitrag vorgestellten Ergebnisse: Die Analyse der Schulbuchaufgaben konnte zeigen, inwiefern diese Potenzial für eine kognitive mehrsprachige Aktivierung aufweisen. Diese Erkenntnisse sollten durch Verwendungsforschung von entsprechenden Aufgaben angereichert werden, so dass die Nutzung des mehrsprachigkeitsdidaktischen Potenzials der Aufgaben sowie mögliche Einflussfaktoren auf eine gewinnbringende Nutzung untersucht werden.

Notes

  1. Unter individueller Mehrsprachigkeit wird in diesem Beitrag „die Kompetenz eines Menschen [verstanden], mehr als eine Einzelsprache zu nutzen, um mündlich und/oder schriftlich zu kommunizieren“ (Bredthauer/Kaleta/Triulzi 2021a). Die Sprachen können in unterschiedlichen Kontexten erlernt worden und verschieden ausgeprägt sein, z.B. hinsichtlich Domänen, Medialität und Niveau. Es sind demnach sowohl Kompetenzen in Erstsprachen als auch in Zweit- und Fremdsprachen gemeint (vgl. Kap. 2). [^]
  2. Neben den Auswirkungen auf das fachliche Lernen finden sich in der Literatur verschiedene weitere Wirkbereiche, insbesondere hinsichtlich der Persönlichkeitsentwicklung. Im Sinne einer Fokussierung konzentriert sich der vorliegende Beitrag jedoch ausschließlich auf das fachliche Lernen. [^]
  3. Eine Tabelle mit der Übersicht des genauen Samples findet sich in Bredthauer et al. 2021. [^]
  4. Weitere Informationen zum Vergleich der verschiedenen Fächergruppen finden sich in Bredthauer et al. 2021. [^]
  5. Die Definitionen der verschiedenen Ausprägungen finden sich im Ergebnisteil in Kap. 4.4. [^]
  6. In der Aufgabenstellung wird nicht explizit erwähnt, in welcher Sprache die Produktion der eigenen Verse stattfinden soll. Allerdings ist anzunehmen, dass die Schulbuchautor*innen eine Produktion im Englischen meinten, da der Ausgangsliedtext auch in Englisch geschrieben ist. [^]
  7. Aztekisch ist eine gebräuchliche Bezeichnung für die Variante des Nahuatl, die im Zentrum des aztekischen Reiches gesprochen wurde (vgl. Dürr/Schlobinski 2006: 99). [^]
  8. Unter Interkomprehension wird das Verstehen insbesondere (nah)verwandter Sprachen, ohne sie vorab erlernt zu haben, verstanden. [^]
  9. An dieser Stelle möchten wir darauf verweisen, dass der Begriff xocoatl korrekt ist, der Begriff „Xocowatl“ (sic!) wird im Infokasten fehlerhaft abgedruckt. [^]

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Kurzbio

Dr. Stefanie Bredthauer ist promovierte Linguistin und als akademische Rätin am Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache der Universität zu Köln tätig. Sie leitete die Forschungsgruppe Mehrsprachige Lerngruppen, in deren Rahmen die hier vorgestellte Studie entstand. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen der Mehrsprachigkeitsdidaktik, der Zweit- und Fremdsprachdidaktik sowie der individuellen Mehrsprachigkeit.

Stefanie Helbert ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Weiterbildungsstudium DaZ des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache der Universität zu Köln. Zuvor war sie als Projektmitarbeiterin im Forschungsprojekt COLD tätig, in dessen Rahmen sie ihre Dissertation verfasst. Ihre derzeitigen Forschungsinteressen sind Mehrsprachigkeit, Native Speakerism und Linguizismus in Lehr- und Lernkontexten.

Magdalena Kaleta ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Deutsche Sprache und Literatur II sowie am Mercator-Institut für Sprachförderung und DaZ der Universität zu Köln. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören Mehrsprachigkeitsdidaktik, Mehrsprachigkeit im Migrationskontext und Sprachliche Bildung mit digitalen Medien.

Marco Triulzi ist DAAD-Lektor für Deutsch als Fremdsprache an der Universität La Sapienza in Rom, Italien. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen zurzeit in den Bereichen Mehrsprachigkeit und Mehrsprachigkeitsdidaktik, Sprach(en)diagnostik, Literacy und Low-Literacy und Förderung von Aussprachekompetenzen.

Leon Wörmann hat Erziehungswissenschaft, Islamwissenschaft und Sozialwissenschaften studiert und als wissenschaftliche Hilfskraft in der Forschungsgruppe Mehrsprachige Lerngruppen am Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache der Universität zu Köln gearbeitet. Aktuell studiert Leon Wörmann Soziologie an der Universität Bielefeld und arbeitet dort als wissenschaftliche Hilfskraft im Forschungsprojekt Proteste und gesellschaftlicher Zusammenhalt.

Anschrift:

Stefanie Bredthauer

Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache der Universität zu Köln

stefanie.bredthauer@mercator.uni-köln.de

Orcid ID: 0000-0003-1129-596X

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  • Stefanie Bredthauer
  • Stefanie Helbert
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  • Marco Triulzi
  • Leon Wörmann

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