Was hat frz. pain de mie eigentlich mit der Pandemie zu tun? Abgesehen von unterbrochenen Lieferketten, wohl nicht viel. Umso mehr jedoch zeigt sich in solchen spaßigen Verknüpfungen von Fremdsprachenlernenden die Tatsache, dass sie Sprachkenntnisse auf Basis vorgelernten und -erworbenen Sprachwissens aufbauen und stets Vergleiche ziehen. Oft gelingt der Transfer und wenn nicht, werden aus falschen Freunden Eselsbrücken (zu Beginn der Pandemie war Toastbrot schließlich knapp).
Nicht erst seit Kurzem kann also die Frage danach, ob Fremdsprachenunterricht mehrsprachig und mehrkulturell auszurichten ist, ausschließlich mit einem klaren und lauten „Ja!“ beantwortet werden (vgl. Europarat 2001: 163). Folglich ist die mehrsprachige und plurikulturelle Kompetenz in den bildungspolitischen Vorgaben auf europäischer und staatlicher Ebene sowie in den länderspezifischen Rahmen-, Lehr- und Bildungsplänen als ein wesentliches Bildungsziel verankert (vgl. ebd.; KMK 2003, 2004, 2012). Die Relevanz und Notwendigkeit einer entsprechenden Kompetenzbildung im Sprachenunterricht steht also außer Zweifel. Daraus ergeben sich allerdings etliche Anforderungen an die Umsetzung ebendort, an die Lehrkräfte und – allem voran – an die Lehrkräftebildung, damit die mehrsprachige und plurikulturelle Kompetenz der Lernenden im Fremdsprachenunterricht optimal gefördert wird. Diesen und weiteren Herausforderungen widmet sich der von Corinna Koch und Michaela Rückl herausgegebene Kongressband.
Die insgesamt neun Beiträge sind das Produkt der gleichnamigen Sektion des Frankoromanistentags 2020. Ihnen voran stellen die beiden Herausgeberinnen ein Vorwort, worin sie in aller Kürze die besagte Problematik, die Herausforderungen und Anforderungen eines mehrsprachigen und plurikulturellen Französischunterrichts aufzeigen. Der Band ist in die drei Schwerpunkte „Lehrkonzepte und Lehr-Lern-Materialien“ (15–63), „Sprachproduktion“ (65–106) und „Lehrkräftebildung“ (107–209) gegliedert, die augenscheinlich die dringlichsten Fragen hinsichtlich der in der Sektion diskutierten Thematik aufwerfen und in diesem Band bündeln. Hierin spiegeln sich also einerseits die besonderen Anforderungen an die Unterrichtspraxis bzw. die (angehenden) Französischlehrkräfte sowie andererseits zentrale Forschungsdesiderata der Mehrsprachigkeitsdidaktik.
Hinsichtlich der Lehrkonzepte gewährt Radosław Kucharczyk in seinem Beitrag mittels einer Lehrwerkanalyse Einblick in das Französischlernen in Polen. Eine Herausforderung begründet sich hier mit der deutlichen räumlichen Distanz zu den Zielsprachenländern. Ihn beschäftigt daher insbesondere die Frage, wie die französische Sprache und die Zielkultur(en) in ihrer Vielfältigkeit und Vielschichtigkeit den polnischsprachigen Lernenden vermittelt werden können, und schlägt die Umsetzung der Prinzipien der „didactique relationnelle“ vor. Der Lehr-Lern-Prozess ist dabei als individueller Weg zur Aneignung der Zielsprache und der Zielkultur(en) zu betrachten, denn „s’approprier une langue n’est pas une compétence à acquérir mais une expérience résultant de la synergie entre la diversité et l’altérité auxquelles l’apprenant est confronté“ (30), was sich seines Erachtens nachhaltig auf die Lernmotivation und die Einstellungen der Schüler*innen zur Zielsprache auswirke. Die Analyse zeigt, dass bei der Konzeption der polnischen Französisch-Lehrwerke an vielen Stellen die durchaus vorhandenen Potenziale nur unzureichend ausgeschöpft wurden. Wenig überraschend folgt deshalb der Hinweis, dass es – wie so oft – in erster Linie der jeweiligen Lehrkraft obliegt, entsprechende Methoden und Lehr-Lern-Materialien zu entwickeln und in der Unterrichtspraxis einzusetzen.
Ausgewählten deutschen Lehrwerken für den Fremdsprachenunterricht widmen sich im nächsten Beitrag Steffi Morkötter und Christiane Neveling. Sie überprüfen dabei, „an welchen Stellen gängige Lehrwerke für die Fächer Englisch und Französisch Transfermöglichkeiten und wechselseitige Anknüpfungspunkte für die Entwicklung von mehrsprachigkeitsdidaktischen Aktivitäten liefern“ (43). Im Zuge dessen nehmen sie insbesondere Erschließungsstrategien sowie Aufgaben und Hinweise zur Sprachmittlung und Grammatik in den Blick. Es zeigen sich tatsächlich punktuell Ansätze sprachenübergreifender Lehr-Lernaktivitäten, jedoch nur unsystematisch und unzureichend. Das Fazit lautet also auch hier: Die Potenziale werden nicht vollumfänglich ausgeschöpft. Ergänzend stellen Morkötter und Neveling das schweizer Projekt „Brücken“ vor, welches mittels lehrwerksverbindender Zusatzmaterialien diese Lücken füllen kann, und diskutieren ausgewählte Beispiele aus dem Online-Material des Lehr-/Lernjournals für mehrsprachigkeitsdidaktische Aktivitäten, die sich konsequent und systematisch durch die Lehr-Lern-Materialien ziehen und sich beispielsweise nicht allein auf die lexikalische Ebene beschränken, sondern alle Bereiche der kommunikativen, kulturellen und strategischen Kompetenzen bedienen. Für den bundesdeutschen Raum, so die beiden Autorinnen, eignen sich, aufgrund der freien Wahl der Lehrwerke, jedoch nur themen- und nicht lehrwerksverbindende Zusatzmaterialien.
Interkomprehension als zentrales Prinzip der Mehrsprachigkeitsdidaktik fokussiert in erster Linie die Entwicklung und Förderung der rezeptiven Fähigkeiten der Lernenden. Im Bereich Sprachproduktion zeigt Christian Ollivier in seinem Beitrag jedoch, wie das Konzept der Interkomprehension weiterzudenken ist, um auch die produktiven Kompetenzen der Lernenden in einem mehrsprachigkeitsdidaktischen Rahmen zu fördern – sozusagen als „interproduction“. Im Zuge dessen stellt er das Projekt EVAL-IC vor, welches sich zur Aufgabe gemacht hat, die panromanische kommunikative Kompetenz im Einklang mit der mehrsprachigen und interkulturellen Kompetenz zu definieren und Deskriptoren für entsprechende Interkomprehensionskompetenzen für die romanischen Sprachen zu entwickeln. Wichtige Erkenntnis: Sprachproduktion setzt Sprachverstehen voraus, weshalb auch die Interkomprehension als eine interaktive Kommunikationsform, die sich eben nicht auf die reine Rezeption beschränkt, zu begreifen ist.
So weist im Anschluss auch Mirjam Egli Cuenat anhand einer Spracherwerbsstudie zur dreisprachigen Textproduktion nach, dass für die schriftliche Produktion im Französischunterricht sprachenübergreifende Synergien nutzbar gemacht werden können. Dieses Lernpotenzial gelte es, bereits in der Lehrkräftebildung im Bereich der Diagnosekompetenz wie auch hinsichtlich des Transferpotenzials der im Sprachenunterricht (auch in der Schweiz nach der Fremdsprachenreform oft in der Reihenfolge Deutsch und Englisch vor Französisch) aufgebauten Ressourcen zur Stärkung der Zielsprache (hier also Französisch) bewusst zu machen. Auch werden die Bildungspläne in den Blick genommen und für deren Weiterentwicklung ein „horizontal und vertikal kohärenter Kompetenzaufbau“ (101) angeregt.
Es folgt das beitragsreichste Kapitel: jenes zur Lehrkräftebildung, liegt doch hier der Schlüssel für eine von den jüngsten Forschungserkenntnissen aus Mehrsprachigkeitsdidaktik und Interkulturalität geprägte Unterrichtspraxis. Eine an der Universität Saint-Etienne von Marine Totozani durchgeführte Fragebogenstudie unter angehenden Lehrkräften zur Integration pluraler Ansätze in deren Ausbildung und zu ihren Einstellungen dazu mit Blick auf ihren künftigen Fremdsprachenunterricht hat ergeben, dass durchaus Grundkenntnisse zu mehrsprachigkeitsdidaktischen Ansätzen vorhanden sind, teilweise jedoch die praktische Umsetzung im Unterrichtsgeschehen kritisch gesehen wird. Auch die Meinungen der Studierenden zur Integration pluraler Ansätze in die Curricula divergieren durchaus. Damit verdeutlicht die Umfrage ganz konkret den Bedarf einer spezifischen Lehrkräfte- und Persönlichkeitsbildung.
Bereits praktizierende Lehrkräfte rückt Giuseppe Manno in das Zentrum seines Beitrags und resümiert die Erkenntnisse aus drei Studien zu Überzeugungen von Fremdsprachenlehrkräften hinsichtlich der Prinzipien der Mehrsprachigkeitsdidaktik. Auch hier spiegelt sich eine Dichotomie zwischen positiven Einstellungen auf der einen, aber auch kritischen Stimmen gegenüber der praktischen Umsetzbarkeit auf der anderen Seite wider, was erklärt, warum Mehrsprachigkeit oft nur punktuell eine Rolle im Sprachenunterricht spielt und eben nicht systematisch umgesetzt wird. Manno identifiziert auf dieser Grundlage ebenso die Bedarfe und Potenziale in der Lehrkräftebildung.
An genau dieser Stelle setzt nun das Promotionsvorhaben von Svenja Haberland an. Sie konzipiert sog. „Bausteine“, d.h. modular aufgebaute Lerneinheiten, die sich in die bestehenden Studienstrukturen integrieren lassen und ganz konkret die mehrsprachigkeitsdidaktischen Kompetenzen der Lehramtsstudierenden fördern und die Dichotomie zwischen Theorie und Praxis auflösen sollen, indem die systematische Umsetzbarkeit mehrsprachigkeitsdidaktischer Prinzipien aufgezeigt wird. Überprüft werden die Einstellungen und das Kompetenzempfinden der Studierenden und damit die Wirksamkeit der Lerneinheiten über mehrere Fragebögen im Verlauf der betreffenden Studienphase.
Ein ebenso vielversprechendes Forschungsprojekt ist jenes von Laura-Joanna Schröter, die ihre Lehramtsstudierenden eine simulation globale für den sprachenübergreifenden Französischunterricht (konkret „vivre dans un immeuble plurilingue“) als Lehr-Lern-Methode entwickeln, in der Praxis erproben und forschend begleiten lässt. Damit macht sie überzeugend, am konkreten und unterrichtspraktischen Beispiel deutlich, „dass handlungs- und forschungsbezogene Ansätze den Studierenden einen fruchtbaren Rahmen für mehrsprachigkeitsorientiertes Lehren und Lernen bieten können“ (188), die zudem Eindruck hinterlassen und eben deshalb nachhaltig Wirkung zeigen dürften.
Explizit die Rolle der Herkunftssprachen der Lernenden im Fremdsprachenunterricht beleuchtet Christian Koch in seinem Beitrag. Er plädiert für Herkunftssprachenprofile, wie sie im DaF/DaZ-Bereich genutzt werden, ebenso für den Französischunterricht, wo sie auf dessen Spezifika zugeschnitten werden müssen. Denn auch Koch sieht das Problem in der Diskrepanz zwischen positiven Einstellungen gegenüber mehrsprachigkeitsdidaktischen Ansätzen und anhaltender Skepsis bzgl. ihrer Umsetzbarkeit. Schließlich sind allein die Lernenden selbst nun die Expert*innen für ihre Erstsprachen und sollen sie gewinnbringend für die Zielsprache nutzen; ein Feedback seitens der Lehrkräfte, die selbstverständlich nicht alle Sprachen beherrschen (können), sei hingegen oft schwierig. Helfen würde, so Koch, also eine zielgerichtete systemlinguistische Ausbildung während des Lehramtsstudiums zur sprachstrukturellen Sensibilisierung, sodass Lehrkräfte routiniert mit Hilfe der geforderten Handreichungen – möglichst in digitaler und somit stets aktualisier- und erweiterbarer Form – lernendenorientiert unterrichten können.
Der Sammelband schließt mit einem Nachwort von Michel Candelier, der einen Ausblick auf die (Weiter-)Entwicklung der mehrsprachigen und interkulturellen Bildung hinsichtlich der hier beschriebenen Vorschläge auf Basis der pluralen Ansätze gibt. Der vorliegende Band, das wurde deutlich, deckt die große Diskrepanz zwischen dem Wissen um die Bedeutung von mehrsprachig und interkulturell gestaltetem Französischunterricht und den fehlenden Handlungsmöglichkeiten in der Unterrichtspraxis seitens der Lehrkräfte auf und liefert für alle genannten Bereiche folgerichtig zahlreiche Lösungsvorschläge, die es dringend weiter zu verfolgen gilt. Damit richtet sich der Band einerseits an Lehrende im Fach Französisch, bietet andererseits aber auch vielfach Impulse für Forschende und Lehrende der Fremdsprachendidaktik und der Lehrkräftebildung.
Literatur
Europarat (2001): Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin et al.: Langenscheidt.
KMK (2003): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/Französisch) für den Mittleren Schulabschluss (Jahrgangsstufe 10). Beschlüsse der Kultusministerkonferenz. https://www.kmk.org/themen/qualitaetssicherung-in-schulen/bildungsstandards.html (12.7.2022).
KMK (2004): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/Französisch) für den Hauptschulabschluss (Jahrgangsstufe 9). Beschlüsse der Kultusministerkonferenz. https://www.kmk.org/themen/qualitaetssicherung-in-schulen/bildungsstandards.html (12.7.2022).
KMK (2012): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/Französisch) für die allgemeine Hochschulreife. Beschlüsse der Kultusministerkonferenz. https://www.kmk.org/themen/qualitaetssicherung-in-schulen/bildungsstandards.html (12.7.2022).
Katharina Leonhardt, Romanistische Sprachwissenschaft und Fachdidaktik Französisch Universität Erfurt