Die Diskussion um Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht hat im letzten Jahrzehnt erheblich an Bedeutung gewonnen, insbesondere seit dem sogenannten Multilingual Turn, der die bis dahin vorherrschende Annahme, dass Sprachen isoliert voneinander gelernt und verwendet werden sollten, in Frage stellt (vgl. Conteh/Meier 2014). Eine mehrsprachigkeitsorientierte Fremdsprachendidaktik soll den dynamischen und grenzüberschreitenden Charakter des Sprachenlernens und -gebrauchs in den Mittelpunkt rücken. Dennoch fehlt es nach wie vor weitgehend an gezielten Ansätzen und didaktischen Materialien, die die sprach(lern)biografische Vielfalt der Lernenden bewusst aufgreifen und effektiv für den Unterricht nutzen (vgl. Beacco et al. 2016).
Christian Kramer greift diese Diskrepanz in seiner Arbeit auf und widmet sich dem Potenzial von Mehrsprachigkeit als Ressource im Fremdsprachenunterricht. Dabei legt er einen besonderen Fokus auf den Einsatz kollaborativer mehrsprachigkeitsdidaktischer Techniken zur Förderung des Englischlernens auf fortgeschrittenem Niveau. Kramer identifiziert den Englischunterricht als wesentlichen Faktor für die Entwicklung von Mehrsprachigkeit, hebt gleichzeitig hervor, wie Mehrsprachigkeit in der englischen Fremdsprachendidaktik häufig unberücksichtigt bleibt. Dies führt er in erster Linie auf die monolinguale Ausrichtung des Curriculums für den Fremdsprachenunterricht sowie auf die unzureichende Professionalisierung von (angehenden) Lehrkräften hinsichtlich mehrsprachigkeitsdidaktischer Ansätze zurück. In seiner empirischen Arbeit beschreibt Kramer den spontanen Einsatz kollaborativer Mehrsprachigkeitstechniken bei fortgeschrittenen, mehrsprachigen Studierenden des Faches Englisch. In diesem Kontext identifiziert er kollaborative Mehrsprachigkeit als eine interaktive, lösungsorientierte Ressource. Die positive Abhängigkeit der Beteiligten im mehrsprachigkeitsorientierten Unterrichtsgeschehen trägt dazu bei, dass sie ihre individuellen Sprachressourcen nutzen, um gemeinsam Bedeutungen auszuhandeln und Probleme zu lösen. Das übergeordnete Ziel dieser Ansätze ist die Förderung einer plurilingualen und plurikulturellen Kompetenz, die als wichtige Aufgabe der europäischen Fremdsprachenbildung angesehen wird – eine Aufgabe, die Bildungsinstitutionen in Deutschland, einschließlich der Hochschulen, aktiv aufgreifen sollen.
Im Anschluss an die einleitenden Bemerkungen erfolgt im zweiten Kapitel eine detaillierte Erläuterung des Konzepts der kollaborativen funktionalen Mehrsprachigkeit. Dieses Konzept sieht ein- und mehrsprachigen Sprachgebrauch nicht als Gegensätze, sondern als zwei sich ergänzende Facetten der Mehrsprachigkeit. Der Autor versteht kollaborative Mehrsprachigkeit als Teil der interindividuellen Interaktion und als kollektive Ressource zur gemeinsamen Problemlösung. In diesem Zusammenhang übt er eine grundlegende Kritik an der funktionalen Einsprachigkeit im Fremdspracheunterricht, bei der die unterrichtete Sprache auch die alleinige Unterrichtssprache darstellt. Er plädiert stattdessen für eine funktionale Mehrsprachigkeit, bei der verschiedene Sprachen als Ressourcen im Unterricht eingesetzt werden.
Die empirische Untersuchung behandelt zwei zentrale Forschungsfragen: Erstens, welche plurilingualen Techniken von fortgeschrittenen Lerner:innen des Englischen als Fremdsprache und potenziellen zukünftigen Lehrkräften kollaborativ eingesetzt werden. Die zweite Forschungsfrage umfasst die Untersuchung der Modalität der Nutzung dieser Techniken zur Erreichung gemeinsamer Lernziele. Die Untersuchung positioniert sich damit an der Schnittstelle zwischen Mehrsprachigkeitsdidaktik und englischer Fremdsprachendidaktik, insbesondere vor dem Hintergrund der Normalisierung von Mehrsprachigkeit im neokommunikativen Englischunterricht.
Im dritten Kapitel erläutert Kramer die Operationalisierung für die empirische Analyse. Der Fokus liegt hierbei auf plurilinguale Techniksets wie Translanguaging, Interkomprehension, Sprachenmittlung, Sprachenvergleich und metalinguistische Reflexion sowie auf kollaborativen Techniken wie Grounding, Auslassungen, Refashioning und Solidaritätsbekundungen.
Das vierte Kapitel beschreibt die methodische Anlage der Studie, in deren Mittelpunkt eine zweigeteilte Aufgabenstellung steht. Eine Aufgabe besteht darin, die Bedeutung von neun Phrasemen in verschiedenen Sprachen (Niederländisch, Spanisch, Polnisch) zu ermitteln, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede in anderen Sprachen zu reflektieren. In einer zweiten Aufgabe werden die Studierenden mit deutschen und englischen Äquivalenten für alle neun Phraseme konfrontiert. Sie sollen diese Phraseme wörtlich übersetzen und dabei Gemeinsamkeiten und Unterschiede diskutieren.
Die Untersuchung basiert auf einer Mixed-Methods-Analyse mit einem deutlichen Schwerpunkt auf qualitativen Methoden. Im Wesentlichen wird die Untersuchung als nicht-teilnehmende und strukturierte Beobachtung durchgeführt. Als Datenquellen dienen aufgezeichnete Gespräche in Form von Tonaufnahmen, ausgefüllte Kurzfragebögen und Sprachenporträts sowie beschriebene Aufgabenblätter. Die Gesprächsanalyse ist induktiv-deduktiv und bezieht sich auf eine Stichprobe von 28 Studierenden, die Englisch im Zweifach-Bachelor studieren und potenzielle zukünftige Lehrkräfte sind. Die Stichprobe zeichnet sich durch Deutsch als Erst- oder eine der Erstsprachen und Englisch als Zweit- oder Fremdsprache aus, die sie im institutionellen Kontext gelernt haben und auf einem fortgeschrittenen Kompetenzniveau beherrschen.
Im fünften Kapitel werden die Ergebnisse präsentiert. Es ist von methodologischem Interesse, dass das Sprachenporträt im Vergleich zum Fragebogen eine größere Bandbreite an Sprachkompetenzen offenbart. Dies ist laut dem Autor darauf zurückzuführen, dass Sprachenporträts mit einem offeneren Sprachenbegriff arbeiten. Zu den wertvollen empirischen Erkenntnissen gehört die Feststellung, dass die Teilnehmer:innen in der Lage sind, ihre individuellen Mehrsprachigkeitskompetenzen anhand verschiedener plurilingualer Techniksets ziel-, aufgaben- und adressatenorientiert sowie kollaborativ einzusetzen. Besonders vielfältig nutzen die Teilnehmer:innen Sprachmischungen, indem sie mehrsprachige Ressourcen aus ihren individuellen Repertoires abrufen und interaktiv in ein gemeinsames situativ-emergentes Repertoire einbringen, das wiederum potenziell in ihr individuelles Repertoire übernommen werden kann. Dies erweist sich als ein wesentliches Instrument zur Erweiterung des sprachlichen Repertoires.
Kramers Werk präsentiert eine innovative Studie zur Förderung der Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht an der Hochschule und liefert empirische Belege für den Nutzen mehrsprachiger Techniksets im fortgeschrittenen Englischunterricht. Die Analyse der kollaborativen Sprachenverwendung im Kontext von Mehrsprachigkeit eröffnet neue Perspektiven auf das Potenzial mehrsprachigkeitsdidaktischer Ansätze für die sprachliche Bildung.
Aus den präsentierten Ergebnissen ergeben sich mehrere Perspektiven für die weitere Forschung. Ein vielversprechender Ansatz für zukünftige Untersuchungen könnte die detaillierte Analyse der Faktoren sein, die es den Lernenden ermöglichen, ihre mehrsprachigen Fähigkeiten im Fremdsprachenunterricht kooperativ einzusetzen. Obwohl Kramer in seiner Arbeit bereits den erfolgreichen spontanen Umgang der Studierenden mit Mehrsprachigkeit hervorhebt, könnte eine weitere Differenzierung dieser Ergebnisse in zukünftigen Arbeiten zu einem vertieften Verständnis beitragen, wie Lehrende ihre didaktischen Ansätze gezielt anpassen können.
Die Arbeit von Kramer stellt insgesamt einen wertvollen Beitrag zur Mehrsprachigkeitsdidaktik dar. Sie demonstriert, dass der kollaborative Einsatz mehrsprachiger Techniken im Unterricht nicht nur möglich, sondern auch zur Entwicklung der plurilingualen und plurikulturellen Kompetenz führen kann. Durch seine empirischen Erkenntnisse stellt der Autor der Lehramtsausbildung wichtige Erkenntnisse zur Verfügung, um zukünftige Lehrkräfte adäquat auf die Möglichkeiten der Mehrsprachigkeitsförderung vorzubereiten.
Literatur
Beacco, Jean-Claude; Byram, Michael; Cavalli, Marisa; Coste, Daniel; Egli Cuenat, Mirjam; Goullier, Francis & Panthier, Johanna (Hrsg.) (2016): Guide for the development and implementation of curricula for plurilingual and intercultural education. Strasbourg: Council of Europe.
Conteh, Jean & Meier, Gabriela (Hrsg.) (2014): The multilingual turn in languages education: Opportunities and challenges. Bristol: Multilingual Matters.
Dr. Marco Triulzi, Institut für Deutsch als Fremdsprache,
Ludwig-Maximilians-Universität München