So sehr jüngst unter anderem aufgrund von Fachkräftemangel und arbeitsmarktpolitischen Umbrüchen im amtlich deutschsprachigen Raum das Arbeitsfeld Deutsch für den Beruf aus DaF- und DaZ-Perspektive beleuchtet und bereichert wurde, so sehr benötigt es aus eben dieser Perspektive weitere Zuwendung. Das Arbeitsfeld zeigt sich heute als weit ausdifferenziert, was Lernende, Lehrende, methodisch-didaktische Vorschläge oder Unterrichtsmaterial anbelangt. Die Curriculumentwicklung und die Curriculumforschung wurden im Feld bislang jedoch erst wenig bzw. nur punktuell vorangetrieben (Niederhaus/Prikoszovits 2023: 75; Prikoszovits 2020; Seyfarth 2020), was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass einer passgenauen DaF-/DaZ-Curriculumerstellung vorgeschaltete Bedarfsanalysen in den amtlich deutschsprachigen Ländern immer noch in verhältnismäßig geringer Zahl durchgeführt und folglich auch kaum beforscht werden (vgl. jedoch Seyfarth 2020). Um sich solchen Bedarfsanalysen im DaF-Bereich anzunähern, „wird viel englischsprachige Literatur in der vorliegenden Arbeit verwendet und zitiert“ (S. 40), so Cai, die mit ihrer Schrift in ein Fachgebiet vorstößt, das im deutschsprachigen Raum im Vergleich zum englischsprachigen Raum sehr viel seltener Beachtung erfährt.
Auf ein Vorwort sowie auf ein Inhalts-, Abbildungs- und Tabellenverzeichnis zu Beginn des Buches, „eine[r] überarbeitete[n] Fassung [Cais] Dissertationsschrift, die 2017 von der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena angenommen wurde“ (S. 5), folgt eine Einleitung (Kapitel 1, S. 15–17), die kurz und dabei willkommen erhellend ausfällt: Die Autorin vermag hier in wenigen Absätzen ihr Erkenntnisinteresse und den Gang ihrer Untersuchung offenzulegen sowie einen Gesamtüberblick über ihre Arbeit zu geben. Ihr geht es zuvörderst darum, eine „Verknüpfung zwischen Bedarfsanalyse und Unterrichtspraxis herzustellen“ (S. 16). Bei diesem Unterfangen stützt sie sich auf verschiedene Korpora (Befragungs- und Interviewdaten, Jobanzeigen, Forumsdiskussionsbeiträge); bei den Proband:innen handelt es sich überwiegend um chinesische Beschäftigte in Deutschland.
In Kapitel 2, Bedarfsanalysen als Basis des berufsorientierten Fremdsprachenunterrichts (S. 18–122), werden definitorische und terminologische Klärungen vorgenommen (z.B. zu Berufssprache, Berufsorientierung, Fremdsprachenbedarf, Bedarfsanalyse). Es fällt auf, dass hier überwiegend deskriptiv, also einerseits wohl reflektiert, andererseits jedoch wenig kritisch verfahren wird. So steht etwa das Register der Berufssprache seit geraumer Zeit aufgrund einer kaum möglichen Abgrenzbarkeit zu anderen Registern wie Fach- oder Wirtschaftssprache in der Kritik und es werden dafür Alternativen wie „Berufskommunikation“ oder „berufliche Kommunikation“ vorgeschlagen (Roelcke 2020: 7, Kursivdruck im Original), woran durch die Autorin jedoch kaum je angeknüpft wird. Die Ausführungen zur Klassifikation des berufsorientierten Fremdsprachenunterrichts (S. 30–32) sind zwar durchweg korrekt, jedoch bereits an zahlreichen anderen Stellen in entsprechender Fachliteratur zu finden. Letztlich ist daraus für Cais Zwecke lediglich die Kategorie des „berufsbegleitenden Fremdsprachenunterricht[s]“ (S. 31) wesentlich. Informativ wiederum sind die Abhandlung zum berufsorientierten Deutschunterricht in China (S. 32–39) sowie die Erläuterungen zu den einzelnen Arbeitsschritten in der Durchführung von Bedarfsanalysen (S. 99–112), durch welche die Leser:innenschaft zur Empirie hingeführt wird.
Kapitel 3 ist mit Empirischer Teil (S. 123–154) betitelt. Die darin formulierten Forschungsfragen (S. 127) lauten: „1. Wie lässt sich eine Bedarfsanalyse nach prozessorientiertem Konzept verwirklichen, damit sie nützliche Informationen für die entsprechende Kursplanung liefern kann?“ sowie „2. Wie lässt sich der Fremdsprachenbedarf der chinesischen Arbeitskräfte definieren?“. Unter einem prozessorientierten Konzept ist zu verstehen, dass „Bedarfsanalysen nicht einmalig vor dem Kursstart, sondern kursbegleitend, andauernd und wiederholt durchgeführt werden [sollen]“ (S. 83).
Im empirischen Teil wird des Weiteren auf das Forschungsdesign, die Methodik (Ablauf und Bestandteile der Bedarfsanalyse, S. 133), die Instrumente (so wurde unter anderem der GeR für die Konzipierung eines Fragebogens herangezogen, S. 136) und auf die Datenerhebung eingegangen. Abb. 6 (S. 133) verdeutlicht, wie und in welcher Reihenfolge Daten für die Bedarfsanalyse erhoben wurden. Die Autorin hat zunächst chinesische Arbeitskräfte in Deutschland und China, die an ihrem Arbeitsplatz Deutsch für den Beruf benötigen, per Fragebogen unter anderem zum Trainingsbedarf befragt sowie als ergänzende Untersuchungen drei Interviews (ein Mitarbeiterinterview, zwei Experteninterviews) geführt, Jobanzeigen (also Anzeigen deutscher Unternehmen für ihre Standorte in China) analysiert und eine Forumsdiskussion ausgewertet. Im Rahmen der Forumsdiskussion haben chinesische Arbeitskräfte in Deutschland überwiegend darüber debattiert, wie sich ihr Sprachengebrauch am Arbeitsplatz gestaltet und auf welche Kriterien die Sprachwahl zurückzuführen ist. Es wird immer wieder betont, dass die Ergänzungsuntersuchungen zur Triangulation der Umfrageergebnisse dienen.
In Kapitel 4, Auswertung (S. 155–308), stellt die Autorin die Ergebnisse aller Erhebungen vor. Aus dem Fragebogen resultierende qualitative Ergebnisse werden in Fließtexten präsentiert, die sich aus dem Bogen ergebenden quantitativen Resultate wiederum in Form von Tabellen bzw. Diagrammen/Schaubildern. Eine interviewte Mitarbeiterin mit Arbeitserfahrungen in China und Deutschland sowie die Forumsdiskussionsteilnehmenden „berichteten vor allem über ihre Sprachenverwendung am Standort Deutschland“ (S. 253). Die beiden interviewten Experten, ein Studienautor sowie der Geschäftsführer eines deutsch-chinesischen Online-Jobportals werden sogar namentlich genannt (S. 257). In den Experteninterviews ging es unter anderem um die Vorgehensweise bei Unternehmensbefragungen (S. 257) oder um „Weiterbildungspotenzial nach dem Studium“ (S. 258) bzw. „Weiterbildungsmaßnahmen von Arbeitgebern“ (S. 262). Im Rahmen der Befundbeschreibung (S. 281–308) identifiziert Cai vier „Bedarfstypen“ unter den chinesischen Arbeitskräften, so etwa „stilistische Verbesserung“ (S. 290–295) oder „Verbesserung einzelner Fertigkeitenbereiche“ (S. 295–300).
Kapitel 5 dient der Beschreibung der Konsequenzen für die Curriculumentwicklung (S. 309–334), die sich durch die durchgeführte Bedarfsanalyse ergeben. Hier wird mehrfach darauf hingewiesen, dass arbeitsplatzrelevante Aufgaben, die aus einer Bedarfsanalyse resultieren, in Curricula in Form von Ranglisten nach Häufigkeit und Wichtigkeit niederzuschreiben wären (z.B. S. 311), und es werden zudem Beispiele für mögliche Aufgabensequenzen, z.B. Small Talks (S. 319–323), gegeben. In Kapitel 6, Fazit und Ausblick (S. 335–337), benennt die Autorin Zielgruppen ihrer Arbeit (S. 335) und hält abschließend fest, dass Bedarfsanalysen für den Fremdsprachenunterricht „als ein konstanter Bestandteil in die Lehreraus- und -weiterbildung eingebaut werden sollten“ (S. 337). An das Kapitel sechs schließen das Literaturverzeichnis (S. 338–351) sowie ein Anhang (S. 352–382) an, der unter anderem aus dem für die Studie eingesetzten Fragebogen, drei Interviewprotokollen sowie Stellenanzeigenbeispielen besteht.
Hong Cai hat eine für das Fach Deutsch als Fremdsprache und für das Arbeitsfeld Deutsch für den Beruf sehr relevante und wichtige Arbeit vorgelegt, die sich durch profunde Recherchen in den Bereichen berufsorientierter Fremdsprachenunterricht und Bedarfsanalysen für ebendiesen Unterricht auszeichnet. Als sehr positiv sind Sprache und Stil der Autorin hervorzuheben – an keiner Stelle sind ihre Ausführungen je uneindeutig oder gar missverständlich. Einzig die Anzahl der Fußnoten erscheint mit insgesamt 416 für ein Buch mit 382 Seiten unverhältnismäßig. Was im Übrigen ausgespart wird, sind terminologische Klärungen in den Bereichen Curriculum/Lehrplan, wodurch das Verständnis der Autorin von „Curriculum“ unklar bleibt. Der Terminus „Curriculum“ ist in der Fachliteratur keineswegs einheitlich definiert bzw. können in unterschiedlichen Erdregionen Curricula ganz unterschiedliche theoretische Konzepte zugrunde liegen.
Die Lernenden, die von der Bedarfsanalyse bzw. dem daraus resultierenden Curriculum profitieren könnten, können wohl einhellig als Lernende beschrieben werden, die sich nach Beginn ihrer Berufstätigkeit berufsbezogenes Deutsch aneignen und die in ihrer Erstsprache literalisiert sind (vgl. Drumm/Niederhaus 2024: 3). Dennoch ist augenfällig, dass die im Rahmen der Bedarfsanalyse befragten Personen sehr unterschiedliche berufliche Hintergründe haben und auch in sehr unterschiedlichen Feldern arbeiten. „Berufsbegleitend“, wie es im Titel des Buches lautet, bedeutet mit Blick auf Fremdsprachenunterricht jedoch viel eher, dass Menschen mit demselben oder einem sehr ähnlichen beruflichen Hintergrund zusammen in einer Kursgruppe – im Idealfall wohl am Arbeitsplatz selbst – berufsbezogenes, wenn nicht gar berufsspezifisches Deutsch lernen. Dies und die Tatsache, dass die Autorin letztlich nur eine Bedarfsanalyse (die jedoch natürlich in vielen einzelnen Teilschritten realisiert wurde) durchgeführt hat, suggeriert, dass der Titel des Buches wohl eher z.B. wie folgt lauten müsste: „Eine beispielhafte Bedarfsanalyse für einen berufsbezogenen DaF-Unterricht für chinesische Arbeitskräfte in China und Deutschland“.
Es fällt schließlich schwer, die Art der von der Autorin durchgeführten Studie präzise zu benennen. Letztlich, so geht es auch aus den Forschungsfragen hervor, hat Hong Cai selbst eine Bedarfsanalyse für einen von ihr so bezeichneten berufsbegleitenden DaF-Unterricht durchgeführt. Diese Bedarfsanalyse kommt demnach der in ihrem Buch präsentierten empirischen Studie gleich. Die von Cai realisierte Forschung verfolgt somit recht utilitaristische Zwecke, ist jedoch weder als Begleit- noch als Evaluationsforschung zu begreifen. Folglich leistet die Autorin keinen Beitrag zur Beforschung der Bedarfsanalysen für berufsbezogene Deutschkurse, was ja vor allem im amtlich deutschsprachigen Raum doch ein wichtiges Ziel wäre, sondern gibt durch ihre Studie sehr detaillierte Einblicke in die einzelnen Ablaufschritte einer Bedarfsanalyse.
Selbstverständlich sind derartige Einblicke auch sehr wertvoll, vor allem für jene Zielgruppen, die auch Cai selbst in ihrem Buch benennt: „Kursplaner“, „Lehrkräfte“, „Unternehmen“, „Hochschulen“ sowie „Bildungspolitiker“ (S. 335). Als Dissertationsschrift spricht das Buch jedoch gewiss auch Wissenschaftler:innen an, die sich mit Sprachbedürfnissen bzw. -bedarfen in spezifischen Domänen, mit Curriculumforschung sowie mit Deutsch bzw. generell Sprache im Beruf befassen. In universitären Seminaren kann es der profunden Veranschaulichung theoretischer wie auch praktischer Aspekte in den Bereichen Sprachbedarfsermittlung und Curriculumerstellung dienen. Studierende in Studiengängen zu DaF/DaZ/Mehrsprachigkeit können demnach ebenso von den Inhalten des Buches profitieren. Schließlich beleuchtet Cai aus einer berufsorientierten Perspektive die Situation von Deutsch (als Fremdsprache) in einem wirtschaftlich deutlich erstarkten China, was in jedem Fall auch für Ökonom:innen von Relevanz sein dürfte.
Literatur:
Drumm, Sandra & Niederhaus, Constanze (2024): Mehrsprachigkeit in der beruflichen Bildung: Einleitung in das Themenheft. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 29: 1, 1–15. DOI: http://doi.org/10.48694/zif.3900.
Niederhaus, Constanze & Prikoszovits, Matthias (2023): DaF und DaZ im Kontext Deutsch für den Beruf: Schnittstellen und Divergenzen. Deutsch als Fremdsprache 60: 2, 67–82. DOI: http://doi.org/10.37307/j.2198-2430.2023.02.02.
Prikoszovits, Matthias (2020): Berufsbezug in südeuropäischen DaF-Hochschulcurricula vor und nach der Krise von 2008. Untersuchungen an Lehrplänen aus Italien und Spanien. Tübingen: Narr Francke Attempto.
Roelcke, Thorsten (2020): Berufssprache und Berufliche Kommunikation – eine konzeptionelle Klärung. Sprache im Beruf 3: 1, 3–17. DOI: http://doi.org/10.25162/sprib-2020-0001.
Seyfarth, Michael (2020): Sprachlich-kommunikative Anforderungen in tourismusbezogenen Serviceberufen. Empirische Grundlagen für die Curriculumentwicklung. Berlin: ESV.