1 Einleitung
Das Ziel dieser Studie ist es, die Defizite verschiedener derzeit verwendeter Lehrmaterialien (s. Abschnitt 3) für Deutsch als Fremdsprache (DaF) im Hinblick auf Übungen zu Funktionsverbgefügen (FVG) zu identifizieren und entsprechend neue Übungsvorschläge zu entwickeln.
Es ist hier nicht der Ort, um die seit langem geführte Debatte über die genauen definitorischen Grenzen der lexikalischen Kategorie der FVG zu erörtern.1 Hier soll nur das prototypische Kriterium erwähnt werden, das in der Fachliteratur als Konsens gilt. Demnach handelt es sich bei FVG um lexikalische Kombinationen aus Verben und nominalen Elementen, bei denen das Verb keinen (oder kaum einen) semantischen Wert zur Konstruktion beiträgt, sondern ausschließlich (oder fast ausschließlich) grammatische Informationen vermittelt (vgl. Koesters Gensini et al. 2023).
Besonders auffällig ist, dass sprachvergleichende Aspekte in den derzeit verwendeten Werken nicht ausreichend berücksichtigt werden. Diese spielen aber gerade beim Erlernen von FVG eine wesentliche Rolle (vgl. Kamber 2020; Schafroth 2020). Die Tatsache, dass FVG oder ähnliche Konstruktionen in verschiedenen anderen Sprachen existieren und dass diese den Lernenden bekannt sein müssten, kann sowohl zu positiven als auch zu negativen Transfers führen. Obwohl die Idee der Vorteile eines sprachvergleichenden Unterrichts aus theoretischer Sicht mittlerweile fest verankert ist (vgl. u.a. Hepp/Salzmann 2020; Hufeisen/Neuner 2003), scheint diese Perspektive in den meisten derzeit verwendeten Lehrmaterialien nicht integriert zu sein.
Ein zweiter Aspekt, der in den aktuellen Lehrmaterialien vernachlässigt wird, sind die gebrauchsspezifischen Aspekte von FVG. Damit die DaF-Studierenden die FVG tatsächlich anwenden können, ist es erforderlich, dass die Übungen auch den realen Kontext einbeziehen, in dem bestimmte FVG am häufigsten vorkommen. Aus diesem Grund sind korpusgestützte Übungen, die gebrauchsspezifische Aspekte beleuchten, besonders erfolgversprechend (vgl. Flinz 2021; Flinz/Katelhön 2019).
Der vorliegende Beitrag ist wie folgt aufgebaut: Zunächst wird ein knapper Überblick über die theoretischen Grundlagen gegeben, die dieser Arbeit zugrunde liegen. Dabei handelt es sich zum einen um die Bildungslinguistik und zum anderen um die Mehrsprachigkeitsdidaktik (Abschnitt 2). Nach der Erörterung der Defizite der Übungen zu den FVG in einigen aktuellen DaF-Lehrbüchern (s. Abschnitt 3), wird eine korpusbasierte kontrastive Analyse am Beispiel der FVG Schlüsse ziehen/trarre conclusioni/draw conclusions durchgeführt (s. Abschnitt 4). Anschließend werden die Übungen zu diesen FVG vorgestellt, die in dem der deutschen Sprache gewidmeten Bereich der Selbstlernplattform verbi a supporto der Universität Rom Sapienza verfügbar sind (s. Abschnitt 5). Im Einklang mit den theoretischen Ansätzen einerseits der Mehrsprachigkeitsdidaktik bzw. Tertiärsprachendidaktik (vgl. u.a. Hufeisen 2011; Hufeisen/Jessner 2009), und andererseits der Bildungslinguistik von De Mauro (vgl. De Mauro/Ferreri 2005) zielen diese Übungen darauf ab, die metasprachliche Kompetenz der Lernenden zu fördern. Sie sind darauf ausgerichtet, die kontrastiven und gebrauchsspezifischen Aspekte, die in den zuvor durchgeführten Analysen identifiziert wurden, zu integrieren.
Da sich die Selbstlernplattform der Universität Rom Sapienza hauptsächlich an italienischsprachige Studierende richtet, wird in diesem Zusammenhang Italienisch als L1 betrachtet. Entsprechend des DaFnE-Ansatzes (Akronym für Deutsch als Fremdsprache nach Englisch) (vgl. Hufeisen/Marx 2005) wird Englisch als L2 betrachtet, da es in den allermeisten Fällen die erste Fremdsprache ist, die von den italienischsprachigen Studierenden erlernt wird. Dementsprechend wird Deutsch als Tertiärsprache betrachtet bzw. als eine Sprache, die nach dem Erlernen mindestens einer weiteren Fremdsprache erworben wird (vgl. Hufeisen 2003: 97).
2 Theoretische Prämissen: Linguistica educativa und Mehrsprachigkeitsdidaktik
Die Annahme, dass zur Umsetzung eines erfolgreichen glottodidaktischen Ansatzes für das Erlernen von FVG eine mehrsprachige Perspektive wünschenswert ist, beruht auf zwei theoretischen Forschungstraditionen: einerseits der auf De Mauro begründeten „linguistica educativa“2, andererseits der Mehrsprachigkeitsdidaktik.
Der ersten Forschungstradition zufolge sollte die universitäre Didaktik auf einem Ansatz beruhen, der auf die Entwicklung einer metasprachlichen Kompetenz abzielt (vgl. De Mauro/Ferreri 2005: 27). Laut dieser Perspektive werden die Lernenden nicht mehr dazu neigen, jede Sprache als einen in sich geschlossenen Mikrokosmos zu betrachten, den sie jedes Mal mnemonisch und mechanisch von Grund auf neu erlernen müssen. Vielmehr werden sie dazu angeregt, eine Vielzahl von Erwerbsstrategien von einem Sprachsystem auf ein anderes zu übertragen.
Auch in der Mehrsprachigkeitsdidaktik, die beispielsweise im DaFnE-Ansatz Anwendung findet (vgl. Hufeisen/Marx 2005) sowie in der späteren Entwicklung des sogenannten Faktorenmodells (Hufeisen 2010; 2020), wird davon ausgegangen, dass ein qualitativer Unterschied zwischen dem Erlernen der ersten Fremdsprache (L2) und dem Erlernen der zweiten Fremdsprache bzw. Folgesprachen besteht:
Mit einem monolingualen Hintergrund […] ist die erstsprachige und anfängliche Begegnung mit einer neuen, fremden Sprache eine andere, als wenn dem bereits zwei-, drei- oder mehrsprachigen Repertoire eine weitere hinzugefügt wird. […] Das (Fremd-)Sprachenlernen an sich ist nichts Neues oder gar Bedrohliches mehr. (Hufeisen 2010: 201)
Darüber hinaus sind Lernende einer L3 in der Regel älter und haben möglicherweise bereits Lern- und Kommunikationsstrategien in der ersten Fremdsprache entwickelt, die das Erlernen der L3 erleichtern können.
In verschiedenen Studien (vgl. Cenoz/Hufeisen/Jessner 2001; Gaeta 2020a, 2020b; Hufeisen/Neuner 2003) wurde die Rolle des Englischen hervorgehoben, das als Zweitsprache den Erwerb des Deutschen als Drittsprache häufig erleichtern und beschleunigen kann, indem es als sogenannte Brückensprache fungiert.
Die bisher skizzierte Perspektive ist das Ergebnis einer theoretischen Entwicklung, die Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre in der Angewandten Linguistik und der Fremdsprachendidaktik stattgefunden hat und die den Begriff der Interferenz radikal neu definiert hat. Interferenzen werden nicht mehr als Hindernis für den Spracherwerb betrachtet, wie es in den 1970er Jahren postuliert wurde, indem man die Lernprozesse der beiden Fremdsprachen sorgfältig voneinander trennte (vgl. hierzu Hombitzer 1971; Ernst 1975 und Lübke 1977). Interferenzen können im Gegenteil auch positive Effekte haben. Dieser sogenannte positive Transfer ist besonders häufig bei Sprachen, die wie Englisch und Deutsch derselben Sprachfamilie angehören (vgl. Hufeisen/Marx 2014), anzutreffen.
In diesem neuen Paradigma ändert sich auch die Beurteilung von Fehlern. Sie werden nicht mehr als etwas Negatives und Peinliches stigmatisiert, sondern sie werden vielmehr als wertvolle sprachliche Signale für spezifische kontrastive Herausforderungen betrachtet, die es zu lösen gilt.
3 Defizite bei den Übungen zu den FVG in den Lehrwerken Sicher (C1), Aspekte Neu (B2) und Kontext (B2)
In diesem Abschnitt werden die Übungen zu den FVG in derzeit weit verbreiteten DaF-Lehrwerken analysiert, um deren Defizite aufzuzeigen.3 Beispielhaft wurden die Lehrwerke ausgewählt, die in den Kursen des Goethe-Instituts in Rom, Mailand und Neapel im Wintertrimester 2024 verwendet wurden. Es handelt sich um die Lehrwerke Sicher! (C1.1, 2015), Aspekte Neu (B2, 2015) und Kontext (B2, 2023).4
Erstens lässt sich sagen, dass es recht problematisch ist, dass das Thema der FVG in den zitierten Lehrwerken erst auf fortgeschrittenen Niveaus behandelt wird.5 Im Gegensatz zu idiomatischen Ausdrücken sind FVG jedoch auch für die Bildung einfacher Sätze von grundlegender Bedeutung (vgl. Steyer 2000: 104; Hausmann 1984, 2004: 312).
Zweitens ist anzumerken, dass die vorgeschlagenen Übungen in erster Linie darauf abzielen, den Lernenden die Kombination von Nomen und Verb und ihre Bedeutung einzuprägen, anstatt den Fokus auf deren kontextuellen Gebrauch zu legen. In diesem Zusammenhang seien die folgenden Übungen aus den Lehrwerken Aspekte Neu und Kontext angeführt:
Die Übungen in Abb. 1 und 2 sind sehr ähnlich aufgebaut. In der ersten Übung (2a in Abb. 1 und 4a in Abb. 2) sollen die Lernenden, ausgehend von einer Hörverstehensübung, die Lücken in den Sätzen jeweils mit Nomen, „die mit den unterstrichenen Verben in Verbindung stehen“, füllen. Der positive Aspekt dieser Übung besteht darin, dass die FVG nicht isoliert, sondern in einem konkreten Kontext präsentiert werden. Allerdings ist die von den Lernenden geforderte Aktivität gering, da sie sich lediglich darauf beschränken sollen, das Nomen mit dem bereits konjugierten Verb zu verbinden.
Die Aufgaben 2b und 2c in Abb. 1 und 4b und 4c in Abb. 2 konzentrieren sich dagegen auf die Bedeutung der FVG: In 2b und 4b sollen die Lernenden die Bedeutung der zuvor geübten FVG notieren, während in 2c und 4c die richtige Zuordnung der FVG zu einem vorgeschlagenen Synonym gefordert wird. Mit diesen Übungen soll gezeigt werden, dass es in einigen Fällen möglich ist, die Bedeutung des FVG aus dem Nomen abzuleiten (z.B. „zum Einsatz kommen = einsetzen“ in Abb. 2), dass dies aber in anderen Fällen nicht möglich ist (z.B. „die Kosten tragen = bezahlen“ in Abb. 1). Allerdings fehlt in diesen Übungen eine semantische Reflexion über mögliche Unterschiede zwischen dem FVG und dem Vollverb hinsichtlich der Aktionsart und des Sprachregisters, obwohl diese Aspekte in der sprachwissenschaftlichen Literatur seit den Studien von von Polenz (1963) ausführlich diskutiert werden.6 Bei den angeführten Beispielen hätte betont werden sollen, dass das FVG zum Einsatz kommen und das Vollverb einsetzen in der Tat keine Synonyme sind, da das erste eine passive und das zweite eine aktive Bedeutung hat. Außerdem ist das FVG die Kosten tragen deutlich formeller als das in Abb. 2 als Synonym aufgeführte Verb bezahlen.
Wie in Abb. 3 zu sehen ist, wird die passive Bedeutung einiger FVG jedoch im Lehrwerk Sicher! thematisiert:
Andere Übungen in Sicher! sind jedoch eher traditionell:
Die Aufgabe in Abb. 4 ist eine Transformationsübung: Die Vollverben im Text sollen durch die FVG im Kasten ersetzt werden. Es handelt sich um eine relativ mechanische Übung, bei der eventuelle semantische oder gebrauchsspezifische Eigenschaften außer Acht gelassen werden. Um eine zufriedenstellende Beherrschung der FVG zu erreichen, reicht es nicht aus, die Kombination von Nomen und Verb sowie ihre Bedeutung auswendig zu lernen, sondern es ist wichtig zu verstehen, wie die FVG in ihrem realen Kontext verwendet werden. In diesem Zusammenhang wäre es erstens beispielsweise nützlich, sich auf den Grad der Festigkeit der Konstruktionen oder auf die mögliche bzw. unmögliche Expansion des Substantivs durch Artikel, Adjektive oder Adverbien zu konzentrieren, da nicht alle FVG denselben Grad an Festigkeit aufweisen. Zweitens hätte auch die Negation von FVG thematisiert werden sollen, da diese in einigen Fällen mit nicht und in anderen Fällen mit kein erfolgt. Drittens spielt auch das Thema der Komplementierung der FVG eine wichtige Rolle, da die FVG jeweils verschiedene Aktankten verlangen. All diese gebrauchsspezifischen Aspekte werden in keinem der untersuchten Lehrbücher thematisiert. Darüber hinaus ist das Fehlen der sprachvergleichenden Dimension ein weiteres Merkmal, das die drei analysierten Werke kennzeichnet. Verschiedene Studien in der Fremdsprachenforschung weisen jedoch darauf hin, dass eine sprachvergleichende Perspektive viele Vorteile bieten kann (vgl. z.B. Hufeisen 2003; Hufeisen/Jessner 2009; Hufeisen/Neuner 2003;). Diese kann nämlich einerseits die metasprachliche Kompetenz und andererseits die Motivation der Lernenden erhöhen. Gerade im Kontext der FVG spielt die sprachvergleichende Perspektive eine entscheidende Rolle, da diese Konstruktionen in verschiedenen Sprachen vorkommen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit kennen die Lernenden solche Konstruktionen bereits. Viele der in den obigen Übungen erwähnten FVG gibt es auch im Italienischen und Englischen. Diese Sprachen stellen jeweils die Erstsprache (L1) bzw. die erste Fremdsprache (L2) für italienischsprachige Lernende dar, die Deutsch als dritte oder weitere Sprache lernen. Wie Koesters Gensini et al. (2023: 507) betonen, gibt es eine erhebliche sprachliche Variation zwischen den FVG in den verschiedenen erwähnten Sprachen, die bei den Lernenden oft zu einer hohen Fehlerquote bei der Produktion der FVG führt: Zwischen den FVG in der Tertiärsprache (L3) und denen in der Erstsprache (L1) und der erste Fremdsprache (L2) kann eine vollständige oder partielle Äquivalenz bestehen. Alternativ kann das FVG der L3 nicht durch ein anderes FVG, sondern durch eine Kollokation, eine freie Kombination oder ein einzelnes Verb wiedergegeben werden.
Ein interlingualer Vergleich der FVG in der Erstsprache (L1), der ersten Fremdsprache (L2) und der Tertiärsprache (L3) der Lernenden scheint daher besonders nützlich zu sein, da er dazu beitragen kann, positive Transfers zu fördern und mögliche negative Transfers zu verhindern.
4 Eine korpusbasierte kontrastive Analyse am Beispiel der FVG Schlüsse ziehen/trarre conclusioni/draw conclusions
In diesem Abschnitt sollen die wichtigsten Ergebnisse aus der korpusbasierten kontrastiven Analyse der FVG Schlüsse ziehen/trarre conclusioni/draw conclusions präsentiert werden, um sie anschließend in die didaktische Praxis zu übertragen.
Bevor die Ergebnisse der vorliegenden Analyse vorgestellt werden, sollen nun einige methodische Überlegungen angestellt werden. Die Wahl der FVG Schlüsse ziehen/trarre conclusioni/draw conclusions lässt sich damit rechtfertigen, dass sie aus kontrastiver Sicht interessante Merkmale aufweisen.7 Zwischen dem FVG Schlüsse ziehen (L3) und dem FVG trarre conclusioni (L1) besteht eine vollständige Äquivalenz: In beiden Fällen handelt es sich um FVG, die semantisch und in Bezug auf die Auswahl der lexikalischen Bestandteile übereinstimmen. Dahingegen besteht zwischen dem FVG Schlüsse ziehen (L3) und dem FVG draw conclusions (L2) nur eine partielle Äquivalenz, da lediglich die Substantive übereinstimmen, während die Verben (dt. ziehen, engl. to draw (wörtl. zeichnen)) unterschiedlich sind, was zu Fehlern bei den Lernenden führen könnte.
Die vorgestellte Analyse basiert auf dem vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) erstellten Deutschen Sprachkorpus DeReKo, das über das Programm Cosmas II kostenlos (nach vorheriger Registrierung) zugänglich ist. Insbesondere wurden die sogenannten Wikipedia-Korpora berücksichtigt, und zwar das deutschsprachige (wpd19), italienische (wpi15) und englische (wpe15) Wikipedia-Korpus.
Konkret erfolgte der Aufbau des für die vorliegende Untersuchung verwendeten Subkorpus in den folgenden Schritten. Zunächst wurden die FVG Schlüsse ziehen/trarre conclusioni/draw conclusions in den jeweiligen Korpora wpd19, wpi15 und wpe15 mithilfe der Kookkurrenzanalyse identifiziert. Tab. 1 zeigt die Anzahl der FVG in den jeweiligen Korpora:
Tab. 1: Frequenz von Schlüsse ziehen, trarre conclusioni, draw conclusions in den Korpora wpd19, wpi15 e wpe15
Korpus | FVG | Absolute Frequenz | Relative Frequenz pMW8 |
---|---|---|---|
wpd19 | Schlüsse ziehen | 171 | 0,2 |
wpi15 | trarre conclusioni | 67 | 0,1 |
wpe15 | draw considerations | 122 | 0,1 |
Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass diese Zahlen noch höher hätten ausfallen können, wenn auch die flektierten Formen der Funktionsverben ziehen, trarre und draw berücksichtigt worden wären. Da das Programm Cosmas II hauptsächlich für die deutsche Sprache entwickelt wurde, erlaubt es zwar das Extrahieren der flektierten Formen des gesuchten Wortes anhand des Grundformoperators, jedoch nur bei deutschen Wörtern. Angesichts der kontrastiven Zielsetzung dieser Untersuchung wurde daher entschieden, ein homogenes Korpus zu erstellen und die Analyse auf die Infinitivformen der Funktionsverben in den drei Sprachen zu beschränken. Dass die relative Frequenz im Deutschen bei der Berücksichtigung der flektierten Formen etwas höher ausfällt, ist in Tab. 2 zu sehen:
Tab. 2: Frequenz des FVG Schlüsse ziehen und seiner flektierten Formen in wpd19
Korpus | FVG | Absolute Frequenz | Relative Frequenz pMW |
---|---|---|---|
wpd19 | Schlüsse & ziehen | 342 | 0,3 |
Daher wurden drei Subkorpora mit den Bezeichnungen SZwpd19, TCwpi15 und DCwpe15 erstellt. Diese bestehen jeweils aus 171, 67 und 122 Ausschnitten aus Wikipedia-Artikeln des deutschsprachigen wpd19-Korpus, des italienischsprachigen wpi15-Korpus und des englischsprachigen wpe15-Korpus, in denen die FVG in einem konkreten Kontext vorkommen:
Tab. 3: Eckdaten der Subkorpora
Subkorpus | Quelle | Anzahl der FVG |
---|---|---|
SZwpd19 | wpd19-Korpus | 171 |
TCwpi15 | wpi15-Korpus | 67 |
DCwpe15 | wpe15-Korpus | 122 |
Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse der Analyse erörtert, die bei didaktischen Ansätzen zum Erlernen von FVG berücksichtigt werden sollten.
Zunächst lässt sich sagen, dass im Unterschied zu anderen FVG (wie z. B. in Betracht ziehen, vgl. Ponzi 2024: 369–371) die hier betrachteten FVG in allen drei Sprachen einen relativ niedrigen Grad an Festigkeit aufweisen:
Tab. 4: Expansion der Substantive Schlüsse/conclusioni/conclusions in den jeweiligen Subkorpora
Subkorpus | Artikel | Adjektive | Adverbien | |||
---|---|---|---|---|---|---|
absolute Zahl | prozentuale Zahl | absolute Zahl | prozentuale Zahl | absolute Zahl | prozentuale Zahl | |
SZwpd19 | 27 | 16 % | 93 | 54 % | 6 | 4 % |
TCwpi15 | 28 | 42 % | 40 | 60 % | 3 | 4 % |
DCwpe15 | 14 | 11 % | 67 | 55 % | 0 | 0 % |
Im deutschen Subkorpus kann das Substantiv entweder ohne Artikel oder mit dem bestimmten (die Schlüsse ziehen), dem negativen (keine Schlüsse ziehen), dem possessiven (meine Schlüsse ziehen), dem demonstrativen (diese Schlüsse ziehen) und dem interrogativen Artikelwort (welche Schlüsse ziehen) auftreten. Im italienischen Subkorpus tritt das Substantiv entweder ohne Artikel oder mit dem bestimmten und dem partitiven Artikel auf. Im englischen Subkorpus kommt das Substantiv entweder ohne Artikel oder mit dem bestimmten Artikel vor.
Auch die Begleitung des Nomens durch Adjektive ist im Gegensatz zu den Adverbien in allen drei Sprachen sehr häufig und liegt bei über 50 %. Dies ist ein Aspekt, der im Unterricht berücksichtigt werden sollte, da das Thema der Adjektivdeklination im Deutschen auch für fortgeschrittene Lernende eine Herausforderung darstellt.
Ein weiterer Aspekt, der in der Didaktik hervorgehoben werden sollte, ist die Negation:
Tab. 5: Negation der FVG Schlüsse ziehen/trarre conclusioni/draw conclusions in den jeweiligen Subkorpora
Subkorpus | Negation | Frequenzen | |
---|---|---|---|
absolute Zahl | prozentuale Zahl | ||
SZwpd19 | mit dem negativen Artikel kein | 12 | 7 % |
TCwpi15 | mit non | 9 | 13 % |
DCwpe15 | mit (do) not | 17 | 14 % |
Während im deutschen Korpus die Negation des FVG Schlüsse ziehen durchgängig mit dem negativen Artikel kein erfolgt, wird im Italienischen das Adverb non (dt. nicht) und im Englischen das Adverb (do) not verwendet. Obwohl die Regel der Negation bereits auf den elementarsten Niveaus des DaF-Unterrichts behandelt wird, erfordert das Thema der FVG eine vertiefte Auseinandersetzung, da viele FVG Abweichungen in der Negation aufweisen (vgl. Kamber 2006: 68–69).
Darüber hinaus muss die Komplementierung der FVG berücksichtigt werden, da die Lernenden in der Lage sein müssen, die FVG nicht isoliert, sondern in vollständigen Sätzen zu verwenden. Beispielsweise kann gesagt werden, dass unpersönliche Konstruktionen in allen drei Sprachen häufig vorkommen:
Tab. 6: Persönliche bzw. unpersönliche Konstruktionen der FVG Schlüsse ziehen/trarre conclusioni/draw conclusions in den jeweiligen Subkorpora
Subkorpus | Persönliche Konstruktion | Unpersönliche Konstruktion | ||
---|---|---|---|---|
absolute Zahl | prozentuale Zahl | absolute Zahl | prozentuale Zahl | |
SZwpd19 | 96 | 56 % | 75 | 44 % |
TCwpi15 | 16 | 24 % | 51 | 76 % |
DCwpe15 | 95 | 78 % | 27 | 22 % |
Dies ermöglicht den Lernenden zwar einen positiven Transfer, aber sie müssen in der Lage sein, diese unpersönlichen Konstruktionen in der L3 zu beherrschen. Im deutschen Subkorpus wird das FVG in unpersönlichen Konstruktionen mit es, man oder sein + zu + Infinitiv verwendet.
In Bezug auf die Komplementierung ist außerdem wichtig zu beachten, dass die Präpositionen, die von den FVG verlangt werden, eine deutliche kontrastive Variation aufweisen:
Tab. 7: Die von den FVG Schlüsse ziehen/trarre conclusioni/draw conclusions verlangten Präpositionen in den jeweiligen Subkorpora
FVG (+ Präpositionen) | Frequenzen | |
---|---|---|
SZwpd19 | absolute Zahl | prozentuale Zahl |
aus etwas Schlüsse ziehen/daraus Schlüsse ziehen | 103 | 60 % |
Schlüsse ziehen ø | 56 | 33 % |
Schlüsse über etwas ziehen | 5 | 3 % |
Schlüsse auf etwas ziehen | 5 | 3 % |
Schlüsse aufgrund etwas ziehen | 1 | 0,5 % |
Schlüsse hinsichtlich etwas ziehen | 1 | 0,5 % |
TCwpi15 | ||
trarre conclusioni ø | 35 | 52 % |
trarre conclusioni su qualcosa | 15 | 22 % |
trarre conclusioni da qualcosa | 13 | 20 % |
trarre conclusioni circa qualcosa | 2 | 3 % |
trarre conclusioni riguardo a qualcosa | 2 | 3 % |
DCwpe15 | ||
draw conclusions ø | 53 | 43 % |
draw conclusions from sth. | 33 | 27 % |
draw conclusions about sth. | 24 | 20 % |
draw conclusions (based) on sth. | 9 | 7 % |
draw conclusions concerning sth. | 1 | 1 % |
draw conclusions regarding | 1 | 1 % |
draw conclusions for | 1 | 1 % |
In fast zwei Drittel der Fälle erscheint das deutsche FVG Schlüsse ziehen mit der Präposition aus bzw. mit dem Präpositionaladverb daraus auf. Diese Kombination ist auch in den beiden anderen Sprachen frequent vertreten, da die Kombinationen trarre conclusioni da qualcosa und draw conclusions from sth. jeweils 20 % bzw. 27 % der jeweiligen Subkorpora ausmachen. Diese Übereinstimmung könnte im Unterricht als positiver Transfer genutzt werden. Aus der Perspektive der L3-Lernenden wäre es jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Präposition aus im Deutschen den Dativ verlangt, was in den anderen Sprachen offensichtlich nicht der Fall ist und daher zu potenziellen Fehlern führen könnte.
Ein weiterer Aspekt, der in der Didaktik berücksichtigt werden sollte, ist die Tatsache, dass die hier betrachteten FVG in allen drei Sprachen häufig modalisiert vorkommen:
Tab. 8: Die Modalisierung der FVG Schlüsse ziehen/trarre conclusioni/draw conclusions in den jeweiligen Subkorpora
Modalisierung | ||
---|---|---|
Subkorpus | Frequenzen | |
absolute Zahl | prozentuale Zahl | |
SZwpd19 | 43 | 25 % |
TCwpi15 | 25 | 37 % |
DCwpe15 | 44 | 36 % |
Aus didaktischer Sicht kann diese Ähnlichkeit zwar von Vorteil sein. Gleichzeitig muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass die Modalisierung für Deutschlernende als L3 oft eine Herausforderung darstellt, da sie im Gegensatz zu den beiden anderen Sprachen einen spezifischen Satzbau erfordert. Bekanntermaßen bereitet die Satzklammer L3-Lernenden große Schwierigkeiten, insbesondere denjenigen, deren Muttersprache diese syntaktische Struktur nicht aufweist9 (vgl. u.a. Kretzenbacher 2009). Bei den Passivformen des FVG besteht wiederum die Gefahr des gleichen negativen Transfers. Wie bereits erwähnt, konnten sie im Rahmen des Subkorpus SZwpd19 nicht berücksichtigt werden, da dieses ausschließlich auf den unflektierten Formen des FVG Schlüsse ziehen beruht (s. Abschnitt 2). Aus diesem Grund wurde für die Analyse der Passivformen des FVG ein viertes Subkorpus erstellt, das Subkorpus S&Zwpd19, das jedoch auch die flektierten Formen des FVG enthält. Auf der Grundlage dieses Subkorpus lässt sich feststellen, dass die Passivformen zwar nicht so häufig vorkommen wie die Modalisierungen, aber dennoch relativ gut im Subkorpus vertreten sind:
Tab. 9: Passivformen im Subkorpus S&Zwpd19
Passivformen | ||
---|---|---|
Subkorpus | Frequenzen | |
absolute Zahl | prozentuale Zahl | |
S&Zwpd19 | 22 | 11 % |
Neben der Herausforderung der Satzklammer setzt die Passivkonstruktion des FVG Schlüsse ziehen offenkundig voraus, dass die Lernenden die Form des unregelmäßigen Partizips Perfekt von ziehen kennen.
5 Neue Übungsvorschläge zu FVG: Die Selbstlernplattform verbi a supporto der Universität Sapienza
Auf der Grundlage der in diesem Beitrag vorgestellten korpusbasierten kontrastiven Analyse der FVG Schlüsse ziehen/trarre conclusioni/draw conclusions stellt sich die Frage, wie diese Ergebnisse konkret in die Didaktik integriert werden können. In diesem Zusammenhang ist die Selbstlernplattform verbi a supporto (dt. FVG) zu erwähnen, die im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojekts mit dem Titel Universitäre Lehre von Fremdsprachen als ‚Tertiärsprachen‘: Der Fall von Funktionsverbgefügen unter der Leitung von Sabine E. Koesters Gensini am Dipartimento di Lettere e culture moderne der Universität Sapienza entwickelt wurde.10 Es handelt sich um eine Selbstlernplattform, die von Filippo Mazzei vom Dipartimento di Informatica der Universität Sapienza und Sabine E. Koesters Gensini vom Dipartimento di lettere e culture moderne unter der Mitwirkung aller Mitglieder des oben genannten Forschungsprojekts konzipiert und realisiert wurde. Im Einklang mit dem Ansatz der Bildungslinguistik von De Mauro und der Mehrsprachigkeitsdidaktik zielt die Plattform darauf ab, das Erlernen von FVG in Tertiärsprachen zu erleichtern, indem die semiotischen und (meta)linguistischen Kompetenzen der Lernenden genutzt werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Plattform zweigleisig konzipiert ist: Sie umfasst eine theoretische und eine anwendungsbezogene Ebene. Die theoretische Ebene umfasst eine Reihe detaillierter linguistischer Beschreibungen des Sprachgebrauchs der FVG, zunächst im Italienischen (L1), dann im Englischen (L2) und schließlich in verschiedenen Tertiärsprachen (L3). Das Ziel dieser Ebene ist es, die metalinguistische Kompetenz der Lernenden zu fördern, indem sie dazu angeregt werden, über die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede zwischen den untersuchten FVG nachzudenken.
Der anwendungsbezogene Teil besteht aus einer Reihe von Übungen, die hauptsächlich auf den zuvor vorgestellten linguistischen Beschreibungen basieren. Es sei darauf hingewiesen, dass das oben erwähnte Forschungsprojekt noch nicht abgeschlossen ist. Aus diesem Grund ist die Plattform offen gestaltet und kann fortlaufend aktualisiert und erweitert werden, um neue Forschungsergebnisse zu berücksichtigen.
Aufgrund der didaktischen Zielsetzungen dieses Beitrags soll der Fokus in diesem Kontext nicht auf den theoretischen Teil, sondern auf die Beschreibung der Übungen der Plattform gelegt werden. Um die Vorteile und den innovativen Charakter des vorgeschlagenen didaktischen Ansatzes der Plattform hervorzuheben, werden im Folgenden exemplarisch die zehn von der Autorin verfassten Übungen vorgestellt, die auf dem FVG Schlüsse ziehen basieren.
Die Übungen 1 und 2 sind wie folgt aufgebaut:
Abb. 5: Übung 1: FVG aus kontrastiver Perspektive11
In den Übungen 1 (Abb. 5) und 2 (Abb. 6) erscheinen die FVG noch nicht in einem Kontext, sondern isoliert. Im Gegensatz zu den Übungen in den oben genannten Lehrwerken sind sie jedoch kontrastiv angelegt. Sie sollen den Lernenden helfen, die interlingualen Unterschiede zwischen den Funktionsverbgefügen in der L1, L2 und L3 zu erkennen und mögliche negative Transfers zu vermeiden. Die falschen Optionen Schlüsse zeichnen und einen Schlussstrich zeichnen könnten mögliche Interferenzfehler zwischen L2 und L3 darstellen, da die erste Bedeutung des englischen Verbs draw mit derjenigen des deutschen Verbs zeichnen übereinstimmt. Die Wahrscheinlichkeit dieses Interferenzfehlers wird dadurch erhöht, dass die Verben zeichnen und ziehen von den Lernenden leicht verwechselt werden können, da sie mit Ausnahme des c und n aus den gleichen Buchstaben in unterschiedlicher Reihenfolge bestehen. Neben der interlingualen Beziehung zwischen der L2 und der L3 berücksichtigt die Übung 2 auch die intralinguale Beziehung zwischen dem FVG Schlüsse ziehen und anderen im Deutschen vorhandenen FVG mit ähnlicher Bedeutung. In diesem Zusammenhang dient die falsche Option zu einen Fazit kommen als Distraktor, da die Form zwar im Deutschen existiert, aber in einem falschen Kasus auftritt.
Die Übungen 5 (Abb. 7) und 6 (Abb. 8) basieren auf der Komplementierung des FVG mit verschiedenen Präpositionen:
Die korpusbasierte Analyse hat gezeigt, dass die Ergänzung des FVG mit der Präposition aus am häufigsten vorkommt. Allerdings kann das FVG auch andere Präpositionen wie z. B. über und auf verlangen. In den Übungen 5 und 6 sollen die Lernenden je nach Kontext die richtige Präposition einsetzen. Dabei müssen sie zum einen ihre Bedeutung und zum anderen den geforderten Kasus berücksichtigen.
Um die Lernenden in die Lage zu versetzen, einen konkreten und korrekten Satz mit dem jeweiligen FVG zu bilden, ist es wichtig, sie nicht nur auf mögliche Ergänzungen bzw. auf die Präpositionen, die das FVG verlangen kann, aufmerksam zu machen, sondern auch darauf hinzuweisen, welchen Kasus diese Präpositionen verlangen:
In Übung 10 ist die richtige Präposition bereits vorgegeben, aber die Lernenden sollen sich Gedanken über die Kasusrektion der Präposition machen.
Die Übung 3 kombiniert ein Nachdenken über die Wahl des richtigen Präpositionaladverbs, das mit dem FVG verbunden werden soll, und gleichzeitig über die typische syntaktische Struktur des deutschen Hauptsatzes, der das finite Verb an zweiter Position erfordert:
Die falsche Option Daraus ich habe meine Schlüsse gezogen fungiert hier als Distraktor. Das Präpositionaladverb daraus ist zwar richtig, aber das finite Verb steht an dritter syntaktischer Stelle.
Die Übungen 7 (Abb. 11) und 4 (Abb. 12) konzentrieren sich auf die Negation von FVG:
Wie bereits erwähnt, ist die Thematik der Negation bei den FVG, die in den zuvor analysierten Lehrmaterialien gänzlich fehlt (s. Abschnitt 2), von großer Bedeutung. Einerseits können die kontrastiven Unterschiede zwischen L1 und L2, andererseits die möglichen Variationen, die die FVG in der Negation aufweisen, die Lernenden leicht in die Irre führen. Wie die korpusbasierte Analyse gezeigt hat, erfolgt die Negation des FVG Schlüsse ziehen durchgängig mit dem Negationsartikel kein. Die Übung 7 (Abb. 11) hat zum Ziel, den Lernenden nicht nur bewusst zu machen, dass die Negation des deutschen FVG Schlüsse ziehen im Unterschied zur L1 und L2 die Form kein und nicht nicht erfordert, sondern auch darauf hinzuweisen, dass der negative Artikel korrekt dekliniert werden muss.
In Übung 4 (Abb. 12) wird die Thematik der Negation mit der der Passivform des entsprechenden FVG kombiniert. Dabei wird die falsche Option Noch wurden keine Schlussfolgerungen gezieht als Distraktor verwendet, da die Verneinungsform keine Schlussfolgerungen zwar korrekt ist, aber das Partizip II des Funktionsverbs ziehen in einer falschen Form auftritt.
Übung 8 (Abb. 13) konzentriert sich auf die Erweiterung des Substantivs des FVG:
Die korpusbasierte Analyse zeigt, dass im Fall des FVG Schlüsse ziehen die Erweiterung des Substantivs durch Adjektive sehr frequent ist. Für einen realistischen und korrekten Gebrauch des FVG kann es daher nützlich sein, die Lernenden an das schwierige Thema der Adjektivdeklination im Deutschen zu erinnern, dessen komplexes Regelsystem sich sowohl von der L1 als auch von der L2 stark unterscheidet. Zu diesem Zweck sollen die Lernenden in Übung 8 die Adjektivform identifizieren, die zum Substantiv Schlüsse passt.
Da die Modalisierung des FVG recht häufig ist (s. Abschnitt 3), erscheint das FVG in Übung 9 (Abb. 14) in Kombination mit dem Modalverb können:
Ziel dieser Übung ist es, die Aufmerksamkeit der Lernenden auf die Satzklammer zu lenken, die bei Konstruktionen mit Modalverben erforderlich ist. Die falsche Option Man kann ziehen daraus mathematische Schlüsse wird als Distraktor verwendet, da die syntaktische Sequenz Modalverb + Infinitiv sowohl in der L1 als auch in der L2 typisch ist. Auch die falsche Option Man daraus mathematische Schlüsse ziehen kann könnte die Lernenden verunsichern. Diese syntaktische Struktur wäre in einem Nebensatz möglich gewesen, aber in diesem Kontext handelt es sich um einen Hauptsatz.
6 Schlussfolgerungen
Der vorliegende Beitrag hat gezeigt, dass die in aktuellen DaF-Lehrwerken bereitgestellten Übungen zum Thema FVG erhebliche Defizite aufweisen. Sowohl gebrauchsspezifische als auch kontrastive Aspekte werden gänzlich vernachlässigt. Gebrauchsspezifische Aspekte wie beispielsweise der Grad an Flexibilität, die Erweiterung, die Ergänzung, die Negation und die Modalisierung von FVG sind jedoch für deren konkrete Verwendung von grundlegender Bedeutung.
Des Weiteren sei betont, dass bedeutende Schwierigkeiten, die Lernende mit dem Thema FVG haben, auf den sehr hohen Grad an interlingualer Variation zurückzuführen sind (vgl. Koesters Gensini et al. 2023). Ein sprachvergleichender Ansatz zur Thematik wäre wünschenswert. Besonders vielversprechend ist in diesem Zusammenhang die Selbstlernplattform verbi a supporto der Universität Sapienza. Wie die Autoren der Selbstlernplattform hervorheben (vgl. Koesters Gensini et al. 2023), besteht die Grundidee dieser Selbstlernplattform darin, dass der universitäre Unterricht im Gegensatz zu einem normalen Sprachkurs auf einem Ansatz beruhen sollte, der auf der reflexiven metasprachlichen Fähigkeit basiert, die im semiotischen Erbe des Menschen verwurzelt ist (vgl. De Mauro/Ferreri 2005: 27).
Schließlich sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass Mehrsprachigkeit einerseits und die metakognitive Fähigkeit zum sogenannten learning to learn, andererseits zwei der acht von der Europäischen Kommission identifizierten Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen sind.12
Notes
- Vgl. diesbezüglich u. a. Harm 2021; Helbig 2006; Van Pottelberge 2001. [^]
- Die sogenannte linguistica educativa (engl. educational linguistics) wurde von dem italienischen Sprachwissenschaftler und Sprachphilosophen Tullio De Mauro entwickelt. Zusammen mit Silvana Ferreri hat er diese neue Branche der Linguistik folgendermaßen definiert: Bereich der Sprachwissenschaften, der sich der Sprachkompetenz […] widmet und insbesondere dem Spracherwerb im Rahmen einer Expansion semiotischer Ausdrucksfähigkeiten. Von der oder den zu erlernenden Sprache(n) (Muttersprache, Zweitsprachen, Fremdsprachen, Literatursprachen, Mikrosprachen, Fachsprachen) oder Teilen davon befasst sich die linguistica educativa mit den sprachlichen Elementen, die die Weiterentwicklung der Sprachkompetenz fördern und dabei von den bereits erworbenen sprachlichen Kenntnissen der Lernende ausgehen. (vgl. De Mauro/Ferreri 2005: 27). [^]
- In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass auch Kabatnik (2021: 97–102) bei der Analyse anderer DaF-Lehrwerke, Studio d und klipp und klar, ebenfalls auf einige Defizite in den Übungen zu den FVG gestoßen ist. Das Fehlen eines Sprachvergleichs wurde von der Forscherin jedoch nicht problematisiert. [^]
- Es muss an dieser Stelle betont werden, dass dieser Beitrag keinesfalls die vielen unbestreitbaren Verdienste der bereits erwähnten Werke (wie z.B. die Multimedialität, die Interaktivität und den kommunikativen Ansatz) in Abrede stellen will. Die vorliegende Kritik beschränkt sich auf die Übungen zu den FVG. [^]
- Wie Mollica (2021: 117) feststellt, zeigt sich diese Tendenz, FVG nur in den fortgeschrittenen Niveaus zu behandeln, auch in den Übungsgrammatiken. [^]
- Für eine umfassende Literaturübersicht über die Fachdiskussion zu möglichen semantischen Unterschieden zwischen dem FVG und dem Vollverb vgl. Harm (2021). [^]
- Das FVG Schlüsse ziehen kann in allen drei Sprachen auch im Singular verwendet werden (den/einen Schluss ziehen; trarre la/una conclusion; draw the/a conclusion). Es wurde hier jedoch entschieden, die Pluralform zu analysieren, da sie im Korpus wpd19 signifikant häufiger vorkommt. [^]
- pMW (Akronym für pro Million Wörter) ist eine in der Korpuslinguistik gebräuchliche Maßeinheit. Da in diesem Bereich oft relativ niedrige Vorkommenszahlen in sehr großen Korpora gezählt werden, kann es aussagekräftiger sein, sich auf die relative Häufigkeit des Wortes pro Million zu beziehen, als diese in Prozent anzugeben. [^]
- Man denke dabei an den berühmten Aufsatz „The Awful German Language“, der als Anhang zu Twains 1880 erschienenem Buch A Tramp Abroad zu finden ist. In diesem Essay kritisiert Twain auf satirische Weise und aus der Perspektive eines monolingualen Englischsprechers insbesondere die Klammerstruktur der deutschen Syntax. [^]
- Das von Sabine E. Koesters Gensini geleitete Forschungsprojekt Universitäre Lehre von Fremdsprachen als ‚Tertiärsprachen‘: Der Fall von Funktionsverbgefügen (Protokollnummer RM11916B7F2E223D) wurde im Jahr 2019 von der Universität Sapienza finanziert. Die Forschungsgruppe setzt sich wie folgt zusammen und spiegelt die bisher in das Projekt einbezogenen L3 wider: Sabine E. Koesters Gensini (Deutsch), Brunilda Dashi (Albanisch), Marie-Pierre Escoubas-Benveniste (Französisch), Suze Anja Verkade (Niederländisch), Danilo De Salazar (Rumänisch), Julija Nikolaeva (Russisch), Debora Vaccari (Spanisch) und Andrea Berardini (Schwedisch). Darüber hinaus wurde die Gestaltung der Plattform von den Expertinnen für Sprachdidaktik, Luciana Forti und Maria Roccaforte, betreut. Im Jahr 2023 trat die Autorin des vorliegenden Beitrags als Forschungsstipendiatin dem Projekt bei mit der Aufgabe, unter der Leitung von Sabine E. Koesters Gensini den Bereich der deutschen Sprache auf der Plattform zu implementieren. Im Jahr 2024 traten auch Vanessa Leonardi (Englisch), Luca Gendolavigna (Schwedisch) und Tatjana Jerjomina (Russisch) dem Projekt bei. [^]
- Die Selbstlernplattform ist aus didaktischen Gründen in italienischer Sprache konzipiert. Die Autorin hat die Übungen nur für den Zweck dieser Publikation ins Deutsche übersetzt, da sich diese an ein deutschsprachiges Publikum richtet. [^]
- Ausführlich zu den Schlüsselkompetenzen vgl. https://education.ec.europa.eu/de/focus-topics/improving-quality/key-competences. [^]
Literatur
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Kurzbio
Maria Francesca Ponzi promovierte an der Universität Rom Sapienza (Cotutelle Verfahren mit der Technischen Universität Berlin) in Allgemeine Sprachwissenschaft mit einem Projekt zum sprachlichen Ausdruck von Emotionen im Deutschen und im Italienischen (2021). Von 2021 bis 2022 war sie DAAD-PostDoc-Stipendiatin an der Technischen Universität Berlin (6 Monate) mit einem Projekt zum impliziten Emotionsausdruck in der politischen Kommunikation. Seit 2023 ist sie Forschungsstipendiatin an der Universität Rom Sapienza im Rahmen von Projekten zu den Themen der Mehrsprachigkeitsdidaktik und Tertiärsprachendidaktik. Zu ihren Forschungsinteressen zählen Kontrastive Linguistik (Deutsch-Italienisch), Pragmatik, Korpuslinguistik, Deutsch als Tertiärsprache sowie das Verhältnis zwischen Sprache und Emotionen.
Anschrift:
Dr. Maria Francesca Ponzi
Sapienza Università di Roma
Dipartimento di Lettere e Culture moderne
Piazzale Aldo Moro, 5
00185 Roma (RM)