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Rezensionen

Boris Blahak (Hrsg.) (2023): Regensburger Sprachlandschaften. Linguistic Landscaping und DaF-Unterricht jenseits der Megacity. Berlin: Logos. ISBN 978-3-8325-5639-6. Preis: 43,00 €.

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Rezension: Blahak, Boris (Hrsg.) (2023): Regensburger Sprachlandschaften. Linguistic Landscaping und DaF-Unterricht jenseits der Megacity. Berlin: Logos. Rezensiert von Astrid Winter. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 30: 2, 445–449. https://doi.org/10.48694/zif.4590

Mit dem Band Regensburger Sprachlandschaften. Linguistic Landscaping und DaF-Unterricht jenseits der Megacity legen der Herausgeber sowie 12 weitere Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Italien und der Tschechischen Republik eine Sammlung aufeinander abgestimmter Studien vor, welche die Erhebung multilingualer Linguistic Landscapes mit ihrer Didaktisierung für den DaF-Unterricht verbinden. Sie knüpfen mit dem Konzept der Linguistic Landscape an einen noch relativ jungen Ansatz in der Fremdsprachenphilologie Deutsch an,1 der zwar schon in verstreuten Einzeluntersuchungen Niederschlag gefunden hat (vgl. z.B. Kremer 2012; Schiedermair 2015; Saagpakk 2018; Janíková 2019; Saagpakk/Frick 2020), jedoch nur selten in annähernd monographischer Gestalt ausgeführt wurde. Als Publikationen, die diesem Anspruch gerecht werden, können etwa die Aufsatzsammlung von Heiko Marten und Maris Saagpakk (2017), auf die sich der Herausgeber der Regensburger Sprachlandschaften im Vorwort auch ausdrücklich bezieht (vgl. Blahak 2023: 8), sowie der Band von Badstübner-Kizik und Janíková (2018) gelten. Die thematischen Konzeptionen dieser Vorgängerpublikationen unterscheiden sich jedoch beträchtlich voneinander. Während im Sammelband von Marten/Saagpakk (2017) Einzelfacetten städtischer Linguistic Landscapes aus verschiedenen ehemals deutschsprachigen Ländern Europas unter DaF-Aspekten zusammenstellt werden (v.a. Deutsch in der Wirtschaft, literarisches und historisches Lernen mit Blick auf ehemalige deutsche Minderheiten z.B. in Dänemark, Estland, Malta, Tschechien), bietet die Publikation von Kizik/Janíková (2018) eine Fülle von Anwendungsfällen und Reflexionen, die das grundsätzliche Potenzial von Linguistic Landscapes für eine medien- und kulturaufmerksame DaF- bzw. DaZ-Didaktik anhand möglichst vieler Beispiele aufzeigen.

Blahak et al. verfolgen demgegenüber ein anderes Ziel: Die Leitidee ihres Buches besteht darin, multilinguale Sprachlandschaften, die sich in einem deutschen Stadtraum „jenseits der Megacity“ (d.h. mittlerer Größe), nämlich in der Stadt Regensburg, finden, aus einem möglichst interdisziplinären Blickwinkel und bezogen auf verschiedenste gesellschaftliche Sphären und historische Ebenen zu erheben und Vorschläge für die Einbindung der Ergebnisse in den lokalen DaF-Unterricht zu entwickeln.

Dieses Konzept einer kompakten multidimensionalen Durchdringung und DaF-Didaktisierung der Sprachlandschaften eines mittelgroßen Stadtraums innerhalb eines traditionell geprägten Einzugsgebiets (Ostbayern) geht weitestgehend auf. So untersuchen die acht Beiträge des Bandes das Auftreten des Deutschen im Wechselspiel mit anderen Sprachen in verschiedensten Zusammenhängen: in der Sphäre des Tourismus einer UNESCO-Welterbe-Stadt (Laura van Deym und Lisa Höflich), auf beweglichen Textträgern (Speisekarten) und in Symbollandschaften der bayerisch(-böhmisch) deklarierten Gastronomie (Christopher Maschek, Christoph Mauerer), in der Innen- und Außenbeschriftung von Einrichtungen der Wellness-Kultur (Jennifer Schulte), weiterhin auf Stickern, Postern und Graffiti, die sich in offenen Räumen (Andrea Bergantino und Cristina Galante) sowie im Sanitärbereich der Universität Regensburg finden (Julia Enzinger und Florian Kronfeldner), auf Grabsteinen des ältesten jüdischen Friedhofs der Stadt (Bettina Dums und Julia Müller) und schließlich innerhalb eines Ensembles spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Inschriften, welche gesellschaftliche Hierarchien und Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen sozialen und ethnischen Gruppen in historischer Perspektive sichtbar machen können (Boris Blahak und Carolin Krumbacher).

Die programmatische Interdisziplinarität, mit der der Regensburger Raum hier in den Blick genommen wird, offenbart sich nicht zuletzt darin, dass die Autorinnen und Autoren ihre linguistischen Analysen der jeweiligen Sprachlandschaft um terminologische und methodische Anleihen aus anderen Geistes- und Gesellschaftswissenschaften bereichern, z.B. aus der Judaistik, Religions- und Geschichtswissenschaft (Dums und Müller, Blahak und Krumbacher), der Kultur-, Sozial- und Kommunikationswissenschaft (Enzinger und Kronfeldner, Mauerer) sowie der Wirtschaftswissenschaft (von Deym und Höflich). Darüber hinaus werden Forschungsfelder einbezogen, die bereits in sich interdisziplinär angelegt sind, wie etwa die Gesundheitswissenschaften (Schulte). Die Hälfte der Studien berücksichtigt zudem variationslinguistische Aspekte der Regensburger Sprachlandschaften (Dialekt, regionaler Standard) oder widmet ihnen sogar das Hauptaugenmerk, um einen Beitrag zur Vertiefung der rezeptiven Varietätenkompetenz von DaF-Lernenden im regionalen Kontext zu leisten (von Deym und Höflich, Maschek, Mauerer); in einem Fall geschieht dies auch unter Einbezug historischer Varietäten des Deutschen (Blahak und Krumbacher).

Die Originalität der jeweils skizzierten didaktischen Konzepte, die sprach-, kultur-, medien- und pädagogisch-didaktische Ziele verfolgen, sei am Beispiel einiger besonders gelungener Beiträge illustriert: Dums und Müller etwa lassen nach dem Muster eines auf einem Regensburger jüdischen Grabstein vorgefundenen Akrostichons2 DaF-Lernende diese literarische Textsorte anhand frei gewählter Namen in vor Ort gefundenen Grabinschriften selbst verfassen; Schulte schlägt neben kulturkontrastiven Vergleichen von Wellness-Einrichtungen in Deutschland und in den Herkunftsländern der Lernenden die eigenständige Gestaltung einer Werbeanlage für einen Wellness-Bereich vor; Enzinger und Kronfeldner formulieren Unterrichtsszenarien zur Entschlüsselung von (pop)kulturell kodierten Kontexten bestimmter Wortspiele, Zitate und Zeichen, die in Toiletten-Graffiti vorgefunden wurden; Blahak und Krumbacher legen schließlich eine sorgfältig konzipierte Ortsbegehung vor, auf der DaF-Lernende anhand didaktisierter lateinischer, frühneuhochdeutscher und hebräischer Inschriften einen authentischen Eindruck von den historischen interethnischen und interkonfessionellen Wechselbeziehungen im Regensburger Stadtraum gewinnen können; darüber hinaus skizzieren sie im abschließenden Beitrag ein Lernenden-Projekt, das die Dokumentation, Analyse und Kategorisierung der vielgestaltigen Hausinschriften zum Ziel hat und das als Vorlage einer digitalen Stadtkarte dienen könnte. Diese selbsttätige Erhebung Regensburger Sprachlandschaften durch die DaF-Lernenden ist ein handlungs- und produktionsorientiertes didaktisches Anliegen, das alle Studien kennzeichnet.

Die im Band vorgefundene Vielfalt DaF-didaktischer Ideen beruht naturgemäß zunächst auf den Regensburger Erhebungen und ist auf diese abgestimmt. Allerdings sind die Einzelkonzepte typologisch bei mehr oder minder starker Modifizierung auf viele andere Städte mittlerer Größe übertragbar, „deren soziographische oder wirtschaftliche Struktur (traditionell geprägtes Einzugsgebiet, Hochschulstandort, Touristenmagnet) oder historische Entwicklung (Reichsstadt, konfessionell gemischter Stadtraum, Sitz einer jüdischen Gemeinde) Ähnlichkeiten zu Regensburg aufweisen“ (Blahak 2023: 243). Hingewiesen sei ferner auf die sich durch den ganzen Band ziehende konstruktive Diskussion der von Androutsopoulos (2008) vorgenommenen Abgrenzung zwischen Top-down- (offiziellen), Bottom-up- (privaten) und unautorisierten Zeichen, die letztlich in der Empfehlung mündet, bei der Anwendung der Terminologie von einem „fließenden Kontinuu[m] mit mehreren Abstufungen“ (Blahak 2023: 91) auszugehen, was zumindest vor dem Hintergrund der in Regensburg gemachten Befunde durchaus plausibel erscheint.

Insgesamt lässt sich resümieren, dass der Band durch seine gekonnte interdisziplinäre Verzahnung der Beiträge aller Autorinnen und Autoren, seine auf einen Stadtraum fokussierte multidimensionale Erhebung örtlicher Linguistic Landscapes, die erfrischende Vielfalt vorgelegter DaF-didaktischer Umsetzungsvorschläge und deren Übertragbarkeit auf andere, ähnlich geartete Stadträume einen sehr lesenswerten, anregenden und produktiven Beitrag zur aktuellen Linguistic-Landscape-Forschung im DaF-Kontext bietet. Das Buch sei daher Forschenden ebenso wie Lehrenden in der DaF-Praxis zur Lektüre empfohlen.

Notes

  1. Es sei darauf hingewiesen, dass auch das Forschungsfeld Französisch als (Schul-)Fremdsprache aktuell ähnliche Ansätze zu verfolgen scheint (vgl. Eigensteiner/Kropp/Müller-Lancé/Schlaak 2023). [^]
  2. „Wort, Name oder Satz, gebildet aus den ersten Buchstaben […] aufeinanderfolgender Verse oder Strophen“ (Grimm 1990: 6). [^]

Literatur

Androutsopoulos, Jannis (2008): Linguistic Landscapes: Visuelle Mehrsprachigkeits¬forschung als Impuls an die Sprachpolitik. https://jannisandroutsopolous.files.wordpress.com/2011/05/j-a-2008-linguistic-landscapes.pdf (01.05.2025).

Badstübner-Kizik, Camilla & Janíková, Věra (Hrsg.) (2018): Linguistic Landscape und Fremdsprachendidaktik. Perspektiven für die Sprach-, Kultur- und Literaturdidaktik. Berlin: Peter Lang.

Eigensteiner, Lukas; Kropp, Amina; Müller-Lancé, Johannes & Schlaak, Claudia (Hrsg.) (2023): Neue Wege des Französischunterrichts. Linguistic Landscaping und Mehrsprachigkeitsdidaktik im digitalen Zeitalter. Tübingen: Narr Francke Attempo.

Grimm, Gunter (1990): Akrostichon. In: Schweikle, Günther & Schweikle, Irmgard (Hrsg.): Metzler Literatur Lexikon. Begriffe und Definitionen. [2. Aufl.]. Stuttgart: Metzler, 6.

Janíková, Věra (2019): Kulturwissenschaftlicher Ansatz im Fach Deutsch als Fremdsprache am Beispiel des Konzepts Linguistic Landscapes. Aussiger Beiträge 13, 81–98.

Kremer, Arndt (2012): Namen schildern: Straßennamen und andere Namensfelder im DaF-Unterricht. In: Hieronimus, Marc (Hrsg.): Historische Quellen im DaF-Unterricht. Göttingen: Universitätsverlag, 135–176.

Marten, Heiko F. & Saagpakk, Maris (Hrsg.) (2017): Linguistic Landscapes und Spot German an der Schnittstelle von Sprachwissenschaft und Deutschdidaktik. München, Iudicium.

Saagpakk, Maris (2018): Linguistic-Landscapes-Projekte in der Schule und an der Universität. Ein Plädoyer für die Einbeziehung der lokalen deutschsprachigen Geschichte in den Deutschunterricht in Estland. Der Deutschunterricht 70: 4, 37–43.

Saagpakk, Maris & Frick, Andine (2020): Die Erkundung der Linguistic Landscapes im Kontext von Deutsch als Fremdsprache am Beispiel des Projekts DACH in meiner Umgebung. In: Grub, Frank Thomas & Saagpakk, Maris (Hrsg.): Brückenschläge Nord: Landeskunde an der Schnittstelle von Schule und Universität: Beiträge zur 4. Konferenz des Netzwerks Landeskunde Nord in Tallinn am 26./27. Januar 2018. Berlin/Bern/Bruxelles/New York/Oxford/Warszawa/Wien: Peter Lang, 135–150.

Schiedermair, Simone (2015): Überlegungen zur Kulturvermittlung im Fach Deutsch als Fremdsprache. Linguistic Landscapes und Erinnerungsorte. In: Badstübner-Kizik, Camilla & Hille, Almut (Hrsg.): Kulturelles Gedächtnis und Erinnerungsorte im hochschuldidaktischen Kontext. Perspektiven für das Fach Deutsch als Fremdsprache. Frankfurt a. Main/Bern/Bruxelles/New York/Oxford/Warszawa/Wien: Peter Lang, 65–82.

Astrid Winter, Lehrstuhl für Slavistik

Julius-Maximilians-Universität Würzburg

astrid.winter@uni-wuerzburg.de

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