Einleitendes
Die Diskussion über die Digitalisierung im DaF-Unterricht in Kamerun und Afrika ist aktuell, produktiv und intensiv. Es gibt zwei Hauptrichtungen, die miteinander konkurrieren. Die erste ist die medienorientierte Richtung, die den Einsatz von Medien im DaF-Unterricht aus Gründen wie Spaß und der Berücksichtigung verschiedener Lerntypen im Klassenzimmer betont. Die zweite Richtung wiederum ist auf die Einführung von E-Learning ausgerichtet und befürwortet eine tiefgreifende Transformation des DaF-Unterrichts. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie rückt die erste Richtung zunehmend in den Fokus der Forschung. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage der digitalen (Medien)Kompetenz und stellt eine empirische Studie vor, die an der ENS Bertoua und der ENS Maroua durchgeführt wurde und die Situation der digitalen (Medien)Kompetenz in der DaF-Lehrer*innenausbildung in Kamerun darstellt. Im Mittelpunkt des Beitrags stehen folgende Fragen:
Wie schätzen Absolvent*innen der DaF-Lehrer*innenausbildung an der ENS Bertoua und ENS Maroua ihre digitale (Medien)Kompetenz ein?
In welchen Bereichen der digitalen (Medien)Kompetenz fühlen sich die Absolvent*innen gut vorbereitet?
Die Wahl der ENS Maroua und der ENS Bertoua als Fallbeispiele für die vorliegende Studie ist nicht zufällig. Die ENS Bertoua ist die jüngste, die ENS Maroua die zweitälteste Einrichtung in der Kartierung der DaF-Lehrer*innenbildung in Kamerun. Im Gegensatz zur ENS Bertoua, die zwar im Osten liegt und von der Expertise der ENS Yaoundé profitiert, nimmt die ENS Maroua eine Sonderstellung ein: Sie ist die einzige Institution, die im Norden Kameruns, in der Sahelzone, eine Ausbildung für DaF-Lehrkräfte anbietet (vgl. Ngoei 2024: 38). Die ENS Bertoua hingegen nimmt eine geographisch zentrale Position zwischen dem Süden und dem Norden Kameruns ein. Die vorliegende Studie leistet einen Beitrag zur Debatte über die Digitalisierung des DaF-Unterrichts.
1 Paradigmenwechsel im DaF-Unterricht: Von traditionellen Ansätzen zur mediengestützten Didaktik im afrikanischen Kontext
Die zunehmende Digitalisierung durchdringt alle Bereiche der Gesellschaft und stellt das globale Bildungssystem vor umfassende und transformative Herausforderungen, die eine grundlegende Neuausrichtung der pädagogischen Konzepte und Methoden erfordern (vgl. Kerres 2018; Selwyn 2016). Besonders der Unterricht in Fremdsprachen, der sich maßgeblich auf Kommunikation und Interaktion stützt, sieht sich der Herausforderung gegenüber, sich diesem Wandel nicht nur anzupassen, sondern ihn auch aktiv zu gestalten. Herkömmliche, stark lehrerzentrierte mediendidaktische Konzepte, die den Lernprozess strikt kontrollieren und Medien hauptsächlich als Werkzeuge zur Präsentation nutzen, erweisen sich zunehmend als ungeeignet für die Förderung der im 21. Jahrhundert notwendigen, nachhaltigen und übertragbaren Sprachfähigkeiten (vgl. Roche/Suñer 2017). Roche und Suñer (ebd.) bringen überzeugend vor, dass eine solche lehrerzentrierte Steuerung die Entwicklung von Autonomie und selbstgesteuerten Lernmethoden hemmt, die im Umgang mit der digitalen Informationsflut von großer Bedeutung sind.
Die digitale Transformation verlangt daher eine grundlegende Überarbeitung der Prinzipien des Fremdsprachenunterrichts hin zu einer umfassenden Mediendidaktik. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die zahlreichen Möglichkeiten digitaler, virtueller sowie weiterhin bedeutender analoger Medien synergetisch in lernzentrierte und kommunikationsfokussierte Szenarien integriert. Im Mittelpunkt steht die Förderung von authentischer Kommunikation und Interaktion, die über die bloße Sprachvermittlung hinausgeht. Durch die Anknüpfung des Unterrichts an relevante Themen aus der Lebenswelt der Lernenden, die durch verschiedene Medienformate (z. B. Online-Zeitungen, soziale Netzwerke, Videoclips, Podcasts) bereitgestellt werden, können wichtige Kompetenzen des 21. Jahrhunderts gefördert werden: kritisches Denken bei der Bewertung von Online-Quellen, kollaboratives Problemlösen in digitalen Arbeitsumgebungen und die Fähigkeit zur multiperspektivischen Auseinandersetzung mit komplexen Sachverhalten (vgl. ebd.: 22; Warschauer/Kern 2000). Der Sprachunterricht bewahrt somit seine Relevanz, indem er jene Fähigkeiten akzentuiert, die über algorithmische Verarbeitung hinausgehen: Kreativität, interkulturelle Sensibilität und die metakognitive Kompetenz im Umgang mit Information und Wissen (vgl. Müller-Hartmann/Schocker-v. Ditfurth 2018). Selbst avancierte Technologien wie Virtual Reality (VR) zur Simulation immersiver Sprachumgebungen oder künstliche Intelligenz (KI) für personalisierte Lernpfade können didaktisch reflektiert als Ergänzung implementiert werden, um spezifische Aspekte der Sprachkompetenz gezielt zu adressieren (vgl. Legault/Zhao/Chi/Chen/Klippel/Ping 2019; Golonka/Bowles/Frank/Richardson/Freynik 2014).
Diese Entwicklung manifestiert sich auch im Bereich Deutsch als Fremdsprache. Der traditionelle, oft lehrbuchzentrierter DaF-Unterricht wird zunehmend durch den Einsatz mobiler Endgeräte (Smartphones, Tablets), digitaler Kommunikationsplattformen (z.B. Lernmanagementsysteme, Messenger-Dienste), virtueller Klassenzimmer für Distanzlernformate und digital gestützter individueller Förderangebote angereichert und transformiert (vgl. Rösler 2023).
Folglich ergibt sich für die fachdidaktische Aus- und Fortbildung von DaF- und DaZ-Lehrkräften die dringende Notwendigkeit, diese technologischen und pädagogischen Entwicklungen nicht nur reaktiv nachzuvollziehen, sondern proaktiv mitzugestalten. Dies impliziert eine curriculare Verankerung professionsspezifischer digitaler Kompetenzen, die sowohl mediendidaktisches Wissen als auch praktische Anwendungskompetenz umfassen und dabei stets die spezifischen infrastrukturellen, soziokulturellen und bildungspolitischen Kontexte der jeweiligen Standorte berücksichtigen müssen (vgl. Peuschel/Da Silva/Onya 2023: 10).
Insbesondere im afrikanischen Umfeld rückt die Rolle digitaler Medien im Deutschunterricht zunehmend in den Fokus der Forschung. Dies ist unter anderem auf die deutlich steigende Nachfrage nach Deutschkenntnissen in zahlreichen Ländern Sub-Sahara-Afrikas zurückzuführen. Becker/Bui/Nunes/Wittmann/Peuschel/Zeyer (2024) betonen, dass die Entwicklung digitaler Fähigkeiten bei Lehrkräften und der bewusste Einsatz digitaler Medien entscheidende Faktoren sind, um dieser Nachfrage sowohl quantitativ als auch qualitativ gerecht zu werden und die Nachhaltigkeit der Ausbildung von DaF-Lehrkräften zu gewährleisten. Allerdings ist, wie bereits von Roche (2010: 198) angemerkt, eine kritische Perspektive entscheidend: Der pädagogische Nutzen der Medien als kognitive Hilfsmittel und Motor für kommunikative Prozesse sollte immer im Vordergrund stehen und darf nicht durch die Begeisterung für technologische Fortschritte in den Hintergrund gedrängt werden. Zur Unterstützung dieser Entwicklung sind zahlreiche regionale Programme und Projekte entstanden, häufig initiiert und gefördert durch Organisationen wie den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Ein prominentes Beispiel stellt das im Rahmen der Germanistischen Institutspartnerschaften entwickelte Dhoch3-Modul Lehren und Lernen mit elektronischen (Online-)Medien dar (DAAD 2023). Dieses Modul bietet (angehenden) DaF-Lehrenden eine systematische und wissenschaftlich fundierte Einführung in die theoretischen Grundlagen und praktischen Anwendungsmöglichkeiten der mediengestützten Fremdsprachendidaktik. Es integriert lerntheoretische (z.B. konstruktivistische, konnektivistische), psycho- und kognitionslinguistische sowie medientheoretische und -didaktische Perspektiven und illustriert anhand konkreter Beispiele, wie Online-Medien den Sprachunterricht didaktisch bereichern und für heterogene Lernergruppen adaptiert werden können (vgl. ebd.). Ein wesentliches Merkmal dieses Moduls ist seine Konzeption als Open Educational Ressource (OER), die unter einer Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht wurde. Dies ermöglicht nicht nur einen freien Zugang, sondern explizit auch die Bearbeitung und Anpassung der Materialien an spezifische lokale und regionale Bedarfe und Kontexte, was insbesondere für die Diversität der Bildungssysteme im afrikanischen Raum von hoher Relevanz ist (vgl. DAAD 2023).
Um die für einen solchen mediengestützten Unterricht erforderlichen Kompetenzen bei Lehrkräften adäquat fassen und fördern zu können, bedarf es eines theoretischen Rahmens, der die Vielschichtigkeit von Medienkompetenz abbildet. Das im Folgenden dargestellte Modell von Dieter Baacke bietet hierfür eine etablierte und differenzierte Grundlage.
2 Theoretischer Rahmen: Das Medienkompetenzmodell nach Dieter Baacke
Zur theoretischen Fundierung der Untersuchung der digitalen Kompetenzen von DaF-Lehrkräften wird auf das einflussreiche Medienkompetenzmodell von Dieter Baacke zurückgegriffen. Dieses in den 1970er Jahren entwickelte und seither kontinuierlich rezipierte und weiterentwickelte Modell, oft auch als „Bielefelder Medienkompetenzmodell“ bezeichnet, stellt ein zentrales Konzept der deutschsprachigen Medienpädagogik dar (vgl. Baacke 1997). Baackes primäres Anliegen war es, ein Konzept zu entwickeln, das Individuen befähigt, Medien souverän, kritisch-reflexiv und kreativ zu nutzen, um sowohl die persönliche Autonomie als auch die aktive Teilhabe an gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen zu stärken (vgl. Reuter 2021: 55). Medienkompetenz definierte Baacke (1997: 98) in diesem Sinne als die Fähigkeit des Subjekts, „sich in der Auseinandersetzung mit der Welt […] alle Arten von Medien für sein Kommunikations- und Handlungsrepertoire nutzbar zu machen“.
Baackes Verständnis von Medienkompetenz ist intrinsisch mit dem Konzept der kommunikativen Kompetenz (vgl. Habermas 1981) verknüpft und kann als dessen notwendige Erweiterung im Kontext einer zunehmend mediatisierten Gesellschaft betrachtet werden (vgl. Ganguin/Sander 2023: 112; Hellriegel 2022: 45). Es hebt die aktive, gestaltende Rolle des Individuums gegenüber einer rein rezeptiven Mediennutzung hervor und postuliert das Ziel, Menschen zu mündigen, selbstbestimmten und kreativen Akteuren in der Medienlandschaft zu erziehen (vgl. Ganguin/Sander 2023: 112). Insbesondere im Bildungssektor dient Baackes Modell bis heute als normative und analytische Grundlage für die Konzeption medienpädagogischer Maßnahmen, die darauf abzielen, insbesondere Kinder und Jugendliche auf einen kompetenten Umgang mit den komplexen und sich ständig wandelnden Mediensystemen vorzubereiten (vgl. Tulodziecki 2010). Dabei umfasst sein Medienbegriff explizit sowohl digitale und elektronische Medien als auch klassische Printmedien, was seine anhaltende Relevanz trotz des digitalen Wandels unterstreicht.
Das Modell von Baacke zeichnet sich durch eine starke Verankerung in der medienpädagogischen Praxis und eine klare Orientierung an Bildungskontexten aus. Im Vergleich zu anderen Modellen, wie beispielsweise dem stark auf berufliche Anforderungen und digitale Fertigkeiten im europäischen Kontext ausgerichteten „Digital Competence Framework for Citizens“ (DigComp) der Europäischen Kommission (vgl. Carretero/Riina/Punie 2017), betont Baacke stärker die kritisch-reflexiven und kreativ-gestalterischen Dimensionen sowie die gesamtgesellschaftliche Relevanz von Medienkompetenz (vgl. Ganguin/Sander 2023: 115). Während DigComp primär auf die Operationalisierung und Messbarkeit digitaler Fähigkeiten abzielt, legt das Bielefelder Modell einen besonderen Fokus auf die Entwicklung einer kritischen Haltung gegenüber Medieninhalten und -strukturen sowie auf die Befähigung zur aktiven, auch ästhetisch anspruchsvollen Mediengestaltung (vgl. Baacke 1997).
Tab. 1: Dimensionen von Medienkompetenz nach Dieter Baacke (Baacke 1997: 98)
Zur systematischen Analyse gliedert Baacke (1997: 98) Medienkompetenz in vier zentrale Dimensionen, die interdependent sind und sich gegenseitig bedingen (vgl. Ganguin/Sander 2023):
Medienkritik: Diese Dimension umfasst die Fähigkeit zur analytischen Auseinandersetzung mit Medieninhalten und -angeboten (analytische Dimension), zur reflexiven Einordnung des Medienhandelns in den eigenen Lebenskontext (reflexive Dimension) sowie zur ethischen Bewertung medialer Phänomene und ihrer gesellschaftlichen Implikationen (ethische Dimension). Es geht darum, problematische gesellschaftliche Prozesse, die durch Medien vermittelt oder verstärkt werden, zu erkennen und zu bewerten.
Medienkunde: Diese Dimension beinhaltet zum einen das Wissen über die Funktionsweise und die gesellschaftliche Bedeutung von Mediensystemen (informative Dimension) und zum anderen die Fähigkeit zur sachgerechten Bedienung und Anwendung von Medientechnologien (instrumentell-qualifikatorische Dimension). Dies schließt explizit die Fähigkeit ein, sich neue Medientechnologien und -anwendungen selbstständig anzueignen und deren Potenziale für eigene Zwecke einzuschätzen (vgl. Baacke 1997: 99; Ganguin/Sander 2023).
Mediennutzung: Diese Dimension bezieht sich auf die Fähigkeit zur rezeptiven Nutzung und interaktiven Anwendung von Medienangeboten (rezeptiv-anwendende Dimension). Sie umfasst die Kompetenz, Medienangebote entsprechend den eigenen Bedürfnissen auszuwählen und zu nutzen, einschließlich interaktiver und partizipativer Nutzungsmöglichkeiten (z.B. in sozialen Netzwerken).
Mediengestaltung: Diese Dimension fokussiert auf die Fähigkeit, eigene Medienbeiträge kreativ und innovativ zu erstellen und zu verbreiten (kreativ-innovative Dimension). Sie geht über die reine Nutzung hinaus und beinhaltet die Kompetenz, Medien als Ausdrucksmittel für eigene Ideen, Meinungen und ästhetische Vorstellungen aktiv zu gestalten.
Im Unterschied zu stärker ausdifferenzierten Modellen, wie etwa dem von Stefan Aufenanger (2001) vorgeschlagenen, das sechs Dimensionen (kognitiv, moralisch, sozial, ästhetisch, handlungsbezogen, emotional) unterscheidet, bietet Baackes Ansatz eine stärker integrative und für die pädagogische Praxis unmittelbar anschlussfähige Strukturierung (vgl. Ganguin/Sander 2023: 114). Die Betonung der gesellschaftlichen Dimension, also das Ziel der Befähigung zur Partizipation und Selbstbestimmung in einer mediatisierten Welt, macht das Modell besonders geeignet für die Analyse von Lehrkompetenzen, da Lehrkräfte nicht nur individuelle Fähigkeiten vermitteln, sondern auch zur kritischen Mündigkeit ihrer Lernenden beitragen sollen (vgl. Hellriegel 2022: 48).
Die Anwendung dieses theoretischen Rahmens auf den spezifischen Kontext Kameruns erfordert eine Betrachtung der dortigen bildungspolitischen Rahmenbedingungen und der realen Gegebenheiten hinsichtlich der digitalen Ausstattung und Kompetenzförderung von Lehrkräften.
3 Digitale (Medien)Kompetenz von Lehrkräften in Kamerun: Politische Ambitionen und infrastrukturelle Realitäten
Die strategische Integration digitaler Technologien in das Bildungssystem gewinnt in Kamerun als essenzieller Baustein zur Bewältigung der sozioökonomischen und bildungspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zunehmend an politischer Priorität. Die nationale „Strategie für Wachstum und Beschäftigung“ (MINEPAT 2020) identifiziert Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) als transversalen Hebel für Wirtschaftswachstum und soziale Entwicklung und weist der Verbesserung digitaler Kompetenzen im Bildungssektor eine Schlüsselrolle zu (vgl. MINEPAT 2020: 78). Konkretisiert wird dieser Anspruch im Bildungssektorplan (PSE - Plan Sectoriel de l'Éducation 2018–2030), der explizit darauf abzielt, den Einsatz digitaler Technologien auf allen Ebenen des Bildungswesens auszuweiten. Dies umfasst Maßnahmen zur Verbesserung der IKT-Infrastruktur an Bildungseinrichtungen sowie zur systematischen Aus- und Fortbildung von Lehrkräften im Bereich digitaler Lehr-Lern-Kompetenzen (vgl. MINEDUB/MINESEC 2018: 55).
Zur Umsetzung dieser Ziele engagieren sich diverse Akteure auf nationaler und internationaler Ebene. Die zuständigen Ministerien (MINESUP für Hochschulbildung, MINESEC für Sekundarbildung, MINEDUB für Grundbildung) implementieren zunehmend Fortbildungsprogramme, die digitale Kompetenzen als integralen Bestandteil der Lehrerprofessionalisierung verankern (z.B. durch die Integration von IKT-Modulen in die Curricula der pädagogischen Hochschulen, den Écoles Normales Supérieures, ENS). Parallel dazu unterstützen Nichtregierungsorganisationen (NROs) und internationale Organisationen wie die UNESCO, UNICEF und World Vision durch gezielte Projekte, Workshops und Materialentwicklung die Verbesserung der digitalen Kompetenzen von Lehrkräften (vgl. UNESCO 2018). Ein spezifisches Beispiel im DaF-Bereich ist die vom Goethe-Institut Kamerun angebotene Fortbildungsreihe „Digitale Expert*innen für den DaF-Unterricht“, den Lehrkräften praxisorientierte Kompetenzen zur didaktisch sinnvollen Integration interaktiver Tools wie Kahoot, Padlet oder LearningApps in ihren Unterricht vermittelt (vgl. Goethe-Institut Kamerun n.d.). Flankiert werden diese Bemühungen durch Initiativen zur Ausstattung von Schulen mit Computern, zur Einrichtung von Multimediazentren und zur Entwicklung lokalisierter digitaler Lernressourcen, wenngleich diese Maßnahmen oft punktuell bleiben.
Trotz dieser erkennbaren Fortschritte und politischen Willensbekundungen bestehen in Kamerun weiterhin signifikante Herausforderungen bei der flächendeckenden Förderung digitaler Lehrkompetenzen. Eine wesentliche Hürde stellt die heterogene und oft defizitäre IKT-Infrastruktur dar. Insbesondere in ländlichen Regionen limitiert der eingeschränkte Zugang zu zuverlässiger Stromversorgung, Computern und stabiler Internetverbindung die Nutzung digitaler Medien im Unterricht erheblich (vgl. Tchamabe 2017).
Des Weiteren limitieren knappe finanzielle und personelle Ressourcen die systematische und nachhaltige Qualifizierung von Lehrkräften; es mangelt sowohl an finanziellen Mitteln für umfassende Fortbildungsprogramme als auch an ausreichend qualifizierten Ausbilderinnen und Ausbildern (vgl. Asongu/Agyenim 2018). Darüber hinaus manifestiert sich teilweise ein Widerstand oder eine Zurückhaltung bei Lehrkräften gegenüber dem Einsatz digitaler Technologien. Dies kann auf technikbezogene Unsicherheiten, mangelnde pädagogische Unterstützung bei der Integration in den Fachunterricht oder auf eine wahrgenommene Diskrepanz zwischen den Anforderungen digitaler Tools und den curricularen Vorgaben zurückzuführen sein (vgl. Tondeur/Van Braak/Ertmer/Ottenbreit-Leftwich 2017) für einen allgemeinen Überblick über Teacher Acceptance). Schließlich stellt die Dominanz von digitalen Lernressourcen in den Amtssprachen Englisch und Französisch eine Barriere für Lehrkräfte und Schüler*innen dar, deren primäre Kommunikationssprachen lokale oder regionale Sprachen sind, was die Zugänglichkeit und kulturelle Angemessenheit der Materialien einschränkt (vgl. UNESCO 2018). Diese komplexen Herausforderungen bilden den spezifischen Kontext, in dem die digitale Kompetenz von DaF-Lehrkräften in Kamerun betrachtet werden muss.
Vor diesem Hintergrund wurde eine empirische Studie konzipiert, um die Selbsteinschätzung der digitalen Kompetenzen von angehenden DaF-Lehrkräften an zwei zentralen Ausbildungsinstitutionen in Kamerun zu untersuchen. Die methodische Vorgehensweise dieser Studie wird im Folgenden dargelegt.
4 Methodisches Vorgehen der Studie
Die vorliegende Arbeit basiert auf einer empirischen Untersuchung, die darauf abzielt, die Selbsteinschätzung der digitalen Kompetenzen von Absolventinnen und Absolventen der DaF-Lehrer*innenausbildung an zwei staatlichen Pädagogischen Hochschulen (Écoles Normales Supérieures, ENS) in Kamerun zu erfassen. Das Forschungsdesign verfolgt das Ziel, kontextspezifisches Wissen über den Stand der digitalisierungsbezogenen Kompetenzen dieser wichtigen Multiplikatorengruppe zu generieren und Einblicke in die subjektive Wahrnehmung ihrer professionellen Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Medien im DaF-Unterricht zu gewinnen (vgl. Döring/Bortz 2016). Die Datenerhebung wurde im Zeitraum von August bis September 2023 durchgeführt.
Als primäres Erhebungsinstrument wurde eine standardisierte Online-Befragung mittels eines strukturierten Fragebogens gewählt. Diese Methode ermöglichte eine effiziente Erreichung der geografisch potenziell verteilten Zielgruppe und gewährleistete eine einheitliche Datengrundlage für quantitative Analysen. Es wurde eine Vollerhebung aller erreichbaren Absolvent*innen der relevanten Abschlussjahrgänge der DaF-Sektionen an der ENS Bertoua und der ENS Maroua angestrebt. Die Durchführung erfolgte unter strikter Einhaltung ethischer Forschungsstandards. Alle potenziellen Teilnehmenden wurden vorab umfassend über die Ziele der Studie, die Art der Befragung, die Freiwilligkeit der Teilnahme sowie die Maßnahmen zur Gewährleistung von Anonymität und Vertraulichkeit der erhobenen Daten informiert. Die explizite Zustimmung (Informed Consent) wurde vor Beginn der Befragung eingeholt.
Zur Sicherstellung der Validität, Reliabilität und Verständlichkeit des Erhebungsinstruments wurde vor der Hauptfeldphase ein Pretest durchgeführt. Dieser umfasste eine kognitive Befragung (Cognitive Interviewing) mit zwei erfahrenen DaF-Dozent*innen der beteiligten Hochschulen vor Ort in Kamerun. Das Feedback aus dem Pretest führte zu geringfügigen Anpassungen bei der Formulierung einzelner Items zur Verbesserung der Klarheit und kulturellen Angemessenheit. Der Fragebogen operationalisierte die digitalen (Medien)Kompetenzen anhand von Items, die sich an etablierten Kompetenzmodellen (orientiert an Baacke und angepasst an den Lehrkontext) orientierten und die Teilnehmenden aufforderten, ihre Fähigkeiten auf Likert-Skalen selbst einzuschätzen.
Die resultierenden quantitativen Daten wurden nach der Erhebung anonymisiert, codiert und anschließend mittels deskriptiver Statistik, insbesondere durch Häufigkeitsanalysen und Vergleiche von Mittelwerten und Verteilungen, ausgewertet (vgl. Benninghaus 1989). Die Stichprobe umfasste insgesamt 35 Absolvent*innen der DaF-Lehrer*innenausbildung. Davon gehörten 15 Teilnehmende (ca. 42,86%) der ENS Bertoua und 20 Teilnehmende (ca. 57,14%) der ENS Maroua an. Die Geschlechterverteilung innerhalb der Stichprobe war annähernd ausgeglichen, mit 19 männlichen (ca. 54,29%) und 16 weiblichen (ca. 45,71%) Teilnehmenden. Hinsichtlich des Alters der Befragten verteilten sich die Angaben wie folgt: 11 Personen (ca. 31,43%) waren jünger als 25 Jahre, 9 Personen (ca. 25,71%) waren zwischen 25 und 29 Jahre alt, 7 Personen (ca. 20%) waren zwischen 30 und 34 Jahre alt und 8 Personen (ca. 22,86%) waren zwischen 35 und 39 Jahre alt.
Wie jede empirische Untersuchung unterliegt auch die vorliegende Studie spezifischen Limitationen, die bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden müssen.
5 Limitationen der Studie
Die Aussagekraft der präsentierten empirischen Ergebnisse unterliegt mehreren Limitationen, die inhärent mit der gewählten Methodik und den spezifischen Rahmenbedingungen der Untersuchung verbunden sind. Erstens ist bei der Interpretation der Daten zu berücksichtigen, dass Selbsteinschätzungen von Kompetenzen potenziellen Verzerrungseffekten unterliegen können. Insbesondere das Phänomen der sozialen Erwünschtheit (Social Desirability Bias), also die Tendenz von Befragten, Antworten zu geben, die sie als sozial akzeptabel oder vorteilhaft wahrnehmen, könnte die berichteten Kompetenzniveaus beeinflusst haben (vgl. Podsakoff/MacKenzie/Podsakoff 2003). Ebenso ist nicht auszuschließen, dass bei einigen Teilnehmenden zum Befragungszeitpunkt noch keine vollständig ausdifferenzierte oder reflektierte Meinung zu allen Aspekten ihrer digitalen Kompetenz vorlag, was die Validität einzelner Antworten einschränken könnte (vgl. Krosnick 1991).
Zweitens gestaltete sich der Zugang zur definierten Zielgruppe als logistisch herausfordernd. Zum Zeitpunkt der Datenerhebung hatten die Absolventinnen und Absolventen der DaF-Lehrer*innenausbildung bereits ihre Zuweisungen an staatliche Gymnasien (Lycées) erhalten. Diese befinden sich häufig in ländlichen Regionen Kameruns, die teilweise über eine nur rudimentär ausgebaute digitale Infrastruktur verfügen (z.B. unzuverlässige Internetverbindung, Stromausfälle). Um dennoch eine möglichst hohe Teilnahmequote zu erzielen, wurde die Datenerhebung als Online-Befragung konzipiert, musste jedoch situativ durch alternative Übermittlungswege (z.B. Bereitstellung des Fragebogens als bearbeitbares Dokument via Messenger-Diensten bei Internetproblemen) ergänzt werden. Dieses hybride Vorgehen war pragmatisch notwendig, birgt jedoch potenziell die Gefahr uneinheitlicher Erhebungsbedingungen.
Drittens ist die Stichprobengröße von N=35 als relativ klein zu bewerten. Obwohl eine Vollerhebung der erreichbaren Absolvent*innen an den beiden spezifischen Standorten angestrebt wurde, limitiert die absolute Fallzahl die statistische Aussagekraft und die Möglichkeit zur Durchführung komplexerer inferenzstatistischer Analysen (z.B. detaillierte Gruppenvergleiche). Folglich sind die gewonnenen Erkenntnisse primär als explorative Einblicke in die Situation an den untersuchten Pädagogischen Hochschulen (ENS Bertoua und ENS Maroua) zu verstehen. Eine Generalisierung der Ergebnisse auf die Gesamtheit der DaF-Lehrkräfte in Kamerun oder auf andere Hochschulstandorte ist aufgrund der begrenzten und standortspezifischen Stichprobe nicht zulässig und würde weiterführende, breiter angelegte Untersuchungen erfordern.
6 Zentrale Ergebnisse der Studie
Die nachfolgende Darstellung der empirischen Ergebnisse orientiert sich an der etablierten vierdimensionalen Struktur der Medienkompetenz nach Dieter Baacke. Dieses Modell, das Medienkompetenz als Fähigkeit zur Orientierung in und zur aktiven Teilhabe an der mediatisierten Welt konzeptualisiert, umfasst die Dimensionen Medienkritik (1), Medienkunde (2), Mediennutzung (3) und Mediengestaltung (4) (vgl. Baacke 1997). Die Analyse fokussiert auf die vergleichende Betrachtung der Ergebnisse von Lehramtsstudierenden an den École Normale Supérieure (ENS) in Maroua und Bertoua, Kamerun.
6.1 Medienethik
Die Dimension der Medienkritik umfasst nach Baacke (1997) analytische Fähigkeiten (Problemerkennung bezüglich medialer Prozesse), reflexive Fähigkeiten (Entwicklung eines eigenen Standpunkts) und ethische Fähigkeiten (sozial verantwortliches Handeln in Bezug auf Medien). In der vorliegenden Studie wurden Aspekte wie ethisches Urteilsvermögen, Kenntnis von Verhaltensnormen im digitalen Raum sowie die Fähigkeit zum Selbst- und Fremdschutz vor schädlichen Inhalten operationalisiert.
Hinsichtlich des ethischen Urteilsvermögens im digitalen Kontext deuten die Selbstauskünfte auf eine grundsätzlich positive Selbsteinschätzung hin, jedoch mit signifikanten Unterschieden zwischen den Standorten. Während an der ENS Maroua eine deutliche Mehrheit (75%) angibt, über ein „sehr hohes Maß“ an Wissen über ethisch korrektes Verhalten zu verfügen, trifft dies an der ENS Bertoua nur auf 50% der Befragten zu. Obgleich beide Werte eine mehrheitliche Zustimmung signalisieren, indiziert die Differenz potenziell unterschiedliche Sensibilisierungsgrade oder curriculare Verankerungen ethischer Fragestellungen.
Ein heterogeneres Bild ergibt sich bei der Kenntnis allgemeiner Verhaltensregeln im Internet (oft als „Netiquette“ bezeichnet (vgl. Shea 1994). An der ENS Maroua gibt eine klare Mehrheit (62%) an, diese Regeln zu kennen. Im Gegensatz dazu zeigt sich an der ENS Bertoua eine auffällige Streuung: Jeweils 30% der Studierenden schätzen ihre Kenntnisse als „sehr gering“ bzw. „sehr hoch“ ein, während die größte Gruppe (40%) ihre Kenntnisse im mittleren Bereich („mittelmäßig“) verortet. Diese Heterogenität an der ENS Bertoua könnte auf diverse Faktoren zurückzuführen sein, darunter unterschiedliche Vorerfahrungen mit digitalen Medien, uneinheitliche curriculare Behandlung des Themas oder auch differente Interpretationen.
Besonders kritisch stellt sich die Kompetenz zum Schutz vor schädlichen Online-Inhalten dar. An beiden Hochschulen schätzt eine Mehrheit der Studierenden ihre Fähigkeit, sich selbst und andere vor Risiken wie Cybermobbing, Desinformation oder verstörenden Inhalten zu schützen, als defizitär ein. An der ENS Maroua bewerten 50% ihre Kompetenz als „eher nicht vorhanden“ oder „einigermaßen vorhanden“, an der ENS Bertoua sind es sogar 60%. Diese Ergebnisse legen nahe, dass wesentliche Aspekte der digitalen Ethik und Sicherheit – wie der Umgang mit drastischen Inhalten, Datenschutzbewusstsein, die Beachtung von Urheberrechten und Lizenzmodellen – in der Ausbildung bisher unzureichend berücksichtigt werden. Eine Analyse der Curricula (vgl. ENS Maroua n.d. Programme d’Etudes de DIPES II – Allemand; ENS Bertoua n.d. Programme d’Etudes de DIPES II – Allemand) bestätigt, dass diese Themen in den bestehenden Informatik- oder E-Learning-Modulen nicht explizit verankert sind. Diese Lücke wird möglicherweise durch einen gesamtgesellschaftlichen Kontext verstärkt, in dem digitale Rechte und Pflichten noch keine breite Beachtung finden. Die Befunde unterstreichen die dringende Notwendigkeit, gezielte Bildungsangebote zur Stärkung der kritisch-reflexiven und ethischen Medienkompetenz an beiden Institutionen zu implementieren, um Studierende besser auf die Herausforderungen des digitalen Raums vorzubereiten (vgl. Tulodziecki/Grafe 2012).
6.2 Medienkunde
Medienkunde bezieht sich nach Baacke (1997) auf das Wissen über Mediensysteme und deren Funktionsweisen sowie auf die Fähigkeit, mediale Geräte und Software zu bedienen (instrumentell-qualifikatorische Ebene). Letzteres korrespondiert eng mit dem Konzept der „Digital Literacy“ im Sinne grundlegender digitaler Anwenderkompetenzen (vgl. UNESCO 2018). Die Abbildungen 1und 2 visualisieren die Selbsteinschätzungen der Studierenden hinsichtlich ihrer Kenntnisse spezifischer Softwaretypen.
Beide Kohorten berichten über solide Grundkenntnisse in der Textverarbeitung. An der ENS Maroua schätzen sich 75% der Befragten als „sehr gut“ oder „gut“ ein, an der ENS Bertoua sind es 66%. Diese Kompetenzen werden mutmaßlich in den obligatorischen Informatik- bzw. E-Learning-Kursen an beiden Hochschulen grundgelegt (vgl. ENS Maroua/ENS Bertoua n.d. Programme d’Etudes de DIPES II – Allemand).
Deutliche Unterschiede zeigen sich jedoch bei anspruchsvolleren Anwendungen wie Bildbearbeitungs-, Audio-/Video- und Multimediasoftware. Während an der ENS Maroua die Hälfte der Studierenden (50%) ihre Kenntnisse als „genügend“ bezeichnet, was auf rudimentäre Fähigkeiten hindeutet, geben an der ENS Bertoua lediglich 10% „gute“ oder „sehr gute“ Kenntnisse an; 40% verorten sich sogar im Bereich geringer Kenntnisse (wenige Kenntnisse). Angesichts der wachsenden Bedeutung multimedialer Formate in Bildung und Wissenschaft legt dieser Befund nahe, dass insbesondere an der ENS Bertoua Förderbedarf besteht, um Studierende adäquat auf die Erstellung und Nutzung entsprechender Lehrmaterialien vorzubereiten.
Die relativ große Diskrepanz manifestiert sich im Bereich der Informationsrecherchekompetenz. 62% der Studierenden an der ENS Maroua bewerten ihre Fähigkeiten hier als „gut“, während dies an der ENS Bertoua nur für 30% zutrifft. Diese Differenz ist bemerkenswert, da eine fundierte Informationskompetenz – das systematische Suchen, Auffinden, Bewerten und Verarbeiten von Informationen – eine Schlüsselqualifikation für akademisches Arbeiten und lebenslanges Lernen darstellt. Eine mögliche Erklärung für den Vorsprung der ENS Maroua könnte in den dort stärker implementierten Lehrmethoden liegen, die studentische Autonomie fördern. Insbesondere die Methode der „Travaux Personnels de l'Étudiant“ (TPE), die individuelle oder gruppenbasierte Projektarbeiten beinhaltet, erfordert von den Studierenden eine intensive selbstständige Recherche in Datenbanken, im Internet und anderen Quellen sowie die kritische Aufbereitung und Präsentation der Ergebnisse (vgl. ENS Maroua n.d. Programme d’Etudes de DIPES II – Allemand). Solche Ansätze scheinen die Entwicklung von Informationskompetenz effektiver zu fördern als stärker rezeptiv ausgerichtete Lehrformate (vgl. Heinström 2005).
6.1.4 Mediennutzung
Die Dimension der Mediennutzung fokussiert auf die rezeptive und interaktive Anwendung von Medien (vgl. Baacke 1997). Dies umfasst sowohl die Fähigkeit, Medienangebote zur Bedürfnisbefriedigung (Information, Unterhaltung etc.) zu nutzen, als auch die Kompetenz zur Interaktion und Kooperation mittels digitaler Medien.
Ein markanter Unterschied zwischen den beiden Hochschulen zeigt sich bei der effektiven Nutzung von Software zur Zielerreichung. Während 80% der Studierenden an der ENS Bertoua angeben, Software effektiv zur Problemlösung einsetzen zu können, berichten dies an der ENS Maroua lediglich 12%. Diese erhebliche Diskrepanz von 68% deutet auf eine ausgeprägtere instrumentelle Handlungskompetenz an der ENS Bertoua hin, zumindest in der subjektiven Wahrnehmung der Studierenden. Ein ähnliches, wenn auch weniger extremes Muster zeigt sich bei der Effizienz der Softwarenutzung: 60% der Befragten an der ENS Bertoua geben an, Software zeitsparend nutzen zu können, verglichen mit 40% an der ENS Maroua. Zusammengenommen suggerieren diese Daten eine höhere pragmatische Anwendungskompetenz im Umgang mit Standardsoftware an der ENS Bertoua.
Die Ergebnisse zur digitalen Kollaboration und Kommunikation (siehe Abbildungen 3 und 4) offenbaren ebenfalls deutliche Kontraste und komplementieren das Bild.
An der ENS Maroua zeigt sich ein sehr hohes Vertrauen in die eigene Fähigkeit zur produktiven und kooperativen Zusammenarbeit über digitale Medien. 88% der Studierenden schätzen ihre Kompetenz hier als „sehr hoch“ ein. Dies korreliert möglicherweise mit den Erfahrungen aus den E-Learning-Kursen und den TPE-basierten Projektarbeiten. Im Gegensatz dazu weist die ENS Bertoua eine starke Polarisierung auf: Jeweils 30% der Antworten entfallen auf die Extremkategorien „sehr hoch“ und „sehr gering“. Dies deutet auf eine erhebliche Heterogenität innerhalb der Studierendenschaft hin – ein Teil scheint bereits sehr kompetent in digitaler Kollaboration zu sein, während ein anderer Teil erhebliche Defizite wahrnimmt.
Ein paralleles Muster findet sich bei der Fähigkeit zur verständlichen Kommunikation und aktiven Gesprächsbeteiligung in digitalen Umgebungen. An der ENS Maroua fühlen sich 75% der Studierenden hier sehr kompetent („in sehr hohem Maße“). An der ENS Bertoua hingegen gibt die Mehrheit (60%) an, in diesem Bereich erhebliche Schwierigkeiten zu haben („in sehr geringem Maße“). Diese Ergebnisse könnten auf unterschiedliche Kommunikationskulturen an den Hochschulen, unterschiedliche technische Infrastrukturen oder differente Erfahrungen mit synchronen und asynchronen digitalen Kommunikationswerkzeugen zurückzuführen sein (vgl. Hrastinski 2008). Die Befunde an der ENS Bertoua signalisieren einen klaren Bedarf an der Förderung kommunikativer Kompetenzen im digitalen Raum.
7 Implikationen der Studie und kritische Betrachtung
Die vergleichende Analyse der Medienkompetenz an der ENS Maroua und der ENS Bertoua offenbart distinkte Profile mit spezifischen Stärken und Schwächen an beiden Standorten.
An der ENS Maroua scheinen die Studierenden, vermutlich gefördert durch E-Learning-Angebote und autonomiefördernde Lehrmethoden wie TPE (Travail Personnel de l’Étudiant), über vergleichsweise hohe Kompetenzen in der digitalen Kollaboration und Kommunikation (Mediennutzung) sowie in der Informationsrecherche (Medienkunde) zu verfügen. Gleichzeitig zeigen sich jedoch deutliche Defizite im Bereich der Medienkritik, insbesondere bei der ethischen Reflexion, dem Schutz vor schädlichen Inhalten und der kritischen Bewertung von Informationsquellen. Dies legt nahe, dass die bisherige Ausbildung zwar die instrumentellen und interaktiven Aspekte der Medienkompetenz fördert, die kritisch-reflexive Dimension jedoch vernachlässigt (vgl. Livingstone 2004). Die hohe Selbsteinschätzung bei der digitalen Kollaboration könnte zudem einer kritischen Prüfung bedürfen, ob sie mit tatsächlicher Effektivität und Reflexion über Kollaborationsprozesse einhergeht.
An der ENS Bertoua hingegen deuten die Ergebnisse auf eine stärkere pragmatische Software-Anwendungskompetenz (Mediennutzung) hin, bei der Studierende sich zutrauen, Software effektiv und effizient zur Problemlösung einzusetzen. Dem stehen jedoch erhebliche Schwächen gegenüber: Die Medienkritik (insbesondere Quellenevaluation und Schutzkompetenz) ist ebenso wie an der ENS Maroua unterentwickelt. Zudem sind die Kompetenzen in der digitalen Kollaboration und Kommunikation (Mediennutzung) sowie bei fortgeschritteneren Softwarekenntnissen (Medienkunde), etwa im multimedialen Bereich und bei der Informationsrecherche, signifikant geringer ausgeprägt als an der ENS Maroua. Dies könnte auf stärker traditionelle Lehrmethoden und eine geringere Integration digitaler Interaktionsformen in den Studienalltag hindeuten (vgl. Kirkwood/Price 2014).
Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen:
Die Befunde unterstreichen die Notwendigkeit einer standortspezifischen Weiterentwicklung der Curricula zur Förderung einer holistischen Medienkompetenz im Sinne Baackes (1997), die alle vier Dimensionen umfasst.
Stärkung der Medienkritik an beiden Standorten: Es bedarf dringender Maßnahmen zur Integration von Themen wie digitaler Ethik, Datenschutz, Urheberrecht, Quellenevaluation, Erkennung von Desinformation und Strategien zum Umgang mit Online-Risiken in die Lehramtsausbildung (vgl. Frau-Meigs 2011). Dies könnte durch eigene Module, die Integration in bestehende Kurse oder extracurriculare Angebote geschehen.
Förderung spezifischer Kompetenzen an der ENS Bertoua: Gezielte Trainings zur Verbesserung der Informationsrecherchekompetenz, der Nutzung von Multimedia-Software sowie der digitalen Kollaborations- und Kommunikationsfähigkeiten sind angezeigt. Dies erfordert möglicherweise auch eine Anpassung der Lehrmethoden hin zu stärker projektbasierten und interaktiven Formaten.
Reflexion der Stärken an der ENS Maroua: Während die Kollaborationskompetenzen hoch eingeschätzt werden, sollte überprüft werden, inwieweit diese durch kritisch-reflexive Fähigkeiten fundiert sind. Die effektive Softwarenutzung zur Problemlösung scheint hier ein Entwicklungsfeld zu sein.
Ausblick: Zukünftige Forschung könnte qualitative Methoden nutzen, um die Ursachen der beobachteten Unterschiede tiefergehend zu untersuchen. Zudem wäre eine Erhebung zur Dimension der Mediengestaltung (aktive, kreative Medienproduktion) wünschenswert, um ein vollständiges Bild der Medienkompetenz zu erhalten.
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die bloße Bereitstellung von Technologie oder Basiskursen nicht ausreicht. Eine umfassende Medienbildung, die technische Fertigkeiten mit kritischem Denken, ethischer Verantwortung und kommunikativer Kompetenz verbindet, ist essenziell, um zukünftige Lehrkräfte adäquat auf die Anforderungen einer digitalisierten Bildungslandschaft und Gesellschaft vorzubereiten.
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Kurzbio
Hamadou Ngoei ist DaF-Lehrer und Evaluations- und Qualitätsbeauftragter an der Hochschule der bildenden Künste Saar. Er hat ein Master im Fach DaF und Global Studies an der Universität Jaunde 1 (Kamerun) und Leipzig abgeschlossen. Der ehemalige Erasmus- und ASA-Stipendiat hat ebenfalls seit Februar 2022 ein Masterstudium in Evaluation an der Universität des Saarlandes absolviert, wo er bereits mit Lehraufträgen im wissenschaftlichen Ablauf des englischen Masterstudiengangs Evaluation eingebunden ist. Sein aktuelles Dissertationsprojekt an der Universität Gießen betrifft die Future Skills und BNE im Kontext der kamerunischen Hochschulbildung.
Anschrift:
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