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Aufsatz außerhalb des Themenschwerpunkts

Mehrsprachigkeit ist toll, aber…? Einstellungen pädagogischer Fachkräfte zur mehrsprachigen Sprachbildung und Förderung von Herkunftssprachen im Elementarbereich

Abstract

Abstract: Die Einstellungen pädagogischer Fachkräfte spielen für die Implementierung einer mehrsprachigkeitsinklusiven Sprachbildung in den pädagogischen Alltag frühkindlicher Bildungsinstitutionen eine entscheidende Rolle. Dieser Beitrag präsentiert eine empirische Untersuchung, die die Einstellungen von Fachkräften zur migrationsbedingten Mehrsprachigkeit von Vorschulkindern und zur inklusiven Mehrsprachigkeitsförderung erhebt. Die Ergebnisse zeigen positive Einstellungen zu mehrsprachiger Sprachbildung und Herkunftssprachenförderung sowie eine hohe Bereitschaft zur Qualifizierung für eine mögliche Umsetzung im pädagogischen Alltag. Gleichzeitig sind signifikante Zusammenhänge zwischen Einstellungen und biografischen Variablen wie Alter, Berufserfahrung und Mehrsprachigkeitsbiografie sichtbar. Neben mehrsprachigkeitsabhängigen Merkmalen scheint die Förderung von Mehrsprachigkeit im Elementarbereich zusätzlich mit mehrsprachigkeitsunabhängigen Merkmalen zusammenzuhängen.

Multilingualism is great, but…? Educators’ beliefs towards multilingual language education and heritage language support in early education         
Educators’ beliefs are crucial for the implementation of multilingual language support in early education. This paper presents an empirical study determining beliefs of educationalists towards migration-related multilingualism of preschool children and to the inclusive support of multilingualism and heritage languages. The results show positive beliefs towards multilingual language education, as well as a high disposition to professionalization for its implementation in early education. Nevertheless, there are significant correlations between beliefs and biographical variables (age, professional experience, multilingual biography). In addition to multilingualism-related factors, the support of multilingualism in primary education also seems to be linked to aspects unrelated to multilingualism.

Keywords: Einstellungen, Mehrsprachigkeit, Herkunftssprachen, mehrsprachige Sprachbildung, Frühpädagogik, beliefs, multilingualism, heritage languages, multilingual language education, early education

How to Cite:

Di Venanzio, Laura (2024): Mehrsprachigkeit ist toll, aber…? Einstellungen pädagogischer Fachkräfte zur mehrsprachigen Sprachbildung und Förderung von Herkunftssprachen im Elementarbereich. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 29: 2, 307–338. https://doi.org/10.48694/zif.3914

1 Einleitung

Einstellungen pädagogischer Fachkräfte sind bedeutsam für das alltägliche pädagogische Denken und Handeln (vgl. Tietze/Becker-Stoll/Bensel/Eckhardt/Haug-Schnabel/Kalicki/Keller/Leyendecker 2013) und theoretische Kompetenzmodelle schreiben ihnen eine wichtige Rolle bei der Umsetzung von Bildungs- und Lerngelegenheiten zu (vgl. Fröhlich-Gildhoff/Nentwig-Gesemann/Pietsch 2011; Tietze/Roßbach/Grenner 2005). Pädagogisches Handeln steht jeher dem Umgang mit verschiedenen Heterogenitätsmerkmalen gegenüber (vgl. Hoeft/Abendroth/Piossek/Albers 2018). Sprache ist, neben anderen, eine Dimension von Heterogenität (vgl. Di Venanzio/Niehaus 2023).

Fast ein Drittel der Kinder, die in Nordrhein-Westfalen (NRW) eine Kindertagesstätte (im Folgenden Kita) besuchen, wächst in Familien mit Elternteilen aus anderen Herkunftsländern (30,2 %) und mit anderen Familiensprachen (28,5 %) auf (vgl. Statistisches Landesamt NRW, Stichtag 01. März 2023). Für Kinder, die migrationsbedingt mehrsprachig1 aufwachsen, spielen mehrere Sprachen in ihrem Alltag eine wichtige Rolle. In der pädagogischen Praxis wird daher ein wertschätzender Umgang mit sprachlicher Heterogenität und Mehrsprachigkeit unerlässlich (vgl. Hoeft et al. 2018; Kratzmann/Jahreiß/Frank/Ertanir/Sachse 2017a).

Bildungspolitisch wird die Förderung von Mehrsprachigkeit und Herkunftssprachen im Kinderbildungsgesetz verankert. Es regelt (in der seit 1.8.2014 gültigen Fassung) in § 13c (2): „[…] Die Sprachentwicklung soll im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten auch in anderen Muttersprachen beobachtet und gefördert werden“. Um dieser Forderung nachzukommen, nennen nahezu alle Bundesländer Wertschätzung und Förderung von Mehrsprachigkeit explizit als Bildungsziel in den Bildungsplänen (vgl. Kratz-mann/Jahreiß/Frank/Ertanir/Sachse 2017a und b). Die von Kindern gelebte Mehrsprachigkeit beschränkt sich jedoch überwiegend auf ihr familiäres Umfeld. Außerfamiliäre und institutionelle Möglichkeiten, migrationsbedingte Mehrsprachigkeit zu (er-)leben und mehrsprachige Kompetenzen zu entwickeln, fehlen häufig, insbesondere für die Altersgruppe im Elementarbereich (vgl. Braband 2019; Chilla/Niebuhr-Siebert 2017; Jahreiß/Ertanir/Frank/Sachse/Kratzmann 2017; Kratzmann et al. 2017b; Panagiotopoulou 2016). Um in Bildungsinstitutionen einen anerkennenden Umgang mit von Kindern mitgebrachter Mehrsprachigkeit zu schaffen, bedarf es eines wahrnehmbaren Wandels von der Exklusion von Herkunftssprachen aus dem pädagogischen Alltag (vgl. Panagiotopoulou 2016) hin zu ihrer Inklusion, insbesondere auch, um Kinder in ihrer mehrsprachigen Entwicklung im Sinne einer ganzheitlichen, mehrsprachigen (Sprach-)Bildung (vgl. Chilla 2019) zu unterstützen.

Mehrsprachige Bildung ist nach Chilla & Niebuhr-Siebert (2017: 82) „die institutionelle Unterstützung aller Sprachen, die ein Kind lernen kann, unter Anerkennung der mehr- und quersprachigen Realität […].“2 Mehrsprachigkeitsinklusive Konzepte in frühpädagogischen Einrichtungen weisen eine große Varianz auf: Sie reichen von der alleinigen Wertschätzung von Mehrsprachigkeit bis hin zur expliziten Herkunftssprachenförderung durch bilinguale Programme (vgl. Kratzmann/Sawatzky/Sachse 2020). Letztere wäre erstrebenswert, ist aber aufgrund der Vielzahl der Herkunftssprachen und der sprachlichen Heterogenität der Kitagruppen utopisch (vgl. ebd.). Wertschätzung allein ist jedoch keine mehrsprachige Sprachbildung. Versteht man mehrsprachige Sprachbildung als inklusiven Ansatz mit sprachbildenden Aspekten für alle Kinder in der Mehrheitssprache Deutsch, für mehrsprachige Kinder in ihren Herkunftssprachen und für alle Kinder in Fremdsprachen (wenn die Sprache weder Deutsch noch Herkunftssprache ist), ergibt sich für pädagogische Fachkräfte eine komplexe Aufgabe. Die Umsetzung solcher Sprachbildung hängt insbesondere auch von Einstellungen pädagogischer Fachkräfte zur migrationsbedingten Mehrsprachigkeit (vgl. Kratzmann et al. 2017b) sowie zur mehrsprachigen Sprachbildung und von ihrer Qualifizierungsbereitschaft ab.

Der vorliegende Beitrag stellt eine in NRW durchgeführte Studie vor, die die Einstellungen pädagogischer Fachkräfte zu diesen vier Dimensionen erhebt: 1) Qualifizierungs- und Umsetzungsbereitschaft im Bereich mehrsprachiger Sprachbildung, 2) mehrsprachige Praktiken im Kitaalltag, 3) Herkunftssprachen und ihre Förderung in der Kita und 4) Fokussierung der Sprache Deutsch in der Kita.

2 Theoretischer Hintergrund

2.1 Mehrsprachigkeit im Elementarbereich: Exklusion vs. Inklusion

Die frühpädagogische Handlungspraxis ist überwiegend durch Monolingualisierung und eine alltagsintegrierte Erziehung zur Einsprachigkeit gekennzeichnet (vgl. Panagiotopoulou 2016: 20–21). Migrationsbedingte Mehrsprachigkeit und herkunftssprachliche Fähigkeiten erfahren in (frühpädagogischen) Bildungsinstitutionen häufig geringe Wertschätzung (vgl. Chilla 2019). Diese erfolgt sowohl durch das Bildungssystem, bspw. durch die vom Land NRW verbindlich vorgegebene Anwendung von Beobachtungsverfahren zur Sprachentwicklung, die nur die Sprache Deutsch berücksichtigen (vgl. KiTa NRW)3, als auch durch einzelne pädagogische Fachkräfte, bspw. durch Aufforderungen zu einsprachigen Sprachpraktiken (vgl. Winter 2022). Ein Grund dafür ist, dass es sich meist um Sprachen handelt, die von der Gesellschaft und den Bildungsinstitutionen als nicht förderlich für eine erfolgreiche Bildungskarriere angesehen werden (vgl. Chilla 2019 zur Geringschätzung herkunftssprachlicher Kompetenzen im Kontext von Bildungserfolg). In der Praxis ist so weiterhin eine Orientierung an Monolingualität beobachtbar (vgl. Braband 2019, Kratzmann et al. 2017a), ebenso der Einsatz kompensatorischer Deutschförderung für mehrsprachige Kinder, um sprachliche Defizite auszugleichen und sprachliche Standards in der Mehrheitssprache zu erreichen (vgl. Di Venanzio/Niehaus 2023). Sprachliche Diversität wird nach Panagiotopoulou (2017: 257) zu einer Normabweichung erklärt, die „[…] spätestens in der Vorschulzeit, beim Übergang in die Schule und in den ersten Schuljahren durch ‚Erziehung zur Einsprachigkeit‘ […] kompensiert werden“ soll (vgl. dazu bereits Triarchi-Hermann 2009), eine Situation, die Panagiotopoulou (2016: 22) als „Sprachenpolitik der Exklusion der Familiensprachen“ bezeichnet. Diese Exklusion markiert eine gesellschaftlich niedrige Bewertung des Merkmals Mehrsprachigkeit. Nach Chilla & Niebuhr-Siebert (2017: 83) müssen Kinder mit gesellschaftlich niedrig bewerteten Merkmalen damit rechnen, dass Bedingungen und Handlungen in der Kita ihnen und ihren Bedürfnissen nicht entsprechen. Dies zeigt sich beim Merkmal Mehrsprachigkeit, wenn u.a. Abläufe (bspw. Bringen/Holen, Morgenkreis, Mahlzeiten), Materialien (bspw. Literacy-Angebote, Hörmedien, Spiele), Raumgestaltungselemente (bspw. Schilder, Plakate) und Interaktionen (bspw. Freispiel, pädagogische Impulse, Gruppenprojekte) nur die dominante Umgebungssprache Deutsch berücksichtigen. Dieser monolinguale Fokus entspricht nicht der „mehr- und quersprachigen Realität“ (Chilla/Niebuhr-Siebert 2017: 82) mehrsprachiger Kinder, da er mit der Sprachverwendungspraxis der Kinder außerhalb der Einrichtung kollidiert (vgl. Panagiotopoulou 2016: 24). Zudem entsteht ein Spannungsfeld zwischen der „Normsprache“ Deutsch in der Kita und anderssprachigen Bezugspersonen der Kinder (vgl. Thomauske 2017a: 150). Studien zum Umgang mit Mehrsprachigkeit in Kitas bekräftigen, dass migrationsbedingte Mehrsprachigkeit und Herkunftssprachen von Kindern in den untersuchten Einrichtungen nur eine geringe Rolle spielen (vgl. u.a. Braband 2019; Jahreiß 2018a; Jahreiß et al. 2017; Ritterfeld/Lüke 2012; Zettl 2019). Jahreiß (2018a: 154) zeigt in Bezug auf räumlich-materielle Bedingungen, dass es neben vereinzelten Begrüßungen in verschiedenen Sprachen im Eingangsbereich von Einrichtungen kaum räumliche Anzeichen gibt, die die Herkunftssprachen mehrsprachiger Kinder aktiv einbeziehen, ebenso gibt es selten Gelegenheit für mehrsprachige Kinder, mit anderer Schrift als der deutschen in Büchern oder mit anderen Sprachen in auditiven Medien in Kontakt zu kommen. Untersuchungen verschiedener Interaktionen zeigen u.a. Sprachregulierungen und -normierungen (vgl. Thomauske 2017a), Sprachenverbote, Nicht-Sprechen über Herkunftssprachen und Nicht-Sprechen über das Sprechen von Kindern in Herkunftssprachen (vgl. Zettl 2019).

Eine Neuausrichtung der pädagogischen Praxis auf mehrsprachigkeitsinklusives Handeln kann u.a. in Anlehnung an sprachpädagogische Konzepte wie Translanguaging (vgl. García 2009; García/Li Wei 2014) erfolgen (vgl. Panagiotopoulou 2016), bei dem Kinder mehr- und quersprachig handeln, um (Neues) zu lernen, und professionelle Kräfte ebenso handeln, um das Lernen der Kinder zu fördern (vgl. García/Li Wei 2014: 59; Panagiotopoulou 2016: 24)4. Angelehnt an Reich/Krumm (2013) werden mehrsprachigkeitsinklusivem Handeln und mehrsprachiger Bildung im Folgenden drei relevante Inhaltsbereiche zugeschrieben: Wahrnehmung und Akzeptanz sprachlicher Vielfalt, Wissen über Sprachen und Aneignung von Sprachlernstrategien. Handlungen im Kitaalltag können u.a. das Aufgreifen verschiedener (Herkunfts-)Sprachen in unterschiedlichen Interaktionen (bspw. in Liedern, Reimen, Spielen) sein, die Einbeziehung verschiedener (Herkunfts-)Sprachen in Projekte, Literacy-Angebote und Raumgestaltung, die Unterstützung von Peer-Interaktionen mehrsprachiger Kinder in ihrer Herkunftssprache und die Einbeziehung mehrsprachiger Eltern (vgl. Jahreiß 2018b; Lüdtke/Licandro 2017; Salomon 2022; Soultanian 2021). So kann die aktive Wahrnehmung und Verwendung von Herkunftssprachen in der Einrichtung gefördert werden, während gleichzeitig Interesse für und Akzeptanz von verschiedenen (Herkunfts-)Sprachen entwickelt werden. Zudem stellen sprachkontrastive Handlungen verschiedene Sprachen sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Sprachen heraus, was Kinder im Sinne einer Language Awareness für einen bewussten Umgang mit Mehrsprachigkeit sensibilisiert (vgl. Moraitis 2021). Schließlich werden Anregungen zur Produktion sprachlicher Elemente in verschiedenen Sprachen geschaffen, was durch die Bereitschaftsentwicklung, sich auf unbekannte sprachliche Äußerungen einzulassen, zur Förderung der Aneignung von Sprachlernstrategien beiträgt (vgl. ausführlich Reich/Krumm 2013: 21–26). Voraussetzung für die Umsetzung solcher Handlungen sind u.a. das explizite Wissen über Sprachbiografien und Sprachenverwendung mehrsprachiger Familien (vgl. Cantone/Di Venanzio 2015; Ritterfeld/Lüke 2012) und Professionalisierungsangebote im Bereich Mehrsprachigkeit und mehrsprachige Bildung. Die Ergebnisse der OECD-Fachkräftebefragung 2018 belegen einen hohen Fortbildungsbedarf für die Arbeit mit mehrsprachigen Kindern (vgl. Turani/Seybel/Bader 2022). Auch der Gute-Kita-Bericht 2020 stellt den Professionalisierungsbedarf und -wunsch der Fachkräfte hinsichtlich der Sprachentwicklung mehrsprachiger Kinder heraus (vgl. BMFSFJ 2020). Problematisch ist an dieser Stelle, dass Weiterbildungsmaßnahmen zwar einen Effekt auf das (Fach-)Wissen der Fachkräfte haben, dieses aber meist nicht in die Praxis umgesetzt werden kann (vgl. Kratzmann et al. 2020; Ofner 2014). Aufgebautes Wissen allein hat keinen Einfluss auf das Handeln der Fachkräfte (vgl. Kratzmann et al. 2020), daher ist der Nutzen solcher Weiterbildungsmaßnahmen für die Praxis gering. Im Folgenden wird daher in Anlehnung an Fröhlich-Gildhoff, Nentwig-Gesemann & Pietsch (2011 und 2014) von einem Zusammenspiel von notwendigem (Fach-)Wissen und Einstellungen von Fachkräften zu Mehrsprachigkeit und mehrsprachiger Bildung für frühpädagogische Handlungsanforderungen ausgegangen.

2.2 Einstellungen pädagogischer Fachkräfte

2.2.1 Einstellungen als Bezugsrahmen für das pädagogische Denken und Handeln

Nach Hoeft et al. (2018: 192) schlägt sich ein anerkennender Umgang mit Heterogenität in einer inklusiven pädagogischen Praxis nieder und geht mit einer inklusiven professionellen pädagogischen Haltung einher. Letztere wird als ein Muster von Einstellungen, Werten und Überzeugen verstanden, die Einfluss auf das Urteilen und Handeln nehmen (vgl. ebd.; Kuhl/Schwer/Solzbacher 2014). Insbesondere Einstellungen werden in verschiedenen Professionalisierungsmodellen große Bedeutung für das pädagogische Handeln zugeschrieben (vgl. Tietze et al. 2013), sodass sie als „eine wesentliche Komponente einer Professionellen Haltung und als leitend für das pädagogische Handeln anzusehen“ sind (Hoeft et al. 2018: 192). Fröhlich-Gildhoff et al. (2011 und 2014) betrachten Einstellungen als Dimensionen, die das Denken und Handeln von Menschen wesentlich prägen und im Hintergrund auf die pädagogische Handlungsrealisierung einwirken (vgl. Kratzmann et al. 2020). Dieser Betrachtung folgt auch der vorliegende Beitrag.

Fröhlich-Gildhoff et al. (2011) differenzieren in ihrem professionalisierungstheoretischen Modell zur Beschreibung der Handlungskompetenz frühpädagogischer Fachkräfte zwischen Handlungsgrundlagen, d.h. Dispositionen aus wissenschaftlich-theoretischem Wissen und implizitem Erfahrungswissen (vgl. Kratzmann et al. 2020: 542) und Fertigkeiten, Handlungsbereitschaft und Handlungsrealisierung bzw. Performanz (vgl. Fröhlich-Gildhoff et al. 2014). Die professionelle Haltung von Fachkräften stellt sich als ein relativ stabiles, situationsunabhängiges Element dar, das im Sinne eines persönlichen, biografischen und berufsbiografisch geprägten Habitus hinter jedem professionellen Handlungsvollzug liegt (vgl. Fröhlich-Gildhoff et al. 2014: 129). Handlungsleitende Orientierungen können sich durch den Erwerb und die Differenzierung von Wissen (u.a. angestoßen durch Fort- und Weiterbildungen) und durch persönliche und berufliche Erfahrungen verändern (vgl. Ajzen 2001; Fröhlich-Gildhoff et al. 2014; Kuhl et al. 2014). So besteht ein Zusammenspiel von Wissen und aus Erfahrungen gewonnenen Einstellungen. Verschiedene Modelle betonen die Abhängigkeit der Qualität pädagogischer Prozesse von den Einstellungen pädagogischer Fachkräfte (vgl. Tietze et al. 2013), weshalb die Arbeit an Einstellungen von Fachkräften Bestandteil von Aus- und Weiterbildungsprozessen ist (vgl. Kratzmann et al. 2017b: 240).

2.2.2 Einstellungen pädagogischer Fachkräfte zu Mehrsprachigkeit

Untersuchungen zu Einstellungen pädagogischer Fachkräfte zu Mehrsprachigkeit zeigen, dass die Einstellungen der Fachkräfte maßgeblich mitbestimmen, ob sich Kitas zu „mehrsprachigkeitsintegrierenden Lernumgebungen“ (Kratzmann et al. 2020: 545) entwickeln. Khan-Svik (2002) beschreibt für die mehrsprachige Situation in Österreich zwei einander widersprechende Einstellungsdimensionen von Fachkräften, nämlich Unterstützung von Mehrsprachigkeit und Förderung von Deutschsprachigkeit (vgl. Kratzmann et al. 2017a: 134). Thomauske (2017a, b) zeigt auf, dass die Orientierung von Fachkräften an Monolingualität zur Abwertung mehrsprachiger Sprachpraktiken und zum Ausschluss herkunftssprachlicher Fähigkeiten (durch Sprachgebote und Sprachverbote) aus der Institution führt. Fachkräfte, die eine mehrsprachige Bildung anstreben, zeigen hingegen den Anspruch einer institutionellen Unterstützung mehrsprachiger Familien (vgl. ebd.; Winter 2022). Braband (2019: 309–310) beschreibt einen engen Zusammenhang zwischen dem von einzelnen Fachkräften betonten Wunsch nach Mehrsprachigkeitsförderung und einem in der Kita vorhandenen, ausgearbeiteten Sprachbildungskonzept.

Winter (2022: 173–179) formuliert auf Grundlage ihrer ethnografischen Untersuchung vier induktiv ermittelte Perspektiven, die pädagogische Fachkräfte auf die Mehrsprachigkeit von Kindern einnehmen: Mehrsprachigkeit als (Bildungs-)Voraussetzung, Bereicherung, Herausforderung und Hindernis. Während Mehrsprachigkeit von einigen Fachkräften als Normalität und Gegenstand ihrer Arbeit betrachtet wird, gehen andere von beruflichen, interkulturellen und sprachlichen Vorteilen für Mehrsprachige aus (vgl. Winter 2022: 174). Mehrsprachigkeit wird von weiteren Fachkräften als Herausforderung und Überforderung für den Erwerb und die Entwicklung der Umgebungssprache Deutsch angenommen und der Gebrauch mehrerer Sprachen für Kinder als „anstrengend“ und „zu viel“ bezeichnet (Winter 2022: 175-176). Als Hindernis wird Mehrsprachigkeit von Fachkräften im Zusammenhang mit dem Erwerb der deutschen Standard- und Bildungssprache gesehen, der u.a. durch translinguale Sprachpraktiken erschwert bzw. verhindert werde (vgl. Winter 2022: 176–178; zu ähnlichen Ergebnissen zu Grundschullehrkräften vgl. Di Venanzio/Niehaus 2023). Mehrsprachige Sprachpraktiken werden von Fachkräften aus dieser Perspektive heraus problematisiert, weshalb sie zu vermeiden seien (vgl. Winter 2022: 176). Sprachliche Diversität als zusätzliche Herausforderung oder aber als Bereicherung für die Entwicklung von Kindern zu sehen, stellen auch Schwartz, Mor-Sommerfeld & Leikin (2010) in einer ethnografischen Studie zu Einstellungen von Fachkräften in Israel heraus. Die von Schwartz et al. (2010) und Winter (2022) beschriebenen Perspektiven überschneiden sich mit den Dispositionen bei Khan-Svik (2002) und auch denen, die Kratzmann et al. (2017a, b) in Anlehnung an Reich (2008) darlegen. Kratzmann et al. (2017b: 245) unterscheiden multilingual-pädagogische Einstellungen, die Zweisprachigkeit als besondere, positive Kompetenz ansehen, von der auch einsprachig deutsche Kinder profitieren, von assimilatorischen Einstellungen, die die Befürwortung der Anpassung mehrsprachig aufwachsender Kinder an die deutsche Sprache markieren, und kompensatorischen Einstellungen, die das Bestreben eines Ausgleichs von Unterschieden zwischen einsprachig und mehrsprachig aufwachsenden Kindern betreffen. Setzt man diese Einstellungsmuster mit den induktiven Perspektiven von Winter (2022) in Beziehung, so lassen sich multilingual-pädagogische Einstellungen den Perspektiven der Voraussetzung und Bereicherung zuordnen, assimilatorische Einstellungen eher der Perspektive der Herausforderung und kompensatorische Einstellungen der Perspektive des Hindernisses.

Kratzmann et al. (2017b) stellen in ihrer quantitativen Untersuchung von Einstellungen pädagogischer Fachkräfte zu Mehrsprachigkeit heraus, dass diese sowohl mit biografischen Merkmalen als auch mit strukturellen Bedingungen zusammenhängen. Die Untersuchung belegt Zusammenhänge zwischen dem Alter der Fachkräfte und kompensatorischen Einstellungen: Ältere Fachkräfte streben demnach stärker einen Unterschiedsausgleich zwischen einsprachig und mehrsprachig aufwachsenden Kindern an als jüngere (vgl. Kratzmann et al. 2017b: 250). Dies wird historisch auf die bildungsbiografische Sozialisation der Fachkräfte zurückgeführt (vgl. ebd.). Zum anderen zeigen sich Zusammenhänge zwischen der Mehrsprachigkeit von Fachkräften und assimilatorischen und kompensatorischen Einstellungen: Mehrsprachige Fachkräfte sprechen sich eher für eine sprachliche Anpassung der mehrsprachigen Kinder an das Deutsche aus (vgl. ebd.). Zusammenhänge zwischen Dispositionen und Performanz zeigen, dass multilingual-pädagogische Einstellungen positiv mit der Integration von Mehrsprachigkeit in das Alltagsgeschehen der Kita korrelieren, gleichzeitig korrelieren assimilatorische und kompensatorische Einstellungen negativ damit (vgl. ebd.: 252–253). Hinsichtlich struktureller Rahmenbedingungen belegt die Untersuchung einen positiven Zusammenhang zwischen der Sichtbarkeit von Mehrsprachigkeit und dem Anteil mehrsprachiger Kinder in der Einrichtung (vgl. ebd.: 252).

3 Forschungsfragen und Hypothesen

Anliegen dieses Beitrags ist es, die Bedeutung von Einstellungen pädagogischer Fachkräfte zur mehrsprachigen Bildung und Herkunftssprachenförderung im pädagogischen Alltag und darauf einflussnehmende Faktoren herauszuarbeiten. Dabei stehen nicht die Einstellungen von Fachkräften zu Mehrsprachigkeit im Vordergrund, sondern die zu mehr- und herkunftssprachlichem Sprachgebrauch und zum eigenen Handeln im Rahmen mehrsprachiger Sprachbildung und Mehrsprachigkeitsförderung. Das Professionalisierungsmodell nach Fröhlich-Gildhoff et al. (2011 und 2014), Ansätze zur mehrsprachigen Bildung (vgl. u.a. Reich/Krumm 2013) und Forschungsergebnisse zu Einstellungen von Fachkräften werden dafür zugrunde gelegt (s. Kap. 2). Der Beitrag geht diesen Forschungsfragen nach:

  1. Hängen Einstellungen pädagogischer Fachkräfte zur Mehrsprachigkeitsförderung mit der Handlungsbereitschaft, mehrsprachige Sprachbildung im Kitaalltag umzusetzen und sich dafür zu professionalisieren, zusammen?

  2. Lassen sich biografische Merkmale, die einflussnehmend auf die Einstellungen pädagogischer Fachkräfte zur Mehrsprachigkeit von Kindern sind, ebenfalls als bedeutsam für Einstellungen zur mehrsprachigen Sprachbildung und aktiven Förderung von Mehrsprachigkeit und Herkunftssprachen in der Kita herausstellen? Lassen sich weitere biografische Merkmale herausstellen, die Einfluss nehmen?

  3. Gibt es Zusammenhänge zwischen strukturellen Rahmenbedingungen und den Einstellungen von Fachkräften zur mehrsprachigen Sprachbildung und ihrer Handlungsbereitschaft, mehrsprachige Sprachbildung im Kitaalltag umzusetzen und sich dafür zu professionalisieren?

Zur Untersuchung der Forschungsfragen werden vier Hypothesen formuliert, die im Anschluss empirisch überprüft werden (s. Kap. 4). Ausgehend von festgestellten Zusammenhängen zwischen Einstellungsdimensionen von Fachkräften und ihrem pädagogischen Handeln in Bezug auf die Integration von Mehrsprachigkeit und ihrer Förderung im Kitaalltag (vgl. Kratzmann et al. 2017b; Thomauske 2017a und b) und einer Qualifizierungsnotwendigkeit für die Integration von Mehrsprachigkeit, insbesondere die Umsetzung mehrsprachiger Bildung (s. Kap. 2.1), wird angenommen, dass positive Einstellungen zur Mehrsprachigkeitsförderung und mehrsprachigen Bildung (äquivalent zu multilingual-pädagogischen Einstellungen) mit positiven Einstellungen zur Umsetzung solcher Förderung und zu notwendigen Professionalisierungsangeboten einhergehen. Hypothese 1 überprüft diesen Zusammenhang zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage.

In Anlehnung an belegte Zusammenhänge zwischen dem biografischen Merkmal Alter und Einstellungen von Fachkräften zu Mehrsprachigkeit (vgl. Kratzmann et al. 2017b), wird angenommen, dass dieses Merkmal gleichermaßen die Einstellungen von Fachkräften zu mehrsprachiger Sprachbildung und Herkunftssprachenförderung beeinflusst. Ausgehend davon, dass sich Einstellungen insbesondere durch gesammelte Erfahrungen verändern können (s. Kap. 2.1), werden zusätzlich Einstellungsunterschiede in Abhängigkeit der Berufserfahrung angenommen. Die Berufserfahrung von Fachkräften lässt sich nicht am Alter messen. Hypothese 2 überprüft daher den Einfluss der Variablen Alter und Berufserfahrung.

Da pädagogische Fachkräfte, die selbst mehrsprachig sind, nach Kratzmann et al. (2017b) eher assimilatorische und kompensatorische Einstellungen befürworten und assimilatorische Einstellungen wiederum die Überwindung der Erstsprache zugunsten des Deutschen befürworten, lautet Hypothese 3, dass mehrsprachige Fachkräfte, im Folgenden Fachkräfte, die migrationsbedingt entweder simultan oder sukzessiv mit mehr als einer Sprache familiär und ungesteuert aufgewachsen sind (vgl. Müller/Kupisch/Schmitz/Cantone/Arnaus Gil 2023; Kap. 4.3), die aktive Förderung von Mehrsprachigkeit und Herkunftssprachen in der Kita eher ablehnen und stattdessen die Fokussierung der deutschen Sprache befürworten. Hypothese 2 und 3 dienen zur Beantwortung der zweiten Forschungsfrage.

Hypothese 4 nimmt zur Beantwortung der dritten Forschungsfrage an, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Anteil mehrsprachiger Kinder als strukturelle Rahmenbedingung und den Einstellungen von Fachkräften zur mehrsprachigen Sprachbildung, Herkunftssprachenförderung und Professionalisierungsbereitschaft gibt. Angelehnt an festgestellte positive Korrelationen zwischen der Sichtbarkeit von Mehrsprachigkeit und dem Anteil mehrsprachiger Kinder in der Kita und die Einflussnahme dieser strukturellen Rahmenbedingung auf die Integration von Mehrsprachigkeit auf Performanzebene (vgl. Kratzmann et al. 2017b), geht Hypothese 4 davon aus, dass der Umgang mit mehrsprachiger Bildung ebenfalls mit dem Anteil mehrsprachiger Kinder als strukturelle Bedingung zusammenhängt. Kratzmann et al. (2017b) entsprechend sollte ein höherer Anteil mehrsprachiger Kinder mit einer höheren Zustimmung zu mehrsprachiger Bildung und Mehrsprachigkeitsförderung einhergehen. Diese wiederum sollte zu einer höheren Handlungsbereitschaft führen, mehrsprachige Bildung umzusetzen und sich dafür zu professionalisieren (vgl. Hypothese 1). Gleichzeitig, entgegengesetzt der Ergebnisse von Kratzmann et al. (2017b), könnte ein hoher Anteil mehrsprachiger Kinder mit einer Fokussierung auf den Erwerb und die Entwicklung der deutschen Sprache zur Kompensation sprachlicher Unterschiede zu einsprachigen Kindern zusammenhängen (vgl. die Förderung von Deutschsprachigkeit bei Khan-Svik 2002; kompensatorische Einstellungen bei Kratzmann 2017a und b; Herausforderungs- und Hindernis-Perspektive bei Winter 2022). Dies sollte mit negativeren Einstellungen zur mehrsprachigen Bildung und entsprechenden Professionalisierungsangeboten korrelieren.

Zusammengefasst werden diese Hypothesen aufgestellt:

  1. Es gibt einen positiven Zusammenhang zwischen den Einstellungen zur mehrsprachigen Sprachbildung und Herkunftssprachenförderung und der Qualifizierungs- und Umsetzungsbereitschaft.

  2. Die Einstellungen zur Herkunftssprachenförderung korrelieren mit den Variablen Alter und Berufserfahrung.

  3. Mehrsprachige Fachkräfte befürworten Herkunftssprachenförderung weniger als einsprachige Fachkräfte, gleichzeitig stimmen sie einer Fokussierung des Deutschen häufiger zu.

  4. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Einstellungen zur mehrsprachigen Sprachbildung, Herkunftssprachenförderung und Qualifizierungs- und Umsetzungsbereitschaft und der Anzahl mehrsprachiger Kinder in der Betreuungsgruppe.

4 Die Studie

4.1 Das Konstrukt Einstellungen

Einstellungen sind keine objektiven Werte und daher nicht direkt messbar (vgl. Garms-Homolová 2020). Sie sind theoretische Konstrukte und es bedarf einer Konstruktion, nach der dieses Konstrukt mithilfe von mess- oder beobachtbaren Merkmalen beschrieben werden kann (vgl. Garms-Homolová 2020: 52). Messbare Merkmale sind u.a. konkrete Aussagen, denen Personen zustimmen oder die sie ablehnen. Die Zustimmung oder Ablehnung dieser Aussagen lässt Rückschlüsse auf den subjektiven Maßstab bzw. die dahinter liegende subjektive Theorie der Person zu, deren Einstellungen erhoben werden (vgl. Garms-Homolová 2020: 49; Kratzmann et al. 2017a: 135).

Zur Erfassung von Einstellungen pädagogischer Fachkräfte zu mehrsprachiger Sprachbildung und Herkunftssprachenförderung im Elementarbereich werden vier Einstellungsdimensionen vorgeschlagen, die aus 18 Items gebildet wurden. Die Items wurden anhand einer vierstufigen Likert-Skala erhoben und mithilfe einer Faktorenanalyse auf Grundlage der Befragungsdaten von ca. 100 pädagogischen Fachkräften zu den vier Einstellungsdimensionen zugeordnet (s. Kap. 4.2.1).

4.2 Forschungsdesign

Die Studie Einstellungen zu mehrsprachiger Sprachbildung in Kitas wurde an der Universität Duisburg-Essen konzipiert und in Form einer schriftlichen Befragung von pädagogischen Fachkräften im Frühjahr/Sommer 2022 in zwei Großstädten in NRW durchgeführt.

4.2.1 Aufbau der Befragung

Die schriftliche Befragung enthält 18 Items zur mehrsprachigen Sprachbildung und Herkunftssprachenförderung in der Kita (s. Tab. 1). Die Fachkräfte konnten den Aussagen auf einer vierstufigen Likert-Skala zustimmen oder diese ablehnen (1 = trifft überhaupt nicht zu, 2 = trifft eher nicht zu, 3 = trifft eher zu, 4 = trifft voll und ganz zu). Der Verzicht auf eine neutrale Antwortmöglichkeit dient dem Erhalt eindeutiger Tendenzen für weitere explorative Zwecke. Zur Überprüfung von Urteilsschwankungen und zum Entgegenwirken systematischer Antwortmuster und Zustimmungstendenzen (vgl. Albert/Marx 2016) sind Items sowohl positiv als auch negativ formuliert.

Tab. 1: Items zur Erfassung der Einstellungen pädagogischer Fachkräfte zu mehrsprachiger Sprachbildung und Herkunftssprachenförderung

Faktor Item
(1) Qualifizierung und Umsetzung
(Cronbachs α = .89)
(1A) Ich bin dazu bereit, mit bereitgestelltem Material und in Fortbildungen und Workshops Lieder, Reime und Spiele auch auf anderen, mir unbekannten Sprachen einzuüben.
(1B) Ich möchte keine Fortbildungen oder Workshops besuchen müssen, um ein mehrsprachiges Training in meiner Kitagruppe durchführen zu können.
(1C) Ich möchte trotz bereitgestelltem Material und Fortbildungsangeboten keine Lieder, Reime und Spiele auf anderen Sprachen einüben.
(1D) Ich bin dazu bereit, Fortbildungen und Workshops zu besuchen, um ein gezieltes mehrsprachiges Training in meiner Kitagruppe durchführen zu können.
(1E) Ich kann mir vorstellen, an jedem Kitatag ca. 15 Minuten für mehrsprachige Sprachbildung zu nutzen (bspw. im Stuhlkreis).
(2) Mehrsprachige Sprachbildung und Sprachgebrauch
(Cronbachs α = .80)
(2A) Ich finde es gut, wenn mehrsprachige Kinder auch auf ihrer gemeinsamen nicht-deutschen Familiensprache spielen und sich unterhalten.
(2B) Ich finde es schwierig, wenn sich mehrsprachige Kinder in der Kita auf anderen Sprachen als Deutsch unterhalten.
(2C) Ich glaube, alle Gruppenkinder lernen etwas dazu, wenn sie sich mit der eigenen Sprache und mit der Sprache von anderen beschäftigen.
(2D) Ich glaube nicht, dass die Beschäftigung mit anderen Sprachen in der Kita einen Mehrwert für die sprachliche Entwicklung und Bildung von deutschsprachigen Kindern hat.
(2E) Ich finde es wichtig, dass mehrsprachige Kinder Wertschätzung für ihre nicht-deutsche Familiensprache in der Kita erleben.
(2F) Ich glaube nicht, dass die Beschäftigung mit anderen Sprachen zur einfacheren Aneignung von Sprachlernstrategien bei den Gruppenkindern führt.
(2G) Ich glaube, dass die Beschäftigung mit anderen Sprachen die allgemeine Aneignung von Sprachlernstrategien bei den Gruppenkindern unterstützt.
(3) Herkunfts-sprachen und Förderung
(Cronbachs α = .75)
(3A) Ich finde, dass nicht-deutsche Familiensprachen von Kindern auch in der Kita gefördert werden sollen.
(3B) Ich finde es gut, wenn alle Kinder, auch deutsch aufwachsende Kinder, nicht-deutsche Familiensprachen in der Kita hören, singen und sprechen.
(3C) Ich finde nicht, dass es Aufgabe der Kita ist, nicht-deutsche Familiensprachen von mehrsprachigen Kindern zu berücksichtigen und zu fördern.
(3D) Ich finde es gut, wenn ich die nicht-deutschen Familiensprachen von mehrsprachigen Kindern aktiv in der Kita unterstützen und fördern kann.
(4) Fokussierung auf Deutsch
(Spearman-Brown r = .76)
(4A) Ich finde es nicht gut, dass alle Kinder, auch deutsch aufwachsende Kinder, nicht-deutsche Familiensprachen in der Kita hören, singen und sprechen sollen.
(4B) Ich finde es nicht gut, die nicht-deutschen Familiensprachen von mehrsprachigen Kindern in der Kita unterstützen und fördern zu müssen.

Die Reliabilitätsberechnung ergibt für die Fragebogenskala eine hohe interne Konsistenz (Reliabilitätskoeffizient α = 0.89).5 Die durchgeführte Faktorenanalyse lässt die Zuordnung der Items zu vier inhaltlichen Faktoren bzw. Einstellungsdimensionen zu: Qualifizierung und Umsetzung, mehrsprachige Sprachbildung und Sprachgebrauch, Herkunftssprachen und Förderung, Fokus auf Deutsch.6 Tab. 1 stellt die Faktoren mit den zugeordneten Items7 und einer zusätzlichen faktorspezifischen Reliabilitätsberechnung dar.

Zur Hypothesenüberprüfung wurden in der Befragung biografische Merkmale der Fachkräfte und strukturelle Merkmale der Betreuungsgruppen erhoben. Merkmale sind das Alter in Jahren zum Teilnahmezeitpunkt (Wie alt sind Sie?), die Berufserfahrung in Jahren als pädagogische Fachkraft (Wie lange arbeiten Sie schon als Erzieherin/Erzieher?), die sprachliche Sozialisation (In welchem Land wurden Sie geboren? Deutschland [1]/anderes Land [0]; Mit welcher/welchen Sprache/n sind Sie in Ihren ersten drei Lebensjahren aufgewachsen? Nur mit Deutsch [1]/Nur mit einer anderen Sprache als Deutsch [2]/Mit Deutsch und einer anderen Sprache [3]; Mit welcher/welchen Sprache/n sind Sie zwischen Ihrem 3. und 6. Lebensjahr aufgewachsen? Nur mit Deutsch [1]/Nur mit einer anderen Sprache als Deutsch [2]/Mit Deutsch und einer anderen Sprache [3]; Haben Sie ab Ihrem 7. Lebensjahr eine weitere Sprache als Zweitsprache im außerschulischen Kontext erworben? Ja [1]/Nein [0]8) und der Anteil mehrsprachiger Kinder in der Kitagruppe (Wie viele Kinder betreuen Sie momentan in Ihrer Kitagruppe, die neben Deutsch eine andere Familiensprache lernen und sprechen? Weniger als 2 [1], 2 bis 5 [2], 5 bis 10 [3], Mehr als 10 [4], Weiß ich nicht [5]; Welche nicht-deutschen Familiensprachen sprechen die von Ihnen betreuten Kinder?).9 Zusätzlich wurden Angaben zur Berufsphase (laufende vs. abgeschlossene Berufsausbildung) und zur Trägerschaft der Kita erhoben. Diese werden bei der Auswertung jedoch nicht weiter berücksichtigt.

4.2.2 Stichprobe

Für die Befragung wurden 475 Einrichtungsleitungen in zwei Großstädten in NRW kontaktiert. Beide Städte kennzeichnen sich durch sprachliche und kulturelle Vielfalt (Anteil der Menschen mit Einwanderungsgeschichte Ende 2020 21 % bzw. 36 %). An der Befragung haben 101 pädagogische Fachkräfte teilgenommen.

Tab. 2: Biografische Daten der Fachkräfte und strukturelle Daten der Einrichtungen (Ø = Durchschnitt, k.A. = keine Antwort)

Allgemeine Daten
Alter (in Jahren) Berufsausbildung Berufserfahrung (in Jahren)
Ø Spanne abgeschlossen laufend k.A. Ø Spanne
45 17 bis 64 86% 9% 5% 21 1 bis 43
Sprachlicher Sozialisationskontext
Geburtsland Sprache bis 3 Jahre Sprache 3 bis 6 Jahre
Deutschland anderes Deutsch andere Sprache Deutsch und andere Sprache Deutsch andere Sprache Deutsch und andere Sprache
93% 7% 80% 7% 13% 74% 4% 22%
Trägerschaft der Kita
städtisch konfessionell Elterninitiative andere
32% 25% 18% 25%
Anteil mehrsprachiger Kinder in der Gruppe
> 10 5 bis 10 2 bis 5 < 2 unbekannt
60% 19% 14% 5% 2%

Der Anteil mehrsprachiger Kinder in den Kitagruppen bestätigt den Kontakt der Fachkräfte zu migrationsbedingter Mehrsprachigkeit und Erfahrungen mit mehrsprachigen Kindern im Betreuungsalltag. Als Herkunftssprachen der Kinder werden insbesondere Arabisch, Türkisch, Kurdisch, Russisch, Polnisch, Albanisch und Italienisch genannt.

4.2.3 Datenerhebung

Die Daten wurden von Mai bis August 2022 in einer Online-Befragung erhoben. Da nicht nachvollziehbar ist, an wie viele Fachkräfte die Teilnahmeeinladung durch die Einrichtungsleitungen weitergeleitet wurde, ist die Berechnung einer Rücklaufquote nicht möglich. Die Einrichtungen wurden in der Befragung nicht als Merkmal erhoben, um die Anonymität der Teilnehmenden sicherzustellen.

4.3 Datenauswertung

Die Auswertung erfolgt deskriptiv (vgl. Raab/Unger/Unger 2009). Alle statistischen Auswertungen erfolgten mit SPSS. Zur Ermittlung der Einstellungen wird faktorspezifisch für jede Fachkraft der Mittelwert aller faktorzugehörigen Itembewertungen berechnet (s. Tab. 1). Der Mittelwert wird einer der binären Optionen Zustimmung oder Ablehnung zugeordnet. Ablehnung wird entsprechend der Likert-Skala bei Mittelwerten von 1 bis 2,4 angenommen, Zustimmung bei Mittelwerten von 2,5 bis 4. Für diesen Auswertungsschritt werden alle Items positiv formuliert und Bewertungen entsprechend umgepolt. Zur Herausstellung bestimmter Items dient die Ermittlung des Mittelwerts aller Bewertungen für jedes Item sowie die entsprechende binäre Option. Hier gelten ursprüngliche Formulierungen und Polungen.

Zur Überprüfung von Zusammenhängen zwischen Einstellungen zur mehrsprachigen Sprachbildung und Herkunftssprachenförderung und der Umsetzungs- und Qualifizierungsbereitschaft (Hypothese 1) werden die pädagogischen Fachkräfte in zwei Gruppen unterteilt: Fachkräfte, die den relevanten Items zur mehrsprachigen Sprachbildung und Herkunftssprachenförderung zustimmen (vgl. 2A), und Fachkräfte, die diese Items ablehnen. Anschließend werden die Bewertungen dieser beiden Personengruppen hinsichtlich ihrer Umsetzungs- und Qualifizierungsbereitschaft anhand der binären Optionen (Zustimmung/Ablehnung) verglichen und mithilfe von Chi-Quadrat-Tests statistisch überprüft. Ferner werden Korrelationen (Pearson bzw. Spearman-Brown) zur Ermittlung von Zusammenhängen zwischen Bewertungen ausgewählter Items berechnet.

Zur Überprüfung, ob Einstellungen zur Herkunftssprachenförderung mit den biografischen Merkmalen Alter und Berufserfahrung zusammenhängen (Hypothese 2), werden Pearson-Korrelationen berechnet. Jede Fachkraft bildet dafür einen Fall mit der spezifischen Likert-Skala-Bewertung zwischen 1 und 4 (nicht der binären Option) eines relevanten Items und dem zu korrelierenden biografischen Merkmal in Jahren.

Zur Überprüfung von Zusammenhängen zwischen der migrationsbedingten Mehrsprachigkeit von Fachkräften als biografisches Merkmal und Einstellungen zur Herkunftssprachenförderung und Fokussierung des Deutschen (Hypothese 3) werden die Fachkräfte anhand ihrer Angaben zur sprachlichen Sozialisation in die Gruppen Mehrsprachige Fachkräfte und Einsprachige Fachkräfte unterteilt. Angewandte Spracherwerbstypen richten sich nach Müller et al. (2023). Als einsprachig werden Fachkräfte kategorisiert, die in Deutschland geboren und während ihrer Kindheit einsprachig mit Deutsch aufgewachsen sind. Als mehrsprachig werden Fachkräfte kategorisiert, die entweder gleichzeitig von Geburt an mehrere Sprachen (simultaner mehrsprachiger Erwerb) oder entweder in der frühen Kindheit oder ab dem siebten Lebensjahr sukzessiv eine weitere Sprache familiär und ungesteuert, also außerhalb schulischer Kontexte, erworben haben (Zweitspracherwerb). Es wird überprüft, ob sich die beiden Fachkräftegruppen hinsichtlich der Zustimmungs-/Ablehnungshäufigkeiten relevanter Items (3A, 4A, 4B) unterscheiden. Aufgrund der zu überprüfenden Unterschiede hinsichtlich binärer Verteilungen zwischen Personengruppen werden Chi-Quadrat-Tests durchgeführt.10

Der Zusammenhang zwischen Einstellungen zur mehrsprachigen Sprachbildung, Herkunftssprachenförderung und Qualifizierungs- und Umsetzungsbereitschaft und dem Anteil mehrsprachiger Kinder in der Kitagruppe (Hypothese 4) wird überprüft, indem die pädagogischen Fachkräfte anhand ihrer Angaben zum Anteil mehrsprachiger Kinder gruppiert werden (Weniger als 5 Kinder, Zwischen 5 und 10 Kinder, Mehr als 10 Kinder). Anschließend erfolgt ein Vergleich der Fachkräftegruppen hinsichtlich der binären Zustimmungs-/Ablehnungshäufigkeiten bei den relevanten Itembewertungen (alle Faktoren, s. Kap. 3) mithilfe von Chi-Quadrat-Tests.

4.4 Ergebnisse

4.4.1 Gesamtergebnisse

Die Fachkräfte zeigen positive Einstellungen zur eigenen Qualifizierung und Umsetzung, mehrsprachigen Sprachbildung und Förderung von Herkunftssprachen in der Kita. Eine Fokussierung auf die Sprache Deutsch lehnen sie ab (Tab. 3).

Tab. 3: Deskriptive Gesamtergebnisse11 (Ø = Mittelwert, sd = Standardabweichung, ZU = Zustimmung, AB = Ablehnung)

Faktor Likert-Skala Binäre Option ZU AB
Ø = sd = in % in %
(1) Qualifizierung und Umsetzung 3,2 0,78 ZU 79,6 20,4
(1A) Bereitschaft, Inhalte in unbekannten Sprachen einzuüben 3,3 0,78 ZU 88,9 11,1
(1B) Keine Fortbildungen besuchen wollen 1,8 1,04 AB 25,0 75,0
(1C) Keine Inhalte in unbekannten Sprachen einüben wollen 1,5 0,74 AB 10,4 89,6
(1D) Bereitschaft, Fortbildungen zu besuchen 3,0 1,08 ZU 64,6 35,4
(1E) Tägliche mehrsprachige Sprachbildung in der Kita 3,0 0,98 ZU 68,8 31,2
(2) Mehrsprachige Sprachbildung und Sprachgebrauch 3,3 0,62 ZU 87,3 12,7
(2A) Mehrsprachige Interaktionen sind positiv 3,1 0,90 ZU 75,8 24,2
(2B) Mehrsprachige Interaktionen sind schwierig 2,0 0,93 AB 29,5 70,5
(2C) Lernzuwachs für alle Kinder 3,8 0,39 ZU 100,0 0,0
(2D) Kein Lernzuwachs für deutschsprachige Kinder 1,5 0,76 AB 9,3 90,7
(2E) Wertschätzung für Herkunftssprachen 3,7 0,62 ZU 94,6 5,4
(2F) Keine einfachere Aneignung von Sprachlernstrategien 1,6 0,74 AB 14,6 85,4
(2G) Einfachere Aneignung von Sprachlernstrategien 3,6 0,54 ZU 97,7 2,3
(3) Herkunftssprachen und Förderung 3,1 0,81 ZU 77,6 22,4
(3A) Herkunftssprachenförderung in der Kita 2,7 0,97 ZU 60,6 39,4
(3B) Herkunftssprachengebrauch von deutschsprachigen Kindern 3,4 0,64 ZU 95,9 4,1
(3C) Herkunftssprachenförderung keine Aufgabe der Kita 2,0 0,97 AB 30,5 69,5
(3D) Eigene aktive Förderung und Unterstützung in der Kita 3,3 0,83 ZU 80,0 20,0
(4) Fokus auf Deutsch 1,4 0,62 AB 8,3 91,7
(4A) Herkunftssprachengebrauch für deutschsprachige Kinder nicht positiv 1,3 0,56 AB 2,1 97,9
(4B) Eigene Herkunftssprachenförderung und -unterstützung nicht positiv 1,6 0,83 AB 15,2 84,8

Trotz der positiven Einstellungen zeigen die Ergebnisse hinsichtlich der Qualifizierung für und Umsetzung von mehrsprachiger Sprachbildung und der Herkunftssprachenförderung in der Kita Spannungsfelder. 35,4 % der Fachkräfte sind nicht bereit, Fortbildungen zu besuchen, um sich für mehrsprachige Sprachbildung zu professionalisieren. 31,2 % der Befragten geben an, sich nicht vorstellen zu können, mehrsprachige Sprachbildung täglich umzusetzen. Diese Ergebnisse verdeutlichen eine Diskrepanz zwischen Dispositionen und konkreten Handlungsbereitschaften. Gleichzeitig stimmen 29,5 % der Fachkräfte der Aussage zu, Interaktionen mehrsprachiger Kinder in Herkunftssprachen seien schwierig (2B), was mit einer Problematisierung des Herkunftssprachengebrauchs einhergeht. Die Daten zeigen auch, dass die Fachkräfte Herkunftssprachen und deren Förderung zwar insgesamt positiv bewerten (3D), trotzdem aber 39,4 % der Fachkräfte die Aussage, dass Herkunftssprachen auch in der Kita gefördert werden sollen (3A), ablehnen. Gleichzeitig geben 30,5 % der Befragten an, dass die Förderung von Herkunftssprachen nicht Aufgabe der Kita sei (3C). Die Daten deuten darauf hin, dass die eigene Handlungsdimension bei der Mehrsprachigkeitsförderung zwar positiv betrachtet wird (3D), die frühkindliche Bildungsinstitution Kita aber nur bedingt als angemessener Handlungsort für diese Förderung angesehen wird (3A). Die Ergebnisdiskussion erfolgt in Kap. 5.

4.4.2 Einstellungen und Qualifizierungs- und Umsetzungsbereitschaft

Abb. 1 zeigt die Ergebnisse zu den Einstellungen zu mehrsprachiger Sprachbildung, zum Sprachgebrauch und zur Qualifizierungs- und Umsetzungsbereitschaft.

Abb. 1: Qualifizierungs- und Umsetzungsbereitschaft in Abhängigkeit der Einstellungen zur mehrsprachigen Sprachbildung und zum Sprachgebrauch (ZU = Zustimmung, AB = Ablehnung)

Fachkräfte, die dem mehrsprachigen Sprachgebrauch zustimmen (2A: Mehrsprachige Interaktionen sind positiv), stimmen Item 1A (Bereitschaft, Inhalte in unbekannten Sprachen einzuüben) zu 91,9 % zu, während Fachkräfte, die mehrsprachige Interaktionen ablehnen, Item 1A lediglich zu 58,3 % zustimmen. Diese Differenz ist signifikant (χ2 = 7.470, p < .01**). Gleichzeitig stimmen Fachkräfte mit positiven Einstellungen zum mehrsprachigen Sprachgebrauch Item 1B (Keine Fortbildungen besuchen wollen) lediglich zu 11,1 % zu, während Fachkräfte mit negativen Einstellungen Item 1B zu 58,2 % zustimmen. Auch diese Differenz ist signifikant (χ2 = 11.361, p < .001***). Die Ergebnisse zeigen, dass Fachkräfte mit positiven Einstellungen zur mehrsprachigen Sprachbildung, insbesondere zum mehrsprachigen Sprachgebrauch, eine höhere Umsetzungs- und Professionalisierungsbereitschaft aufzeigen.

Die Datenauswertung ergibt signifikante Korrelationen zwischen der Bewertung der Items 2C und 2G (Faktor 2) und den Items des Faktors 1 (Tab. 4).

Tab. 4: Signifikante Korrelationen zwischen Itembewertungen (Faktor 1 und 2)

(2) Mehrsprachige Sprachbildung und Sprachgebrauch
(2C) Lernzuwachs für alle Kinder (2G) Einfachere Aneignung von Sprachlernstrategien
(1) Qualifizierung und Umsetzung (1A) Bereitschaft, Inhalte in unbekannten Sprachen einzuüben r = .390, p < .01** r = .506, p < .001***
(1B) Keine Fortbildungen besuchen wollen r = -.562, p < .001*** r = -.590, p < .001***
(1C) Keine Inhalte in unbekannten Sprachen einüben r = -.702, p < .001*** r = -.499, p < .01**
(1D) Bereitschaft, Fortbildungen zu besuchen r = .339, p < .05* r = .366, p < .05*
(1E) Tägliche mehrsprachige Sprachbildung in der Kita r = .310, p < .05* r = .363, p < .05*

Die Ergebnisse belegen einen signifikanten Zusammenhang zwischen positiven Einstellungen zur mehrsprachigen Sprachbildung und zum Gebrauch von Herkunftssprachen und einer hohen Bereitschaft zur Umsetzung und Qualifizierung. Negative Einstellungen korrelieren gleichzeitig mit einer geringeren Qualifizierungs- und Umsetzungsbereitschaft.

Abb. 2 zeigt die Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen Einstellungen zur Herkunftssprachenförderung in der Kita und der Qualifizierungs- und Umsetzungsbereitschaft.

Abb. 2: Qualifizierungs- und Umsetzungsbereitschaft in Abhängigkeit der Einstellungen zur Herkunftssprachenförderung (HS-Förderung = Herkunftssprachenförderung, ZU = Zustimmung, AB = Ablehnung)

Fachkräfte, die der Herkunftssprachenförderung in der Kita zustimmen (3A), stimmen den Items 1A, 1D und 1E häufiger zu als Fachkräfte, die die Herkunftssprachenförderung ablehnen (Abb. 2). Die Differenzen zwischen den Fachkräftegruppen sind signifikant (1A: χ2 = 10.602, p < 0.01**; 1D: χ2 = 8.313, p < 0.01**; 1E: χ2 = 11.953, p < 0.01**) und belegen einen positiven Zusammenhang zwischen den Einstellungen der Fachkräfte zur Herkunftssprachenförderung und der Qualifizierungs- und Umsetzungsbereitschaft: Fachkräfte, die Herkunftssprachenförderung in der Kita befürworten, zeigen eine signifikant höhere Qualifizierungs- und Umsetzungsbereitschaft als Fachkräfte, die Herkunftssprachenförderung ablehnen.

Die Datenanalyse ergibt ferner signifikante Korrelationen zwischen den Ergebnissen zur Fokussierung auf die deutsche Sprache und der Qualifizierungs- und Umsetzungsbereitschaft (Tab. 5).

Tab. 5: Signifikante Korrelationen zwischen Itembewertungen (Faktor 1 und 4)

(4) Fokus auf Deutsch
(4A) Herkunftssprachengebrauch für deutschsprachige Kinder nicht positiv (4B) Eigene Herkunftssprachenförderung und -unterstützung nicht positiv
(1) Qualifizierung und Umsetzung (1B) Keine Fortbildungen besuchen wollen r = .477, p < .01**
(1C) Keine Inhalte in unbekannten Sprachen einüben r = .326, p < .05* r = .303, p < .05*
(1D) Bereitschaft, Fortbildungen zu besuchen r = -.369, p < .05*

Die Ergebnisse belegen signifikante Korrelationen zwischen a) der negativen Bewertung des Herkunftssprachengebrauchs deutschsprachiger Kinder (4A) und der Zustimmung, Inhalte nicht in unbekannten Sprachen einüben zu wollen (1C), b) der Ablehnung der eigenen Herkunftssprachenförderung (4B), der Ablehnung von Fortbildungsbesuchen (1B) und der eigenen Auseinandersetzung mit Inhalten in unbekannten Sprachen (1C), und c) der Ablehnung der eigenen Herkunftssprachenförderung (4B) und der Fortbildungsbereitschaft (1D). Zusammenfassend zeigen die Daten signifikante Zusammenhänge zwischen einer geringeren Bereitschaft zur Umsetzung mehrsprachiger Sprachbildung und entsprechender Qualifizierung und einer Fokussierung auf die deutsche Sprache.

4.4.3 Alter und Berufserfahrung

Die Daten zeigen positive Korrelationen zwischen dem biografischen Merkmal Alter und den Einstellungen gegenüber Herkunftssprachen und deren Förderung: Je älter die Befragten sind, desto mehr stimmen sie 3A (Herkunftssprachenförderung in der Kita) und 3B (Herkunftssprachengebrauch von deutschsprachigen Kindern) zu (Abb. 3). Beide Korrelationen sind signifikant (3A: r = .313, p < .05*; 3B: r = .334, p < .05*). Es zeigen sich keine signifikanten Korrelationen zwischen dem Alter und der Bewertung von 3C (Herkunftssprachenförderung keine Aufgabe der Kita; r = -.218, p > .05) und 3D (Eigene aktive Förderung und Unterstützung in der Kita; r = .188, p > .05).

Abb. 3: Signifikante Korrelationen zwischen der Bewertung von 3A (Herkunftssprachenförderung in der Kita) und 3B (Herkunftssprachengebrauch von deutschsprachigen Kindern) und dem Alter der Fachkräfte

Ähnlich dem Merkmal Alter korreliert auch das Merkmal Berufserfahrung positiv mit Item 3A (Abb. 4): Je länger die Befragten als pädagogische Fachkräfte arbeiten, desto mehr stimmen sie der Förderung von Herkunftssprachen in der Kita zu (r = .366, p < .05*). Zwischen den Bewertungen von 3B (Herkunftssprachengebrauch von deutschsprachigen Kindern), 3C (Herkunftssprachenförderung keine Aufgabe der Kita) und 3D (Eigene aktive Förderung und Unterstützung in der Kita) und dem Merkmal Berufserfahrung bestehen keine signifikanten Zusammenhänge (3B: r = .140, p > .05; 3C: r = .208, p > .05; 3D: r = .014, p > .05).

Abb. 4: Korrelationen zwischen der Bewertung von 3A (Herkunftssprachenförderung in der Kita) und 3B (Herkunftssprachengebrauch von deutschsprachigen Kindern) und der Berufserfahrung der Fachkräfte

Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse positive Korrelationen zwischen den Einstellungen der Befragten zur Herkunftssprachenförderung und den biografischen Merkmalen Alter und Berufserfahrung.

4.4.4 Eigene Mehrsprachigkeit

Abb. 5 präsentiert die Bewertungen relevanter Items zur Herkunftssprachenförderung und Fokussierung auf die deutsche Sprache unter Berücksichtigung der Mehrsprachigkeit der befragten Fachkräfte.

Abb. 5: Bewertung der Items 3A, 4A und 4B unter Berücksichtigung der Mehrsprachigkeit von Fachkräften (MF = mehrsprachige Fachkräfte, EF = einsprachige Fachkräfte)

Die Ergebnisse zeigen Unterschiede zwischen einsprachigen Fachkräften (EF, n = 27) und mehrsprachigen Fachkräften (MF, n = 13): Während 80,8 % der einsprachigen Fachkräfte 3A (Herkunftssprachenförderung in der Kita) zustimmen, tun dies lediglich 46,2 % der mehrsprachigen Fachkräfte (Abb. 5). Dieser Unterschied zwischen den Gruppen ist signifikant (χ2 = 4.875, p < .05*). Andere Zustimmungsvorkommen unterscheiden sich nicht signifikant (3B: χ2 = 0.331, p > .05; 3C: χ2 = 0.765, p > .05; 3D: χ2 = 0.115, p > .05). Ebenso zeigen sich keine Unterschiede hinsichtlich der Deutschfokussierung in der Kita: Die Fachkräftegruppen unterscheiden sich weder bei der Bewertung von 4A (Herkunftssprachengebrauch für deutschsprachige Kinder nicht positiv, χ2 = 0.435, p > .05) noch bei der Bewertung von 4B (Eigene Herkunftssprachenförderung und -unterstützung nicht positiv, χ2 = 1.381, p > .05).

Zusammenfassend lehnen die mehrsprachigen Fachkräfte die Förderung der Herkunftssprachen in der Kita stärker ab als die einsprachigen Fachkräfte, sie zeigen aber keine stärkere Fokussierung auf die deutsche Sprache.

4.4.5 Anzahl der zu betreuenden mehrsprachigen Kinder

Die Daten zeigen keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Itembewertungen zwischen den verschiedenen Fachkräftegruppen unter Berücksichtigung der Anzahl mehrsprachiger Kinder in der Betreuungsgruppe (Tab. 6). Es gibt keine Zusammenhänge zwischen der Anzahl mehrsprachiger Kinder in der Kitagruppe und a) der Qualifizierungs- und Umsetzungsbereitschaft, b) den Einstellungen der Fachkräfte zur mehrsprachigen Sprachbildung und zum mehrsprachigen Sprachgebrauch, c) den Einstellungen der Fachkräfte zur Herkunftssprachenförderung und d) den Einstellungen zur Fokussierung des Deutschen.

Tab. 6: Itembewertungen unter Berücksichtigung der Anzahl mehrsprachiger Gruppenkinder

Faktor Item Zustimmung in % Chi-Quadrat-Test
> 10 Kinder 5-10 Kinder < 5 Kinder χ2 = p
(1) (1A) 91,7 75,0 100,0 2.963 > .05
(1B) 16,0 28,6 25,0 0.696 > .05
(1C) 0,0 14,3 0,0 4.690 > .05
(1D) 70,8 71,4 75,0 0.052 > .05
(1E) 70,8 57,1 75,0 0.634 > .05
(2) (2A) 79,2 87,5 87,5 0.462 > .05
(2B) 20,8 42,9 12,5 2.115 > .05
(2C) 100,0 100,0 100,0 - -
(2D) 8,3 16,7 0,0 1.327 > .05
(2E) 95,8 100,0 100,0 0.684 > .05
(2F) 12,5 12,5 12,5 - -
(2G) 95,8 100,0 87,5 1.406 > .05
(3) (3A) 79,2 50,0 62,5 2.698 > .05
(3B) 91,7 87,5 100,0 0.961 > .05
(3C) 26,1 37,5 25,0 0.433 > .05
(3D) 91,7 87,5 87,5 0.185 > .05
(4) (4A) 4,3 0,0 0,0 0.670 > .05
(4B) 13,0 0,0 12,5 0.870 > .05

5 Diskussion

Für diesen Beitrag wurden Einstellungen pädagogischer Fachkräfte zu mehrsprachiger Sprachbildung, Herkunftssprachenförderung und Fokussierung des Deutschen in der Kita und ihre Qualifizierungs- und Umsetzungsbereitschaft erhoben. Die Untersuchung diente der Beantwortung der Forschungsfragen, ob 1) Einstellungen pädagogischer Fachkräfte zur Mehrsprachigkeitsförderung Einfluss auf ihre Handlungsbereitschaft haben, mehrsprachige Sprachbildung im Kitaalltag umzusetzen und sich dafür zu professionalisieren, 2) biografische Merkmale, die sich bereits als einflussnehmend gezeigt haben, ebenfalls bedeutsam für die Einstellungen zu mehrsprachiger Sprachbildung und aktiver Herkunftssprachenförderung in der Kita sind und um weitere biografische Merkmale ergänzt werden können, und 3) Zusammenhänge zwischen strukturellen Rahmenbedingungen und den Einstellungen von Fachkräften bestehen. Die Untersuchungsergebnisse werden nun hinsichtlich der in Kap. 3 formulierten Hypothesen diskutiert, um die Forschungsfragen beantworten zu können.

Hypothese 1 formuliert einen positiven Zusammenhang zwischen den Einstellungen zu mehrsprachiger Sprachbildung und Herkunftssprachenförderung und der Qualifizierungs- und Umsetzungsbereitschaft der Fachkräfte. Fachkräfte mit positiven Einstellungen sollten eine höhere Bereitschaft zur Umsetzung mehrsprachiger Sprachbildung im Kitaalltag und zur dafür notwendigen Qualifizierung aufweisen. Die Untersuchungsergebnisse bestätigen diese Hypothese. Sie belegen, dass Fachkräfte mit positiven Einstellungen zu mehrsprachiger Sprachbildung und zur Förderung von Herkunftssprachen in der Kita eine signifikant höhere Qualifizierungs- und Umsetzungsbereitschaft zeigen als Fachkräfte mit negativen Einstellungen. Gleichzeitig korrelieren negative Einstellungen zu mehrsprachiger Sprachbildung und Herkunftssprachenförderung mit einer geringeren Qualifizierungs- und Umsetzungsbereitschaft. Die Ergebnisse stellen zudem eine geringere Qualifizierungsbereitschaft der Fachkräfte heraus, wenn sie einer Fokussierung auf die deutsche Sprache im Kitaalltag zustimmen. Die Untersuchung bestärkt insgesamt, dass pädagogische Fachkräfte, die eine mehrsprachige Bildung anstreben, gleichzeitig auch den Anspruch und Willen zeigen, mehrsprachige Familien bereits frühkindlich institutionell zu unterstützen (vgl. Thomauske 2017b).

Hypothese 2 geht auf herausgestellte Korrelationen zwischen dem Alter der Fachkräfte und kompensatorischen Einstellungen zurück, die historisch anhand der bildungsbiografischen Sozialisation der Fachkräfte erklärt werden (vgl. Kratzmann et al. 2017b: 253). Daher wurde in Kap. 3 formuliert, dass Einstellungen zur Herkunftssprachenförderung ebenfalls mit dem Alter korrelieren sollten, d.h., ältere Fachkräfte sollten die Herkunftssprachenförderung weniger als jüngere befürworten. Gleichzeitig sollte der Einfluss der Berufserfahrung als häufig mit dem Alter zusammenhängende Größe untersucht werden, um weitere biografische Merkmale als bedeutsam für die Einstellungen von Fachkräften herauszustellen. Die Untersuchungsergebnisse bestätigen zwar Hypothese 2, allerdings nicht die Ergebnisse von Kratzmann et al. (2017b). Die Einstellungen zur Herkunftssprachenförderung korrelieren mit dem Alter der Fachkräfte, in der vorliegenden Untersuchung jedoch positiv: Je älter die Fachkräfte sind, desto deutlicher stimmen sie der Herkunftssprachenförderung in der Kita zu. Ähnlich stellt sich die Variable Berufserfahrung als zu ergänzendes biografisches Merkmal heraus, das mit Einstellungen von Fachkräften zusammenhängt: Je höher die Berufserfahrung der Fachkräfte ist, desto deutlicher stimmen sie der Herkunftssprachenförderung in der Kita zu. Beide Merkmale Alter und Berufserfahrung hängen demnach gleichermaßen mit den Einstellungen von Fachkräften zusammen. Das Ergebnis weist auf den wichtigen Aspekt hin, dass die bildungsbiografische Sozialisation älterer Fachkräfte nicht zwingend mit kompensatorischen Einstellungen einhergeht. Gleichzeitig scheint es notwendig, bei der Ausbildung pädagogischer Fachkräfte verstärkt auch Inhalte zu migrationsbedingter Mehrsprachigkeit und deren Förderung zu vermitteln. Insbesondere frühe Qualifizierungsphasen sollten zur Sensibilisierung jüngerer Fachkräfte genutzt werden. Gründe für den festgestellten positiven Zusammenhang zwischen Einstellungen der Fachkräfte und den Variablen Alter und Berufserfahrung können die erhobenen Daten nicht herausstellen. Hierfür sollten qualitative Untersuchungen angestrebt werden. Ebenso sollte für das herausgestellte Merkmal Berufserfahrung beleuchtet werden, ob sich Einstellungen qualitativ über die Berufszeit verändern (negative/positive Einstellungen), und wenn ja, welche Richtungsveränderungen sichtbar werden (positiv → negativ/negativ → positiv; vgl. Ajzen 2001; Fröhlich-Gildhoff et al. 2014; Kuhl et al. 2014; s. Kap. 2.2.1).

Hypothese 3 differenziert in Anlehnung an Kratzmann et al. (2017b) hinsichtlich der Einstellungen zur Mehrsprachigkeitsförderung zwischen mehrsprachigen und einsprachigen Fachkräften und nimmt eine geringere Befürwortung der Herkunftssprachenförderung bei mehrsprachigen Fachkräften und eine gleichzeitig stärkere Fokussierung auf die deutsche Sprache an. Die präsentierten Ergebnisse bestätigen Hypothese 3 teilweise. Die Zustimmung zur Herkunftssprachenförderung in der Kita ist bei den mehrsprachigen Fachkräften signifikant geringer als bei den einsprachigen. So zeigt sich ebenfalls in der vorliegenden Untersuchung, dass Einstellungen zur Herkunftssprachen- und Mehrsprachigkeitsförderung in frühkindlichen Bildungsinstitutionen mit der Mehrsprachigkeit von Fachkräften zusammenhängen (vgl. Kratzmann et al. 2017b). Mehrsprachigkeit von Fachkräften wirkt sich demnach nicht begünstigend auf ihre Einstellungen aus. Trotz der geringeren Zustimmung zur Herkunftssprachenförderung zeigen die mehrsprachigen Fachkräfte jedoch keine Tendenz zur Fokussierung auf die deutsche Sprache. Hinweise für einen Konflikt, in dem sich mehrsprachige Fachkräfte möglicherweise befinden, gibt das Teilergebnis, dass mehrsprachige Fachkräfte aus persönlicher Perspektive die Förderung von Mehrsprachigkeit in der Kita durchaus befürworten und sich hier keineswegs von einsprachigen Fachkräften unterscheiden (s. Kap. 4.4.4). Es verdeutlicht sich ein Widerspruch zwischen persönlicher, individueller Haltung und Einstellung als pädagogische Fachkraft im bildungsinstitutionellen System. Dies kann u.a. auf eigene Exklusionserfahrungen in bildungsinstitutionellen Kontexten zurückgehen. Gleichwohl müssen die Einstellungen mehrsprachiger Fachkräfte hinsichtlich der Debatte um eine ganzheitliche Sprachbildung kritisch betrachtet werden: Dass weder Herkunftssprachen noch Deutsch in der Kita besonders berücksichtigt werden sollen, lässt die Frage offen, welche Bedeutung mehrsprachige Fachkräfte der Sprachbildung in Kitas zuschreiben. Dieses Ergebnis unterstreicht eine Handlungsunsicherheit, die durch ethnografische Untersuchungen u.U. spezifiziert werden kann. Auch könnte überprüft werden, ob es Zusammenhänge zwischen Einstellungen und Spracherwerbstypen gibt. Dies ist aufgrund der geringen Anzahl mehrsprachiger Fachkräfte in der vorliegenden Untersuchung nicht möglich.

Hypothese 4 postuliert einen positiven Zusammenhang zwischen den Einstellungen der Fachkräfte zur mehrsprachigen Sprachbildung, Herkunftssprachenförderung und Qualifizierungs- und Umsetzungsbereitschaft und der Anzahl mehrsprachiger Kinder in der Kitagruppe. Fachkräfte, die eine hohe Anzahl mehrsprachiger Kinder betreuen, sollten positivere Einstellungen aufweisen als Fachkräfte, die eine geringere Anzahl betreuen. Kratzmann et al. (2017b) belegen einen ähnlichen Zusammenhang zwischen dem Anteil mehrsprachiger Kinder in der Kita und der Sichtbarkeit von Mehrsprachigkeit in den Einrichtungsräumlichkeiten und ihrer Integration in den Kitaalltag. Die Untersuchungsergebnisse bestätigen Hypothese 4 und den angenommenen Einfluss struktureller Rahmenbedingungen nicht: Es gibt keinen Zusammenhang zwischen der Anzahl mehrsprachiger Kinder in der Kitagruppe und Einstellungen zur Mehrsprachigkeitsförderung. Die Falsifizierung der Hypothese ist vermutlich auf die insgesamt positiven Fachkräfteeinstellungen zurückzuführen. Strukturelle Merkmale, u.a. die Anzahl von Herkunftssprachen, sollten dennoch im Blick behalten werden, da es bspw. in Gruppen mit vielen verschiedenen Herkunftssprachen (vgl. Kratzmann et al. 2017b: 254) entsprechend viele Sprachen zu berücksichtigen und fördern gilt. Fachkräfte könnten dies als Überforderung und kaum leistbar wahrnehmen.

Die Forschungsfragen können anhand der vorgelegten Ergebnisse teilweise bejaht werden. Die Fachkräfte zeigen positive Einstellungen zu mehrsprachiger Sprachbildung und Herkunftssprachen-förderung und damit einhergehend die Handlungsbereitschaft, mehrsprachige Sprachbildung umzusetzen und sich für diese zu professionalisieren. Die Einstellungen der untersuchten Fachkräfte nehmen demnach Einfluss auf ihre Handlungsbereitschaft. Die Daten bestätigen ebenfalls Zusammenhänge zwischen den Einstellungen der Fachkräfte und den in der Forschung bereits herausgestellten biografischen Variablen Alter und Eigene Mehrsprachigkeit (vgl. Kratzmann et al. 2017b). Zudem kann gezeigt werden, dass auch das biografische Merkmal Berufserfahrung mit den Einstellungen der Fachkräfte zu mehrsprachiger Sprachbildung und aktiver Mehrsprachigkeitsförderung zusammenhängt, sodass es als bedeutsames biografisches Merkmal ergänzt wird. Keinen Einfluss auf die Einstellungen und Handlungsbereitschaften haben in der vorliegenden Untersuchung hingegen strukturelle Rahmenbedingungen.

Die Erhebung liefert weitere Ergebnisse, auf die im Folgenden eingegangen werden sollen. Knapp 30 % der Fachkräfte stimmen der Aussage zu, Interaktionen mehrsprachiger Kinder in Herkunftssprachen seien schwierig (Tab. 3). Dies stellt eine Problematisierung des Herkunftssprachengebrauchs und translingualer Sprachpraktiken im pädagogischen Alltag dar (vgl. Winter 2022). Es ist hier aufgrund der quantitativen Erhebung nicht zu klassifizieren, ob diese Bewertung auf die von Winter (2022) herausgestellten Perspektiven von Mehrsprachigkeit als Herausforderung oder Hindernis zurückgeht (s. Kap. 2.2.2) oder aber auf individuelle Gründe (u.a. Nicht-Verstehen der Fachkraft). Ein problematisierter Herkunftssprachengebrauch steht einer Herkunftssprachen- und Mehrsprachigkeitsförderung in der Kita im Weg, weshalb Gründe für eine solche Problematisierung weiterhin aufgearbeitet werden müssen. Ferner zeigen die Daten ein Spannungsfeld zwischen der eigenen Handlungsdimension und dem angestrebten Handlungsort: Während eigenes pädagogisches Handeln im Rahmen der Mehrsprachigkeitsförderung von Fachkräften eher positiv betrachtet wird, gilt die Bildungsinstitution Kita jedoch nur bedingt als adäquater Handlungsort und -träger für eine solche Förderung. Fast ein Drittel der Fachkräfte gibt an, dass es nicht Aufgabe der Kita sei, Herkunftssprachen und Mehrsprachigkeit aktiv zu fördern, gleichzeitig lehnen knapp 40 % der Fachkräfte die Aussage ab, dass Herkunftssprachen auch in der Kita gefördert werden sollen (Tab. 3). Dieses Spannungsfeld muss in der Aus- und Weiterbildung von Fachkräften schon allein deshalb aufgebrochen werden, weil entsprechende Einstellungen in Konflikt zu den bildungspolitischen Vorgaben stehen, die das Kinderbildungsgesetz formuliert (s. Kap. 1). Dass frühpädagogische Einrichtungen nur bedingt einen Handlungsort für Mehrsprachigkeitsförderung widerspiegeln, ist u.a. auf ihr großes Handlungsfeld zurückzuführen. Mehrsprachigkeitsförderung steht in Konkurrenz zu anderen Handlungsbereichen. Dies verdeutlicht die Rückmeldung einer Fachkraft12 zur Befragung:

Wichtig zu sagen wäre mir noch, dass ich zwar Mehrsprachigkeit toll finde und den Kindern das Gefühl geben möchte in der KiTa in Ihrer Individualität gesehen zu werden, dass aber andere Themen (Inklusion, auffällige Kinder, Abläufe, Personalmangel, etc.) so viel Raum einnehmen oder von der Dringlichkeit zuerst bearbeitet werden müssen.

Die Unterordnung der Mehrsprachigkeitsförderung kann auch begründen, weshalb sich trotz insgesamt positiver Einstellungen fast ein Drittel der befragten Fachkräfte die tägliche Umsetzung mehrsprachiger Sprachbildung im Kitaalltag nicht vorstellen kann und über ein Drittel der Fachkräfte nicht zu entsprechenden Fortbildungsbesuchen bereit ist (Tab. 3). Die Diskrepanz zwischen Dispositionen und Handlungsbereitschaften unterliegt u.a. konzeptionellen und strukturellen Bedingungen, die nicht mehrsprachigkeitsabhängig sind. Neben mehrsprachigkeitsabhängigen Merkmalen (u.a. Mehrsprachigkeit von Fachkräften als biografisches Merkmal, Anteil mehrsprachiger Kinder in der Einrichtung als strukturelles Merkmal bei Kratzmann et al. 2017b) scheinen demnach auch mehrsprachigkeitsunabhängige Merkmale (u.a. andere Handlungsbereiche, Abläufe, wirtschaftliche Aspekte) bedeutsam dafür zu sein, ob Mehrsprachigkeitsförderung in Kitas stattfindet.

Die vorgestellte Erhebung unterliegt Limitationen. Die Teilnehmendenzahl ist für eine repräsentative Befragung nicht ausreichend. Repräsentativität wurde konzeptionell aufgrund explorativer Ziele jedoch nicht angestrebt. Methodisch kann die Itemanzahl kritisiert werden, gleichwohl sie zur Beantwortung der Forschungsfragen in der Lage ist. Die Anzahl geht auf Anmerkungen zu Umfrageabbrüchen wegen Zeitmangels in der Pilotierungsphase mit Fachkräften zurück. Letztlich muss die Schwierigkeit der Einstellungserhebung insgesamt reflektiert werden, da Antworten von Teilnehmenden trotz Anonymität von sozialer Erwünschtheit und Akquieszenz geprägt sein können (vgl. u.a. Garms-Homolová 2020). Erhobene Einstellungen können zudem keine Auskunft über die tatsächliche Handlungspraxis geben (vgl. ebd.), gleichwohl sie handlungsrelevant sind (s. Kap. 2.2). Der hervorgebrachten Handlungsbereitschaft im Bereich der Umsetzung mehrsprachiger Sprachbildung und Professionalisierung müsste in ethnografischen Studien nachgegangen werden.

6 Zusammenfassung

Die vorgestellte Befragung pädagogischer Fachkräfte hatte das Ziel, Einstellungen von Fachkräften zu mehrsprachiger Sprachbildung und Herkunftssprachenförderung in der Kita zu erheben. Die Ergebnisse haben positive Einstellungen zur Mehrsprachigkeitsförderung, dem eigenen pädagogischen Handeln in verschiedenen Sprachen und Qualifizierungsprozessen hervorgebracht, gleichzeitig markieren sie Zusammenhänge zwischen Einstellungen und der Qualifizierungs- und Umsetzungsbereitschaft. Zusammenhänge zwischen Einstellungen und externen Variablen weisen auf notwendige Reflexionsprozesse in der Fachkräfteaus- und weiterbildung hin. Die Implementierung mehrsprachiger Sprachbildung und Herkunftssprachenförderung im Elementarbereich erfordert aus praxisrelevanter Hinsicht zielgruppenspezifische Professionalisierungsangebote, aus forschungsrelevanter Perspektive die weitere Auseinandersetzung mit einflussnehmenden einstellungsbezogenen, biografischen, strukturellen und mehrsprachigkeitsunabhängigen Aspekten.

Notes

  1. „Mehrsprachigkeit“ bezieht sich im Folgenden auf die „individuelle Mehrsprachigkeit“ und meint die Eigenschaft von Personen, im alltäglichen Leben mehreren Sprachen zu begegnen und in mehreren Sprachen zu handeln (vgl. Fürstenau 2011; Grosjean 2008). „Migrationsbedingte Mehrsprachigkeit“ meint eine Form individueller Mehrsprachigkeit, die durch „eine dauerhafte und grenzüberschreitende Verlagerung des Wohnortes erfolgt“ (Geist 2021: 77). Minderheitensprachen, die migrationsbedingt in den Familien verwendet werden, werden als Herkunftssprachen (vgl. Brehmer/Mehlhorn 2018) oder Familiensprachen (vgl. Panagiotopoulou 2016) bezeichnet. [^]
  2. „Quersprachigkeit“ (List/List 2004) bezieht sich auf sprachübergreifende Sprachpraktiken und versteht Sprachen als ineinander koexistierend, nicht als autonome Entitäten, die getrennt voneinander erworben und verwendet werden (vgl. Chilla/Niebuhr-Siebert 2017: 11). Annahme ist, dass Kinder „quer durch Sprachen hindurch“ handeln und lernen (List 2010: 10). [^]
  3. Von den Beobachtungsverfahren thematisiert Sismik (vgl. Ulich/Mayr 2003) die Sprachentwicklung in Herkunftssprachen, erfasst diese aber nicht systematisch. [^]
  4. Vgl. zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Konzept Translanguaging und dessen historischen und theoretischen Entwicklungen MacSwan & Rolstad (2024). [^]
  5. Die Bedingung normalverteilter Messwerte als Voraussetzung statistischer Analysen erübrigt sich aufgrund einer Stichprobengröße oberhalb 30 (vgl. Döring/Bortz 2016: 476). [^]
  6. 15 Items laden auf nur einem Faktor bzw. können aufgrund hinreichend großer Differenz der Ladungen einem Faktor zugeordnet werden. Die Items 3D, 2G und 2F weisen Querladungen auf. Aus inhaltlichen Gründen werden sie den in Tab. 1 aufgeführten Faktoren zugewiesen. [^]
  7. Obwohl der Begriff „nicht-deutsche“ Familiensprache im wissenschaftlichen Diskurs kritisch betrachtet wird, wurde er in der Befragung zur deutlichen Unterscheidung zwischen dem Deutschen und anderen Sprachen verwendet. Da kein Wissen über Mehrsprachigkeit erhoben wurde, konnte nicht angenommen werden, dass allen Fachkräften der Begriff „Herkunftssprache“ bekannt ist. [^]
  8. Mithilfe dieser Frage sollte erhoben werden, ob Fachkräfte familiär und ungesteuert eine weitere Sprache migrationsbedingt als Zweitsprache erworben haben (s. Kap. 4.3). Wenige Fachkräfte haben diese Frage bejaht, gleichzeitig geben die Antworten Hinweise darauf, dass es sich in diesen Fällen überwiegend doch um gelernte Fremdsprachen im schulischen Kontext handelt. Da der vorliegende Beitrag migrationsbedingte Mehrsprachigkeit fokussiert (s. Kap. 1), wird die Frage im weiteren Verlauf nicht weiter berücksichtigt. [^]
  9. Die Antwortoptionen [1] und [2] wurden in der Datenauswertung aufgrund des geringen Vorkommens zu der Kategorie Weniger als 5 zusammengefasst. [^]
  10. Da nicht für alle Fachkräfte alle notwendigen Angaben zur Überprüfung dieser Hypothese vorliegen, können in Kap. 4.4.4 lediglich die Daten von 40 Fachkräften berücksichtigt werden. [^]
  11. Zum besseren Verständnis der Ergebnisse werden die Items im Fließtext in verkürzter Form aufgeführt. Die Originalitems befinden sich in Tab. 1. [^]
  12. An dieser Stelle gilt der Dank der Fachkraft, dass Auszüge ihrer unaufgeforderten Rückmeldung anonymisiert veröffentlicht werden dürfen. [^]

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Kurzbio:

Laura Di Venanzio ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache an der Universität Duisburg-Essen. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind der mehrsprachige Spracherwerb, mehrsprachige Sprachbildung und Mehrsprachigkeit im Kontext von Inklusion und sonderpädagogischen Förderschwerpunkten.

Anschrift:

Dr. Laura Di Venanzio

Universität Duisburg-Essen

Institut für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache

Berliner Platz 6-8

45127 Essen

laura.divenanzio@uni-due.de

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  • Laura Di Venanzio (Universität Duisburg-Essen)

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