1 Einführung
Das Erlernen von Sprachen ist ein komplexer und vielschichtiger Prozess, der weit über das Erlernen von Vokabular und Grammatik hinausgeht. Es handelt sich um einen tiefgreifenden, kreativen Vorgang, der nicht nur ein breites Spektrum an sprachlichen Fähigkeiten umfasst, sondern auch eine Vielzahl von Kompetenzen voraussetzt und im Umkehrschluss auch stärkt. Diese umfassen Methodenkompetenz, soziale und kommunikative Fähigkeiten sowie Medienkompetenz. Gerade im Kontext des Fremdsprachenunterrichts sind diese Fähigkeiten von zentraler Bedeutung, da sie den Lernenden ermöglichen, sich aktiv und effektiv mit der neuen Sprache auseinanderzusetzen und sie in unterschiedlichen Kontexten anzuwenden. Im Rahmen des problembasierten Lernens im Fremdsprachenunterricht werden diese Kompetenzen gezielt entwickelt und gestärkt. Sie bilden das Fundament für einen erfolgreichen Spracherwerb und sind zugleich Schlüsselqualifikationen in unserer digital geprägten Welt. Die Methodenkompetenz ermöglicht es den Lernenden, effektive Lernstrategien zu entwickeln und anzuwenden, während die sozialen und kommunikativen Fähigkeiten für die Interaktion in der Zielsprache unerlässlich sind. Die Medienkompetenz wiederum spielt eine immer wichtigere Rolle, da digitale Medien zunehmend in den Sprachlernprozess integriert werden. Die Beherrschung dieser Kompetenzen ist somit nicht nur für den allgemeinen Bildungserfolg entscheidend, sondern insbesondere für das Erlernen und die Anwendung neuer Sprachen.
Mit der fortschreitenden Automatisierung und dem Aufkommen disruptiver Technologien wie der künstlichen Intelligenz (KI) entstehen neue Herausforderungen und Chancen im Bereich des Sprachenlernens. KI-Modelle wie ChatGPT3.5 von OpenAI zeigen, dass die generative KI1 nicht nur routinebasierte Aufgaben übernehmen, sondern auch weitaus komplexere Prozesse bewältigen kann (s. Abb. 1 und 2 sowie Kap. 2). Dies legt nahe, dass ihr Einsatz in kreativen Bereichen wie dem Sprachenlernen von großer Bedeutung sein könnte. So kann sie eine neue Dynamik in den Fremdsprachenunterricht bringen, indem sie personalisierte Lernerfahrungen bietet und den Lernprozess durch vielfältige, anpassungsfähige Inhalte bereichert. Gleichzeitig wirft die Integration der generativen KI in den Spracherwerb Fragen bezüglich der Rolle und des Potenzials dieser Technik in der Förderung kreativer Fähigkeiten auf.
Dieser Beitrag widmet sich der Untersuchung des Einflusses der generativen KI auf den kreativen Prozess des Sprachenlernens. Es wird erörtert, wie KI-Tools wie ChatGPT3.5 die Schlüsselkompetenzen für das Sprachenlernen wie Methodenkompetenz, soziale und kommunikative Fähigkeiten sowie allgemeine Sprachfertigkeiten im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts beeinflussen können. In der vorliegenden Betrachtung wird zunächst die fundamentale Fragestellung erörtert, ob und inwiefern die generative KI menschliche Kreativität im Allgemeinen ergänzen, unterstützen oder gar ersetzen kann, wie es beispielsweise durch die in Abb. 1 präsentierten ‚Fotografien‘(A, B) und ‚Kunstwerke‘ (C, D) sowie durch das von ChatGPT3.5 erzeugte Gedicht in Abb. 2 illustriert wird. Dieser Artikel leitet somit die keimende und umfassende Diskussion über die Chancen und Herausforderungen ein, die generative KI-Modelle im Bereich des Fremdsprachenunterrichts mit sich bringen. Er beleuchtet die sich wandelnde Landschaft des Sprachenlernens im digitalen Zeitalter, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf generativen KI-Modellen wie ChatGPT liegt.
2 Ausgangslage
Die KI hat sich als eine disruptive Technologie etabliert, die die Fähigkeit besitzt, ganze Branchen grundlegend zu verändern, darunter auch den Bildungsbereich (vgl. Hartmann 2021: 684). Im Bereich des Sprachenlernens sind diese Technologien nicht völlig neu. Eine der konkreten KI-Anwendungen in diesem Feld sind Plattformen wie Duolingo aus dem Jahr 2021. Duolingo verwendet automatische Spracherkennung (Automatic Speech Recognition, ASR) und natürliche Sprachverarbeitung (Natural Language Processing, NLP) und integriert darüber hinaus Spielmechanismen (‚Gamification-Technik‘), wie von Kannan und Munday (2018: 24) beschrieben. Die Duolingo-Plattform kann die Lernmotivation durch Wettbewerb und Einbindung in eine Gemeinschaft erhöhen (vgl. ebd.). Das KI-gestützte Tool Busuu (2021) ermöglicht nicht nur das Vokabeltraining, sondern auch die Erstellung eines Lernplans und den Austausch in einer Gemeinschaft (vgl. Hartmann 2021: 685). Speexx (2021) bietet dahingegen KI-Lösungen für betriebliches Sprachtraining (vgl. ebd.). Mysimpleshow (2021), das keine reine Sprachlernsoftware darstellt, eignet sich für spezielle Unterrichtsszenarien, etwa zum Erarbeiten von kohärenten Texten durch Strukturvorlagen, zur Aussprachepraxis durch integrierte Aufnahmefunktion und zum Wortschatzlernen durch lexikalische Assoziationen mit entsprechenden Bildern (vgl. Strasser 2020: 4). Mittels KI und der Verarbeitung von umfangreichen Daten der Nutzer*innen wird ein adaptives Lernen ermöglicht (vgl. Kannan/Munday 2018: 24–25). Plattformen wie MOOCs (Massive Open Online Course) sammeln große Mengen an Daten, die dazu dienen, Lernziele, Engagement und Ergebnisse zu optimieren (vgl. ebd.: 25). Intelligente tutorielle Systeme (Intelligent Tutoring Systems, ITS) verwenden ebenfalls die KI, um individuelle Betreuung zu simulieren (vgl. Pokrivcakova 2019: 143). Auch KI-gestützte Schreib- und Grammatikassistenztools unterstützen im Schreibprozess, etwa bei der Fehlerkorrektur oder mit Lernempfehlungen (vgl. ebd.: 141). Einen solchen Dienst, der Rechtschreibung und Grammatik prüft, bietet z.B. Microsoft (2021) an (vgl. Hartmann 2021: 686). Andere ähnliche Tools sind Grammarly, LanguageTool, Linguix, ProWritingAid, Textio (vgl. ebd.), DeepL Write und Writefull. Schließlich nutzen maschinelle Übersetzungssysteme (Machine Translation, MT) wie DeepL Translate ebenfalls die KI (vgl. ebd.). Viele Studien untersuchen ihren Einsatz im Sprachenlernen und die Meinungen von Lernenden und Lehrenden dazu (vgl. Garcia/Pena 2011; Niño 2008, 2009; Steding 2009; White/Heidrich 2013). Briggs (2018) fand heraus, dass viele Englischlernende diese Werkzeuge nutzen, trotz Skepsis bezüglich ihrer Genauigkeit. Lee (2019) betont positive Effekte dieser Tools auf Schreibstrategien und Reflexion der Lernenden. Darüber hinaus bereichern KI-basierte Chatbots, wie von Haristiani (2019: 1) hervorgehoben, den Fremdsprachenunterricht, indem sie realitätsnahe kommunikative Szenarien (d.h. Dialoge als Text oder Audio) für die Lernenden schaffen. Laut einer Studie von Haristiani (2019) zeigen Lernende Interesse an der Nutzung von Chatbots wegen ihrer zeitlichen und räumlichen Flexibilität und weil sie sich beim Sprachenlernen mit ihnen selbstsicherer fühlen als mit menschlichen Tutor*innen. Einige KI-gestützte Chatbots zum Sprachenlernen sind Lanny, Magiclingua, Memrise, Mondly und Rosetta Stone, die hauptsächlich für das Erlernen einer einzelnen Sprache konzipiert sind (vgl. Hartmann 2021: 685).
Der 30. November 2022 markierte einen Durchbruch im Bereich der automatisierten Textgenerierung. Das US-Unternehmen OpenAI präsentierte einen dialogorientierten Chatbot namens ChatGPT3.5, basierend auf dem Sprachmodell GPT-3 und trainiert mit einer großen Datenmenge von hunderten Milliarden von Wörtern (vgl. Luber 2023). Die rasante Akzeptanz dieses Tools zeigte sich darin, dass es innerhalb von nur fünf Tagen eine Million Nutzer*innen gewann, im Gegensatz zu Plattformen wie Netflix oder Twitter, die Jahre für eine solche Reichweite benötigten (vgl. Brandt 2023). ChatGPT3.5 beeindruckt durch seine Vielseitigkeit: Es ist nicht nur mehrsprachig, sondern kann auch eine Vielzahl von Aufgaben erfüllen, von der Beantwortung von Fragen über das Verfassen von Gedichten und Fachtexten bis hin zur Übersetzung und Korrektur von Texten (vgl. Luber 2023). Darüber hinaus beherrscht ChatGPT die Ausgabe und Korrektur von Programmcode, indem er Codezeilen in verschiedenen Programmiersprachen generiert oder Fehler in bestehendem Code findet (vgl. ebd.). Angesichts solcher Fähigkeiten entbrannte schnell eine Diskussion über die Implikationen dieser generativen KI für die menschliche Kreativität. Im Kontext des Fremdsprachenunterrichts, in dem Sprachenlernen als kreativer Prozess im Mittelpunkt steht, ergeben sich interessante Chancen und Anwendungsszenarien. Die generativen KI-Werkzeuge könnten das projektgestützte Sprachenlernen bereichern und optimieren, die Erstellung von Portfolios begleiten und zur Verbesserung der Sprech- und Schreibkompetenzen beitragen, indem sie den Lernenden erlauben, auf innovative und interaktive Weise mit der Sprache zu experimentieren und zu interagieren (s. Kap. 4 und 5). Obwohl der Einsatz von generativen KI-Werkzeugen wie ChatGPT3.5 vielversprechende Möglichkeiten zur Verbesserung der Qualität der Fremdsprachenausbildung birgt, bestehen jedoch gewisse Herausforderungen und Bedenken, die im Weiteren in Anlehnung an Luber (2023) kurz erörtert werden. Ein Aspekt ist, dass ChatGPT3.5 auf Trainingsdaten bis 2021 basiert und daher keinen Bezug zur aktuellen Realität hat. Dies wirft Fragen bezüglich der Aktualität und Zugänglichkeit der generierten Inhalte auf. Ein weiterer Aspekt ist, dass ChatGPT3.5 gelegentlich falsche Aussagen erzeugen kann (es handelt sich um das sogenannte ‚Halluzinieren‘), was insbesondere für unerfahrene Nutzer*innen und anfängliche Lernende einer Fremdsprache problematisch sein kann, da diese ganz leicht irregeführt werden können. Darüber hinaus zeigt es ein mangelndes oder gar kein Verständnis von Ironie, was in der Sprachausbildung ein kritisches Element sein kann. Die Tendenz, plausible, aber falsche Informationen zu liefern, kann den Lernprozess weiter beeinträchtigen. Es mangelt auch an Transparenz in Bezug auf die Informationsquellen für seine Antworten, und es besteht die Gefahr unangemessener Interaktionen aufgrund von unzureichenden Schutzmechanismen. Wiederholte Informationen in längeren Antworten können den Lernprozess stören, und die Voreingenommenheit in den Antworten, die aus dem in den Trainingstexten enthaltenen Bias resultiert, stellt eine weitere Herausforderung dar. Schließlich sind viele urheberrechtliche Fragen im Zusammenhang mit von der KI erstellten Inhalten noch ungeklärt, was rechtliche Komplikationen mit sich bringen kann.
Da die generative KI erst Ende 2022 ihren maßgeblichen Durchbruch verzeichnete, liegen bisher keine etablierten und umfänglich evaluierten Unterrichtskonzepte vor, die ihre Anwendung integrieren. Es bleibt abzuwarten, inwiefern generative KI-Werkzeuge einen Paradigmenwechsel zum selbstorientierten Sprachenlernen ermöglichen und den Fremdsprachenunterricht transformieren werden. In diesem Beitrag wird der Einsatz von der generativen KI als Chance für den Spracherwerb betrachtet und untersucht, welche Einsatzbereiche der generativen KI sich für den Fremdsprachenunterricht ergeben und wie der Prozess des Sprachenlernens dadurch gefördert werden kann. Zunächst werden grundlegende Aspekte geklärt, wie die Definition von Kreativität, die Frage nach ihrer Förderung und Erlernbarkeit sowie der Zusammenhang zwischen der Kreativität und dem Spracherwerbsprozess. Daraufhin werden vorhandene Belege für den Einfluss von generativen Chatbots auf die menschliche Kreativität untersucht. Anschließend werden Schlussfolgerungen für das Sprachenlernen abgeleitet und einige didaktische Vorschläge präsentiert, die das unterstützende Potenzial von generativen KI-Werkzeugen wie ChatGPT im Fremdsprachenunterricht beleuchten. Abschließend wird ein Unterrichtskonzept vorgestellt, welches eine projektbasierte Methodik für den Fremdsprachenunterricht unter Einsatz von generativer KI in den Mittelpunkt stellt. Dieser Ansatz hebt nicht nur die Potenziale und Herausforderungen hervor, die sich aus der Integration von generativer KI in etablierte und moderne Unterrichtsmethoden ergeben, sondern beleuchtet auch die veränderte Rolle der Lehrkräfte in einem zunehmend technologiegestützten Lernumfeld.
3 Sprachenlernen als kreativer Prozess
Um den Einfluss der generativen KI auf das kreative Lernen im Bereich des Fremdsprachenunterrichts umfassend zu bewerten, ist es unerlässlich, zuerst die allgemeine Konzeption von Kreativität zu klären und deren Bezug zum Prozess des Spracherwerbs zu begründen.
Der Begriff Kreativität wird im alltäglichen Sprachgebrauch oft gemäß der klassischen psychologischen Definition verwendet. Dabei handelt es sich um die Fähigkeit, eine Idee zu generieren, die sowohl originell als auch nützlich ist (vgl. Runco/Jaeger 2012: 92). Allerdings ist das Phänomen der Kreativität weitaus komplexer. Von Rhodes (1961: 307–310) werden ihre verschiedenen Aspekte genannt, darunter die kreative Person, das Umfeld/Klima, das Produkt und der Prozess. Nach Preiser (2011: 28–29) zählt dazu außerdem bereits das kreative Problem. Preiser (2011: 28) erklärt die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Aspekten wie folgt:
Kreativität vollzieht sich in einem geistigen Prozess, in dem ein spannungsgeladener Ausgangszustand in ein problemlösendes Ergebnis transformiert wird und bei dem eine denkende, handelnde oder gestaltende Person einerseits und eine fördernde oder hemmende Umwelt andererseits zusammenwirken.
Der kreative Prozess, wie von Schuler und Görlich (2007: 30) dargelegt, entfaltet sich in einer Abfolge sorgfältig differenzierter Stufen. Er beginnt mit der Entdeckung eines Problems, gefolgt von einer gezielten Informationssuche. Danach stehen die Verknüpfung verschiedener Konzepte sowie die Ideenfindung im Fokus. In den nachfolgenden Phasen wird der Lösungsansatz sowohl ausgearbeitet als auch weiterentwickelt. Es schließt sich die Bewertung der generierten Ideen an, welche die Grundlage für deren Anpassung und Umsetzung bildet. Schließlich mündet der Prozess in der Implementierung der finalen Lösung. Alle diese Phasen sind wesentlich, und erst ihre gemeinsame Durchführung bildet den vollständigen kreativen Prozess ab.
Folglich manifestiert sich Kreativität als eine grundsätzliche Fähigkeit, die jedem Individuum innewohnt, und ermöglicht es, diverse bereits bekannte Elemente in innovativen Kontexten zu kombinieren, wodurch Neuartiges und Bedeutsames für den Einzelnen oder seine soziale Gruppe entsteht (vgl. Caspari 2003: 308–312). Wobei im didaktischen Kontext weniger das resultierende Produkt im Mittelpunkt steht als der kreative Prozess selbst, der die gesamte Bandbreite der Persönlichkeit mobilisiert, einschließlich kognitiver und affektiver Fähigkeiten (vgl. Caspari 1994: 86–91; Caspari 2003: 308–309). Im Fremdsprachenunterricht, in Anknüpfung an die generelle Konzeption von Kreativität, bedeutet dies einen produktiven Umgang mit Sprache und Texten, der zwischen Normerfüllung und gezielter Veränderung changiert, und bei dem die Interaktion eine zentrale Bedeutung einnimmt (vgl. Rück 1997).
Genzlinger (1980: 14) definiert Kreativität als einen facettenreichen Prozess, der zahlreiche Aktivitäten wie Entwickeln, Entdecken und Experimentieren einschließt:
Kreativ ist jeder Vorgang selbsttätigen Entwickelns, Entdeckens, Findens, Experimentierens, Umdeutens, Umstrukturierens, Umkehrens, Andersmachens, Variierens, Transferierens, Assoziierens etc., wobei das jeweils neu Geschaffene lediglich im Selbstverständnis des Individuums als ‚neu‘ empfunden werden muß.
Obwohl Genzlingers Definition im Kontext des Fremdsprachenunterrichts sehr bekannt ist, konzentriert sie sich angesichts gewisser Einwände zu sehr auf den facettenreichen Charakter des kreativen Prozesses (vgl. Caspari 2003: 309). Dies wirft die Frage auf, inwiefern wichtige Aspekte des Fremdsprachenunterrichts, wie sprachliche Genauigkeit, kulturelles Verständnis oder kommunikative Fähigkeiten dabei Berücksichtigung finden. Dennoch haben Genzlingers sowie Carés und Deybsers (1978) Vorschläge zur Kreativität im Fremdsprachenunterricht der 80er Jahre nicht nur zu zahlreichen praxisnahen Ideen geführt, sondern auch dafür gesorgt, dass neuere Lehrpläne verstärkt kreative Ansätze berücksichtigen (vgl. ebd.). Caspari (2003: 309) erklärt, dass dieser Schwerpunkt auf Kreativität zusätzlich durch den anhaltenden Kreativitätsschub in der gesamten Gesellschaft propagiert wird. Ein zentrales Element dieser Entwicklung sind die Parallelen zwischen kreativen und Spracherwerbsprozessen: Das Erkennen von Problemen, das Testen von Thesen und die Anpassung bei Fehlkommunikation sind hierbei essenziell (vgl. ebd.). Das Sprachenlernen stellt sich folglich als ein kreativer Prozess heraus.
Das Erlernen von Sprachen gleicht nicht nur im Kern dem kreativen Prozess, sondern bezieht auch unmittelbar kreative Inhalte wie Textmaterialien, Bilder, Musik oder Theaterspiel in den Lehrplan ein, die als Stimuli für kreative Übungen dienen (vgl. ebd.: 309–310). Es wird also deutlich, dass kreative Produkte auch den Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts bilden. Darüber hinaus sind die von den Lernenden erstellten Produkte wie Theaterstücke, Projektergebnisse, Geschichten und Videos im Fremdsprachenunterricht oft selbst kreativ (vgl. z.B. Brooke 2003; Elgar 2002; Eschbach 2010; Kessler/Jauch 2011; Kieweg 1988; Küppers 2009; Scherer 2004; Sommerfeldt 2005). Kreative Inhalte, ob als Stimuli oder Produkte des Fremdsprachenunterrichts, begünstigen den Erwerb zentraler sprachlicher Fertigkeiten und bieten den Lernenden eine Plattform zur Interaktion sowie zur kulturellen Auseinandersetzung. So werden nicht nur sprachliche, sondern auch kulturelle und kreative Kompetenzen geschult, wodurch der Fremdsprachenunterricht zu einem ganzheitlichen Bildungserlebnis wird.
Innerhalb der Kreativitätsforschung manifestiert sich die Komplexität des Begriffs Kreativität jedoch nicht lediglich in verschiedenen Dimensionen, wie jenen des Produkts, des Prozesses, des Problems, der Person und des Umfelds, sondern ebenso in zahlreichen hierarchischen Ebenen. Im 4-C-Modell von Kaufmann und Beghetto (2009: 6–10) wird deutlich veranschaulicht, dass Kreativität in diversen Sphären und Ausprägungen zu beobachten ist. Die höchste Form der Kreativität manifestiert sich im Modell als wegweisende Innovation und die Schöpfung bahnbrechender Erkenntnisse, die von renommierten und geachteten Schaffenden auf ihren jeweiligen Fachgebieten hervorgebracht werden – das „Big-C“ (vgl. ebd.: 2). Des Weiteren umfasst das Modell auch die Dimension der professionellen Kreativität, die beispielsweise in der Veröffentlichung von feinen, möglicherweise mit einem regionalen Preis gekrönten Romanen oder der Entwicklung außergewöhnlicher kulinarischer Kreationen zum Ausdruck kommt, die über das Können eines durchschnittlichen Hobbykochs hinausgehen – das „Pro-c“ (vgl. ebd.: 4–6). Insbesondere aber erstreckt sich Kreativität von intrapersonalen Aspekten der kreativen Entfaltung, beginnend mit individuellen Gedanken und Interpretationen, die bereits in der Kindheit ihren Ursprung finden – das sogenannte „mini-c“ – bis hin zu den alltäglichen, kleinen kreativen Leistungen, die in schulischen, beruflichen und häuslichen Umgebungen erbracht werden – das „little-c“ (vgl. Kaufmann/Beghetto 2009: 2–4). Die Veranschaulichung des 4-C-Modells wirft ein aufschlussreiches Licht auf die Parallelen zwischen der Kreativität und dem Spracherwerb. So wie die Kreativität in diversen Ausprägungen von der intrapersonalen Ebene („mini-c“) bis hin zur wegweisenden Innovation („Big-C“) reicht, durchläuft auch der Spracherwerb mehrere Stufen. Beispielsweise kann der anfängliche Erwerb von Vokabeln und Grundgrammatik als eine Art „mini-c“ des Sprachenlernens betrachtet werden, während das fließende Sprechen und das Verfassen komplexer Texte in einer Fremdsprache dem „Pro-c“ entsprechen könnten. Die Fähigkeit, Sprache in künstlerischer und innovativer Weise zu nutzen, etwa in der Poesie oder im literarischen Schreiben, nähert sich dem „Big-C“ an. Somit zeigt sich, dass sowohl die Kreativität als auch der Spracherwerb facettenreiche Prozesse sind, die individuelle und fortgeschrittene Ebenen der Expertise umfassen.
Das oben erwähnte 4-C-Modell nach Kaufmann und Beghetto (2009) verdeutlicht, dass es unterschiedliche Ebenen der Kreativität gibt. Dies impliziert auch, dass Kreativität gefördert und entwickelt werden kann. Um diese zu stimulieren, können bestimmte generelle Techniken angewendet werden, die eine kreativitätsförderliche Atmosphäre schaffen und kognitive Prozesse erwecken (vgl. Preiser 2019: 212). Das sind zum Beispiel die Anregung und Aktivierung (bspw. durch die Impulsgebung, Offenheit und Neugierde), die zielgerichtete Motivierung (z.B. durch das Stellen von eigenen, echten Fragen) und die offene und vertrauensvolle Atmosphäre (sie wird bspw. erreicht, indem die Lehrkraft eigene Fehler gesteht oder nicht den Anschein erweckt, alles zu wissen) (vgl. Preiser 2011: 34–35). Ein animierendes Arbeits- und Lernklima kann auch durch die Gestaltung von Räumen und die Verwendung anregender Lernmaterialien erreicht werden (vgl. Preiser 2019: 212). Es ist wichtig, dass Lernende Probleme eigenständig entdecken können (vgl. Theurer 2015: 108). Die Rolle der Lehrperson in der Motivation der Lernenden ist nach Theurer (109) entscheidend. Auch die Unterrichtsmethoden sowie verwendeten Materialien sollten dabei aktivierend wirken (vgl. ebd.: 209). Um Kreativität zu stimulieren sind ebenfalls offene und vertrauensvolle Interaktionen zwischen Lehrperson und Lernenden sowie unter den Lernenden selbst wichtig (vgl. ebd.: 111–112). Es ist darüber hinaus unabdingbar, Freiräume zu schaffen, in denen die Ideen und Beiträge der Lernenden befürwortet werden und ihre individuellen Ideen umgesetzt werden können (vgl. ebd.: 110–111).
Die Wichtigkeit der Kreativitätsförderung, die im gesamten Bildungskontext hervorgehoben wurde, findet auch im Fremdsprachenunterricht ihre besondere Bedeutung. Denn die Auseinandersetzung mit einer neuen Sprache und Kultur ist von Natur aus ein kreativer Prozess. Der Schlüssel dazu liegt in der Art und Weise, wie Lehrpersonen diesen Unterricht gestalten und welche Techniken sie einsetzen. In diesem Zusammenhang beschreibt Caspari (2003: 310) verschiedene Grundmuster der kreativen Übungen, wie Ergänzungen, Hinzufügen und Assoziationen, die sich gut für den Fremdsprachenunterricht eignen. Wicke (2004: 49–196) betont ebenfalls die Bedeutung praktischer Methoden für aktives, kreatives Sprachenlernen, fokussiert auf Projektunterricht und Freiarbeit, welche in der Didaktik des modernen Fremdsprachenunterrichts seit langer Zeit einen hohen Stellenwert haben (vgl. ebd.: 136). Die Projektarbeit stärkt nämlich nicht nur allgemeinsprachliche, sondern auch fachliche, methodische, soziale, persönliche und medienbezogene Kompetenzen, die das Sprachenlernen als komplexen Prozess stark beeinflussen (vgl. Haus DaF im Beruf o.J.a: 199). Für kompetentes Handeln in Berufsfeldern sind die muttersprachlichen Kenntnisse, das Allgemein- und Fachwissen entscheidend (vgl. ebd.). Im handlungsorientierten, d.h. berufs- und studienspezifischen Fremdsprachenunterricht, wird deshalb neben berufsrelevantem Wortschatz auch ein tiefes Verständnis für die Kultur des Landes vermittelt (vgl. ebd.). Darüber hinaus werden passende Strategien und Techniken trainiert, die für die Erlangung neuer Fähigkeiten, Kenntnisse und Sprachen unerlässlich sind. Dazu gehören Ausgleichsstrategien, ein effektiver Umgang mit Hilfsmitteln, Organisationsfähigkeit, das Bewusstsein für eigene Fortschritte sowie effektive Kommunikation und Teamarbeit (vgl. ebd.). Insgesamt gesehen sind die genannten Kompetenzen nicht nur wertvolle Fähigkeiten an sich, sondern sie dienen auch als entscheidende Werkzeuge, die den Prozess des Sprachenlernens als einen kreativen Prozess ermöglichen, intensivieren und effektivieren.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass jeder Lernprozess, so auch der Spracherwerb, einen kreativen Prozess darstellt, für den die Fähigkeit zum kritischen Denken von zentraler Bedeutung ist (vgl. die einzelnen Phasen des kreativen Prozesses wie Informationssuche und deren Beurteilung, Ideenfindung und deren Bewertung, oder Kombination von Konzepten, deren Anpassung und Umsetzung). Somit ist Kreativität im Fremdsprachenunterricht von essenzieller Bedeutung und kann durch gezielte Maßnahmen gefördert werden. Eine für Kreativität, d.h. für gelungene Lernprozesse, stimulierende Lernumgebung und Interaktion sind hierfür unerlässlich. Mit adäquaten Techniken lassen sich nicht nur der gesamte Lernprozess und das resultierende Produkt unterstützen, sondern auch die individuelle Persönlichkeitsentwicklung, welche im Bildungswesen ein übergeordnetes Ziel darstellt.
4 Generative KI im Sprachlernprozess
Spätestens seit der Veröffentlichung von ChatGPT3.5 entbrannte die Diskussion über den Einfluss der generativen KI auf die menschliche Kreativität. Während einige Quellen (vgl. Kirkpatrick 2023; White 2023) die Meinung vertreten, dass generative KI mangels Bezugs zur Realität und zu Emotionen keine menschenähnliche Kreativität erreicht, betonen andere Studien die Fähigkeit der generativen KI, durch die Rekombination von Wissen Neues zu schaffen (vgl. Haase/Hanel 2023: 9). Insbesondere im Bereich alltäglicher Kreativität konnten in der Studie von Haase und Hanel (2023) generative Chatbots menschliche Leistungsniveaus erreichen. In diesem Kontext keimten Befürchtungen bezüglich einer zu starken Abhängigkeit von der generativen KI und einem möglichen Verlust menschlicher Kreativitätsfähigkeiten (vgl. Mohr 2022). Einige Autor*innen hingegen betonen auch das Potenzial der generativen KI, unterdurchschnittlich kreativen Menschen zu helfen, ihre Ideenfindung zu verbessern (vgl. Mollick 2023). Insbesondere die Studie von Shin, Kim, Van Opheusden und Griffiths (2023) zeigte, dass der Einsatz von generativer KI die menschliche Entscheidungsfindung optimieren und innovative Entwicklungen anregen kann. Nachdem das KI-Modell AlphaGo den Weltmeister in Go (ein schachähnliches Spiel aus China) besiegt hatte, begannen die Spieler*innen, mit generativer KI zu experimentieren und erlebten einen Anstieg sowohl in der Qualität als auch in der Neuartigkeit ihrer Züge (vgl. Shin et al. 2023: 5). Dies verdeutlicht, dass die generative KI in der Lage ist, als Instrument zur Steigerung der Kreativität in unterschiedlichen Feldern, einschließlich des Fremdsprachenunterrichts, zu dienen. Die Identifizierung von Problemen und die finale Verifikation obliegen weiterhin dem Menschen. Obwohl generative KI-Tools den Kreativprozess begünstigen können, wird die endgültige kreative Ausgestaltung maßgeblich von der interagierenden Person und ihrem Umfeld beeinflusst (vgl. Haase/Hanel 2023: 10). Weiterhin können KI-Tools die kreative Persönlichkeitsentwicklung unterstützen, indem sie den kreativen Prozess in diversen Phasen stärken. So kann die generative KI beispielsweise bei der Informationsrecherche assistieren, bei der Fusion verschiedener Konzepte behilflich sein, den Ideenfindungsprozess durch strukturiertes Brainstorming optimieren und zur Ausarbeitung sowie Feinjustierung von Lösungsansätzen beitragen. Auch bei der Bewertung von Ideen durch konstruktives Feedback und bei deren finaler Anpassung und Implementierung stellt sie ein wertvolles Werkzeug dar.
Ein reflektierter Umgang mit der generativen KI kann folglich die menschliche Kreativität substanziell bereichern, indem sie den kreativen Workflow effizient gestaltet, das Innovationspotenzial entfaltet und durch die Automatisierung standardisierter Aufgaben Freiräume für kreative Prozesse schafft. Dabei bleibt es von entscheidender Bedeutung, die individuellen Fähigkeiten in kritischem Denken und der Problemlösung kontinuierlich zu schärfen, um eine übermäßige Abhängigkeit von KI-Instrumenten zu vermeiden. Die Initiierung eines Problems, die Validierung von Ideen sowie die intrinsische Motivation zur Auseinandersetzung mit Herausforderungen liegen nach wie vor im Verantwortungsbereich des Menschen, der in Interaktion mit der KI steht.
Im Kap. 3 wurde veranschaulicht, dass Sprachlernen ein kreativer Prozess ist. Vor diesem Hintergrund eröffnet der Einsatz der generativen KI im Fremdsprachenunterricht aussichtsreiche Perspektiven zur Unterstützung des Sprachenlernens, die im Folgenden exemplarisch umrissen werden.
KI-gestützte Modelle bergen das Potenzial, individualisierte Lernpfade zu vertiefen und den Spracherwerb und Sprachunterricht zu bereichern. Für die individuelle Förderung der kreativen Sprachentwicklung können sich KI-Werkzeuge als nützliche „Copiloten für Lehre und Lernen“ (Romeike 2023) herausstellen. Dies ist insbesondere wichtig, da eine intensive Einzelbetreuung durch eine einzige Lehrkraft oft nicht möglich ist. Die generative KI kann auch bei der Erstellung passgenauer und variationsreicher Materialien dienen. Dies ermöglicht es, Inhalte und Übungen individuell auf die spezifischen Bedürfnisse und Interessen der Lernenden zuzuschneiden, was laut Caspari (2018) die Binnendifferenzierung vereinfacht und zu einer motivierenden und effektiven Lernumgebung beitragen könnte. In seiner Präsentation aus dem Jahr 2023 stellt Romeike die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten von ChatGPT im akademischen Kontext dar, der auch das Sprachenlernen umfasst. Zu den Einsatzszenarien zählen das Umformulieren von Texten in gewählten Stilarten, die Optimierung von Ausdrucksweise und Rechtschreibung, die Identifizierung von Synonymen und Metaphern sowie das Übersetzen von Texten. Romeike (2023) führt in seinem Vortrag aus, dass die reflektierte Auseinandersetzung mit KI-generierten Inhalten zu einer ausgeprägten Fachkompetenz führen kann. Dies beinhaltet auch eine tiefgehende und bewusste Beschäftigung mit sprachlichen Elementen in den zuvor erwähnten Anwendungsbereichen der generativen KI, was wiederum eine wesentliche Steigerung der Sprachkompetenz intensivieren kann. Durch das Erkennen, Reflektieren und Internalisieren linguistischer Strukturen mittels der generativen KI-Tools werden Lernende sukzessive in die Lage versetzt, sprachliche Konstrukte adäquat und selbständig zu bilden. Ergänzend dazu verweist Romeike auf die neurowissenschaftliche Erkenntnis, dass Menschen natürlicherweise geschichtsbasiert lernen und auf ihr bestehendes Wissen aufbauen. Folglich sollten abstrakte Inhalte wie z.B. neue Vokabeln oder Redewendungen bildhaft oder metaphorisch aufbereitet werden, um das Lernpotenzial zu maximieren – eine Domäne, in der ChatGPT besonders nützlich sein kann. Bezugnehmend auf die in Kap. 3 beschriebenen kreativen Übungen von Caspari (2003: 310) kann ChatGPT genutzt werden, um Anfangsimpulse für solche Übungen zu geben, z.B. durch das Generieren von zufälligen Wortlisten oder Satzanfängen. Die KI kann auch als Inspirationsquelle dienen, indem sie Beispiele für solche kreativen Aufgaben liefert, die die Lernenden selbstständig weiterentwickeln können. Die generativen KI-Tools können ebenfalls als interaktive Werkzeuge für Gedankenreisen oder assoziative Übungen eingesetzt werden, indem sie auf die Eingaben der Lernenden mit kreativen, themenbezogenen Antworten reagieren. Sie können dabei helfen, die Lernenden dazu anzuregen, über den gewöhnlichen Rahmen hinaus zu denken und ihre Sprachfähigkeiten in einem breiteren Kontext anzuwenden. Beispielsweise könnte die Lehrkraft die Lernenden bitten, einem KI-Tool Fragen zum Thema Reisen zu stellen oder mit ihm in einen Dialog zu treten. Die Lernenden könnten die KI fragen: Was sind ungewöhnliche Orte, die man besuchen kann? oder ‚Erzähle eine Geschichte über eine abenteuerliche Reise‘. Die KI generiert daraufhin kreative, themenbezogene Antworten, die inspirieren und zum weiteren Nachdenken anregen. Diese Aktivität ermutigt die Lernenden, über Standardantworten hinauszugehen und sich tiefer mit dem Thema auseinanderzusetzen. Sie üben dabei, Fragen zu formulieren, erhalten vielfältige sprachliche Inputs und können ihre eigenen Antworten oder Geschichten basierend auf den Impulsen der KI entwickeln. Im Vergleich zu früheren Chatbots und generativen KI-Tools wie InferKit, Blog Idea Generator, EssayBot und Artikelschreiber.com, die in ihrer Sprachvielfalt begrenzt waren (vgl. Hartmann 2019: 689), zeichnet sich ChatGPT3.5 durch seine Fähigkeit aus, Texte in diversen Sprachen zu generieren. Dies erweitert seine Einsatzmöglichkeiten erheblich und macht es nahezu für jeden Fremdsprachenunterricht geeignet.
Neben der Förderung der metasprachlichen und produktiven sprachlichen Entwicklung ermöglichen KI-Tools wie ChatGPT den Lernenden, spezifische Lernpläne für Themen wie Passivbildung oder den Gebrauch von Präpositionen zu erstellen (vgl. Romeike 2023). Die Lernenden können auch Lernkarten für den Vokabelaufbau entwickeln, verschiedene sprachliche Aspekte wie neue Wörter, sprachliche Konstruktionen oder Pragmatik erklären und sprachliches Wissen durch das Stellen von Fragen und das Erhalten von Feedback überprüfen (vgl. ebd.). Diese Werkzeuge ermöglichen es den Lernenden, den Lernstoff in sinnvolle Einheiten zu gliedern (‚Chunking‘) und somit ein bloßes Auswendiglernen zu vermeiden, was neurologischen Prinzipien des Lernens folgt und ein tieferes Verständnis und bessere Behaltensleistungen begünstigt (vgl. ebd.). Auf diese Weise kann der kreative Prozess des Sprachenlernens optimiert werden. In diesem Kontext können Flipped-Classroom-Ansätze eine bedeutsame Rolle einnehmen. Durch die eigenständige Interaktion der Lernenden mit generativen KI-Tools vor dem eigentlichen Unterricht und den daraus resultierenden Ausbau ihres sprachlichen Wissens, wird die Grundlage für eine effektivere und praxisorientiertere Anwendung dieser Kenntnisse im Unterricht selbst geschaffen.
Zusätzlich zur Generierung von vielfältigen Übungs- und Lernmaterialien, personalisierten Lernplänen, Erklärungen, Anregungen und Feedback können generative KI-Werkzeuge für die Gestaltung von Schreibaufgaben genutzt werden. Durch die Einbindung von KI-basierten Anwendungen können Schreibaufgaben zu lebendigen Instrumenten werden, die sowohl den Unterrichtsfluss bereichern als auch zur Aktivierung der Lernenden beitragen. Dabei spannt sich der Bogen von Einstiegsübungen über spontane Schreibimpulse bis hin zu Rekapitulationsaufgaben (vgl. Hartmann 2021: 689). Die dadurch mögliche Abwechslung bei der Erstellung und Gestaltung der Aufgaben schärft nicht nur die Sprachkompetenz, sondern auch die Medienkompetenz und AI Literacy der Lernenden (vgl. ebd.). Die von der KI generierten Aussagen sind meistens sprachlich präzise und kohärent (vgl. Laube 2022). Dadurch kann die KI insbesondere bei der Verbesserung der Darstellungsqualität von Texten eine hilfreiche Rolle spielen (vgl. ebd.). Die KI-Tools wie Blog Idea Generator, Sassbook, InferKit und seit November 2022 auch ChatGPT3.5 ermöglichen auch eine kollaborative Herangehensweise, indem sie die Grundlage für das Schreiben in unterschiedlichen Sozialformen bieten – sei es in Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit. So könnte beispielsweise ein von der KI generierter Märchenanfang den Lernenden als Inspiration dienen und sie dazu einladen, die Geschichte eigenständig weiterzuführen (vgl. Hartmann 2021: 689–690). In der Fremdsprachenausbildung können verschiedene Schreibtechniken und Strategien Lernenden helfen, Schreibblockaden zu überwinden und den Schreibprozess zu beginnen (vgl. Andermann/Drees/Grätz 2006: 70–72; Kruse 2007: 244–246). Schreibimpulse wie Satzanfänge oder visuelle Stimuli wie Fotos und Zeichnungen, können den Einstieg erleichtern (vgl. Huneke/Steinig 2010: 147–150; Werder 2007: 68–85). KI-basierte Anwendungen wie ChatGPT könnten in diesem Kontext dazu beitragen, Schreibideen oder Impulse bereitzustellen. Dies wäre nicht nur lernförderlich, sondern könnte auch die Motivation steigern, indem die generativen Werkzeuge den Lernenden helfen, einen Einstieg zu finden (vgl. Hartmann 2021: 688). Ein Vorteil von KI-basierten Textgeneratoren liegt in ihrer Fähigkeit, eine Vielzahl von Ideen und Impulsen beim Selbstlernen oder bei Projekten zu bieten (vgl. ebd.). Die Lernenden könnten auch die von der KI generierten Ideen kritisch auf der Metaebene diskutieren, insbesondere im Hinblick auf logische Kohärenz oder grammatikalische Korrektheit (vgl. ebd.: 689). Dieses Szenario ist sowohl in einer Einzelarbeit als auch in einer kollaborativen Form möglich. Ein weiteres Szenario wäre, KI-generierte Texte als Gerüst beim Verfassen der Texte von Lernenden zu nutzen (vgl. Laube 2022). Indem Lernende einen von der KI verfassten Text als Basis verwenden, können sie diesen überarbeiten und erweitern, um ihre eigenen Texte zu verfassen (vgl. ebd.). In der linguistischen Praxis tendieren die von der KI generierten Sätze zu einer Konformität in der Grammatik und meiden die Verwendung seltener Wörter, was zu einer uniformen Textqualität führt (vgl. Schmid 2023: 3). Diese Eigenschaften werden von Algorithmen zur Erkennung künstlich erzeugter Texte genutzt (vgl. ebd.). Daher empfiehlt es sich, Lernende dazu anzuregen, Texte zu verfassen, die in ihrer sprachlichen Diversität so ausgeprägt sind, dass sie von KI-Detektoren als menschengeschrieben eingestuft werden, was die Erhaltung einer breiten sprachlichen Palette stärkt (vgl. ebd.). Alternativ können sie auch den umgekehrten Weg beschreiten: eigene Texte erstellen und diese von der KI überarbeiten lassen oder die von KI erstellten Texte mit den eigenen vergleichen (vgl. Laube 2022).
Eine weitere Einsatzmöglichkeit bildet KI-gestützte Projektarbeit. Hier wird nicht nur die eigentliche Schreibaufgabe in den Mittelpunkt gestellt, sondern der gesamte Arbeits- und Schreibprozess, in welchem KI-Tools eine unterstützende Rolle einnehmen können (vgl. Hartmann: 690). Die Projekte können unterschiedliche Aufgaben beinhalten, die vom kreativen Schreiben (vgl. Werder 2007: 127–285) über Recherche sowie Verfassen von bestimmten Textsorten und weiteren kreativen Produkten wie Flyer, Poster, Gedichte bis hin zur Erarbeitung von spezifischer sprachlicher Pragmatik für spätere Gesprächsführung reichen. In all diesen Fällen kann sich die generative KI als ein nützliches unterstützendes Werkzeug herausstellen, was in Kap. 5 veranschaulicht wird.
Ein weiteres mögliches Einsatzszenario von KI-Tools im Fremdsprachenunterricht sind die Schreibportfolios, die auch in die Projektarbeit integriert werden können. Schreibportfolios sind Zusammenstellungen von Schreibergebnissen, Lernzielen und Reflexionen der Lernenden, die sowohl analog in Papierform als auch digital erstellt werden können (vgl. Barrett 2005: 4–5). Die Absicht hinter solchen Schreibportfolios ist es, den Verlauf des Schreibens zu veranschaulichen, die resultierenden Werke darzustellen und eine Reflexion über das persönliche Schreibverhalten zu ermöglichen (vgl. Hartmann 2021: 690). Dies stellt eine essenzielle Voraussetzung für die kontinuierliche Weiterentwicklung und Verfeinerung der individuellen Schreibfähigkeiten dar, da es für Lernende unerlässlich ist, sowohl ein Bewusstsein für ihre aktuellen Kompetenzen als auch für potenzielle Verbesserungsbereiche zu entwickeln. Innerhalb des Fremdsprachenunterrichts kann die Überlegung zum eigenen Schreibprozess mithilfe von KI-Tools beispielsweise zu diesen Fragestellungen führen: Wie drücke ich mich in der Fremdsprache schriftlich aus? Inwiefern unterstützen mich die eingesetzten Programme beim Schreiben in der Fremdsprache? Wer ist verantwortlich für einen durch ein digitales Tool erstellten Text? (vgl. ebd.).
Das Kernprinzip der gemeinsamen Schöpfung von Mensch und KI zielt darauf ab, die jeweiligen Stärken zu kombinieren, wobei menschliche Führungsqualitäten, Teamarbeit, Kreativität und soziale Fähigkeiten mit der Schnelligkeit, Anpassungsfähigkeit und den quantitativen Kapazitäten der Maschine verbunden werden (vgl. Woo 2020: 71–73). Das in Abb. 3 illustrierte Schaubild verdeutlicht, wie generative KI-Instrumente kreative Prozesse wie den Spracherwerb und das Lernen insgesamt durch verschiedene Pfade optimieren können.
Die generative KI ermöglicht die Zeitersparnis durch Automatisierung von Übersetzungen und Korrekturen (Zeit gewinnen) und unterstützt die Suche nach Lernmaterialien und bestimmten sprachlichen Fragestellungen (Informationen suchen). Wie am Anfang des Kap. 4 ausgeführt, können diese Technologien die Entscheidungsfindung hinsichtlich der Wahl effektiver allgemeiner und sprachlicher Lernmethoden verbessern (Entscheidungsqualität verbessern) und das Sprachverständnis durch die Integration von Grammatik und Vokabular in praxisrelevante Kontexte optimieren (Konzepte kombinieren). Darüber hinaus sind sie in der Lage, innovative Methoden für das Sprachenlernen zu empfehlen und jede Phase des Ideenfindungsprozesses, wie weiter oben erörtert, zu bereichern (Ideen finden). Wie in Kap. 4 weiter oben bereits diskutiert, bleibt die Definition spezifischer Anliegen, die sich aus Herausforderungen wie sprachlichen Defiziten ergeben, sowie die Überprüfung von Ideen, Texten, Äußerungen und Methoden letztendlich jedoch eine menschliche Domäne (Problem entdecken und Ideen verifizieren).
Generative KI-Modelle, wie ChatGPT, haben zwar das Potenzial, sprachlich exakte und fließende Texte zu erzeugen, wie Laube (2022) bemerkt, aber ihre Anwendungsbereiche sind durch die intrinsischen Limitationen der Technologie beschränkt. Gemäß dem Deutschen Institut für Interne Revision (DIIR 2023: 8–9) besteht eine primäre Herausforderung in der Gewährleistung der Integrität der Trainings- und Eingabedaten, auf denen diese Modelle beruhen. Fehlerhafte oder unvollständige Datensätze führen unweigerlich zu fehlerhaften Ausgaben (vgl. ebd.: 8). Weiterhin müssen die Ergebnisse generativer KI auf ihre Validität hin überprüft werden, da sie möglicherweise ‚halluzinieren‘ oder keine akkuraten Bezüge herstellen (vgl. ebd.: 9). Romeike (2023) warnt davor, dass ohne entsprechende fachliche Kenntnisse das Risiko steigt, korrekte von falschen Informationen nicht differenzieren zu können. Dieses Risiko ist besonders in den Grundstufen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) bedeutend, da Lernende meist noch nicht die Fähigkeit besitzen, sprachliche Ungenauigkeiten zu identifizieren. Doch genau in der Fähigkeit, den Schwerpunkt vom einfachen Erstellen hin zur intensiven Überarbeitung und kritischen Analyse von Inhalten zu verschieben, manifestiert sich der Vorteil generativer KI. Diese Verschiebung ermöglicht es, fortgeschrittenere Lernprozesse im Sinne der Bloom’schen Taxonomie (vgl. Bloom/Engelhart/Furst/Hill/Krathwohl 1956) zu fördern, indem routinemäßige Aufgaben automatisiert werden und den Lernenden ermöglicht wird, sich auf komplexere kognitive Herausforderungen zu konzentrieren (vgl. Romeike 2023). Allerdings setzt die effektive Anwendung dieser Prozesse ein relativ fortgeschrittenes sprachliches Niveau voraus, wie bereits zuvor angemerkt wurde.
Der sogenannte ‚automation bias‘, also die Prädisposition, maschinellen Ausgaben wie Zahlenberechnungen blind zu vertrauen, wird bei nicht sorgfältig evaluierten, naiv trainierten Modellen zum Problem, da diese oft nicht hinreichend auf ihre Tendenz zu systematischen Verzerrungen, ihre Robustheit und prädiktive Präzision untersucht worden sind, wie Schmid (2023: 2) anmerkt. Vor diesem Hintergrund ist eine didaktisch fundierte Integration generativer KI-Werkzeuge in den Lehrkontext unerlässlich (vgl. ebd.: 4). Genauso wie die Verwendung von Taschenrechnern nicht zu einem Verlust des Verständnisses mathematischer Prinzipien führen darf, darf der Einsatz von KI-basierten Tools im Fremdsprachenunterricht die Entwicklung von Sprachkompetenz und Grammatikverständnis nicht untergraben (vgl. ebd.). In beiden pädagogischen Feldern ist es von Bedeutung, dass Lernende die Relevanz und den Anwendungskontext der verwendeten Werkzeuge erfassen, um ihre Kenntnisse umfassend zu entwickeln.
Die Bereitstellung von adäquaten und gleichwertigen Bedingungen für den Zugriff auf KI-basierte Lehr- und Lernmittel stellt laut Romeike (2023) eine essenzielle pädagogische Aufgabe dar. Dies beinhaltet die Berücksichtigung von Lizenzierungsfragen und den damit verbundenen datenschutzrechtlichen Bedenken. Zusätzlich besteht die Gefahr, dass Lernende verstärkt auf KI-Technologien für die Erstellung von Hausaufgaben und anderen akademischen Leistungsnachweisen zurückgreifen, was nach Forum Verlag Herkert (2023) zu einer Minderung des Lerneffekts und zu Disparitäten in den Lernvoraussetzungen innerhalb einer Lerngruppe führen kann. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, den Einsatz der KI im Bildungskontext sorgfältig zu steuern, um die Integrität und Effektivität des Lernprozesses zu wahren.
Zusammenfassend kann im Fremdsprachenunterricht die Zusammenarbeit der Lernenden mit KI-gestützten Hilfsmitteln zu einer spannenden Produkterstellung sowie effektiven und interessanten Arbeitsprozessen führen, die mit dem Ausbau der Sprachkompetenz einhergehen. Diese Zusammenarbeit bedarf jedoch einer didaktisch entsprechenden Begleitung, um ihre Qualität und Effizienz zu garantieren. Nichtsdestotrotz stehen fundierte Erfahrungen, speziell im Kontext von Modellen wie ChatGPT, noch aus und definitive Befunde fehlen. Daher bleiben die Fortsetzung und kritische Reflexion der Forschung in diesem Segment unabdingbar, um zu ergründen, inwiefern die generative KI den Spracherwerb prägen könnte.
Im Folgenden wird ein konkretes didaktisch-methodisches Szenario für den Einsatz der generativen KI im Fremdsprachenunterricht am Beispiel des Deutschen als Fremdsprache skizziert. Der Fokus liegt dabei auf der Projektarbeit, denn einerseits zeigt sich hier insbesondere durch die Integration unterschiedlicher Aufgabenstellungen und Produkte (als Ergebnisse und Stimuli) – von Bildern über diverse Textformen bis hin zu literarischen Werken, Theaterstücken und Gesprächen – ein beachtliches Einsatzpotenzial für generative KI-Tools wie ChatGPT. Andererseits, wie bereits oben erläutert, nimmt die Projektarbeit in der Didaktik des modernen Fremdsprachenunterrichts einen hohen Stellenwert ein, da sie eine Form des handlungsorientierten und lernerzentrierten Lehrens und Lernens darstellt, in dem kreative Lernprozesse maximal entfaltet werden können (vgl. Wicke 2004: 136). Die beschriebenen Beispiele basieren auf einem Unterrichtsmodell, das im Wintersemester 2023/24 als ‚Werkstatt Deutsch‘ am Sprachenzentrum der Universität Rostock umgesetzt und anschließend wissenschaftlich evaluiert wird.
5 KI-gestützte Projektarbeit im Fremdsprachenunterricht
Im Rahmen des projektbasierten Fremdsprachenunterrichts bietet sich den Studierenden die wertvolle Gelegenheit, Theorie und Praxis miteinander zu verknüpfen und die erlernte Sprache in realitätsnahen und praxisbezogenen Situationen anzuwenden (vgl. Haus DaF im Beruf o.J.b: 274). Dieser Ansatz ermöglicht es den Lernenden, ihre sprachlichen Fähigkeiten umfassend zu trainieren und zu vertiefen, wie es von Haus DaF im Beruf beschrieben wird. Der enge Bezug zur Praxis und zum täglichen Studien- oder Berufsleben macht die Integration von Sprache und Handlung, sowie von Sprache und Situation greifbar und lebendig (vgl. ebd.: 275). Die Projektarbeit im Fremdsprachenunterricht ist zudem zielorientiert und so gestaltet, dass die jeweilige Sprache in kommunikativer Form – sei es mündlich oder schriftlich – zum Einsatz kommt (vgl. ebd.). Die Anwendung der Fremdsprache muss dabei in authentischen Szenarien erfolgen (vgl. ebd.). Da die Projektarbeit auf sichtbare oder hörbare Ergebnisse abzielt – beispielsweise eine Website, eine PowerPoint-Präsentation oder ein aufgenommenes Gespräch – und somit produktorientiert ist, werden die Lernenden zu kreativen Prozessen angeregt (vgl. ebd.). Durch verschiedene Herangehensweisen an das jeweilige Thema praktizieren und trainieren die Lernenden in ständig wechselnden Arbeits- und Sozialformen Verfahren und Methoden, die die Kommunikation, Kooperation, Problemanalyse und Problemlösung verbessern (vgl. ebd.: 276). Dies eröffnet im Kontext des Erlernens einer Fremdsprache einzigartige Chancen: Der Erwerb und Gebrauch der Fremdsprache sind Teil eines sinnvollen Gesamtkonzepts und gewinnen dadurch an Authentizität (vgl. ebd.). Zudem werden parallel zur Fremdsprache fachspezifische Inhalte vermittelt (vgl. ebd.). Schließlich lässt sich sagen, dass das Erlernen des Schwimmens nur durch Schwimmen möglich wird. Gleiches gilt für das Sprachenlernen: Nur durch die aktive Anwendung der Sprache in praxisrelevanten Kontexten lässt sich ein tieferes Verständnis und fundierte Sprachkompetenz entwickeln.
In Kap. 4 wurde aufgezeigt, wie generative KI-Tools dazu verwendet werden können, kreative Lernprozesse zu fördern. Diese Werkzeuge sind vielseitig einsetzbar und können nahezu in alle Aufgaben des projektbasierten Fremdsprachenunterrichts integriert werden, wodurch sie auch diese Form des Sprachenlernens maßgeblich bereichern. Es wurde auch erörtert, dass die simultane Interaktion der Lernenden sowohl mit der Maschine als auch mit der Umwelt der Lernenden zur Weiterentwicklung verschiedener Fertigkeiten beiträgt. Dazu zählen kritisches Denken, Ideenfindung, Kombination von Konzepten, Selbstreflexion und eigenständige Entscheidungsfindung, welche allesamt zentrale Bestandteile des Sprachlernprozesses sind. Auch allgemeine Sprachkompetenzen sowie Methoden-, Fach- und Sozialkompetenz werden durch Interagieren mit diesen Werkzeugen erweitert, die wiederum für das Sprachenlernen essenziell sind, wie weiter oben bereits ausgeführt. Durch die Integration von verschiedenen sprachzentrierten Aufgaben und personalisierten Lerninhalten werden gezielt Teilprozesse des kreativen Problemlösens intensiviert, wie in Abb. 3 veranschaulicht. Dies führt letztendlich, wie zuvor dargelegt, zur Entstehung kreativer Produkte, die durch KI-gestütztes Feedback weiter verbessert und reflektiert werden können. Darüber hinaus tragen die KI-Tools zur mediengestützten Lernumgebung im Fremdsprachenunterricht bei und schaffen eine Atmosphäre, die die Kreativität stimuliert.
In Anlehnung an diese Annahmen wird im Folgenden ein projektbasiertes und KI-gestütztes Unterrichtskonzept umrissen und ein Beispiel näher ausgeführt. Es handelt sich um einen DaF-Kurs ‚Werkstatt Deutsch‘, der sich an Studierende auf dem Niveau B2.2 richtet. Der Kurs setzt auf ein gemeinsames entdeckendes Lernen und behandelt Projekte, die hochschulspezifische, wissenschaftsorientierte, berufsorientierte, gesellschaftspolitische und individuelle Themen adressieren und auf der Lernplattform (Lernmanagementsystem) Ilias dargeboten werden. Die Studierenden bilden am Anfang des Kurses Arbeitsgruppen und suchen sich drei Projekte aus, die sie interessieren. Für ein Projekt ist ca. ein Monat vorgesehen. Im Fokus steht eine projekt- und Challenge-basierte sowie KI-gestützte Arbeitsweise. Jede Gruppe verfolgt mit jedem der drei Projekte ein gemeinsames Ziel, eine Problemlösung. Dabei werden sprachliche Ziele in den Bereichen Wortschatz, Grammatik, Phonetik und Pragmatik individuell gesetzt. Jede Woche bietet der Unterricht am Anfang einen Schwerpunkt und eine Abhandlung bestimmter lexikalischer, grammatikalischer oder phonetischer Themen an, die von einzelnen Studierendengruppen vorbereitet werden. Anschließend erfolgt die Arbeit an Projekten. Die Lehrkraft fungiert lediglich als Lerncoach oder Unterstützer*in. Die Arbeitsergebnisse werden als Produkte präsentiert und zusätzlich von Reflexionsportfolios begleitet, die eine Grundlage für die Selbstreflexion bilden und für die Punkte vergeben werden (ein Portfolio – 15 Punkte, drei Portfolios – 45 Punkte). Einige Lernhilfen wie bestimmte grammatische Themen oder Wortschatz werden von der Lehrkraft online zur Verfügung gestellt.
Das Kursziel besteht darin, Studierende zu befähigen:
sich selbstständig Ziele zu setzen und diese sprachlich zu formulieren.
in einer Gruppe zusammenzuarbeiten und zu diskutieren.
eine Vielzahl an mündlichen und schriftlichen Textsorten nach eigener Wahl umzusetzen.
mit Werkzeugen wie Online-Wörterbüchern, Deepl Write, ChatGPT und anderen Hilfsmitteln umzugehen, um eigene sprachliche Entwicklung zu unterstützen.
eigene Produkte kritisch zu evaluieren und dies adäquat zu äußern.
konstruktives Feedback sprachlich angemessen zu erteilen.
den eigenen Lernfortschritt zu reflektieren und sprachlich angemessen zu dokumentieren.
In diesem Kurs erwerben die Teilnehmenden folgende Kompetenzen:
Sprachkompetenz, um sich effektiv und nuanciert in der Zielsprache auszudrücken.
Kommunikationskompetenz, die es ermöglicht, in der Zielsprache klar und überzeugend zu interagieren.
Sozialkompetenz, um in der Zielsprache effektiv in Teams zu arbeiten und interkulturelle Beziehungen zu pflegen.
Methodenkompetenz, um Lernstrategien für den Spracherwerb zu entwickeln und anzuwenden.
Medienkompetenz, um digitale und traditionelle Medien zur Unterstützung des Sprachenlernens zu nutzen.
Reflexionskompetenz, um den eigenen Fortschritt im Spracherwerb zu bewerten und zu optimieren.
Zu Beginn erfolgt die Festlegung der projektbezogenen sowie individuellen Ziele in Bereichen Hören, Sprechen, Schreiben, Lesen, Grammatik, Wortschatz, Phonetik usw. Die Studierenden sollen ihre Ziele so konkret wie möglich notieren. Bei der Ausformulierung dieser Ziele sollen die Teilnehmenden die Möglichkeiten der generativen KI wie ChatGPT3.5, Bard oder Canva nutzen. Das Portfolio soll den ganzen Lernprozess begleiten. Bei der Formulierung der Ziele soll der Fragenblock 1 in Tabelle 1 beantwortet werden. Für jede Beantwortung einer Frage im Portfolio erhalten die Studierenden einen Punkt. Unter dem Feedback haben sie die Möglichkeit, ihre Ideen und Anmerkungen mit der Lehrkraft zu teilen. Wenn die Aufgabe gelöst wurde, werden die Lernprozesse und Projektergebnisse anhand weiterer Portfoliofragen reflektiert (s. Tab. 1, Fragenblöcke 2 und 3).
Portfoliobogen |
1. Reflexion des Projektziels
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2. Prozessreflexion
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3. Reflexion der Ergebnisse
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Die Studierenden haben die Möglichkeit, unterschiedliche Projektthemen zu wählen (Studierendenprotest, Zukunftskonferenz, Geschichtswerkstatt, Pint of Science, Start-up-Unternehmen oder eigenes Projekt). Im Folgenden wird ein ausgewähltes Szenario näher beleuchtet: der Studierendenprotest.
Beispiel:
Kurs Deutsch als Fremdsprache: ‚Werkstatt Deutsch‘, Zielgruppe: Niveau B2.2
Das Projekt:
Die Studierenden der Universität Rostock sind aufgeregt. Seit Tagen gibt es in der Mensa kein anderes Thema mehr als die Gebührenerhöhung für die Sport- und Sprachkurse zum nächsten Semester. Diese sollen sich verdoppeln! Das wollen sich die Studierenden nicht gefallen lassen. Auch Sie sind damit nicht einverstanden und wollen dagegen protestieren.
Ihre Aufgabe:
Bilden Sie eine Arbeitsgruppe, die den Protest organisiert.
Legen Sie fest, mit welchen Mitteln Sie protestieren wollen.
Besprechen Sie einen Arbeitsplan, in dem Sie Deadlines und Verantwortlichkeiten festlegen.
Führen Sie die festgelegten Arbeitsschritte durch.
Legen Sie Maßstäbe fest, anhand deren Sie die Qualität der Produkte und den Erfolg der Aktion messen können.
Präsentieren Sie Ihre Produkte.
Dokumentieren und reflektieren Sie Ihren Lernfortschritt.
Ideen:
Plakate entwerfen
Studierende zu Aktionen aufrufen (in einer E-Mail)
Universitätsleitung anschreiben (um Gespräch bitten)
Gespräch mit Universitätsleitung führen
Protestveranstaltung organisieren
Rede für Protestveranstaltung vorbereiten
Social Media Kampagne starten
…
Durchführung:
Lernende überlegen zunächst einen Maßnahmenkatalog, d.h. alle sprachlichen Handlungen, die zum Lösen des Problems (d.h. das Aufhalten der Gebührensteigerung) beitragen können. KI-Werkzeuge können dabei zum Brainstormen eingesetzt werden. ChatGPT3.5 schlägt u.a. vor, eine Petition zu verfassen, Social-Media-Kampagnen zu starten, nach Verbündeten zu suchen, Proteste zu organisieren sowie Gespräche mit den Universitätsvertre ter*innen und der Universitätsleitung zu suchen (s. Abb. 4).
Lernende wägen Pro und Contra ab und entscheiden sich für sinnvolle Schritte. Diese Schritte sind bereits in sich komplex und erfordern weitere Entscheidungen und sprachliche Handlungen. Beispielsweise müssen im Rahmen der Organisation der Proteste E-Mails an Studierende verfasst, Protestschilder angefertigt, Slogans entwickelt, Reden geschrieben, Plakate entworfen werden usw. Wenn die Lernenden noch das Gespräch mit der Universitätsleitung suchen möchten, so müssen Termine abgesprochen, E-Mails verfasst, Argumente gesammelt, vielleicht auch Umfragen durchgeführt und ausgewertet sowie das Gespräch vorbereitet werden. Für all die Aufgaben dürfen KI-Tools genutzt werden. Die Lernenden ermitteln mit ihrer Hilfe, wie die einzelnen Textsorten aufgebaut sind, entwickeln Kriterien, nach denen sie die Texte beurteilen wollen, treffen letztlich Entscheidungen und begründen diese. Die KI-Tools können auch dazu dienen, die Texte der Studierenden zu korrigieren bzw. zu bearbeiten, wie weiter oben bereits erörtert. Dabei können multimodale KI-Tools eingesetzt werden, um die kreativen Prozesse zu maximieren. Sie übernehmen die Rolle eines Stakeholders und Katalysators, der das kreative Lernen durch Assoziationen, Visualisierungen, Analogien, Verfremdung und Zufallsanregung sowie systematische Variation anregt. Dies erlaubt, die Kreativitätstechniken wie diese von Preiser und Buchholz (2008) und Caspari (2003: 310) in der Interaktion mit der KI anzuwenden. Durch diesen Ansatz setzen die Lernenden schrittweise ihre Teilziele auf dem Weg zum Hauptziel um, wobei bereits der Weg selbst als Ziel betrachtet wird. Sie trainieren nicht nur schriftliche, sondern auch mündliche Fertigkeiten, erstellen vielfältige Textsorten und bewältigen komplexe und kreative Aufgaben, wobei ihre Entscheidungen im Mittelpunkt stehen.
Bei der Bewertung liegt der Fokus weniger auf dem Endprodukt als vielmehr auf dem Prozess, welcher von den Lernenden in einem Portfolio dokumentiert werden soll (s. Tab. 1). Es werden Arbeitsschritte festgehalten, Lernfortschritte verzeichnet und Teilergebnisse dokumentiert. Durch das Portfolio können auch die eigenen Lernprozesse reflektiert werden, was eine Schlüsselkompetenz für das Lernen von Sprachen, ein erfolgreiches Studium und das Berufsleben darstellt. Es erlaubt auch den Lernenden ihren Lernstand zu erheben und zu beurteilen. In der Reflexionsphase wird untersucht, inwieweit die individuell festgelegten sprachlichen Ziele erreicht wurden. Aus den Ergebnissen dieser Analyse werden Schlussfolgerungen gezogen, welche Vorgehensweisen in zukünftigen Lernprozessen als effektiv erachtet oder vermieden werden sollten.
Der Vorteil der generativen KI-Werkzeuge bei einer projektbasierten Arbeit liegt darin, dass diese eine schnelle Umsetzung solcher Szenarien ermöglichen, da sie neben der Prozessoptimierung und Inspiration auch eine Zeitersparnis durch Automatisierung und individuelles und personalisiertes Coaching bieten. Das Haus DaF im Beruf (o.J.b: 281) formuliert jedoch einige Herausforderungen, die sich insgesamt bei der Durchführung von Projekten im fremdsprachlichen Unterricht ergeben können. Eines der grundlegenden Probleme ist, dass die Fremdsprache oftmals auf der Strecke bleibt, da in den Gruppen bevorzugt die Muttersprache gesprochen wird (vgl. ebd.). Auch der Umgang mit Fehlern in der Fremdsprache stellt eine Herausforderung dar, da es gilt, sowohl sprachliche Korrektheit als auch flüssige Ausdrucksweise zu erreichen, ohne dass einer dieser Aspekte den anderen beeinträchtigt. Des Weiteren lässt sich nicht jeder Unterrichtsstoff in ein Projekt integrieren. Die Bewertung der Leistungen, Produkte und Kompetenzen sowie Notenermittlung, erfordern eine Anpassung und Transparenz, sei es auf Gruppen- oder individueller Ebene. Dabei ist zu beachten, dass der Lernerfolg nicht sofort überprüfbar ist (vgl. ebd.). Zudem sind der materielle und organisatorische Aufwand für Projekte oft hoch, da Geräte, Medien, Stifte, Plakate und ähnliches benötigt werden und auch zeitlicher Aufwand meist viel umfangreicher als im herkömmlichen Unterricht ist. Hier könnten unter Umständen die KI-Werkzeuge eine große Erleichterung darstellen, da diese durch ihre unterstützende Rolle der Begleitung und Beratung diesen Aufwand minimieren könnten. Technische Probleme und Herausforderungen bei der Zusammenarbeit und Informationsvermittlung innerhalb der Arbeitsgruppen können ebenfalls auftreten, etwa wenn einzelne Gruppenmitglieder nicht über die Aktivitäten der anderen informiert sind.
Die in Kap. 1 und 4 diskutierten inhärenten Schwächen der KI verdeutlichen zudem die Notwendigkeit, die veränderte Rolle der Lehrkräfte stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Diese Rolle beinhaltet insbesondere Kernaufgaben und Kompetenzen wie die Koordination von Übungen und Materialien sowie die Analyse der Leistungen der Lernenden, ergänzt durch die Bereitstellung qualitativ hochwertigen Feedbacks, wie Drittmeyer (2023) ausführt. Die Lehrenden werden zu Begleitpersonen und Moderator*innen, die den Lernenden dabei helfen, die kreativen Möglichkeiten der Technologie zu nutzen (vgl. auch Strasser 2011: 14; 2012: 6–7). In diesem Zusammenhang helfen sie bei der Auswahl und Anwendung der geeigneten KI-Werkzeuge, spornen die Entdeckung neuer Ansätze und Ideen an und helfen bei der Interpretation und Bewertung der generierten Inhalte. Sie sollten auch sicherstellen, dass die generierten Inhalte den didaktischen Zielen und Standards entsprechen, und dass die Lernenden weiterhin ihre sprachlichen Fähigkeiten aktiv anwenden und entwickeln. Lehrkräfte werden zu Coaches, die den Lernenden dabei helfen, ihre kreative Schreib- und Lernkompetenz auf innovative Weise zu entwickeln und ihre individuellen Lernziele zu erreichen. In diesem Zusammenhang wird klar, dass generative KI-Tools nicht darauf abzielen, Lehrkräfte zu ersetzen, sondern diese vielmehr im Rahmen von Blended-Learning-Methoden und anderen zeitgemäßen didaktischen Ansätzen wie der Projektarbeit zu unterstützen. Sie tragen zur Optimierung des Lernprozesses bei, indem sie als persönliche Assistenz für die Lernenden fungieren (vgl. Strasser 2020: 5). Die Lehrenden sollten ihre Lernenden dabei anregen, ein kritisches Bewusstsein für die Möglichkeiten und Grenzen der generativen KI zu entwickeln, indem sie ihre Studierenden über die Funktionsweise und den Einfluss solcher Technologien informieren, diese Werkzeuge gemeinsam mit ihnen ausprobieren und reflektieren. Darüber hinaus tragen die Lehrkräfte die Verantwortung, die Objektivität zu wahren und ihren Lernenden den Zugang zu vielfältigen Informationsquellen zu ermöglichen. Sie fungieren als Kompass, der Lernenden hilft, verschiedene Quellen zu erkunden und kritisch zu hinterfragen.
Abschließend ist anzumerken, dass im Rahmen des projektbasierten und KI-gestützten Fremdsprachenlernens mit unvermeidlichen Rückschlägen und Herausforderungen zu rechnen ist. Diese Unwägbarkeiten bedingen eine sorgfältige Planung und erfordern ein hohes Maß an Flexibilität seitens der Lehrenden, um die erfolgreiche und effektive Durchführung solcher Lernformate zu sichern. Zudem befindet sich das oben vorgestellte Konzept noch in der Erprobungsphase. Erst nach seiner wissenschaftlichen Evaluation können mit aller Sicherheit seine möglichen Vorteile und Limitationen besprochen werden.
6 Resümee
Der Einsatz generativer KI-Tools im Fremdsprachenunterricht eröffnet facettenreiche Perspektiven für das kreative Lernen. Diese Technologie optimiert nicht nur umfassende kreative Prozesse wie das Verfassen von Texten oder die Realisierung von Projekten („little-c“ bis „Pro-c“ (Kaufmann/Beghetto 2009: 2–6)), sondern stärkt auch grundlegend den Spracherwerbsprozess durch die Verbesserung von Grammatik, Wortschatz und Ausdrucksfähigkeit („mini-c“ bis „little-c“ (ebd.: 2–4)). Darüber hinaus begünstigt der Einsatz generativer KI im Fremdsprachenunterricht – in Form von zeitnahen Korrekturen, unmittelbarem Feedback, Brainstorming, individueller Beratung und Rechercheunterstützung – die Entstehung kreativer Produkte wie Texte, Poster, Flyer oder Gespräche. Die durch die KI generierten Rückmeldungen stimulieren eine kritische Reflexion und tragen zur methodischen Weiterentwicklung des Sprachlernprozesses bei. Sie fördern die Gestaltung sprachlicher Produkte und leisten somit einen bedeutsamen Beitrag zur Ausbildung sprachlicher Kompetenzen. Die Nutzung von generativen KI-Tools schafft eine mediengestützte Umgebung, die insgesamt eine inspirierende Atmosphäre für kreative Prozesse schafft und somit ein kreatives Umfeld entstehen lässt. Durch die Interaktion mit diesen Werkzeugen können Lernende neue Perspektiven gewinnen und ihre individuelle kreative Persönlichkeit entfalten. Der Einsatz generativer KI eröffnet im Fremdsprachenunterricht neue Wege, um die kreative Kompetenz der Lernenden zu stärken und somit das Sprachenlernen zu optimieren. Dabei spielen eine eigenständige, aktive und selbstgesteuerte Arbeitsweise sowie die Möglichkeit des Experimentierens mit Sprachgeneratoren und die Erstellung personalisierter Lerninhalte eine zentrale Rolle.
Es ist jedoch entscheidend, den Einsatz generativer KI-Werkzeuge sinnvoll und effektiv zu gestalten und zu verstehen, dass generative KI als unterstützende Werkzeuge dienen und den kreativen und kritischen Denkprozess (welchen der Spracherwerb selbst darstellt) ergänzen sollen. Die Lernenden sollten erkennen, dass diese Werkzeuge nicht als Ersatz für ihren individuellen Schreibprozess oder ihre persönliche Auseinandersetzung mit literarischen Werken dienen, sondern als Instrumente, die ihnen neue Möglichkeiten eröffnen, ihre kreativen und interpretativen Fähigkeiten zu entfalten.
Gleichzeitig müssen die Herausforderungen und Risiken, die mit der Integration von KI in den Sprachunterricht verbunden sind, sorgfältig abgewogen werden. Ein ausgewogener Ansatz, der die Vorteile der KI-Tools nutzt und zugleich sicherstellt, dass die Lernenden ihre eigenen kreativen Fähigkeiten entwickeln und kritisch reflektieren können, ist von großer Bedeutung. Die Rolle der Lehrkräfte verändert sich in diesem Kontext hin zu einer moderierenden und begleitenden Funktion, wobei sie die Nutzung der KI-Werkzeuge steuern, und ihre Lernenden anleiten, diese kritisch und effektiv einzusetzen.
Wie Schmid (2023: 4) anführt, sind die „KI-Technologien (…) zunehmend aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken“, weshalb ihre Integration in den Fremdsprachenunterricht und in die Bildung im Allgemeinen unabdingbar und unvermeidbar ist. Dabei ist die „Vermittlung eines sinnvollen, sicheren und souveränen Umgangs“ (ebd.) mit diesen Werkzeugen von zentraler Bedeutung. Insgesamt eröffnet der Einsatz generativer KI-Tools wie ChatGPT3.5 im Fremdspracheunterricht sowohl Chancen als auch Herausforderungen. Es liegt an uns, diese Werkzeuge auf eine Weise einzusetzen, die die Kreativität der Lernenden fördert und gleichzeitig ihren Spracherwerbsprozess stärkt. Durch einen verantwortungsbewussten Umgang mit ihnen kann das kreative Lernerlebnis bereichert werden. Die KI-Forschung steht in diesem Kontext vor der Herausforderung, die derzeit vorherrschenden, hauptsächlich auf Daten basierenden Ansätze zu erweitern, um komplexe Themen effektiv mit Hilfe von KI-Tools zu vermitteln und zu bewerten (vgl. Schmidt 2023: 4).
Notes
- Auf Englisch generative AI (Artificial Intelligence) ist eine Form von künstlicher Intelligenz, die auf Basis von Vorgaben und vorhandenen Informationen neue Inhalte generiert. Es kommen KI-Verfahren und -Technologien wie trainierte neuronale Netzwerke, maschinelles Lernen (Deep Learning) und KI-Algorithmen zum Einsatz, um nach Anweisungen Texte, Bilder, Audio- und Videoinhalte, Programmcode, 3D-Modelle und anderes zu erzeugen (vgl. Luber 2023). [^]
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Kurzbio
Agnieszka Ciężka: 2014 Studium der Germanistik an Universitäten Szczecin und Rostock, 2022 Promotion in der Germanistischen Sprachwissenschaft an der Universität Rostock, seit 2021 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt ‚Digitaler Campus Rostock‘ am Sprachenzentrum der Universität Rostock und Lehrbeauftragte am Institut für Germanistik.
Anschrift:
Agnieszka Ciężka
Sprachenzentrum
Universität Rostock
Ulmenstr. 69, Haus 1